Neuigkeiten zu meiner Arbeit am Unabhängigkeitskrieg
Da ich über ein halbes Jahr mit technischen Schwierigkeiten meiner Hardware und einem drohenden Datenverlust (der allerdings nicht auf äußere Einflüsse zurückzuführen ist) beschäftigt war, konnte ich verschiedene Aufgaben nicht angehen. Dies bezieht sich sowohl auf die Arbeit an der südamerikanischen Unabhängigkeit, als auch auf die Cyberattacken. Der 09. Dezember bietet sich als Tag für Neuigkeiten an, weil es der zweihundertste Jahrestag des offiziellen Endes des Unabhängigkeitskrieges mit der spanischen Generalkapitulation für den gesamten Kontinent ist.
Zum Hintergrund der Internetkriminalität
Wie schon vorher festgestellt, wird mein Computer seit Jahren immer wieder ausgespäht. Als im Juni 2021 auch ein neuer Text verunstaltet wurde, habe ich mich an die Polizei gewandt, die anfangs keine Anstalten machte, überhaupt zu reagieren. Zur Annahme, daß es sich um einen Virus handelt, von dem Besucher meiner Seiten betroffen sein könnten, habe ich schon deswegen, weil ich seit 25 Jahren Linux-Varianten fahre, keine Veranlassung. Abgesehen davon, daß auch die Internetprovider auf die Sicherheit ihres Webspace achten, habe ich selbst Schädlingsabwehrprogramme installiert.
Als kurz darauf bei unterschiedlichen Gelegenheiten auch Mails von meiner Festplatte verschwanden, habe ich dies ebenfalls angezeigt. Immerhin wurde mir der Eingang meiner Anzeigen diesmal bestätigt und es gab Telefonate mit einem Polizisten aus der Abteilung für Internetkriminalität. Da die Attacken weitergingen, ging ich auf das Angebot des Beamten ein, meinen Computer kriminaltechnisch untersuchen zu lassen. Aber es blieb bei der Ankündigung. Um zu verstehen, warum ich in der Folge nicht mit Kanonen auf (Dreck-)Spatzen geschossen habe, ist ein kurzer Abriß anderer Ereignisse vonnöten.
Vor rund 20 Jahren wurde bei mir eine Fehldiagnose gestellt, die als bewußt bezeichne. Aufgrund einiger mir vorliegender Schreiben kann ich nicht ausschließen, daß ein Zusammenhang zu meiner Kandidatur für den Landtag als Parteiloser für eine mittlerweile nicht mehr eigenständig existierende Partei besteht. In den folgenden Jahren erfuhr ich gelegentlich unverständliche Ressentiments. Da das Ausspähen mindestens in den letzten 14 Jahren stattfand (davor lag ein gutes Jahr in Kolumbien, was Nachweise für die Zeit davor zumindest stark erschwert) war ich bereits 2017 deswegen auf dem örtlichen Polizeiposten, aber dort wollte man nichts davon wissen und verwies mich an die zuständige Dienststelle in der Kreisstadt. Schon vorher hatte ich eine beträchtliche Verschlechterung meines Gesundheitszustands festgestellt, die sich nun derart verstärkte, daß ich die Angelegenheit nicht weiterverfolgen konnte.
Anfang 2019 verschlimmerte sich meine Gangstörung derart, daß ich schließlich einen Monat im Krankenhaus im Rollstuhl saß. Eine verläßliche Diagnose gibt es bis heute nicht, aber seit der anschließenden Reha gehe ich am Rollator, auch wenn ich eine Methode zur Verbesserung meines Zustands gefunden habe, für die ich mittlerweile kein Rezept mehr brauche. Als für die Reha ein Kostenträger gefunden werden mußte, erklärte mich die Rentenversicherung zum Berufsunfähigkeitsrentner.
