Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 18.b. Oberperu: innerspanische Kämpfe

Pedro Antonio Olañeta, der militärische Oberbefehlshaber im Gerichtsbezirk Chacras, hatte im vergangenen Jahr die durch die zweite Campaña de Puertos Intermedios (s. Kap. 17.c.) noch einmal kurz aufflackernde Hoffnung auf Unabhängigkeit wieder zerstört, auch wenn es ihm und seinen Vorgängern nie gelungen war, alle Republiquetas auszulöschen. Noch während er Oberperu erneut befriedete, regte sich sein Widerstand gegen den Regierungsstil des peruanischen Vizekönigs José de la Serna. Mit nahezu der gleichen Begründung wie de la Serna beim Putsch von Aznapuquio (s. Kap. 15.c.), nämlich mangelnder Königstreue, begann er im Dezember 1823, mit dem Segen des erneut absolutistisch regierenden Ferdinand VII., sich den Anordnungen von de la Serna, den er der Freimaurerei bezichtigte (was Unterstützung der Unabhängigkeit bedeutete), zu widersetzen. Außerdem ließ er sich als Vizekönig von La Plata, das er allerdings nie hätte erobern können, bestätigen.

Olañeta begann zum Jahresanfang damit, dem peruanischen Vizekönig den Nachschub an Rohstoffen und Rekruten abzuschneiden, zahlte die Abgaben nicht mehr, und kappte die Kommunikation von Regierungsstellen in Oberperu mit de la Sernas Amtssitz Cusco. Er hatte sein Heer auf 5000 Soldaten verstärkt und besetzte die wichtigen Städte im Land. Dies geschah zwar nicht völlig ohne Widerstand durch die Behörden, aber mit Hilfe seiner Soldaten und strategisch geschicktem Vorgehen, brachte er das Land im Januar unter seine Kontrolle.

De la Serna war nicht gewillt, den Verlust von Oberperu hinzunehmen und beauftragte Jeronimo Valdes in Arequipa mit der Wiederherstellung seiner Rechte in Oberperu. Ende Januar überschritt Valdes die Grenze zu Oberperu mit fast 5000 Soldaten, um Olañeta zur Räson zu bringen. Dies war deswegen möglich, da Bolivar noch mit den Vorbereitungen zu seinem Feldzug beschäftigt war und daher die militärischen Aktivitäten nur bei den montoneros weitgehend unverändert hoch waren.

Olañeta lud Valdes zu Verhandlungen nahe Potosi ein, die am 09. März mit einem Abkommen endeten, das vorsah, daß Olañeta als Vizekönig die unumschränkte Macht in Oberperu hatte, und im Gegenzug Geld und Rekruten nach Cusco sandte. Mit dieser Anerkennung konnte er die Verfassung von 1812 außer Kraft setzen und im Namen Ferdinands VII. mehr oder weniger autokratisch regieren. Daraus bezog er das Recht, die Vereinbarung mit Valdes zu ignorieren. Dieser begab sich in die Gegend südöstlich von La Paz, um sich Miguel Lanza zu widmen, der erneut eine Guerillatruppe aufgebaut hatte. Er nahm den Guerillaführer gefangen, der wohl im Oktober die Seiten wechselte und anschließend für Olañeta kämpfte.

Mitte Juni wurde Valdes und de la Serna klar, daß Olañeta nie die Absicht gehabt hatte, sich an das Abkommen, das er mit Valdes ausgehandelt hatte, zu halten. Valdes erklärte Olañeta den Krieg und stieß nach Süden vor, um ihn zu stellen. Während Jeronimo Valdes den Stellvertreter von Olañeta jagte, ließ er José Carratala Potosi besetzen. Olañetas Stellvertreter war José Maria Valdes aus Salta, der, wegen der Namensgleiche mit Jeronimo, mit seinem Spitznamen "Barbarucho" (Rotbart) bezeichnet wird. Der numerisch weit unterlegene Barbarucho fügte Valdes am 12. Juli etwa 80 Kilometer südöstlich von Chuquisaca eine verlustreiche Niederlage zu und stieß nach Südwesten, in die Provinz Potosi vor, um sich mit Olañeta zu treffen, der vorgab, sich dort um die Grenzsicherung gegen die Argentinier zu kümmern. Wahrscheinlicher ist, daß er Valdes nicht begegnen wollte.

