Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

68. Cusco II

Unlust

Die Unlust auf den Tag begann bereits nach dem Frühstück. Eigentlich hätte ich mir irgendwelche Sehenswürdigkeiten ansehen sollen, aber ich blieb im Frühstückscafé. Schließlich durchwanderte ich das sonntägliche Cusco und ging im Internet Zeitung lesen.

Das Mittagessen bereitete mir genausowenig Freude, wie die Siesta. Auf dem Zimmer beschäftigte ich mich noch eine Weile mit dem Fahrrad, bevor ich erneut spazieren ging. Nicht, daß ich den Ruhetag nicht nötig gehabt hätte, aber in dieser teuren Umgebung und dementsprechend ungeplant war ich nicht sehr begeistert. Abends, nach dem Essen, beschloß für den nächsten Tag ein Besuchsprogramm. Den ganzen Tag hatte ich an Kolumbien gedacht und nur das vorgegebene Ziel, Bolivien, hatte mich davon abgehalten, sofort dorthin zurückzukehren.

Kultur

Zum Frühstück versuchte ich eins der Touristenrestaurants an der Plaza de Armas, aber ich ärgerte mich über die Limitationen und den unverschämten Preis. Anschließend lief ich zur Casa del Almirante, dem Admiralshaus, wo das Inka-Museum untergebracht ist. Hier fand ich Stücke zu den vorinkaischen Kulturen und den Inkas selbst. Dafür, daß es sich um die zweite Hauptstadt handelt, fand ich Menge und Qualität der Exponate unzureichend. Es gab nichts, was ich nicht schon besser in Lima gesehen hätte. Trotzdem hielt ich meinem Besuch nicht für Zeitverschwendung, frischte ich doch so meine Kenntnisse etwas auf. Außerdem handelt es sich bei dem Gebäude, in dem das Museum untergebracht ist, um ein durchaus sehenswertes Kolonialhaus.

Zurück an der Plaza de Armas ging ich in die Kathedrale, deren Eintritt auf dem Multiticket, das ich in Saqsaywamán gekauft hatte, enthalten war. Nur war das Innere des schönen Kirchenbaus gerade eine Baustelle, aber die meisten der churriguresken Altäre konnte ich sehen. Viele der Ölgemälde waren abgedeckt, um sie vor den Bauarbeiten zu schützen, aber ein großflächiges Bild vom Erdbeben im Jahre 1650 fesselte meine Aufmerksamkeit. Das Zittern der Wände konnte natürlich nicht dargestellt werden, aber die eingestürzten Gebäude, die ausbrechenden Feuer und die in Panik fliehenden Bewohner sieht man aus einer erhöhten Perspektive, die mir allerdings nicht weit entwickelt zu sein schien. Wegen dieses Erdbebens wurde ein paar Jahre danach ein Seitenaltar hinzugefügt, denn der Kirchenbau war nach fast hundert Jahren immer noch nicht abgeschlossen. Gesehen habe ich auch die aus Spanien wenige Jahre vorher zurückgekehrte Urne von Garcilaso de la Vega, dem Inkachronisten, der zur Zeit der Eroberung gelebt hatte. Zu sehen ist zwar nicht viel, aber mir fiel das Fundament auf, das man von den Inkas übernommen hatte. Es waren die Reste eines Palastes eines Inkaherrschers.

Mein nächster Besichtigungspunkt war der Palast des Erzbischofs, in dem es immer noch nach Weihrauch roch. Das sehr sehenswerte Kolonialhaus enthält eine Kirchensammlung von Gemälden und Möbeln und Reliquien. In der Straße dahin sah ich auch die beeindruckenden Fundamente der Inkas, auf denen sich nun Kolonialhäuser befinden. Auf dem Weg ins Naturkundemuseum der Universität warf ich einen Blick auf die goldenen Altäre der Kirche La Compañía de Jesús. Der Zugang zur Universität erwies sich etwas schwierig, aber längst nicht so kompliziert, wie in Ayacucho. Die Ausstellung war zwar umfangreicher, aber auch nicht besser, als dort.

Vor dem Mittagessen ergriff ich die Gelegenheit, schnell noch das Vorderrad zum Zentrieren zu bringen. Nach der Siesta warf ich einen Blick ins Museum zur Regionalgeschichte. Auf Besucher, die nicht zuvor in Lima die Museen gesehen haben, mögen die Inka- und Präinkafundstücke durchaus Eindruck machen. Ich sah mir besonders eine gut gemachte Grabrekonstruktion mit Originalmumien an. Bevor ich das zentrierte Vorderrad abholte, warf ich einen Blick in die San Blas- Kirche. Hier sah ich eine der schönsten Kanzeln der gesamten Reise. Aber auch hier konnten mich der vergoldete Altar und die Ölschinken nicht mehr beeindrucken.

