Tagebuch
67. Cusco I
Ankunft
In Cusco hatte ich Schwierigkeiten, mich zu orientieren, weil der Busbahnhof nicht im Stadtplan verzeichnet war. Schließlich fand ich doch ein Straßenschild, das ich mit dem Stadtplan in Einklang bringen konnte.
Während ich nahe des Zentrums die Gelegenheit nutzte, mich an einem Geldautomaten zu versorgen, fiel mir ein Ausländer auf, der mich zu beobachten schien. Nachdem ich mein Geld eingesteckt hatte, sprach er mich an. Ein Franzose, der mir einen Tip zur Übernachtung gab. Weil ich bereits in Ocros von den Bullen gehörte hatte, daß hier drei Franzosen mit dem Fahrrad von Kalifornien aus vor mir unterwegs waren, vermutete ich einen der drei vor mir zu haben. Gesagt, daß er ebenfalls Radfahrer sei, hatte er jedoch nicht und das Foto, das die drei als Erinnerung in Ocros hatten hängen lassen, war zu undeutlich für eine sichere Identifikation. An eine Gefahr glaubte ich keinen Moment lang.
Seine Empfehlung war allerdings ausgebucht. So fuhr ich weiter ins Zentrum, um es bei einer deutschen Pension zu versuchen. Da die ebenfalls ausgebucht war, wollte ich den Innenhof schon verlassen, als mich eine Frau ansprach und darauf hinwies, daß es in diesem Hof noch ein zweites Hotel gäbe. Ich solle es mir wenigstens ansehen. Da die Zimmer hier allgemein eine guten Standard haben müssen, und man mir einen guten Vorsaisonpreis machte, blieb ich. Außerdem setzte die Dunkelheit gerade ein.
Endlich konnte ich eine heiße Dusche nehmen und mich um mein leibliches Wohl kümmern. Bereits der erste Eindruck, den ich von der Stadt gewonnen habe, gefiel mir nicht sehr. Sehr viele Touristen und noch mehr Einrichtungen, die ausschließlich für diese ausgelegt waren. Entsprechend teuer war das Abendessen. Natürlich war die Qualität des Essens internationaler und bereits der erste Eindruck von den Gebäuden der Altstadt war überzeugend, aber die Touristen und die daraus resultierende Mentalität der Bewohner Cuscos und der Umgebung vermiesten mir vom ersten Tag an den Spaß.
Notwendige Arbeiten
Ein Vorteil der Touristenstadt hätte eigentlich das Frühstück sein sollen, aber ich mußte eine ganze Weile suchen, um nicht in einem teuren Touristencafé zu landen. Anschließend lief ich zum South American Explorer Club. Obwohl ich weder besonders früh aufgestanden war, noch mich besonders beeilt hatte, stand ich vor verschlossenen Türen. Die Wartezeit verbrachte ich in einem kleinen Park gegenüber.
An einer Hauswand neben der gepflegten Anlage fand ich einen Stadtplan aus Kacheln, der sich zwar nicht durch besondere Genauigkeit auszeichnete, aber dafür, in verschiedenen Farben unterlegt, die Siedlungsstadien der Stadt zeigte. Die Veränderungen des Felidengrundrisses der Inkas, die die Stadt um 1200 gegründet hatten, waren während der Kolonialzeit nur gering gewesen. Kurz vor dem zweiten Weltkrieg hatte eine Entwicklung eingesetzt, die sich in den siebziger Jahren noch verstärkt hatte und aus den kolonialen Ort mit etwa dreißigtausend Einwohnern war eine fast dreihunderttausend Menschen zählende Großstadt geworden. Da gerade in den ländlichen Räumen, die ich durchquert hatte, der größte Teil der Bevölkerung Quechua spricht – ein Teil der Menschen spricht nicht mal spanisch –, sieht man auch hier die Inkas nicht als ausgestorben an. Folgerichtig ist Cusco immer noch die Inkahauptstadt und, ganz sicher, nach Lima die wichtigste Stadt Perus. Dafür sprachen auch die Regenbogenfahnen, die ich überall sah. Es ist die Fahne der Inkas.
