Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 13.a. Venezuela: die Vorbereitung des Neugranada-Feldzugs


(S. a. den spanischsprachigen Vortrag des Autors in Kolumbien zum 190. Jahrestag, sowie die Karte unten)


Die im vergangenen Jahr nach dem Scheitern der Zentrumskampagne geborene Idee eines Neugranada-Feldzugs bei den Patrioten um Bolivar, erforderte eine umfangreiche Vorbereitung. Abgesehen von der Logistik für das Heer, mußte das spanische Expeditionsheer von Pablo Morillo in Venezuela beschäftigt werden, da dieses sicher eingegriffen hätte, wenn es den Plan frühzeitig durchschaut hätte. Dazu erdachten Bolivar und sein Stab Ablenkungsfeldzüge in Venezuela, die die Spanier solange wie möglich davon überzeugen sollten, daß auch in diesem Jahr Venezuela ihr Hauptoperationsgebiet war. Außerdem brauchte die geplante Eroberung ein solides politisches Fundament, um innere Rivalitäten, wie sie in den vergangenen Jahren die Spanier zu oft begünstigt hatten, von vorneherein ausgeschlossen waren.

Die militärische Vorbereitung begann noch im Dezember 1818 mit der Verlegung von Truppen in die Apure-Region, wo sich José Antonio Paez mit seinen Llaneros aufhielt. Einerseits wurden die Truppen aus Ostvenezuela, die für das Unternehmen abgestellt waren, sowie die europäischen Söldner, von Angostura per Schiff den Orinoko hinauf gebracht und andererseits kamen Kontingente aus den Hochebenen südlich von Caracas zu Paez.

Morillo, dem der Aufmarsch nicht verborgen geblieben war, gedachte den Fehler vom vergangenen Jahr, der ihn fas in Gefangenschaft geführt hatte, nicht zu wiederholen, sondern sammelte fast zehntausend Soldaten nordwestlich von San Fernando de Apure am Rio Portuguesa, im heutigen Bundesstaat Guarico. Mit sechstausend Mann bewegte er sich nach Nordosten auf Calabozo zu, während seine Vorhuten nach Süden vorstießen.

Bolivar, der mit seinen Truppen aus Angostura gekommen war, traf sich mit Paez, machte ihn zum Divisionsgeneral und instruierte ihn über den geplanten Ablenkungsfeldzug, für den gut 5000 Soldaten zur Verfügung standen. Nach nur einer Woche kehrte er nach Angostura zurück und überließ Paez die Ausführung des Feldzugs.

Paez schickte Ende Januar Vorausabteilungen, die die Gegend erkunden sollten. Ihre Siege gegen die Vorhuten Morillos führten dazu, daß Paez nach Norden vorstieß, wo er auch selbst gegen die eine spanische Vorhut am 01. Februar bei Las Cocuizas (Bundesstaat Guarico) erfolgreich war. Morillo marschierte ihm daraufhin mit seinem Heer entgegen und die Patrioten mußten sich zurückziehen.

Südwestlich von San Fernando, am Rio Arauca, stellte Paez Verteidigungslinien, die Morillos Befehlshaber jedoch durchbrechen konnten. Dabei verlagerten sich Kämpfe weiter nach Osten. Am 11. Februar schließlich, bei Cañafistola, südlich von San Fernando, stoppte Paez selbst den spanischen Vorstoß. Offenbar waren beide Seiten damit zufrieden, den Rio Arauca zwischen sich zu haben, denn das Kampfgeschehen ruhte einen Monat lang, bis Bolivar aus Angostura zurückkehrte.

Bolivar war aus zwei Gründen in seinen Staat am Oberlauf des Orinoko zurückgekehrt. Einerseits hatte er erfahren, daß Rafael Urdaneta, der auf der Insel Margarita die europäischen Söldner an die Bedingungen in Südamerika eingewöhnte, ein Kontingent geschickt hatte, und anderseits begann der Kongreß von Angostura, den er mit einer gefeierten Rede eröffnete.

Die Delegierten, die zumeist den Süden und Osten des Landes repräsentierten, sollten Bolivar die Legitimation seines Handelns bestätigen und seinen Herrschaftsanspruch stärken. Darüber hinaus verfolgte Bolivar mit dem Kongreß den Zweck, die internationale Anerkennung seines Staates voranzutreiben. Seine Ideen zur Struktur des Staates, wie beispielsweise den Erbsenat, konnte er nicht durchsetzen, aber die Zustimmung für den geplanten Feldzug und diktatorische Befugnisse zur Erlangung der Unabhängigkeit, fanden die Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten.