Nachdem ich das Vorderrad eingebaut hatte, konnte ich mich mal wieder über das teure Essen ärgern. Den Abend verbrachte ich über meinen Reiseberichten für den Club und der weiteren Planung im Hotelzimmer. Den nächsten Tag gedachte ich noch hier zu verbringen, dann mußte ich weiter. Ich spürte wohl die selbe Unlust, die in Humboldts Tagebuchaufzeichnungen ebenfalls durchscheint, als er auf seinem Weg entlang der Nordküste nach Lima war. Schnell weiter. Die Atmosphäre in Cusco tat ein übriges, um mir die Entscheidung leichtzumachen, den Ort zu verlassen, obwohl ich, wenn auch nicht das touristenüberflutete Machu Picchu, aber doch einige Ruinen des Heiligen Tals und des Urubambatals eigentlich hätte sehen müssen.

Ursprünglich hatte ich mit einem Kleinbus nach Pisaq fahren wollen, um mir die dortigen Ruinen anzusehen. Aber in Anbetracht der Tatsache, daß ich keinen weiteren Tag hier verbringen wollte, entschloß ich mich nach dem Frühstück, mir sofort eine Bahnfahrkarte zu kaufen.

Das amerikanischte aller Gebäude

Auf dem Rückweg ins Stadtzentrum kam ich an einem in den Reiseführern hochgelobten Kloster vorbei. Santo Domingo muß man gesehen haben. Die Inkas selbst errichteten auf den Fundamenten des Palastes von Manco Capac, dem ersten, legendären, Inca, eine Tempelanlage. Die drei wichtigsten Tempelbauten waren der Sonnentempel, der Mondtempel und der Sternentempel. Der erste war vollständig mit Gold ausgekleidet, der zweite mit Silber und der letzte enthielt Gold- und Silberüberzüge, auf denen die Sterne durch Türkise dargestellt waren.

An den Hängen des kleinen Hügels, auf dem die Anlage stand, befand sich ein von den Inkas angelegter Garten, der in Lebensgröße die wichtigsten Pflanzen und Tiere enthielt – alle aus Gold und Silber. Ich versuchte mir vorzustellen, wie das ausgesehen haben mußte, wenn man durch silberne und goldenen Bäume, Maisstauden, Kartoffelpflanzen, Lamas und Meerschweinchen ging. Denn übrig ist davon nichts mehr.

Der Bruder Pizarros vererbte dieses Stück Land an die Dominikaner, natürlich nach der Plünderung und teilweisen Zerstörung. Die Kleriker setzten, soweit es ihnen möglich war, die Zerstörung fort und errichteten ihre Kirche und das Kloster zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts auf den Resten. Zweifelsfrei sind dieses Kloster und die Kirche sehr schön, aber erst durch ein Erdbeben 1950 wurden die Reste der Inkatempel wieder freigelegt und vereinigen sich heute zu einem grandiosen Bau. Die drei vorerwähnten Tempel sind so wieder zugänglich geworden und man kann den Gegensatz der Architekturen genau beobachten. Der Garten ist heute ein Klostergarten, in dem sich Blumen und Zierpflanzen befinden. Ich hatte auf der Reise einiges gesehen, aber Santo Domingo de Cuzco wird seine herausragende Stellung in meiner Erinnerung immer behalten.

Nachdem ich das Klosterareal verlassen hatte, ging ich in das quasi dazugehörige Museum, das scheinbar in den Ausläufern des Gartens liegt, aber davon durch eine Mauer abgetrennt ist. Unter den wenigen Ausstellungsstücken beeindruckte mich ein vergessener silberner Maiskolben. Nicht wegen seiner exakt naturalistischen Darstellung, aber er gab mir eine Vorstellung von dem goldenen Garten vor der Plünderung. Das war es, was mir einen Schauer über den Rücken jagte.

Im Museum bekam ich auch anhand von Fotos, die Mitte der Dreißiger Jahre aufgenommen worden waren, einen Eindruck des alten Cuzco und lernte dabei, daß die meisten kolonialzeitlichen Gebäude Rekonstruktionen nach dem Erdbeben von 1950 waren. Die allerältesten Teile der Stadt gingen bereits bei dem Erdbeben 1650 verloren, weil damals niemand an originalgetreuen Wiedraufbau dachte. Wieder einmal sei hier auf die Architektur der Inkas verwiesen, die sich von allen Erdbeben unbeeindruckt zeigte.

