Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 1.a. Spanien und der Krieg gegen Napoleon

Die seit dem zweiten Vertrag von Ildefonso im August 1796 freundschaftlichen Beziehungen zu Spanien, nutzte Napoleon Bonaparte zu einem weiteren Vertragsabschluß mit der spanischen Regierung Ende Oktober 1807 in Fontainebleau, in den er sich die Durchmarschrechte für seine Truppen nach Portugal sicherte. Ende November diesen Jahres fiel Portugal unter den französischen Angriffen und die portugiesische Königsfamilie floh nach Brasilien. Zu Beginn des folgenden Jahres mißbrauchte Napoleon das Recht, seine Truppen in Spanien zu halten, indem er die Besetzung des Landes vorantrieb. Angesichts der französischen Soldaten, beschlossen die spanischen Bourbonen ebenfalls in Amerika Zuflucht zu suchen. Auf dem Weg zur Schiffspassage in Sevilla, kam es in Aranjuez, südlich von Madrid, zum Aufstand, da die Spanier nicht zu Unrecht den Eindruck der Feigheit ihrer Herrscherfamilie wegen der prekären Lage im Land, ausgelöst durch die Franzosen, hatten. Nach zwei Tagen, in denen die spanischen Bourbonen an der Weiterreise gehindert worden waren, dankte Carlos IV. zugunsten seines Sohnes Ferdinand am 19. März 1808 ab.

Bereits im April jedoch lud der Franzosenkaiser Vater und Sohn nach Bayonne am Golf von Biscaya ein, weil Ferdinand VII. die Lage in Madrid nicht nachhaltig beruhigen konnte. Knapp zwei Wochen nach deren Ankunft, am 02. Mai, ließ Napoleon auch den Prinzen Francisco de Paula de Borbon nach Frankreich schaffen, was in den Straßen Madrids zu einer Empörung führte, die in einem von den Franzosen blutig niedergeschlagenen Aufstand mündete. Die Hinrichtung der Rädelsführer durch die Besatzungsmacht am folgenden Tag, gilt als der Beginn des landesweiten Aufstands gegen die Truppen Napoleons.

Bevor Napoleon nach zweitägigen Verhandlungen mit den beiden Königen ihre Abdankung am 06. Mai annahm, um seinen Bruder Joseph I. als Herrscher in Spanien einzusetzen, hatte Ferdinand die Landstände (Cortes) per Dekret in einer Versammlung zur Gesetzgebung verpflichtet. Diese Maßnahme, die eigentlich gegen die Invasoren gerichtet war, verselbständigte sich, nachdem in Kenntnis der neuen Sachlage die spanischen Provinzen gegen Ende des Monats damit begonnen hatten, den Franzosen den Krieg zu erklären: ab Juni beriefen die Beamten und Honoratioren in Städten und Provinzen Ratsversammlungen ein, die die Regierungsgeschäfte in Abwesenheit Ferdinands führen sollten und sich Juntas nannten. Ferdinands Dekret forderte eine eigene Legislative, die Bevölkerung jedoch kreierte eine eigene Exekutive, um sich gegen die Bevormundung durch die Franzosen zur Wehr zu setzen. Als später, nach der Entmachtung Napoleons, Ferdinand auf den Thron zurückkehrte, brauchte er einige Zeit, um diese republikanischen Strukturen aufzulösen, um in gewohnt absolutistischer Weise regieren zu können.

Joseph, Anfang Juni zum König von Spanien gekrönt, reiste nach Madrid, aber nur für zehn Tage Ende Juli konnte er dort regieren, da seine Soldaten Niederlagen erlitten, die ihn zur Flucht veranlaßten. Im August landete Arthur Wellesley, der erste Herzog von Wellington, in Portugal und vertrieb binnen eines Monats die Franzosen aus dem Land. Während in Spanien die Kämpfe fortdauerten, wurde am 25. September in Aranjuez eine "Oberste Regierungsversammlung von Spanien und Indien" ins Leben gerufen, die die Abdankungen von Bayonne nicht anerkannte. Aufgrund der großen Entfernungen zu den Kolonien und den fast täglich wechselnden Nachrichten, war zu diesem Zeitpunkt eine Einbindung von Vertretern aus den Kolonien nicht möglich, wurde aber für zukünftige Veranstaltungen ins Auge gefaßt.

Diese Ereignisse riefen Napoleon selbst auf den Plan, der mit seiner eine Viertelmillion Soldaten umfassenden Grande Armée selbst nach Spanien kam, um seinen Bruder nun endgültig auf den Thron zu hieven. Ab November bis Anfang Januar 1809 siegte sich Napoleon durch Spanien, aber die Kriegserklärung Österreichs an Frankreich veranlaßte ihn, sich mit dem neuen Gegner in den Alpen auseinanderzusetzen. Dieses Jahr 1809 ist von wechselndem Kriegsglück in Spanien geprägt, ohne, daß allerdings eine Seite entscheidende Vorteile zu erringen vermochte. Politisch erkannten beide Seiten die Wichtigkeit der Kolonien in Amerika und umwarben sie: die oberste spanische Junta lud sie zur aktiven Teilnahme an der Entscheidungsfindung ein, während Napoleon die Unabhängigkeitsbestrebungen zu unterstützen versprach, wenn man sich den Engländern wirtschaftlich verweigerte.

Da die Oberste Junta für eine verlorene Schlacht im November verantwortlich gemacht wurde, beschloß sie Anfang 1810 auf der Isla de Leon vor Cadiz, wohin sie wegen französischer Erfolge auf dem Schlachtfeld hatte ausweichen müssen, ihre Auflösung. Sie ging in den neugeschaffenen Regentschaftsrat über. Joseph warnte die Kolonialspanier vor dem Regentschaftsrat, während dieser die amerikanischen Spanier aufforderte, Delegierte zu schicken. Aus diesem Zwiespalt zogen die Verfechter der Unabhängigkeit in den Kolonien ihren Nutzen, indem sie zur Nichtanerkennung dieser Institution aufforderten.

Wellington, der zwischenzeitlich wegen Mangel an Erfolg abberufen worden war, brachte die spanisch-englische Koalition Mitte 1812 endgültig auf die Siegerstraße. Ende 1813 mußte Josef abdanken und Spanien war befreit. Anfang 1814 konnte Ferdinand in den Escorial zurückkehren. Die Cortes hatten Anfang 1812 eine neue Verfassung ausgerufen, die den Kolonisten in Amerika weitgehende Autonomie zugesichert hatte und den König in seinen Rechten beschnitt. Ferdinand VII. war nicht bereit dies hinzunehmen und schaffte die liberale Verfassung von Cadiz wieder ab. Der "Neujahrsaufstand" 1820 von Rafael del Riego, der ein zweites Expeditionsheer, nach Pablo Morillo 1815, zur Rückeroberung der Kolonien in Amerika hatte führen sollen, zwang Ferdinand auf die Verfassung von Cadiz zu schwören. Erst Ende 1823 erhielt er von seinen Verwandten aus Frankreich militärische Unterstützung zur Niederwerfung der Revolte. Daher hatte Simon Bolivar die Gelegenheit, sein Befreiungswerk Ende 1824 erfolgreich abzuschließen, da Ferdinand zuerst Spanien befrieden mußte, bevor er sich auf „seine“ Kolonien konzentrieren konnte.



Fortsetzung: Kap. 1.b. Die Voraussetzungen in Südamerika



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