Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 16.d. Venezuela: Royalistenfeldzüge

Nach ihrer Niederlage in der Schlacht von Carabobo hatten sich die Spanier in den einzig befestigten Hafen des Landes, Puerto Cabello, zurückgezogen. Von hier aus hatten sie noch im vergangenen Jahr begonnen, Feldzüge auszurichten, die ihnen die verloren Gebiete zurückbringen sollten. In Coro hatten sie bereits Erfolg gehabt. Das war auch deswegen möglich, weil Bolivar nicht einen, sondern drei Stellvertreter zurückgelassen hatte, die jeweils ein Drittel Venezuelas regierten. José Antonio Paez, dem der zentrale Landesteil unterstand, begann im Februar formal mit der Belagerung von Puerto Cabello, das in seinen Zuständigkeitsbereich lag, ohne ausreichende Koordination und ohne die Unterstützung der beiden anderen Statthalter Santiago Mariño im Westen und Carlos Soublette im Osten.

In zwei Gefechten Ende Februar und Anfang April brachte er das Umland, das bis dahin lediglich von republikanischen Guerillas überwacht worden war, unter seine Kontrolle. Damit schloß er den Belagerungsring um den Hafen, der allerdings mittels Schiffen immer noch mit den Spaniern in der Karibik kommunizierte. Aufgrund der schwierigen Versorgungslage, da die bereits vor 5 Jahren eingerichtete Seeblockade durch Freibeuter gelegentlich doch funktionierte, und weil man sich eine Ablenkung von Puerto Cabello versprach, entsandte der spanische Oberbefehlshaber Miguel de la Torre Francisco Morales zu einem Feldzug nach Coro, das seit kurzem wieder unter der Kontrolle der Spanier stand (s. Kap. 15.a.).

Mitte April ließ Paez eine kleine Flottille von Freibeutern das heutige Castillo Libertador an der Hafeneinfahrt von See aus beschießen. Der Erfolg bestand jedoch lediglich darin, daß die Spanier einige Handelsschiffe mit Kanonen bewaffneten. Paez verlegte nun 2000 Soldaten etwa 10 Kilometer vor die Stadt. Seinen Vorstoß am 16. April auf die südlichen Stadtbezirke mußte er wegen mangelnder Seeunterstützung abbrechen. Die anschließende Sicherung der ersten östlich des Hafens gelegenen Bucht, sicherte seinem Heer immerhin die Verbindung zum Meer und damit der republikanischen Marine. Er konnte auch Trincheron, eine Festung unweit südwestlich des Zentrums, erstürmen. Die beiden Vigias-Festungen, mit denen es Bolivar 1813 und 1814 noch zu tun gehabt hatte, waren inzwischen von den Spaniern geschleift worden, da sie Angreifern von Land her zu viele taktische Vorteile geboten hatten. Während Paez auf die Unterstützung weiterer Schiffe wartete, versuchte er brieflich de la Torre zur Aufgabe zu bewegen, was dieser jedoch ablehnte.

In Coro hatte Morales derweil sein Heer mittels Werbung auf 1900 Soldaten verstärkt, zu denen 600 kamen, die gerade nicht einsatzfähig waren. 600 Mann befanden sich südwestlich von Coro, 800 im Westen, um Maracaibo zu bedrohen, während 300 die Halbinsel Paraguana sicherten. Er selbst hatte in Coro 200 Mann, um die Kranken zu bewachen. Ein erfolgreicher republikanischer Angriff (wohl von Soublette angeordnet) am 17. April, etwa 25 Kilometer östlich von Coro, zwang Morales die Stadt aufzugeben und sich unter den Schutz der Truppen im Westen zu begeben. Die Abteilung im Südwesten stieß über den Maracaibosee vor, konnte aber den Hafen am 24., den Bolivars Onkel Lino Clemente verteidigte, nicht einnehmen. Die Spanier zogen auf der Westseite des Sees Richtung Süden, mußten aber bald darauf die Waffen strecken.

