Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 4.d. Oberperu: Erneuter Aufstand mit Hilfe aus Argentinien

Offenbar hatte das harte Vorgehen, vor allem des peruanischen Vizekönigs Abascal, sein Ziel in Oberperu wieder Ruhe einkehren zu lassen, nicht erreicht, denn Mitte April bat ihn der Bischof von La Paz, de la Santa seinen Amtssitz nach Puno verlegen zu dürfen, da ihn seine Stadt zu unsicher erschien. Und das obwohl bei der Rückführung der peruanischen Truppen fünfhundert Soldaten unter Juan Ramirez bei La Paz zurückgeblieben waren, während Goyeneche zu seinem Amt als Gerichtspräsident von Cusco zurückgekehrt war.

Wieder brauchten die Oberperuaner einen äußeren Anstoß, um in der zweiten Jahreshälfte erneut einen Versuch zu unternehmen, die spanische Kolonialherrschaft abzuschütteln. Dieser kam Ende Juni mit der Nachricht von der erfolgreichen Mairevolution in Buenos Aires, wo Ende des Monats eine Junta errichtet worden war, an der der dortige Vizekönig nicht mehr beteiligt war. Der Gouverneur von Potosi, Sanz, der sich bereits im vergangenen Jahr als Hardliner gezeigt hatte, und der Gerichtspräsident von Chuquisaca, Nieto, der in seinem Gerichtshof die Kreolen hatte entfernen lassen, forderten von Abascal nach dem Bekanntwerden der Nachrichten aus Buenos Aires, die Loslösung Oberperus von diesem Vizekönigreich und den Anschluß an Peru. Abascal, der der Junta von Buenos Aires die Anerkennung verweigerte, entsprach dem Wunsch der beiden Beamten, und sandte außerdem Waffen nach Oberperu.

Am 09. Juli verließen rund 1150 argentinische Soldaten die Hauptstadt, um den unterdrückten Gesinnungsgenossen in Oberperu beizustehen. Diese später als Nordheer (Ejército del Norte) bezeichneten Truppen schlugen im nordargentinischen Tucuman einen Aufstand des Vorgängers des letzten Vizekönigs auf dem Weg nieder und blieben dort rund einen Monat. Da die Junta in Buenos Aires die Hinrichtung des ehemaligen Vizekönigs für unangemessen hielt, wurde der Kommandeur ersetzt. Zusammen mit dem politischen Kommissar der Junta, Juan José Castelli, führte nun Antonio Gonzales Balcarce das Expeditionsheer für Oberperu.

Die Spanier, die Kenntnis vom Anmarsch der Argentinier erhalten hatten, schickten eine Vorhut ins heutige Nordargentinien nach Jujuy, um den dortigen Patrioten den Boden zu entziehen. Da diese im angrenzenden Salta jedoch schneller waren, mußten sich die Spanier wieder zurückziehen. Außerdem wurden noch im Juli Truppen in Oberperu und Peru zusammengezogen und an die Südgrenze Oberperus verlegt, um die Argentinier aufzuhalten. Die in Cotagaita, rund einhundertfünfzig Kilometer südlich von Potosi, stationierten Streitkräfte unterstanden Nietos Stellvertreter José Cordoba y Roxas. Eine Ende Juli in Chuquisaca aufgedeckte Verschwörung, veranlaßte Nieto per Dekret, Kontakte zur Junta von Buenos Aires zu verbieten und den Bischof Moxo zu bitten, auch innerhalb der Kirche und gegenüber den Gläubigen mit Härte in solchen Fällen vorzugehen.

Ein Indianeraufstand westlich von Oruro im April hatte die dortigen Behörden bewogen, in Cochabamba beim dortigen Provinzgouverneur um militärische Hilfe zu bitten. Die Indianer waren jedoch nicht auf ein Gefecht mit den Milzen unter Francisco del Rivero aus, sondern zogen sich zurück. Rivero und sein Stellvertreter Esteban Arce waren patriotisch gesinnt, und verhalfen der Garnison von Oruro zur Desertion. Am 11. September traten sie den Rückmarsch nach Cochabamba an, das sie am 14., verstärkt durch Patrioten aus der Umgebung der Provinzhauptstadt, attackierten. Der erfolgreiche Angriff vertrieb den Gouverneur und del Rivero nahm seinen Posten ein. Ein offener Rat beschloß die Anbindung an die Junta von Buenos Aires am 22. Damit war die erste Provinz Oberperus befreit.