Der Widerstand der Behörden in Oberperu war keineswegs vollständig gebrochen. So war zum Beispiel der Gouverneur von Santa Cruz de la Sierra ein erklärter Gegner von Olañeta. Die Dragoner aus Santa Cruz befanden sich im Süden der Provinz Potosi, und standen mehrheitlich auf der Seite ihres Gouverneurs. 60 von ihnen hingen jedoch Olañeta an und entfernten sich von ihrer Truppe. Sie gelangten unbemerkt nach Potosi, wo im Morgengrauen des 14. Juli die Garnison von Carratala überraschend attackierten und ihn selbst gefangennahmen. Die peruanischen Soldaten flohen Richtung Norden und ließen dabei ihre Ausrüstung zurück. Die Dragoner gedachten, Carratala zu Olañeta nach Süden bringen.

Valdes war inzwischen in Tarija angekommen, das er ohne Kampf besetzte. Am 26. wechselten die Dragoner erneut die Seiten und schlossen sich Valdes direkt an, wobei Carratala wieder in Freiheit gelangte. Valdes wußte von einem Nachschubtransport aus dem äußersten Süden von Oberperu (heute Argentinien), den die Dragoner in seinem Auftrag umlenkten. Etwas weiter westlich trafen am 30. Olañeta und Barbarucho zusammen, und Valdes war bis zum Abend ebenfalls am Treffpunkt der beiden Ultramonarchisten. Bis zum 03. August bot Valdes sein Heer zur Schlacht an, aber der Vizekönig von La Plata hatte kein Interesse an einem Kampf. Daher zog Valdes dem Versorgungstransport für die Oberperuaner entgegen und eroberte den Troß am 05. August.

An diesem Tag, einen Tag bevor Bolivar das Heer von Canterac bei Junin besiegte, holte sich Olañeta Tarija und die dort zurückgebliebenen Dragoner zurück, und eine weitere Abteilung von Dragonern des Gouverneurs von Santa Cruz brachte die Dragoner, die sich nicht an dem Anschlag auf Carratala beteiligt hatten und an ihrem Standort geblieben waren, ebenfalls wieder auf Linie.

Inzwischen befand sich Carratala mit einer 700 Mann starken Abteilung auf dem Weg, um Potosi zu besetzen. Um dies zu verhindern, hatte Olañeta Barbarucho mit nur 250 Soldaten, die Fährte von Carratala aufnehmen lassen. Am Abend des gleichen Tages, gegen 21 Uhr griff der Argentinier trotz seiner numerischen Unterlegenheit an, besiegte Carratala und nahm ihn erneut gefangen. Die Nachricht von Carratalas Niederlage bewog Valdes, sich ebenfalls nach Norden zu begeben, aber auf dem Weg lief er in eine Reihe von Fallen, die den eigentlich weit überlegenen Peruanern mehrfach nicht unbeträchtlich Verluste einbrachten. Am 17. August kam es rund 40 Kilometer südlich von Potosi, bei La Lava, zum entscheidenden Aufeinandertreffen. Die Erfolge in den vergangenen Tagen hatten Barbarucho bewogen, frontal anzugreifen. Da diesmal die Verluste der Oberperuaner massiv waren, und die Peruaner immer noch vielfach überlegen waren, bot Valdes seinem Gegner die ehrenvolle Kapitulation an.

Mit dem Eintreffen der Nachricht von Sieg Bolivars in Junin, endete der Krieg zwischen den Royalisten, da bei allen Meinungsunterschieden immer noch die Patrioten der Hauptfeind waren. Valdes kehrte mit 2000 Soldaten weniger nach Peru zurück, wobei er auf dem Weg von der Bevölkerung angefeindet wurde. Er mußte auch Olañetas Herrschaftsanspruch in Oberperu anerkennen. Dafür ließ dieser die Gefangenen frei, was Valdes ebenfalls tat, aber Barbarucho wäre wohl nach Peru gebracht worden, wenn ihm nicht die Flucht gelungen wäre. Konsequenterweise verließen auch die peruanischen Beamten, die hier seit mehr als zehn Jahren tätig waren, das Land.

Als am 26. Dezember die Kunde von der endgültigen spanischen Niederlage eintraf, kam es zu neuen Truppenbewegungen. Olañeta begab sich nun an die Nordgrenze. Hier konnte er fast tausend Versprengte der Entscheidungsschlacht aufnehmen und bereitete sich auf die Abwehr des Feldzugs vor, der das einzige den Spaniern verbliebene Land in Südamerika befreien sollte.



Fortsetzung: Kap. 18.c. Peru: Entscheidung im Hochland



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