Paez erhielt am 01. Mai Verstärkungen in Form von Schiffen aus Cumana und den Freibeutern, die eigentlich die Blockade von Puerto Cabello nicht hätten vernachlässigen dürfen. Renato Beluche befehligte die 13 Schiffe und acht Boote, die nun dafür sorgen sollten, daß der Nachschub für die Belagerten endgültig versiegte. Paez verlegte seine schwere Artillerie nach Trincheron, und zusammen mit den Schiffen bombardierte er die Stadt und die Flottille der Spanier.

Am 05. machten die Königstreuen einen Ausfall mit dem Ziel, den Artilleriebeschuß von Land her zu unterbinden, sowie den immer noch von den Spaniern kontrollierten Burgfried von Solano an der damaligen Stadtgrenze zu entsetzen. Paez warf die Angreifer zurück, aber auch er scheiterte bei dem anschließenden Versuch, die spanischen Artilleriestellungen, die seine Geschütze beschossen, auszuheben. Am 16. Mai konnten die Schiffe der spanischen Marine den Blockadegürtel durchbrechen und Beluche schaffte es nicht, die Fregatte der Spanier zu entern, um diese ihres wichtigsten Schiffes zu berauben. Zwei Wochen lang jagten die Patrioten die Königstreuen vergeblich.

Am 17. Mai gaben die seit fast einer Woche ernsthaft belagerten Kolonialtruppen in Solano auf, was die Position der Belagerten in Puerto Cabello weiter schwächte. Bis zum Monatsende war deren Lage so schwierig, daß bereits die Evakuierung der Frauen vorbereitet wurde, woran auch ein weiterer Ausbruchsversuch nichts änderte. Sebastian de la Calzada soll die Spanier an diesem 30. Mai geführt haben, was allerdings voraussetzt, daß dieser es innerhalb von 6 Tagen geschafft haben müßte, von Ecuador einzutreffen. Paez hielt die Spanier an den Las Vigias-Festungen auf, konnte ihnen aber keine entscheidenden Verluste beibringen. In der gleichen Nacht durchbrachen die Schiffe, die Vorräte beschafft hatten, erneut die Blockade von Beluche und setzten damit der ersten Belagerung Puerto Cabellos ein Ende. Paez beließ die Truppen zwar noch bis in die zweite Julihälfte vor der Stadt, aber zunehmende Versorgungsschwierigkeiten der Republikaner ließen die Erfolgsaussichten stetig sinken.

Mitte Mai war es Carlos Soublette gelungen, die von Morales zurückgelassen Truppen südlich von Coro zu besiegen, was Morales zwang, sich den Republikanern selbst zustellen. Dem Kanarier gelang über 100 Kilometer westlich von Coro, am 07. Juni ein entscheidender Sieg gegen Soublette, der die Provinz Coro vorläufig für die Royalisten sicherte.

Im Juli gab Miguel de la Torre den Oberbefehl an den zum Feldmarschall beförderten Francisco Morales ab, der sich nun nicht mehr nur um Coro kümmern konnte. Die Provinz ging daraufhin verloren, aber zweitausend Königstreue verstärkten nun die Verteidiger von Puerto Cabello. Während Morales selbst mit nur 350 Mann San Felipe im Westen, am 06. August einnahm, brachte die Karibikflotte der Spanier die Corianer östlich von Puerto Cabello an drei Orten am 10. an Land, damit diese Maracay bedrohten. Paez hatte sein Heer im Anschluß an die Belagerung nach Valencia verlegt und erfuhr am 07. vom Fall von San Felipe. Er stellte daraufhin erneut eine Frontlinie, der sich die Corianer Richtung Osten entlang bewegten. Paez durchschaute die Absicht und führte selbst 800 Mann den Eindringlingen entgegen. In der Schlacht von Naguanagua, unweit nördlich von Valencia, besiegte Paez die Spanier, die von einem Hügel herabstürmten. Die Spanier hatten im Gegensatz zu den Patrioten erhebliche Verluste, aber der von Juan José Rondon, der Tage nach der Schlacht seinen Verletzungen erlag, war besonders schmerzlich. Die vom Schlachtfeld entkommen Royalisten konnten im Südosten die durch die Abberufungen zur Schlacht geschwächte Abwehrlinie im äußersten Südosten durchbrechen und sich nach Puerto Cabello durchschlagen.