Politisch gestärkt, und mit europäischen Söldnern, die den spanischen Truppen mindestens gleichwertig waren, traf Bolivar am 10. März wieder in Apure ein. Die anschließenden Kämpfe von Vorausabteilungen beider Seiten südwestlich von San Fernando brachten keine wirkliche Änderung, obwohl die Patrioten mehr Erfolge aufzuweisen hatten, als die Spanier. Der Grund dafür lag darin, daß Morillo es vorzog, Verstärkungen aus den Merida-Anden abzuwarten, bevor er aktiv wurde.

Daher startete Paez einen legendären Angriff auf Morillos Hauptquartier am 02. April. Mit nur 150 Lanzenreitern, ritt er bei den Queseras del Medio (die mittleren Käsereien in der Rinderrinderzucht Mangas Mararreñas) etwa 45 Kilometer südwestlich von San Fernando gegen die 6000(!) Soldaten Morillos in dessen Hauptquartier an. Paez Ziel war es, den Spaniern Verluste zuzufügen, um sie dazu zu bewegen, ihn zu verfolgen. Morillo entsandte tatsächlich 1000 Reiter, die Paez zur Strecke bringen sollten. Paez zog sich zwar zurück, aber er floh nicht. Er lockte die Spanier in ein Gelände, das ihre breite Formation zusammendrängte, wobei die Dragoner in der Mitte von Lanzenreitern flankiert waren. Nun befahl Paez Juan José Rondon mit einigen Reitern einen Scheinangriff, der das gewünschte Resultat brachte: die Lanzenreiter an den spanischen Flanken stießen nach innen vor und blockierten so das Schußfeld der Dragoner. Rondon hatte rechtzeitig abgedreht, und Paez befahl den Frontalangriff auf die spanischen Lanzenreiter, die den Patrioten nun ihre Flanke anboten. Der Aufprall erzeugte die Auflösung der Formation bei den Spaniern und sie flohen, verfolgt bis in die Schußweite der von Morillo vor dem Lager postierten Infanterie. Die unerschrockene Rückkehr (vuelvan caras) hatte die Spanier die Hälfte ihrer Kavallerie gekostet, während die Verlustliste der Patrioten nur drei Tore und fünf Verletzte ausweist. Bolivar, der von weitem zugesehen hatte, war voll des Lobes für Paez.

Da sich die Regenzeit ankündigte, und die kleineren Gefechte der nächsten Tage für die Spanier meist ungünstig verliefen, beendete Pablo Morillo die Feldzugsaison und richtete sich aufs Verteidigen ein. Bolivar hatte sein Ziel erreicht, die Spanier beschäftigt und in dem Glauben zu halten, daß Caracas sein Ziel wäre. Er zog sich 100 Kilometer nach Westen zurück, und als klar wurde, daß sein Gegenspieler vor der Regenzeit nicht mehr aktiv wurde, stellte er in Mantecal am 23. Mai dem Stab seinen noch etwas unausgereiften Plan für den Neugranada-Feldzug vor. Vier Tage später begann der Marsch nach Guasdualito, nachdem aus Casanare die Meldung eingetroffen war, daß die Spanier dort ihren Feldzug wegen Mangel an Erfolg eingestellt hatten. Hier wurde ein letztes Mal der Plan modifiziert und am 04. und 05. Juni überquerten die gut zweitausend Soldaten Bolivars den Grenzfluß Arauca.

Der ursprüngliche Plan hatte vorgesehen, daß die von Francisco de Paula Santander organisierten neugrenadiner Guerilleros getrennt von den Venezolanern die Anden zu ersteigen, während Bolivar seine Truppen unweit von Cucuta auf die Ostkordillere bringen wollte. Nun einigte man sich, gemeinsam mit den Neugrenadinern weiter südlich den Aufstieg zu wagen. (Fortsetzung des Feldzugs im folgenden Kap. 13.b.)

