Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 16.c. Ecuador: der Pichincha-Feldzug

Die zweite Niederlage von Huachi im vergangenen Jahr, hatte Antonio José Sucre dazu genötigt, mit den Spaniern einen Waffenstillstand auszuhandeln und bei Bolivar und San Martin um Waffenhilfe zu bitten. Während Bolivar nicht an Pasto vorbeikam, waren noch am Ende des letzten Jahres unter der Führung von Andres de Santa Cruz zwei nordperuanische Bataillone, eine Kompanie Argentinier, und je eine Schwadron berittener Grenadiere, sowie berittener Jäger aus Peru eingetroffen. Ein Gutteil der Soldaten verfügte jedoch nur über wenig oder keine Erfahrung. Trotz seiner überragenden diplomatischen Fähigkeiten hatte es Sucre nicht geschafft, das Bataillon Numancia zugeteilt zu bekommen.

Er selbst verfügte über zwei ecuadorianische Bataillone, das aus Europäern bestehende Albion-Bataillon und eine Schwadron kolumbischer Dragoner. Im Lauf des Feldzugs stieß noch das Bataillon Magdalena unter José Maria Cordoba hinzu. José Mires, der die Niederlage von Huachi zu verantworten hatte, war im Rahmen eines Gefangenenaustauschs zurückgekehrt und führte diese Division.

Eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Befreiung des Königlichen Gerichtsbezirks Quito stellte der neue Gerichtspräsident aus Spanien dar. Eben weil Juan de la Cruz Mourgeon die spanische Verfassung von 1812 konsequent umsetzte, die Korruption in der Verwaltung bekämpfte und Elemente der Unabhängigkeit in seinen Regierungsstil einflocht, gewann er bei der Bevölkerung Unterstützung. Dieser Rückhalt, der Sucre möglicherweise Ansehen bei seinem Befreiungsversuch gekostet hätte, starb jedoch Anfang April mit dem Spanier, und Melchior Aymerich, der das Amt des Gerichtspräsidenten übernahm, war in dieser Hinsicht sogar ein Vorteil für Sucre.

Nach dem Ende des Waffenstillstands war die Division von Mires ins südliche Hochland marschiert und traf nördlich von Loja am 09. Februar mit der Division von Santa Cruz zusammen. Gemeinsam bewegte sich das mulinationale Befreiungsheer auf der Kordillere nach Norden. Die fast 3000 Patrioten verdrängten am 21. Carlos Tolra mit seinen 400 Reitern kampflos aus Cuenca. Sucre, der vorgehabt hatte, Tolra zügig zu verfolgen, wurde hier vom Rückzugsbefehl von San Martin für dessen Truppen überrascht. Es gelang ihm wenigstens, Santa Cruz dazu zu bewegen, eine Bestätigung abzuwarten, bevor er nach Peru zurückkehrte. Sucre versuchte derweil San Martin zu überzeugen, daß er die Truppen dringend brauchte, aber es war Juan Antonio Alvarez de Arenales, sein militärischer Stellvertreter, der den Rückzugsbefehl zurücknahm (vgl. a. Kap. 16.a. Peru). Nach gut sechs Wochen konnte Sucre seine Feldzug Mitte April mit zwei Divisionen fortsetzen.

Über Alausi nährte sich die zur Erkundung vorausgeschickte Kavallerie Riobamba, wo sich Tolra inzwischen aufhielt. Der Spanier griff den Hauptkörper von Sucre am 20. vor der Stadt vergeblich an, und leitete, als er erkannte, daß er numerisch zu weit unterlegen war, den Rückzug ein. Sucre, der von der Absetzbewegung Tolras Kenntnis hatte, schickte die berittenen Grenadiere von Juan Lavalle zur Beobachtung am folgenden Tag hinter den Spaniern her. Dabei kam es mit rund vierhundert Reitern der Königstreuen zum Gefecht. Vor der vierfachen Übermacht zog sich Lavalle zurück, aber bei einer Hazienda namens San Miguel de Tapi machte er kehrt und stellte sich den Reitern Tolras. Unterstützt von einigen hinzugestoßenen Dragonern, fügten vor allem die Grenadiere den Royalisten massive Verluste zu, ohne selbst erheblich geschwächt zu werden. Nun besetzte Sucre die Provinzhauptstadt.