Anfang 2021 wollte sich Rentenversicherung mit einer Untersuchung bestätigen lassen, daß ich die Voraussetzungen für die Rente immer noch erfülle. Ich war daher erstaunt, daß die Gangstörungen lediglich eine Nebenrolle spielten und ganz andere Aspekte im Vordergrund standen, die auf die alte Fehldiagnose zurückgehen. Mit dem Bescheid suchte ich mir einen Rechtsbeistand, um gegen die Diagnose vorzugehen. Zuvor hatte ich mich in einem erklärenden Schreiben an Rentenversicherung, Krankenkasse und Ärztekammer gewandt. An letztere deswegen, weil ich mich bereits 2015 dort wegen der Diagnose (und Nachfolgern, die meiner Ansicht nach lediglich der Verschleierung dienten) beschwert hatte. Obwohl ich deutlich gemacht hatte, daß es mir primär um die Diagnose und weniger um das Ergebnis der Rentenversicherung ging, bestärkte die beauftragte Anwältin die Krankenversicherung in der aus meiner Sicht unhaltbaren Diagnose. Nachdem ich mich an die Polizei gewandt hatte, verschwanden nur die diese Angelegenheit betreffenden Mails auf meiner Festplatte in drei Phasen und die Juristin wollte nicht mehr gewußt haben, was ich ihr aufgetragen hatte. Auch dies teilte ich der Polizei mit, aber es passierte nichts. Nachdem die Rentenversicherung nicht auf meine Stellungnahmen zur vom Sozialgericht zugänglich gemachten Akte mit einer Untermauerung ihrer Einstufung reagierte und ich feststellte, daß es Löschungen nicht nur im medizinischen Bereich der Akte der Rentenversicherung gegeben hatte, bezog ich die Rentenversicherung ebenfalls in die Anzeigen mit ein.
Erst als ich mich zum Jahreswechsel 2021/22 an die zuständige Generalstaatsanwaltschaft wandte, war die zuständige Staatsanwaltschaft bereit, mir mitzuteilen, daß die Ermittlung – just in der Hochphase der Internetkriminalität und den Handlungen der Anwältin – eingestellt worden war. Als auch mein Angebot von menschlichen Fehlleistungen dort keinen Widerhall fand, erklärte ich die Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft zur Anzeige gegen den Staatsanwalt und seine Ermittler (in den vorhergehenden Neuigkeiten als „schärfste Mittel“ bezeichnet). Da trotzdem wieder Monate vergingen, forderte ich erneut bei der zuständigen Staatsanwaltschaft aktiv zu werden. Diesmal konnte ich auf dem örtlichen Polizeiposten ein Protokoll aufnehmen lassen. Als danach wieder nichts kam, habe ich Ende 2022 erneut nachgebohrt, was dazu führte, daß ich eine reichlich seltsame und unvollständige Akte bei der Staatsanwaltschaft einsehen konnte. Hier fand ich zum Teil gravierende Unterschiede zu den von mir festgestellten Sachverhalten, was ich in einer ausführlichen Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft dargelegt habe. Als man immer noch nichts unternehmen wollte, habe ich mich schließlich Mitte letzten Jahres mittels einer Petition an den Landtag gewandt. Zum Jahresende berichtet dieser, daß die Akte bei der Staatsanwaltschaft „in Verstoß“ geraten und (teil-)rekonstruiert sei. Hier könnte die Erklärung dafür zu suchen sein, daß ich auf derart viele Ungereimtheiten bei der Akteneinsicht gestoßen bin. Der Landtag beschränkte sich darauf festzustellen, daß es Auffassungsunterschiede gibt, aber eine Lösung wurde nicht angeboten. Da ich in diesen Jahren offenbar nicht dauernd ausgespäht wurde, es aber immer wieder Hinweise darauf gibt, kann ich – ganz abgesehen von den gesundheitlichen Aspekten – kaum darauf verzichten, die Angelegenheit aufzuklären (im Zuge der Untersuchungen des Landtags hatte mir die Generalstaatsanwaltschaft unter Verweis auf ein Gerichtsurteil geschrieben, das es für sie keine Verpflichtung gibt, zu ermitteln). Hinzu kommen weitere Aspekte, die über das hier Berichtete hinausgehen, aber an dieser Stelle keine Erwähnung finden. Falls es neue Erkenntnisse dazu gibt, werden diese zukünftig in den Neuigkeiten und nicht mehr auf der Homepage dargelegt.
