Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 16.a. Peru: Rückschläge für die Patrioten

José de San Martin benötigte nach dem gescheiterten Putsch im letzten Dezember dringend Erfolge und auch Unterstützung. Militärisch hätte er trotz der 1300 Mann, die er Antonio José Sucre in Ecuador zur Verfügung gestellt hatte, in Peru aktiv werden können, aber er zog es vor, Simon Bolivar um Hilfe zu bitten. Da die beiden seit der Landung des Argentiniers in brieflichem Kontakt standen, wußte er, daß Bolivar auf dem Weg war, um Sucre zu unterstützen. Er gedachte, Bolivar in Guayaquil zu treffen, aber Bolivar war kurzfristig gezwungen, seine Pläne zu ändern und wurde aufgehalten (s. Kap. 16.b.).

San Martin wußte um die Ansprüche, die sowohl Großkolumbien als auch Peru auf Guayaquil hatten, und hätte hier, gerade in Abwesenheit Bolivars, sein Image aufpolieren können. Er legte die politische Führung Perus im Januar in die Hände von Bernardo Torre Tagle. Die Bestellung eines peruanischen Staatschefs entsprach sowieso dem Auftrag des chilenischen Parlaments. Anschließend machte er sich per Schiff auf den Weg in den wichtigsten Hafen Ecuadors. Einerseits erfuhr er auf der Reise, daß Bolivar in Südkolumbien beschäftigt war, und andererseits, weil die Stimmung in Guayaquil zu diesem Zeitpunkt für Großkolumbien war, kehrte er wieder um. So verpaßte San Martin die Gelegenheit, Guayaquil für Peru zu reklamieren, und später blieb ihm keine Wahl, als darüber zu lamentieren, daß Bolivar genau dies getan hatte.

Nach seiner Rückkehr im März beantragte er statt dessen vor dem Parlament in Lima eine Kriegserklärung gegen Großkolumbien. Das Ansinnen wurde abgelehnt, und er beorderte die am Ende des vergangenen Jahres zu Sucres Unterstützung ausgesandten Truppen zurück. Sucres diplomatisches Geschick und die fortschreitende Entmachtung San Martins, der seinen militärischen Oberbefehl sukzessive an Juan Antonio Alvarez de Arenales verlor, verhinderten, daß der Ecuadorfeldzug ohne die dringend benötigten Truppen aus Peru und Argentinien stattfand.

Den Spaniern kamen derweil die in Inaktivität der Patrioten mündende Uneinigkeit und die Führungsschwäche San Martins zupaß. José Canterac schickte Ramon Rodil an die Küste südlich von Lima, damit dieser den Streifen zwischen San Vicente de Cañete und Pisco unter seine Kontrolle brachte. Die örtlichen Patrioten leisten zwar in Form von montoneros Widerstand, waren aber in vielerlei Hinsicht kein ebenbürtiger Gegner für die Kolonialtruppen. Schließlich begab sich Domingo Tristan mit Augustin Gamarra als Stabschef und gut 1700 Soldaten in die Region, um die Spanier aufzuhalten. Als Gamarra mit einer Abteilung nach Nasca vorstieß, reagierte der Militärchef in Südperu, Juan Ramirez von Arequipa aus, mit einem Trupp unter Jeronimo Valdes, um Gamarra den Vormarsch zu erschweren. Gamarra kehrte daraufhin zu Tristan zurück, der sich in Ica aufhielt.

Da Valdes nicht über genügend Truppen verfügte, führte Canterac Ende März selbst 2000 Mann an die Küste, um Tristan zu verdrängen. Die Spanier hatten sich mit lokalen Royalisten auf dem Weg verstärkt, und Canterac rechnete schon damit, daß Tristan sich zurückgezogen habe.

Dieser jedoch wußte noch gar nichts vom Anmarsch Canteracs, sodaß ein spanischer Offizier, der sich gefangennehmen ließ, Tristan die Informationen gab, von denen Canterac wollte, daß Tristan sie besaß. In der Nacht des 07. April gab Tristan Ica auf und versuchte Richtung Norden zu entkommen, da er die Spanier noch auf dem Anmarsch wähnte. Canterac erwartete ihn jedoch an einer für ihn günstigen Stelle, der Hazienda Macacona, und löste das Patriotenheer noch in der gleichen Nacht auf. Die versprengten Reste wurden verfolgt und die Spanier nahmen Pisco wieder ein, während Canterac ins Hochland zurückkehrte. Anschließend beschäftigten montoneros die Spanier, die Ramon Rodil anführte, aber die Vorherrschaft der Kolonialtruppen war mit ihren Mitteln nicht zu brechen. Die von Lima entsandte reguläre Kavallerie reichte ebenfalls nur für eine Beschäftigung der Spanier aus.

Auch José Carratala, der an der Aktion teilgenommen hatte, kehrte zu seinem Ausgangspunkt, Huamanga (Ayacucho), zurück, wobei er auf Cayetano Quiroz und seine montoneros traf. Sudwestlich von Huamanga wurden die Patrioten geschlagen. Sie flohen nach Süden und wurden erneut besiegt. Quiroz geriet in Gefangenschaft und wurde Anfang Mai öffentlichkeitswirksam in Pisco hingerichtet.