Soublette, der sich im Westen aufgehalten hatte, war wegen der Anlandung der Königstreuen von Coro zu Paez gestoßen und hatte damit den Spaniern die Möglichkeit eröffnet, erneut aktiv zu werden. Morales nutzte die Gelegenheit zu einem Feldzug auf Maracaibo. Am 28. landete er ungehindert von den Schiffen der Patrioten, die sich längst anderen Aufgaben widmeten, auf der Halbinsel Guajira, gut 130 Kilometer nördlich von Maracaibo an. Die Schiffe, die seine Soldaten transportiert hatten, beschäftigten die Republikaner anschließend an der Mündung des Maracaibosees, um von seinem Zug abzulenken. Mit seinen 1200 Soldaten zerschlug er den Widerstand in kleinen Gefechten auf dem Weg und besiegte am 06. September Lino Clemente 15 Kilometer vor der Stadt entscheidend. Am folgenden Tag zog Morales in Maracaibo ein, während Clemente mit den Resten seiner Truppe bis in die Merida-Anden floh. Morales besetzte das Umland, warb Königstreue für sein Heer und bereitete den nächsten Schlag gegen die Republik vor, um weiterhin von Puerto Cabello abzulenken.

Die Republik ließ Morales reichlich Zeit, seine Eroberungen zu konsolidieren, denn sie brauchte zwei Monate, bis sie reagierte. Paez stellte 800 Soldaten für die Sicherung Coros, Clemente stieß in Trujillo zum Heer von Soublette, und Mariano Montilla an der kolumbianischen Karibikküste stellte ein Expeditionsheer unter der Führung von José Sarda zur Unterstützung der Venezolaner zusammen.

Morales nutzte die Zeit, die republikanischen Schiffe in Maracaibo zur Kontrolle der Handelswege einzusetzen und Puerto Cabello zu versorgen. Außerdem schickte er Soldaten nach Süden, die in Neugranada einfallen sollten. Als Morales vom Anmarsch Sardas erfuhr, zog er ihm entgegen und zerschlug sein Heer Mitte November rund 60 Kilometer westlich von Maracaibo. Anschließend setzte er über den See und zog auf Coro, das er am 02. Dezember eroberte. Auch eine in der Nähe befindliche Abteilung der Republik konnte zwei Tage später seinen Vorstoß nicht verhindern. Die befestigten Stellungen 50 Kilometer südwestlich von Barquisimeto hielten seinem Angriff ebensowenig stand. Er ließ eine Abteilung zur Sicherung am Nordende der Anden zurück, während er an den Maracaibosee zurückkehrte, um sich Trujillo aus Südwesten zu näheren. Nachdem er der Widerstand am 17. an seiner Landestelle Gibraltar gebrochen hatte, besiegte er Clemente zweimal auf dem Weg nach Trujillo. Die Stadt war daher für die Republikaner nicht zu verteidigen. Er ließ de la Calzada mit einer Wachgarnison zurück und näherte sich dem aus Neugranada anrückenden Rafael Urdaneta.

Diese Truppen sorgten in der zweiten Januarhälfte in zwei siegreichen Schlachten im Süden der Merida-Anden für das vorläufige Ende der Expansion von Morales, aber der brutal geführte Feldzug hatte die Royalisten in der Gegend wieder zu neuem Leben erweckt, und ihren Widerstand erneut aufflammen lassen. Morales kehrte nach den beiden Niederlagen nach Maracaibo zurück, um weitere Feldzüge vorzubereiten, während die Republikaner sich mit den besiegt geglaubten Royalisten in den von Morales eroberten Gebieten auseinandersetzen mußten. Coro, Maracaibo und Trujillo stellte allerdings die maximale Ausdehnung des kurzzeitig wiedererstandenen Generalkapitanats dar, aber im folgenden Jahr konnte Venezuela endgültig befreit werden.



Fortsetzung: Kap. 17. 1823: Letztes Aufbäumen der Spanier



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