Zum Unabhängigkeitskrieg
Zuvorderst möchte ich eine neue Referenz angeben. Schon im vergangenen Jahr hatte mich der promovierte Historiker Matthias von Hellfeld wegen seines Geschichtspodcasts auf Deutschlandradio Nova für seinen Beitrag zur „Schlacht bei Ayacucho“ angesprochen und im November ein Telefoninterview mit mir durchführen lassen. Die 34-minütige Sendung steht seit Anfang Dezember 2024 zum Abruf unter 9. Dezember 1824. Die Schlacht bei Ayacucho zur Verfügung. Ich firmiere hier als einer von drei Experten zum Thema Südamerika, die jeweils einige Minuten Fragen zum Thema beantworten. Die Sendung, hat mir Herr von Hellfeld auseinandergesetzt, soll ein möglichst breites Publikum erreichen, das vom Thema üblicherweise wenig Ahnung hat. Meine (natur-)wissenschaftliche Herangehensweise führte daher zu Kontroversen: zu detailliert und zu komplex, könne den Hörern nicht zugemutet werden. Dies ist zwar nachvollziehbar, aber dafür nenne ich die Sendung 99-prozentig. Nichtsdestoweniger kann ich sie guten Gewissens empfehlen. Auch die älteren Podcasts im gesamten Spektrum der Weltgeschichte (https://www.geschichtsdoc.de/history/ – unten auf der Seite nach Sendedatum geordnet), die ich bislang angehört habe, besitzen dieses Niveau.
Schon vor Jahren habe ich das Thema auf meinen Seiten als Minenfeld bezeichnet, weil man immer wieder auf Widersprüche trifft, die teils von Unkenntnis und teils von Beschönigungen herrühren. Ich kenne mittlerweile eine fünfstellige Zahl an Originaldokumenten von Akteuren und Zeitzeugen, was mir die Einordnung von Ereignissen etwas erleichtert. Von früher her erinnere ich noch die Abläufe an Universitäten und kann daher sagen, daß ein Buch über diesen Krieg von einem Universitätsangehörigen höchstens als Alterswerk im Ruhestand halbwegs gut werden kann. Ein übergreifender Text, während der täglichen Arbeit, wird immer Mängel aufweisen, auch weil es kaum fehlerfreie Arbeiten in größerem Maßstab gibt. Auch nicht bei den heutigen Südamerikanern, die ohnehin meist nur ihr eigenes Land betrachten. Daher stehe ich auch nach wie vor zu meiner Kritik am Buch von Herrn Rinke zur Unabhängigkeit, das größtenteils auf der Grundlage übergreifender Arbeiten aus dem nicht-iberischen Europa und Nordamerika fußt. In seinem Beitrag zu diesem Podcast kann ich keine Fehler entdecken, aber wenn er die daraus resultierenden Verhältnisse in den Zusammenhang mit den Caudillismus stellt, kann ich das nur für den Süden des Kontinents bestätigen. In den Bolívarianischen Ländern kann diese Form der Herrschaft von Befehlshabern auf der Grundlage ihrer Soldaten nicht die einzige Ursache sein, zumal ich nie von Bolívar als Caudillo gelesen habe. Um selbst unumschränkt herrschen zu können, hat er den Caudillismus sogar bekämpft.
Auf dem ganzen Kontinent hatte die Vergabe von politischen Ämtern und Privilegien an erfolgreiche Befehlshaber schwerwiegende Konsequenzen für die neu entstandenen Staaten, die bis heute nachwirken. Sucre, der Anfang 1830 vor dem großkolumbischen Parlament in Bogotá eine mindestens zehnjährige Sperre für Militärs für politische Ämter gefordert hatte, wurde deswegen kein halbes Jahr später heimtückisch gemeuchelt. Weil seine Frau aus Quito stammte und er dort sehr beliebt war (er hatte die Befreiung Ecuadors im Auftrag Bolívars bewerkstelligt), war er der aussichtsreichste Kandidat für das Präsidentenamt, aber er schreibt immer wieder in seinen Briefen, daß er am liebsten Privatmann und Familienvater sein wollte. Insofern ist das Argument, daß der Venezolaner, der daraufhin gewählt wurde, für seinen Tod verantwortlich sei, nicht zu halten. Juan José Flores wird aber trotzdem bei den Auftraggebern des Mordes gewesen sein, denn er und viele andere Offiziere aus Venezuela und Neugranada waren in einem Netzwerk von Offizieren, die Bolívar selbst ausgewählt hatte, um seine politischen und moralischen Vorstellungen mit sehr unschönen Mitteln durchzusetzen. Als Bolívar endlich zur Einsicht kam, geriet das Netzwerk außer Kontrolle und war letztlich für Bolívars elenden Tod im Dezember 1830 verantwortlich. Der Briefwechsel mit Sucre in der ersten Jahreshälfte (den ich weitgehend rekonstruieren konnte), ist dafür ein Beleg.