Ein weiterer schwerer Rückschlag für die Patrioten war der Rücktritt des Flottenchefs der Chilenen, Lord Cochrane. Er war seit Monaten mit der Vorgehensweise der Expedition unzufrieden gewesen. Ein letzter Streit mit San Martin, der gerade noch einen verfassungsgebenden Kongreß einberufen hatte, beendete die Zusammenarbeit des Schotten mit dem Argentinier. Zurück in Chile, setzten sich Meinungsverschiedenheiten, vor allem den Freunden San Martins fort, und im folgenden Januar quittierte er endgültig den Dienst in der chilenischen Marine, die er aufgebaut hatte.

Obwohl sich im Tal des Rio Mantaro einige Tausend indigene montoneros befanden, hatten sie die Abwesenheit von Canterac nicht nutzen können, um die Spanier zu vertreiben. Andere Gruppen von Guerillas am Westabhang der Anden konnten immerhin zeitweise den Nachschub für die Kolonialtruppen im Hochland unterbrechen.

Die erschreckende Passivität der Patrioten wurde durch den Weggang San Martins nach dem Treffen mit Bolivar Ende Juli in Guayaquil (s. Kap. 16.c.) noch verstärkt. Die Patrioten in Peru waren dadurch gezwungen, eine neue Regierung zu wählen. Man einigte sich im Oktober auf eine Junta zur Führung der Regierungsgeschäfte, der José de la Mar vorstand.

Außer an der Küste südlich von Lima, gingen die Initiativen fast ausschließlich von den montoneros und den Spaniern aus. Die Aktivitäten der montoneros waren es letztlich, die verhinderten, daß sich die Kolonialmacht auf die regulären Truppen der Peruaner und die des Expeditionsheers konzentrieren konnte.

Auch der Norden des Landes der unter der Kontrolle der Republik stand, war keineswegs gesichert. Von Quito aus hatte Melchior Aymerich im Februar einen Putsch in der nördlichen Urwaldregion östlich der Anden gefördert, der das heutige Sucumbios unter die Kontrolle der Royalisten gebracht hatte. Die Königstreuen besiegten in der Folgezeit die patriotischen Guerillas und unternahmen einen erfolgreichen Vorstoß nach Moyabamba. Als auch Chachapoyas ins Visier der Königstreuen geriet, begannen die Patrioten in Trujillo und Cajamarca zu handeln. Die daraus entstandenen Gefechte im September am Ostabhang der Anden konnten die Patrioten für sich entscheiden. Ende des Monats fiel Moyabamba zurück an die Republik und der Norden Perus war gesichert, da nun aus Ecuador keine Einfälle mehr zu befürchten waren.

Zur selben Zeit entschloß sich der Oberbefehlshaber des chilenisch-argentinischen Heeres, Juan Antonio Alvarez de Arenales, erneut die Initiative zu ergreifen. Er plante einen Vorstoß an der Südküste, während er selbst die Spanier im Mantarotal beschäftigen wollte, um deren Unterstützung zu vermeiden. Da sich die Vorbereitungen hinzogen, und weil Canterac die Absicht durchschaute, verließ er schon vorher das Hochland, wo er nur eine kleine Wachgarnison zurückließ. Die Campaña de Puertos Intermedios, die Kampagne der dazwischenliegenden Häfen, sollte im November beginnen. „Dazwischenliegend“ bezieht sich auf den befreiten Küstestreifen nördlich von Lima und der Republik Chile.

Rudecindo Alvarado landete mit 3500 Soldaten, nachdem er vergeblich auf Verstärkungen aus Chile gewartet hatte, am 06. Dezember bei Arica an. Da er erst noch Pferde requirieren mußte, eroberte er erst zum Jahreswechsel Tacna, bevor er sich nach Moquegua begab. Hier befanden sich die Truppen von Jeronimo Valdes, der die Verstärkungen von Canterac erwartete. Alvarado stellte Valdes am 19. Januar nordöstlich von Moquegua, als Canterac noch eine Tagesetappe entfernt war, aber er schaffte es in neun Stunden nicht, die numerisch unterlegenen Spanier zu besiegen. Canterac selbst war vorausgeritten und hatte am Nachmittag das Kommando übernommen. Mit den Verstärkungen, die Canterac herangeführt hatte, wurde der Feldzug von Alvarado am 21. nachhaltig beendet. Inklusive der Verfolgung bis an die Küste, wo er sich einschiffte, hatte Alvarado zwei Drittel seines Heeres einbüßt, und der Süden stand wieder unter spanischer Kontrolle.

Damit war auch die zweite Initiative der Republik in diesem Jahr kläglich gescheitert. Die Spanier kontrollierten nun wieder weite Teile Perus und die Patrioten waren untereinander zerstritten. So blieb nur die Hoffnung auf die Unterstützung aus Großkolumbien, die bald danach eintraf.



Fortsetzung: Kap. 16.b. Neugranada: Hürde Pasto



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