Nicolas Lopez verfügte in seiner Division über mehr als zweitausend Infanteristen, mit denen er, zum Teil mit Artillerierunterstützung, die wichtigen Pässe auf dem Weg nach Quito blockierte. Sucre suchte daher nach Wegen, die Stellungen zu umgehen, um ungehindert auf die Hauptstadt marschieren zu können. Am 28. brach er auf und erreichte am 02. Mai Latacunga, wo José Maria Cordoba das Heer einholte. Dessen Bataillon war allerdings nicht vollständig, da sowohl in Guayaquil als auch in Cuenca Soldaten krankheitsbedingt zurückgeblieben waren.

Sucres Plan ging auf, er konnte die Spanier umgehen und traf einen Tag nach Nicolas Lopez, der die Absicht zu spät durchschaut hatte, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen, am 17. Mai, in der Hochebene von Quito ein. Am folgenden Tag besetzte er Sangolqui, und am 20. stand das Patriotenheer auf dem ehemaligen Anger südlich der heutigen Altstadt und östlich des Panecillo. Bolivars Favoritin der letzten Lebensjahre, Manuela Saenz, schreibt in ihren Tagebuch ab dem 19. von kleinen Gefechten, aber die Schlacht, die Sucre Aymerich am 21. anbot, lehnte der Spanier ab. Da Aymerich auch in den folgenden beiden Tagen keine Neigung zeigte, sich zur Schlacht zustellen, ließ Sucre am Abend des 23. sein Heer nach Nordosten, auf die Hänge des Doppelvulkans Pichincha ausrücken.

Am Morgen des 24. Mai befand sich Sucres Heer gut sechshundert Meter über der Stadt auf 3500 Metern Höhe und bedrohte die Westflanke Quitos. Er gab den Soldaten Gelegenheit, sich zu stärken, bevor er eine Kampflinie stellte, die viele seiner Truppenteile vor den Blicken der Spanier verbarg. Weder er noch Aymerich konnten in dem steilen Gelände ihre Kavallerie zum Einsatz bringen. Die Reiter beider Seiten blieben daher im Hochtal bei der Stadt.

Gegen die knapp 3000 Patrioten bot Aymerich keine 2000 Mann auf, da er einen Teil seiner Truppen in der Stadt behielt. Außerdem hatte ein Agent Sucres für nicht unerhebliche Desertionen in den Reihen der Spanier gesorgt. Carlos Tolra und Nicolas Lopez führten drei Bataillone, zu denen auch Aragon, das inzwischen aus Pasto zurückgekehrt war (vgl. Kap. 16.b.) gehörte, den Abhang hinauf. Die Spanier konnten sich dabei auf die bessere Ausbildung und die größere Kampferfahrung ihrer Truppen verlassen. Das Aufeinandertreffen der beiden Heere begann gegen 10 Uhr am Vormittag bei dem heutigen Cima de la Libertad (Gipfel der Freiheit), wo heute ein Museum für die Schlacht steht.

Die Topologie des Geländes verbot wegen tiefer Schluchten den Einsatz des gesamten Heeres auf beiden Seiten. Daher begannen die Spanier ein Feuergefecht, das die am weitesten vorgeschobenen Kompanien Sucres zum Rückzug zwang. Mit zunehmender Dauer, waren Sucres Einheiten gezwungen, sich zum Nachfassen von Munition zurückziehen, was die Spanier zum Vormarsch auszunutzen gedachten. Einzelne Einheiten der Patrioten verhinderten mit Gegenangriffen mit dem Bajonett immer wieder, daß die Spanier Boden gutmachen konnten. Die Spanier versuchten nun Sucres linke Flanke mit ihrem besten Bataillon, Aragon, auszuhebeln. Dieser regierte seinerseits mit dem besten Bataillon, den Europäern von Albion, das die Spanier nicht verdrängen konnten. In Verbindung mit Gegenangriffen, vor allem Cordoba trug maßgeblich zur Auflösung von Aragon bei, konnte Aragon in die Flucht geschlagen werden. Auch an den anderen Frontabschnitten befanden sich nun die Patrioten auf dem Vormarsch bergab, und die Formation der Königstreuen löste sich auf.