Schließlich war es zehn Uhr und ich konnte in die Clubräume. Nach der Begrüßung und der Einführung in dieses Haus, mußte ich erneut warten, weil die Postsachbearbeiterin nicht da war, denn ich erwartete meine Ersatzteile, die ich in Huanta telefonisch erbeten hatte. Ich nutzte die Zeit, um in den umfangreichen Archiven zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt Informationen zu sammeln. Gegen halb elf schließlich hieß es, die Post für diesen Tag sei durch und das Paket war dabei. Ich müsse es jedoch selbst bei der Post abholen.
Mit dem Paketschein machte ich mich auf zur Post. Hier mußte ich mich zuerst zur richtigen Abteilung durchfragen. Als ich endlich drankam, sagte man mir, ich müsse das Paket vor einem Zöllner öffnen. Auf Nachfrage, meinte der Zöllner, daß es sich dabei um einen normalen Vorgang handele; In Deutschland müsse ich ebenfalls ein Paket aus Peru im Beisein eines Zöllners öffnen. Wenig begeistert, gewährte ich dem Zöllner Einblick in den Inhalt. Ein neuer Low Rider und meine ersten Ersatzreifen. Dazu ein paar Kleinigkeiten, die sich meine Mutter nicht hatte enthalten können, dazuzupacken. Bei den beiden Energieriegeln, ein Geschenk meines Fahrradhändlers, hatte ich Bedenken, ob es nicht, wie in Deutschland, ein Verbot für Nahrungsmitteleinfuhr gäbe. Der Zöllner aber machte es kurz und ich konnte gehen.
Ich brachte das Paket auf mein Zimmer und kaufte anschließend ein Stadtplan, ohne allerdings wirklich zufrieden zu sein, aber bevor ich, wie in Lima, Stunden damit verschwendete, etwas zu suchen, was es nicht gab, nahm ich das beste, was mir angeboten wurde. Tatsächlich habe ich keine besseren Stadtpläne gesehen, solange ich da war. Zurück im Hotel baute ich das Hinterrad aus und mit Hilfe des Stadtplans fand ich den Fahrradladen, den ein Mitgliedsbericht des SAEC empfiehlt. Ich mußte allerdings ein Taxi nehmen, weil mir der Weg mit dem Rad in der Hand zu weit war. Zurück ging ich jedoch zu Fuß.
Das Mittagessen war wieder recht teuer, aber das war in einen schweizer Restaurant auch nicht anders zu erwarten gewesen. Für deutsche Verhältnisse, muß ich allerdings gestehen, war es schon billig, aber eben immer noch mindestens doppelt so teuer, wie ein á-la-carte-Gericht in einem Restaurant auf dem Land.
Nach der Siesta und dem Abholen des gut zentrierten Hinterrads machte ich mich auf die Suche nach einen Netzanschluß. Hier war es eher die große Auswahl, die es schwierig machte. Nachdem ich gut zwei Stunden berichtet hatte, lief ich noch ein wenig durch die Stadt. Zu viele Straßenhändler, die mir irgendwas andrehen wollten, vergällten mir aber bald den Spaß. Nach dem Abendessen, diesmal Pizza, fand ich eine tienda, die akzeptable Bierpreise hatte. Hier versorgte ich mich für den Abend, den ich mit der Planung des Kulturprogramms auf dem Hotelzimmer verbrachte.
Saqsaywamán und Umgebung
Nach den Frühstück machte ich mich auf, um die gleich nordwestlich gelegenen Ruinen von Saqsaywamán zu besichtigen. Direkt hinter der Altstadt beginnt eine kleine Schlucht, an deren Rändern eine Treppe auf einen Hügel führt. Als ich oben war, sah ich bereits von Ferne den Ruinenkomplex.
