Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 10.c. Venezuela: Bolivars gescheiterte Rückkehr

Während der aus der neugrenadiner Provinz Casanare zu Jahresbeginn geführten Vorstöße der venezolanischen Llaneros (s. Kap. 10.a.), bereiteten sich im Osten José Tadeo Monagas, Manuel Cedeño und Pedro Zaraza auf ihren ersten gemeinsamen Feldzug vor. Um nicht von den Spaniern aufgerieben zu werden, die durch die Verstärkungen die Pablo Morillo aus Spanien mitgebracht hatte, blieb ihnen nur die fortgesetzte Bewegung. Anfang März sammelten sie sich im Grenzbereich der heutigen Staaten Anzoategui und Guarico und besiegten eines der Jagdkommandos, womit sie sich aus der drohenden Einkesselung befreien konnten. Zuerst stießen sie Richtung Südwesten, an die Einmündung des Apure in den Orinoko vor, besiegten dieselben Spanier erneut. Damit war eine erste, noch brüchige Verbindung zu den Patrioten in Casanare hergestellt. Den noch im selben Monat erfolgenden Zug Richtung Nordosten, konnten die Spanier zwar stoppen, aber in den folgenden Wochen gelang es den Separatisten, die Monagas zu ihrem Oberbefehlshaber erkoren, sich in der südlichen Grenzregion von Anzoategui und Guarico festzusetzen.

Simon Bolivar war, nachdem ihm die Engländer auf Jamaika nicht hatten unterstützen wollen, Ende 1815 nach Haiti gekommen. Das Land war seit 1804 von Frankreich unabhängig, und der Präsident Alexandre Petion hatte für die Pläne Bolivars zur Rückeroberung seiner Heimat ein offenes Ohr. Seine Offiziere, jedenfalls die, die sich aus Cartagena hatten retten können, schworen ihm im Februar erneut die Gefolgschaft. Mit Geld, Truppen und Waffen verließen am 31. März sieben Schiffe die Insel unter dem Freibeuter Renato Beluche, um die erneute Befreiung Venezuelas zu unternehmen. Der Kaufmann Luis Brion, der mit seinen Schiffen ebenfalls zum Gelingen der Operation beitrug, konnte sich in einem Seegefecht auf dem Weg auszeichnen, und Bolivar machte ihn zum Admiral. Neben den wirtschaftlichen Hilfen Brions dürfte dabei auch eine Rolle gespielt haben, daß er zuverlässiger war, als Beluche.

Anfang Mai erreichte die kleine Flotte die Insel Margarita. Hier rief Bolivar mit Hilfe von Juan Bautista Arismendi, der als Guerillaführer die Spanier auf der Insel immer wieder in Atem gehalten hatte, erneut die Republik aus. Da sich auch sein Rivale Santiago Mariño unter seinen Mitstreitern befand, legte Bolivar Wert darauf, daß er zum zivilen und militärischen Oberbefehlshaber gewählt wurde.

Nach einem unrühmlichen Versuch, die Spanier auf Margarita zu besiegen, landete Bolivar seine Truppen bei Carupano an und konnte den Ort einnehmen. Von hier aus schickte er vor allen die unter der Bevölkerung bekannten ostevenezolanischen Offiziere aus, um Truppen zu rekrutieren. Wichtige militärische Vorstöße unterblieben wegen der Streitereien, vor allen zwischen Mariño und Bolivar. Daher hatten die Spanier Gelegenheit, ihre Truppen zu konzentrieren und die Eindringlinge anzugreifen. Obwohl die Spanier nur mäßig erfolgreich angriffen, zog sich Bolivar am 01. Juli aus Carupano zurück. Die Streitereien, die auch Henri Louis Doucoudray Holstein dazu bewogen, sich von Bolivar abzuwenden, waren der Hauptgrund. Während die Ostvenezolaner zurückblieben, wandte sich Bolivar der Westküste zu. Zwischen Caracas uns Puerto Cabello, bei Ocumare del Tuy, ließ er seine 800 Soldaten am 06. Juli ausschiffen.