Grundsätzlich stört mich das nachträgliche Hinzudichten von Adelsprädikaten insbesondere bei den Patrioten; in einem Fall habe ich sogar die Vergabe eines „de“ bei Sucres Vater (die Vorfahren waren aus Belgien eingewandert) feststellen müssen. Ausschließlich die spanischen Bourbonen konnten in den Adelsstand erheben und ein halbwüchsiger Rebell, wie eben Sucre, hätte nie von einem Absolutisten wie Ferdinand VII. eine derartige Auszeichnung erhalten. Es gab Spanier, die zum Teil erbliche Adelstitel für ihre militärischen Erfolge erhielten, aber die lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Andererseits hat Francisco Rodriguez seinen Herzog von Toro freiwillig abgegeben, als er zu den Patrioten in der Ersten Republik Venezuela stieß. Nichtsdestoweniger sprechen ihn die südamerikanischen Zeitzeugen mit diesem Titel an, obwohl sie dies sicher wußten.
Auf dem Schlachtfeld von Ayacucho lassen sich im Satellitenbild zwei Gräben oder Erosionsrinnen erkennen. Die Beteiligten auf beiden Seiten, die ihre Heeresberichte – völlig unüblich – nachträglich abgeglichen haben, wollten nicht, daß man sich ein zu genaues Bild vom Schlachtverlauf machte. Während die Fehldarstellung im Podcast eben darauf fußt (und damit verzeihlich ist), habe ich kein Verständnis für die Unterschlagung der Leistung des II. Division von José María Cordóva. Weil die I. Dvivision von Jacinto Lara bei einem Vorgefecht auf dem Weg zum Schlachtfeld dezimiert worden war (Sucre machte sich selbst die schwersten Vorwürfe, daß er nicht darauf geachtet hatte, daß die drei Divisionen nahe genug beieinander marschierten), hielt Sucre diese Division als Reserve und die Division von Cordóva mußte, vor dem Einsatz der Kavallerie, zwei spanische Divisionen besiegen. Dies war jedoch nur möglich, weil die Spanier nicht beide Divisionen zur gleichen Zeit vorschickten. An der linken Flanke der Patrioten standen die Peruaner (mit Chilenen und Argentiniern, die von der chilenisch-argentinischen Expedition von José de San Martín übriggeblieben waren) unter dem Ecuadorianer José La Mar, die von Anfang an nur den Auftrag hatten, sich in ihren Gräben und Schanzen zu verteidigen. Denn ihnen gegenüber stand einer der fähigsten spanischen Befehlshaber, Feldmarschall Jerónimo Valdés. Auch, wenn dessen eigene peruanische Truppen wenige Monate vorher nach einem innerspanischen Krieg gegen den Oberbefehlshaber in Oberperu, Pedro Antonio Olañeta, dezimiert und mit Oberperuanern aufgefüllt worden waren, gibt es keinen Grund anzunehmen, Valdés hätte nicht genau das getan, was er in den vergangenen Jahren immer wieder getan hatte, nämlich die peruanischen Patrioten besiegen. Auch hier traten bei den Royalisten Koordinationsmängel auf, die es in den Treffen zuvor nicht gegeben hatte.