Bevor ich ihn erreichte, mußte ich zuerst ein Multiticket für die Ruinen der Umgebung kaufen. Es gab hier tatsächlich Kartenkontrolleure. Noch während ich mich auf die Ruinen zu bewegte, sprach mich ein etwa elfjähriger Junge an, ob ich die anderen Ruinen, die es hier in der Gegend gab, mit einem Pferd besuchen wollte. Ich hatte es sowieso geplant und wußte, daß ich dafür mehrmals in einen der Kleinbusse einsteigen mußte, was ebenfalls kosten würde. Da ich den Preis für ein individuelles Transportmittel angemessen empfand, es waren umgerechnet, wie in Cachora, etwa dreizehn Mark, ließ ich den Jungen das Pferd holen. Er wäre allerdings ebenfalls gern geritten, aber das hätte den Preis verdoppelt, also ließ ich ihn zu Fuß gehen. Auch die Fürsprache seiner Verwandtschaft stimmte mich nicht um, und so war der Kleine beleidigt.
Zuerst bewegten wir uns nach Qenqo. Dabei handelte es ich um einen Versammlungsplatz, der aus dem Gestein, das aus dem Gras der Umgebung ragte, herausgehauen worden war. Nachdem mein kleiner Führer das Pferd an einem der Bäume angebunden hatte, kletterte ich durch das Labyrinth von Gängen und Räumen, die sich an die Amphitheater-ähnliche, zentrale Mulde anschloß. In einem der Räume fand ich einen steinernen Altar und immer wieder geschlängelte Rinnen, die eine ähnliche Funktion hatten, wie der Opferstein in Vilcashuamán, den mir Wilfredo bei meiner Exkursion von Ayacucho aus, erklärt hatte.
Nachdem ich die etwa einen Hektar große Anlage verlassen hatte, führte mich der Junge eine gute halbe Stunde lang durch die teilweise landwirtschaftlich genutzte Hügellandschaft zu einen felsigen Hügel, der einst Zeremonienplatz gewesen war. Während das Pferd unten graste, erstieg ich den Hügel, um mir verschiedene Tierdarstellungen und Symbole, die in die Felswand geritzt waren, zu betrachten. Der Junge erklärte mir, daß man noch heute an die Magie des Ortes glaubte.
Die beiden nächsten Programmpunkte zu denen ich hinritt, waren fast eine Stunde entfernt und lagen nahe beieinander. Hier sah ich auch größere Touristenströme. Puka Pukara war ein tambo, bestehend aus mehreren Gebäuden, die von einer Mauer umgeben waren. Tambos sind Rasthäuser, in denen Reisende versorgt wurden und Nahrung gelagert war. Sie standen in regelmäßigen Abständen an allen Inkastraßen von Nordecuador bis Mittelchile, auch um die Botenläufer, die für eine schnelle Kommunikation bis in die hintersten Reichsteile verantwortlich waren, zu beherbergen. Dieses tambo war offensichtlich bereits recht alt, denn die für die Inkaarchitektur typischen, glattpolierten, unregelmäßigen Quader, die genau ineinander paßten, sah ich hier nicht.
Unweit davon befand sich, hinter einer Schranke, die die Reisebusse davon abhielt, direkt davor zu parken, ein Inkabad ähnlich dem, wie ich es schon bei Vishongo gesehen hatte. Hier floß das Wasser jedoch über perfekt bearbeitete Steine und die drei Stufen vor der eigentlichen Dusche dienten einerseits zur Erwärmung des Wassers, andererseits wurde hier Trinkwasser abgeschöpft. Auch hier sah ich die unvermeidlichen Nischen der Wächter.