Bolivar schickte Soublette mit sechshundert Mann sofort zu einem Feldzug auf Caracas und sicherte mit dem Rest die Umgebung, warb Truppen und ließ Vorräte beschaffen. Morillo, der sich in Neugranada aufhielt, befahl Francisco Tomas Morales in Caracas, mit 300 Llaneros den Landungsversuch zu beenden. Am 09. hielt Soublette, der sich gegen den Befehl Bolivars auf einem Hügel eingegraben hatte, dem Angriff stand. Während Soublette seinen Sieg nicht ausreichend von Bolivar gewürdigt sah, und dieser auf fortgesetzter Bewegung nach Caracas bestand, wurde wertvolle Zeit vertan, die die Spanier nutzten. Die Niederlage Soublettes am 13. war nicht wirklich verheerend, aber Bolivar floh überstürzt, Truppen und Ausrüstung zurücklassend. Das ist die eigentliche Katastrophe der nun gescheiterten Landeoperation. Den Streit, der nach seiner Rückkehr nach Ostvenezuela losbrach, hatte er daher selbst zu verantworten. Die dortigen Offiziere, die nur auf eine solche Gelegenheit gewartet hatten, enthoben ihn seines Postens als Oberbefehlshaber. Um einen erneuten Bürgerkrieg in den eigenen Reihen zu vermeiden, zog sich Bolivar zurück. Er mußte bei Petion in Haiti um eine zweite Chance bitten.

Die im Stich gelassenen Truppen an der westvenezolanischen Küste, organisierte vor allem Gregor McGregor neu und er war es auch, der die Soldaten aus der sich abzeichnenden Umklammerung durch die Spanier im Juli und August nach Osten führte. Hier gelang ihm und Soublette die Vereinigung mit den Patrioten von Monagas, der Cedeño mit seinen Reitern vorgeschickt hatte, um die Neuankömmlinge, auch mit Vorräten, zu unterstützen.

Während Mariño den Nordosten Venezuelas, die Paria-Halbinsel eroberte, bereiteten die Truppen von Monagas und Soublette die Eroberung Barcelonas vor. Mitte September fiel den Patrioten, vor allem durch die Erfolge McGregors im Vorfeld, die wichtige Hafenstadt in die Hände.

Manuel Piar, der im Auftrag Bolivars seit Juni Truppen rekrutiert hatte, kam nach dem Erfolg nach Barcelona, um gemeinsam mit den Soldaten von Monagas und Soublette die Region unter Kontrolle zu bringen. Mit der Schlacht von El Juncal am 26. September gelang es zwar das Umland um den für den Nachschub der Patrioten unersetzlichen Hafen unter Kontrolle zu bringen, aber Piar geriet mit McGregor derart heftig nach der Schlacht in Streit, daß der Schotte den Patrioten Venezuelas den Rücken kehrte. Mit der Unterstützung von Arismendi, der ein Kontingent Truppen von Margarita nach Barcelona brachte, sicherten die Patrioten die Stadt.

Derweil verzeichnete Mariño auf der Halbinsel Paria gute Erfolge gegen die Spanier von September bis November. Im folgenden Januar mußte er, trotz der Unterstützung von Arismendi von See her, die Belagerung von Cumana abbrechen, die seine Eroberungen gekrönt hätte.

Manuel Piar hatte nach dem Sieg von El Juncal auch mit den anderen Befehlshabern gravierende Meinungsunterschiede und er ignorierte die Anweisungen von Bolivar. Im Oktober brach er daher mit rund 1000 Mann, zu denen auch Cedeño und José Antonio Anzoategui gehörten, zum Orinoko auf, um einen Feldzug in Guayana zu führen. Im November überquerte er den Fluß und näherte sich Angostura auf der Südseite. Die örtlichen Spanier scheiterten mit ihren Versuchen, sein Heer aufzuhalten, und Piar konnte die Gegend im Dezember erkunden lassen. Zum Jahreswechsel überquerte er den riesigen Orinokozufluß Caura, um sich seinem Ziel, Angostura, zu nähern.



Fortsetzung: Kap. 11. 1817: Der seidene Faden



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