In gut zwei Stunden hatten die Spanier vierhundert Mann verloren, während Sucre zweihundert Tote und 140 Verletzte angibt. Die Patrioten ließen die verbliebenen Royalisten nach Quito zurückkehren und rückten erst am folgenden Tag nach. Aymerich sah sich außerstande die Hauptstadt zu verteidigen und kapitulierte an diesem 25. Mai. Dabei, und bei der Verfolgung von fliehenden Königstreuen, machte Sucre 1260 Gefangene. Einzelne Einheiten entkamen und setzten den Kampf im Süden Neugranadas fort (s. Kap 16.b.), aber die ecuadorianischen Königstreuen akzeptierten landesweit die spanische Kapitulation.

Bolivar zog als Triumphator am 16. Juni in Quito ein, da nun sein Großkolumbien nominell komplett war. Sucre machte er zum Divisionsgeneral und übertrug ihm die politische und militärische Verantwortung des Departements Quito. Sucre schuf republikanische Strukturen, verbesserte die Volksbildung und legte mit einer Zeitung den Grundstein für die Presse.

Bolivar wandte sich nach einer Rundreise selbst dem einzig verbliebenen Problem in Ecuador zu. Er traf im Juli in Guayaquil ein, das sich bisher nicht hatte entscheiden wollen, ob es zu Peru oder Großkolumbien gehören wollte. Die Anwesenheit Bolivars räumte jegliche Zweifel aus, und Guayaquil wurde formal am Großkolumbien angegliedert. Damit war zwar nicht jeder einverstanden, aber an den von Bolivar geschaffen Fakten kam niemand vorbei.

Ende Juli kam auch San Martin in den wichtigsten Hafen Ecuadors, aber er hatte keine Möglichkeit, eine Veränderung herbeizuführen. Selbst, wenn es ihm gelungen wäre, Peru komplett zu befreien, und er wirklich auf Augenhöhe mit Bolivar hätte verhandeln können, wären seine Chancen, weil er zu spät gekommen war, nicht sehr groß gewesen. Als Bittsteller für einen unbeendeten Feldzug, hatte er nicht die geringste Chance, seinen Anspruch auf Guayaquil durchzusetzen. Aufgrund seiner Monarchiefreundlichkeit konnte er aber auch mit seinem Hilfeersuchen bei dem überzeugten Republikaner Bolivar keinen Erfolg haben. Hinzu kam seine geschwächte Position in den eigenen Reihen, und die stetig steigende Machtfülle Bolivars, der seit dem Schwur vom Monte Sarco und dem Manifest von Carupano darauf bestand, selbst der Befreier zu sein – und dies gegen Santiago Mariño, beispielsweise, auch durchgesetzt hatte. San Martin hätte dies alles wissen müssen, bevor er sich mit Bolivar traf, aber der Verlauf des nächtlichen Gesprächs vom 26. auf den 27. Juli, war offenbar derart frustrierend für ihn, daß er unmittelbar nach dem gemeinsamen Bankett am nächsten Tag aufbrach, in Peru alle Ämter endgültig niederlegte, seine Angelegenheiten in Argentinien regelte, und ins europäische Exil ging.

Im Staat Quito war der Krieg mit dem Sieg von Sucre zu Ende und man konzentrierte sich auf den Staatsaufbau und die anstehenden Peru-Feldzug. Lediglich die Pastusos mit ihren fortwährenden Erhebungen, die sich im folgenden Jahr bis nach Nordecuador erstreckten, störten die Idylle.



Fortsetzung: Kap. 16.d. Venezuela: Royalistenfeldzüge



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