Diese und andere Ungereimtheiten haben dazu geführt, daß heutige Historiker die These entwickelten, die Spanier hätten bewußt auf den Sieg verzichtet. Ich hing dieser Vorstellung bereits an, als ich noch nicht wußte, daß es sie gab. Hintergrund ist hier der Neujahrsaufstand von Rafael del Riego. Nach der Befreiung Neugranadas 1819 hatte Ferdinand VII. ein weiteres Expeditionsheer aufgestellt, um seine Kolonien zurückzuerobern. Wäre der Verlauf des Krieges im Podcast angesprochen worden, hätten sich die Erfolge und Strafaktionen 1815/16 der Spanier des ersten Expeditionsheers hier niederschlagen müssen. Die 12.500 Soldaten erstickten den Widerstand nahezu völlig und nur in einigen schwer zugänglichen Regionen konnten sich die kümmerlichen Reste der Patrioten halten (lediglich in Vizekönigreich Río de la Plata konnte der schwache Landungsversuch zurückgewiesen werden). Die 20.000 Mann, die Anfang 1820 bereitstanden, hätten nichts vom Gedanken an Unabhängigkeit übriggelassen und unzählige Hinrichtungen verübt. Nue weil der Aufstand von del Riego dem König ein Parlament aufzwang, hatten die Unabhängigkeitskämpfer in Südamerika überhaupt eine Chance, die Befreiung zu vollenden. Vizekönig de la Serna, sein Stabschef Canterac, Valdés und andere – aber eben nicht alle – hingen dem Liberalismus an. Wahrscheinlich hatte der Vizekönig (der sich ins Amt geputscht hatte) bereits mit San Martín im peruanischen Küstenort Punchauca über eine friedliche Übergabe verhandelt, wovon Bolívar, der San Martín ins französische Exil getrieben hatte profitierte. Olañeta, der fest an der Seite Ferdinands stand, hatte deswegen rebelliert und de la Serna Verbrechen vorgeworfen, die „lange zurücklagen“. Folgerichtig mußte de la Serna nach seiner Rückkehr nach Spanien einen Prozeß über sich ergehen lassen, den er jedoch unbeschadet überstand. Dies lag sicher auch daran, daß Olañeta beim Vorrücken Sucres in Oberperu von seinen eigenen Leuten umgebracht wurde und damit als Zeuge ausfiel. (Herr Rinke erwähnt die dreijährige Phase des Liberalismus in Spanien, ordnet sie aber nicht wirklich in den Zusammenhang ein.)
Mit diesem – immer noch sehr knapp gehaltenen – Hintergrundwissen läßt sich der Podcast besser einordnen und verstehen. Zugunsten von Herrn von Hellfeld kann man anführen, daß er fast jede Woche ein Podcast organisiert und daher dieses komplexe Geflecht von Politik und Krieg kaum vollständig erfassen konnte. Trotzdem gilt meine Empfehlung für die Geschichtsdoc uneingeschränkt.
Da ich seit Jahrzehnten das Thema der Unabhängigkeit bei Wikipedia begleite, finde ich immer wieder unzureichende Texte zum Thema. Insbesondere mit dem übergreifenden Artikel zu den Unabhängigkeitskriegen in Südamerika habe ich einige Schwierigkeiten. Da ich allerdings nur zu den Bolivarianischen Ländern geforscht habe, konnte ich den Text nicht einfach umschreiben. So kam es, daß ich mich mit dem Vizekönigreich Río de la Plata (das die heutigen Staaten Argentinien, Uruguay und Paraguay umfaßte) und dem Generalkapitanat Chile beschäftigt habe. Da es zwischen dem Vizekönigreich und Brasilien zu massiven Interventionen kam und sich die Unabhängigkeit letzteren Landes von Portugal vergleichsweise einfach und mit nur wenigen Kämpfen gestaltete, habe ich dieses Land ebenfalls einbezogen. In Chile sind die Verhältnisse zumeist sehr klar und einfach darzustellen, so daß ich den dortigen Verlauf leicht integrieren konnte. In diesen neuen Arbeitsfeldern habe ich allerdings nicht ganz so viel Originalliteratur von Zeitzeugen ausgegraben und öfter zum Verständnis auch Artikel der spanisch- und portugiesischsprachigen Wikipedia verarbeitet. Der daraus entstandene Text ist allerdings, selbst wenn ich ihn auf die einzelnen Länder verteilen würde, immer noch viel zu umfangreich. Besonders die komplexen Verhältnisse in Argentinien zu bearbeiten, ist der Schlüssel zum besseren Verständnis von Oberperu, dem die Patrioten aus Argentinien dreieinhalbmal zu Hilfe kamen, aber letztlich an sich selbst scheiterten.
Eine der Biografien bei Wikipedia, die ich als unzureichend empfand, habe ich komplett neu gestaltet und mit reichlich Literatur hinterlegt. Ich hätte mir diesen Spanier nicht ausgesucht, weil ich vorher wußte, was von ihm zu halten ist. Aber vor allem, weil es sowohl in Südamerika als auch in Spanien Persönlichkeiten gab, die ich viel lieber der Vergessenheit entreißen würde, als Miguel Tacón.