Im Süden des Landes konnte ein Gesandter der argentinischen Junta auf dem Weg in die Hauptstadt der Provinz Santa Cruz mit der Unterstützung eines stellvertretenden Militärchefs eine Truppe aufstellen, die 24. September mit den Patrioten von Santa Cruz de la Sierra die dortigen Behörden entmachtete. Die Provinz unterstellte sich als zweite den Argentiniern.

Am 06. Oktober forderte eine Menschenmenge in Oruro Selbstbestimmung. Der Stadtrat stimmte dem zu und entmachtete die Kolonialbehörden. Zwei Tage später bildete sich eine Revolutionsregierung, die sich Buenos Aires zugehörig erklärte. Der letzte spanische Widerstand brach mit dem Eintreffen von Milizen aus Cochabamba unter Arce. Goyeneche in Cusco hatte zwar vom peruanischen Vizekönig Abascal die Anweisung erhalten, einzuschreiten, aber sein Abmarsch verzögerte sich, bis es zu spät war. Und die Spanier in Oberperu waren mit dem argentinischen Nordheer zu beschäftigt, um auf die Aufstände angemessen zu reagieren.

Balcarces Heer war im September erneut aufgebrochen und bewegte sich nun auf die Stellungen der Spanier in Cotagaita zu. Der später berühmt gewordene Gaucho-Führer Martin Miguel Güemes führte die Vorhut, die wichtige Erkenntnisse über die Kolonialtruppen lieferte. Als das Heer am 27. die Stellungen der Truppen von Roxas am 27. Oktober erreichte, begnügte er sich mit Artilleriebeschuß, da ihm die Schanzen der Spanier zu stark erschienen. In den folgenden Tagen zog er sich zurück nach Süden, darauf bauend, daß ihn Roxas verfolgen würde. Das Eintreffen von Nieto mit Verstärkungen, bewogen Roxas schließlich den Argentiniern nachzusetzen. Diese hatte sich hinter einem Bach bei Suipacha, etwa 65 Kilometer südlich von Cotagaita in Stellung begeben und erwarteten Roxas.

Die Schlacht am 07. November gewann Balcarce, da er diesmal mehr Initiative zeigte, als Roxas. Die spanischen Verluste waren weniger der Toten und Verletzten wegen gravierend, sondern weil ihr Heer zersprengt wurde, und viele der Versprengten nicht zur Armee zurückkehrten. Nieto und Roxas flohen ebenfalls, aber die Nachricht vom argentinischen Sieg beflügelte die Oberperuaner zur Eigeninitiative, und beide wurden, wie auch Sanz in Potosi, als er sich mit der Königlichen Kasse absetzen wollte, ergriffen und eingesperrt. Keine Woche nach der verheerenden Niederlage der Spanier beschloß ein offener Rat in Chuquisaca die Bildung von Provinzjuntas, die Anbindung an Argentinien und die Loslösung von Peru.

Die Kenntnis der Niederlage mobilisierte auch die Spanier im Norden des Landes. Ramirez führte seine Truppen, die in Desaguadero gelegen hatten, nach La Paz und beauftragte Fermin Pierola, den sich zurückziehenden Truppen von Nieto entgegenzuziehen, um ihnen Schutz zu gewähren. Diesen Truppen zogen mindestens doppelt so viele Milizen aus Oruro, die aber völlig unterbewaffnet waren, unter den Befehl von Arce entgegen. Am 14. November, etwa auf halbem Weg zwischen La Paz und Oruro, bei dem Ort Aroma trafen sich die Kontrahenten zur Schlacht. Was an Waffen und Ausbildung fehlte, machten die Patrioten mit Einsatzfreude und Moral wieder wett: sie besiegten die Spanier nach einer verlustreichen Schlacht. Pierola hatte die Hälfte seiner Soldaten verloren und Ramirez mußte ihm nun zu seinen Schutz entgegenkommen. Diese Niederlage bewog die Spanier, den Norden Oberperus aufzugeben und sich nach Peru zurückzuziehen.

Die Oberperuaner hießen die argentinischen Sieger mit Feiern willkommen, aber vor allem Castelli trug mit seiner Härte gegen die Spanier (Nieto, Sanz und Roxas wurden hingerichtet, weil die Begnadigung aus Buenos Aires zu spät eintraf) und Maßnahmen, die nicht mit den Oberperuanern koordiniert waren, dazu bei, daß der Ruhm bald einer distanzierten Ablehnung wich. Daran änderten auch die Hilfe bei der Verwaltungsneuordnung und die Gesandten für Südperu, die dort für Aufstände, und damit für die Beschäftigung der Peruaner mit sich selbst, sorgen sollten, nicht viel.



Fortsetzung: Kap. 5. 1811: Konsolidierung der Patrioten



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