Auf dem Rückweg nach Saqsaywamán unterhielt ich mich ein bißchen mit meinem Führer. Er taute allerdings erst auf, nachdem ich ihm sagte, daß ich an Inti Raymi Geburtstag hatte. Das Sonnenfest, inti bedeutet Sonne, das die alten Inkas bis zu ihrer Eroberung durch die Spanier gefeiert hatten, war erst 1944 durch einige traditionsbewußte Heimatkundler wieder eingeführt worden. Dabei wird ein Spektakel aus verschiedenen wichtigen Ereignissen des Inkareichs sehr aufwendig mit einigen hundert Statisten aufgeführt. Tausende von Besuchern auf den drei übereinanderliegenden Steinmauern um den Festplatz zu machen den Tag zu einem riesigen Fest.
Als wir in Saqsaywamán ankamen, verabschiedete sich der Junge und ich ging in den ausgedehnten Ruinenkomplex hinein. Am beeindruckendsten sind sich der drei an der Flanke eines Hügels übereinanderliegenden Mauern. Die glatten, bis fünf Meter großen Steine, die so gut wie nie vier, nach meinen Beobachtungen bis zu sechzehn Ecken hatten, passen exakt ineinander und halten ohne Mörtel. Die Spanier jedenfalls bissen sich, selbst mit dem Schwarzpulver ihrer Kanonen, weitgehend die Zähne daran aus. Auch die Erdbeben, die in Cusco viele der kolonialen Bauten Spanier zerstörten, konnten diesen Mauern, die in einem Reiseführer als "Zyklopenmauern" beschrieben sind, nichts anhaben.
Die Inkabaumeister fertigten für jede ihrer Anlagen ein Modell aus Holz, Stein oder Lehm an. Danach wurden die Steine exakt bearbeitet. Eine Theorie, die die glattpolierten Oberflächen erklären könnte, besagt, daß man mit verschiedenen Säften von Dschungelpflanzen eine sehr wirksame Säure herstellen konnte, die eine derart exakte Endform möglich machte. Wegen der Glätte der teilweise sehr harten Gesteine, die verwandt wurden, erschien mir, in Anbetracht des Standes der Metallbearbeitung, den die Inkas hatten, diese Möglichkeit, als nicht völlig abwegig.
Auf gut sechshundert Metern Länge mit wenigen Portalen und Treppen auf das jeweils nächste Niveau kann man schon im ersten Moment an eine Festung denken, aber mit den Resten der verbleibenden Gebäude und den polierten Felsen in der Umgebung, die die Kinder als Rutschbahn benutzen, scheint ein kulturell-religiös genutzter Ort wahrscheinlicher. Ich wanderte über eine Stunde durch das Areal, auf dem ich die Reste von Gebäuden und eine Art Amphitheater fand, bevor ich mich auf den Rückweg zum Mittagessen machte.
Wildlife - in der Stadt
Auf den Treppen, die am Ortsrand den Hügel hinaufführen, sah ich einige traditionell gekleidete Männer und Frauen. Vor einem der eher ärmlichen Häuser stand ein Lama mit bunten, geflochtenen Schnüren an den Ohren, die zur Erkennung dienen. Dieses Kleinkamel sah mich ziemlich blöd an und ich überlegte, was ich tun würde, wenn es mich anspucken sollte. Ohne den Blick aus seinen Augen zu nehmen, entschloß ich mich gegen eine Ohrfeige, denn die Besitzer waren bestimmt nicht weit weg. Also sammelte ich Speichel im Mund, um zurückzuspucken, falls das Vieh zucken sollte. Das Lama sah mich zwar dummdreist an, schien aber meine Entschlossenheit zu spüren. In weniger als einem halben Meter Entfernung passierte ich es – und es hielt still. In Bolivien, wußte ich, gibt es berufsmäßige Lamaringer, die zum Vergnügen der Leute, aber mit hohem eigenen Risiko, mit den Tieren kämpfen.
Ich ging Essen und hielt eine Siesta, um mich anschließend auf dem Zimmer dem Fahrrad zu widmen. Vor dem Abendessen machte ich einen Spaziergang, an dem mir aber bald die Lust verging, weil mich zuviele Straßenhändler nervten.