Mit der kontinentweiten Sicht konnte ich auch ein weiteres Projekt in diesem Zusammenhang vorantreiben: die ersten Verfassungen und organischen Erlasse in Südamerika. Den ersten Grundgesetzen in den USA und Frankreich habe ich in einer Tabelle die in Südamerika gegenübergestellt, die jetzt verfügbar ist. Die Verfassungen der frühen Jahre sind viel näher an den heutigen Vorstellungen eines Staates, als die späteren, auch wenn sie manchmal nur auf eine naive Art schön sind. Wer Spanisch spricht, stößt auf die allermeisten der Verfassungstexte im Internet; relativ viele Dekrete finden sich, nach Ländern eingeteilt, in der Biblioteca Americana der Biblioteca Virtual Miguel de Cervantes in Alicante. Wenn ich den Krieg auf dem gesamten Kontinent kenne (die Befreiung Chiles steht formal noch aus), werde ich eine Arbeit zu den Verfassungen und organischen Dekreten angehen, die ich bereits roh für mich übersetzt habe. Wenn ich daraus zitiere, fußen die Übersetzungen auf den Verfassungen der deutschen Länder, die zu dieser Zeit – natürlich von der Französischen Revolution inspiriert – in Kraft gesetzt waren.
Durch das Studium der Verfassungen habe ich mittlerweile den Grund für Bolívars Verhalten gefunden, mit dem er sich und Großkolumbien ruiniert hat. Es sind die Ideen, die er im anexo (Anhang) der venezolanischen Verfassung von 1819 in 42 Artikeln vorstellt. „Hilfreich, edel und gut“ soll der Mensch laut Goethe sein; dies sieht auch Bolívar so. Aber wenn der Bevölkerung diese Vorstellungen aufoktroyiert werden sollen, anstatt ihr dies als sinnvoll zu vermitteln, ist Widerstand absehbar. Bolívar forderte die Einrichtung eines Senats für moralische Fragen, der Bürger auszeichnen oder strafen konnte; die höchste Auszeichnung war Padre de la Patria (Vater des Vaterlands); diese wurde nie vergeben, aber Bolívar selbst wurde, wohl eher unfreiwillig, zum einzigen Träger dieses Titels. Daher war der Kongreß von Angostura nicht bereit, Bolívars Vorgaben fest in der Verfassung zu verankern. Letztlich konnte die Verfassung (ohne Anhang) nur wegen seines Erfolges beim Boyacá-Feldzug überhaupt eingeführt und Neugranada an Venezuela zu Großkolumbien angeschlossen werden.
Bereits nach vier Monaten erließ der Kongreß ein lediglich 14 Artikel umfassendes Ley Fundamental de Colombia (Grundgesetz von [Groß-]Kolumbien), in dem nur grundlegende Aspekte der neuen Gemeinsamkeit festgeschrieben wurde. Da der Widerstand nicht abebbte und Bolívar von seiner Einstellung nicht abrücken wollte, konnte der nun in Villa del Rosario de Cúcuta tagende Kongreß nach 20 Monaten lediglich eine überarbeitete Fassung der 14 Artikel als Ley Fundamental de la unión de los pueblos de Colombia (Grundgesetz des Bundes der Völker von [Groß-]Kolumbien) vorstellen. Die zwei Wochen später verabschiedete Verfassung von Cúcuta blieb für alle Seiten ein Stein des Anstoßes, der auch beim Großen Konvent 1828 nicht zur Zufriedenheit aller reformiert werden konnte. Als Folge des Scheiterns des Konvents hob Bolívar, fast genau 7 Jahre nach der Einführung der Verfassung, diese mit seinem Organischen Dekret auf, um vom Parlament – und damit den Bürgern – unkontrolliert regieren zu können. Erst nach Bolívars Rückzug von allen Ämtern Anfang 1830 und dem Auseinanderbrechen Großkolumbiens gaben sich Venezuela, Neugranada und Ecuador eigene Verfassungen, die jedoch eine ganze Reihe von Elementen aufwiesen, die auf Bolívar zurückgehen. Schon während seiner Amtszeit war es zu Bürgerkriegen gekommen, aber nach seinem Abgang im Januar 1830 nahm deren Anzahl noch beträchtlich zu.
Bei all diesen Aufgaben, die noch vor mir liegen, befürchte ich, daß die längst überfällige Neubearbeitung dieser Webseiten mal wieder auf der Strecke bleiben wird. Ich wünsche trotzdem viel Spaß beim Podcast und der Lektüre des neuen Texts und der Tabelle.
Stefan Beck