Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 4.c. Ecuador: Die Tragödie von Quito

Das nicht eingehaltene Versprechen des Gerichtspräsidenten Graf Ruiz de Castilia, die Verschwörer vom vergangenen Jahr nicht strafrechtlich zu verfolgen – selbst der Bischof Cuero y Caicedo wurde genötigt, sein Handeln zu rechtfertigen – sorgte in Verbindung mit den sich als Besatzer gebärdenden peruanischen Truppen in der Bevölkerung für wachsenden Unmut gegenüber den Kolonialbehörden. Auch, wenn der Graf dem Vizekönig Amar in Bogota die Todesurteile zur Bestätigung überstellt hatte, so blieb er doch für die für die Bevölkerung aufgrund seines hohen Alters gefährlich unberechenbar. Daher beschlossen die Patrioten, ihre inhaftierten Anführer zu befreien.

Am 02. August begannen zwei Gruppen mit einem, aufgrund des Fehlens von besser ausgebildeten Führungspersönlichkeiten, unzureichenden Plan, die Befreiung ihrer einsitzenden Gesinnungsgenossen. Was bei den einfachen Soldaten im Gefängnis ohne Schwierigkeiten gelang, geriet bei den Anführern, die im Hauptquartier der Peruaner einsaßen, zur Katastrophe. Einem halbem Dutzend Männer gelang es zwar an diesem frühen Nachmittag in die Kaserne einzudringen, aber obwohl sie von den Soldaten aufgehalten werden konnten, befahl der Wachoffizier die sofortige Exekution der Gefangenen. Alle der vorgenannten Anführer, die die Behörden hatten ergreifen können, Morales, Quiroga, Salinas, Larrea, Riofrio und nahezu alle anderen, wurden unverzüglich in ihren Zellen ermordet.

Die über den dreisten Angriff erbosten peruanischen Soldaten zogen anschließend in kleinen Gruppen mordend und plündernd durch die Straßen Quitos. Viele der Patrioten, die ihre Waffen beim Einzug der Truppen im vergangenen Jahr hatten abgeben müssen, stellten sich den Soldaten mit Werkzeugen und Hausgeräten entgegen, waren aber nicht wirklich in der Lage die besser bewaffneten und ausgebildeten Peruaner aufzuhalten. Erst als der Bischof mit einem Jesusbild und einigen Mönchen auf die Straße ging, um das Ende des Schlachtens herbeizuführen, sowie, um die Behörden zu informieren, kehrten die Soldaten von Manuel Arredondo in die Kaserne zurück. An diesem Tag starben rund dreihundert Bürger Quitos, was bei den damals rund 34.000 Einwohnern fast ein Prozent war.

Der Schock bei allen, Behörden und Einwohnern, saß tief, und innerhalb von zwei Tagen handelten die Patrioten und der Gerichtspräsident, unter Vermittlung des Bischofs, den Abzug der Peruaner, durchgeführt am 18., und eine Beteiligung der Kreolen an der Regierung aus. Mit dem Eintreffen des Regionalkommissars des Regentschaftsrats, Carlos Montufar, am 12. September, wurde auch wieder über die Errichtung einer Regierungsjunta gesprochen. Nach dem Abschluß von Montufars Verhandlungen, am 22. September, konstituierte sich die Junta, die im vergangenen Jahr gewaltsam abgeschafft worden war, erneut. Diesmal war der alte Graf Präsident, und Montufars Vater, Juan Pio, sein Stellvertreter.

Weder die Anerkennung des Regentschaftsrats, noch die Briefe von Carlos Montufar an den peruanischen Vizekönig Abascal und den Gouverneur von Cuenca, Aymerich, änderten deren Haltung zur wiedererstandenen Junta. Da aber diesmal eine Anweisung des Regentschaftsrats dahinterstand; konnten sie nicht noch einmal militärisch gegen sie vorgehen. Allerdings verbaten sich Cuenca, wo auch der Bischof ein Royalist war, und Guayaquil den Besuch des Regionalkommissars, um, wie sie meinten, die dortige Bevölkerung vor einer Nachahmung der Verhältnisse in Quito zu schützen. Die Autorität der Junta erkannten die anderen Regionen nicht an, und Abascal verfügte, daß der Königliche Gerichtshof nach Cuenca verlegt wurde. Ebenso zementierte er die nach Montufars Meinung unrechtmäßige Annexion von Guayaquil. Die königstreuen Stadträte in Cuenca und Guayaquil bestätigten Anfang Oktober die Vorgaben aus Lima in ihren Sitzungen. So schwelte der Streit, der erst im folgenden Jahr offen ausbrach, weiter. Die Patrioten von Quito unternahmen am Jahresende einen kleinen Feldzug an die Nordküste, nach Esmeraldas, um sich den Zugang zum Meer offenzuhalten, den sie mit der Einverleibung Guayaquils zu verlieren drohten.



Fortsetzung: Kap. 4.d. Oberperu: Erneuter Aufstand mit Hilfe aus Argentinien



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