Die Aufgabe von Paez bestand darin, die 5. Division der Spanier auf den Merida-Anden beschäftigt zu halten, damit sie nicht in der Lage war, Bolivar in den Rücken zu fallen. Sein Interesse an dem Feldzug war jedoch nicht besonders groß, da auch er die Streitereien mit den Neugrenadinern Ende 1816 nicht vergessen hatte. Als er tagelang Mitte Juni die relativ kleine Garnison von Guacas, etwa 50 Kilometer Nordwestlich von Guasdualito, vergeblich berannt hatte, entschloß er sich zum Rückzug nach Apure. Bolivars Kritik focht ihn dabei jedoch nicht an. Schlimmer war, daß Miguel de la Torre mit seiner Division zur Verfolgung Bolivars aufgebrochen war. Aber Paez ignorierte auch diesen Umstand. Die schwierigen Bedingungen der Regenzeit, die auch den Patrioten zu schaffen machten, verhinderten, in Verbindung mit lokalen Guerilla-Truppen, daß de la Torre schnell genug war, um Bolivar einholen zu können. Der Fortgang des Feldzugs von Bolivar war damit zwar gesichert, aber de la Torre stieß bis westlich von Cucuta auf die Ostkordillere vor, womit er die Einnahme des ganzen Landes nach dem Erfolg Bolivars entscheidend behinderte.

Auch das Ostheer war in die Ablenkung der Spanier für den Zug Bolivars nach Neugranada eingebunden. Santiago Mariño startete einen Feldzug von Angostura, der die Verbindung nach Barcelona herstellen sollte. Noch vor der Mitte des Junis zerschlug er die Hinterlandverteidigung etwa 100 Kilometer südlich von Barcelona, bei Cantaura. Einen Monat später führte Rafael Urdaneta 1500 Europäer und 500 Venezolaner mit einer Landeoperation von der Insel Margarita aufs Festland. Am 17. Juli konnte seine Truppe die Spanier auf der Halbinsel Morro bei Barcelona besiegen und am folgenden Tag die Stadt in Besitz nehmen. Anfang August marschierte er auf Cumana, aber trotz seines Erfolges gegen einige Artilleriebatterien etwa 45 Kilometer südlich der Hafenstadt, brach er den Feldzug ab, da er sich keine Erfolgsaussichten beim Sturm auf das stark befestigte Cumana ausrechnete. Eine Woche später, am 11. scheiterte José Francisco Bermudez, der trotzdem einen erneuten Vorstoß entlang der Küste wagte, bereits auf dem Weg. Das damit in die Defensive geratene Ostheer verhinderte jedoch, daß die Spanier ihre Verfolgung der geschlagenen Truppen von Bermudez ausdehnen konnten.

Nach dem Erfolg seiner Kampagne schickte Bolivar Carlos Soublette mit den von Paez und den Ostvenezolanern geborgten Truppen nach Apure zurück. Miguel de la Torre, der mit örtlichen Guerillas zu kämpfen hatte, verlor ein wenig an Boden, und so fand das Treffen der beiden am 24. September bereits auf venezolanischen Boden, unweit von Cucuta, statt. Da aber weder de la Torre noch Soublette das Gefecht wirklich suchten, resultierte ein Unentschieden, das beiden nutzte.

Auch ohne die Verstärkungen hatte Paez inzwischen damit begonnen, die Spanier aus der Apure-Region zu verdrängen. Mit der Unterstützung der Schiffe von Antonio Diaz besiegte er die Spanier auf den Rio Apurito und konnte bald darauf auch San Fernando de Apure einnehmen. Den Spaniern hatte der Verlust Neugranadas jegliche Initiative geraubt, was es den Patrioten erleichterte, Geländegewinne zu verbuchen, aber ohne einen übergreifenden Plan zur Befreiung des gesamten Landes, blieben ihre Aktionen Stückwerk.

Bolivar, der dafür zuständig war, kehrte erst im Dezember nach Angostura zurück, nachdem er Paez in Apure getroffen hatte. Hier war es inzwischen zu einem Staatsstreich gekommen, der aber angesichts des Befreiers von Neugranada in sich zusammenbrach. Bolivar stellte alleine durch seine Anwesenheit die Machtverhältnisse klar und widmete sich in der zweiten Dezemberhälfte der durch die Vergrößerung notwendig gewordenen politischen Unstrukturierung. Er ließ den Kongreß den neuen Staat ausrufen und beschwor in einer Proklamation die Einheit der Brudervölker von Venezuela und Neugranada. Der Kongreß beendete Anfang des nächsten Jahres seine Arbeit und wurde durch eine gleiche Organisation in Cucuta mit den Neugrenadinern fortgesetzt.



Karte von Bolívars Neugranada-Feldzug 1819



Fortsetzung: Kap. 13.b. Neugranada: die Schlacht von Boyaca



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