Noch ein Kloster

Auf den Resten des acclahuasi, des Frauenhauses, dessen Funktion ich bereits im Zusammenhang mit den Ruinen von Pumapunga beim Nationalbankmuseum im ecuadorianischen Cuenca näher ausgeführt habe, steht das Kloster Santa Catalina. Darin fand ich eine ausgedehnte Gemäldesammlung, alte Möbel und eine große Panoramadarstellung von einer der Schlachten um Cusco.

Pizarro war zwar 1533 hier kampflos eingezogen, aber es gab später einige Aufstände, die in blutigen Schlachten niedergeschlagen wurden. Die Gemälde der Cusqueñer Schule, wie auch die der aus Quito, schienen auf den ersten Blick Ölschinken zu sein, wie sie in Europa zur selben Zeit hergestellt wurden. Die Unterschiede wurden erst beim genaueren Hinsehen offenbar. So hat Jesus bei der Abendmahlszene ein gebratenes Meerschweinchen vor sich auf dem Teller liegen und die dazu gereichten Früchte sind eindeutig südamerikanische Gewächse. Bei anderen Gemälden waren die Trachten ungewohnt südamerikanisch, wo man sonst eigentlich europäische Kleider erwartet hätte. Die Unterschiede zu den Quiteñer Bildern konnte ich allerdings nicht ausmachen.

Versöhnlicher Abschluß mit chicha

Nach Mittagessen und Siesta kopierte ich beim SAEC Reiseberichte, gab die Kopien meiner Berichte ab und informierte mich über die nächsten Etappen. Ich traf dabei einen SAEC-Mitarbeiter aus Quito wieder, der hier den Standard auf das Niveau von Quito heben sollte. Wir erinnerten uns aneinander und er bat mich, weitere Berichte über Etappen abzugeben, die ich noch nicht beschrieben hatte. Anschließend meldete ich mich ein letztes Mal bei meiner Mail-Gemeinde und kündigte die nächsten Etappen an.

Ich lief zum Hotel zurück und fragte bei der Besitzerin nach, wo ich chicha trinken könne, weil ich am letzten Abend den Touristen entgehen wollte. Sie warnte mich zwar, daß es gefährlich sein könne, aber ich war oft genug nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs gewesen und hatte auch eine gute Vorstellung von der Mentalität der einfachen Menschen, so daß ich mir keine Sorgen machte.

Ich fand eine ziemlich heruntergekommene Spelunke, in der ich einen Krug chicha bestellte und anschließend auch aß. Die Menschen dort waren so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Freundlich nett und etwas neugierig; aber von einer Gefahr hier konnte ich keine Spur entdecken. Während der eher belanglosen Gespräche mit den Einheimischen, dachte ich an die chicha-Tradition, die es bereits bei den Inkas gegeben hatte. Zeremonial-chicha, die mehr als die üblichen zwei Prozent Alkohol hat, war bei ihnen über steinerne Rinnen geflossen, wo sie in Bechern aufgefangen und konsumiert wurde. Bis zum Umfallen. Im Hof des Dominikanerklosters hatte ich eine riesige Wanne gesehen, die der bärtige Universalgott Wiracocha regelmäßig geleert haben soll. Ein solches Fest war mir während meiner Reise leider nicht vergönnt, aber der Abschluß von Cusco bei den vom Tourismus unverdorbenen Gesellschaftsschichten, hat mir gut getan.

Was den Rückweg über die dunklen, engen Gassen angeht, mag es schon sein, daß die Warnung der Hotelbesitzerin gerechtfertigt war, denn Cusco ist durchaus groß genug, um stellenweise gefährlich zu sein. Ich habe jedoch nur in einen Fall von einem Touristen gehört, daß er nach Mitternacht ziemlich blau aus der Disco kam und ausgeraubt wurde. Aber in diesem Fall war der Eingenanteil des Betroffenen signifikant groß und meiner Ansicht nach gab es für ihn nichts, worüber er sich hätte beschweren müssen. Wenn man schon nachts in einer fremden Großstadt besoffen aus der Disco schwankt, bestellt man sich wenigstens ein Taxi!

Zurück im Hotel packte ich meine Sachen und bereitete die Abreise vor, bevor ich mich, nach einem echten Bier, das selbst, wenn es nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut war, unersetzlich ist, zur Ruhe begab.



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