Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

50. Lima I

Ankunft in Lima

Ich hatte noch Zeit für ein Bier am Kiosk, bevor ich ein letztes Mal bei Tio Sam aß. Anschließend bezahlte ich das Hotel und packte. Vorsichtshalber schlief ich noch zwei Stunden, bevor ich mich zur Abfahrtsstelle des Busses begab. Natürlich war er zu spät, aber der Rest klappte problemlos. Ich hatte glücklicherweise keinen Nachbarn, so daß ich die Füße ausstrecken konnte. Mit einem kurzen Gedanken des Bedauerns, daß ich nichts von Páramonga, dem Ort der Entscheidungsschlacht zwischen den Inkas und den Chimú sehen würde, weil es dunkel war, dämmerte ich einige Stunden vor mich hin.

Im Halbschlaf bemerkte ich, wie der Bus hielt. Um zwanzig nach fünf sammelte der Fahrer auf freier Strecke einige Fahrgäste auf, was zum Verlust meines zweiten Sitzes führte. Damit war die Nacht für mich zu Ende. Während es langsam hell wurde, fuhr der Bus durch die ersten, nördlichen Vororte Limas. Aber erst kurz nach sieben erreichte der Bus einen Hinterhof, der als Busdepot diente.

Ich entstieg dem Bus und sattelte das Fahrrad auf. Inzwischen waren die allermeisten Fahrgäste bereits weg, so daß ich eine Toilette sah, vor der ein etwa Zwanzigjähriger Wache hielt. Der junge Mann erlies mir den Eintritt und bewachte kurz das Fahrrad, wollte aber unbedingt dafür ein paar Reiseanekdoten hören. Nach fast einer halben Stunde, in der ich ihn auch ein wenig über die Verhältnisse in Lima ausgefragt hatte, schwang ich mich auf mein Fahrrad und machte mich auf die Suche nach dem Hotel, das laut meiner beiden Reiseführer, das einzig akzeptable zu einem vernünftigen Preis war.

Durch den, für einen Sonntag Morgen, erstaunlich dichten Verkehr fuhr ich zum Hotel, wo ich kurz nach acht eintraf. Trotz des freiwillig eingeräumten Rabatts kostete das Hotel knapp vierundzwanzig Mark. Immerhin mit Fernsehen und Warmwasser. Da ich Wert auf ein ruhiges Zimmer legte, bekam ich im oberen, hinteren Bereich des Hotels einen recht angenehmen Raum. Nachdem ich eingezogen war, erkundigte ich mich an der Rezeption nach einem Geldautomaten und einer Möglichkeit zum Frühstücken. Das erste war kein Problem, nahe und einfach mittels einer Kopie des Innenstadtplans des South American Explorer Clubs, der gerade um die Ecke war, zu erreichen. Bei der Frühstücksempfehlung tat sich der Rezeptionist allerdings schwer. Es sei das Beste, wenn ich in einen Supermarkt ginge, weil er sonst nicht für die Verträglichkeit des Essens garantieren könne. Mein Einwand, daß ich nicht gerade aus dem Flugzeug käme, sondern schon eine ganze Weile peruanisch essen würde, fruchtete nicht. Man hatte wohl bereits zu viele Beschwerden wegen der Unverträglichkeit des Essens von Neuankömmlingen erhalten.

Also lief ich zu dem in einer Hauswand offen an der stark bevölkerten Straße gelegenen Geldautomaten und versorgte mich mit Bargeld. Besonders wohl war mir dabei nicht, mit den Bettlern und zwielichtigen Typen, die auf diesem Straßenabschnitt herumlungerten. Zügig ging ich daher zwei Ecken weiter zu dem angekündigten Supermarkt. Der riesige Komplex, der zufällig oder nicht Metro hieß, nannte sich hypermercado, also Hypermarkt, weil Super- offenbar nicht mehr ausreichte. Nur anhand der zahlreichen Peruaner und weniger lokaler Spezialitäten war erkennbar, daß ich mich in Peru und nicht in Nordamerika oder Europa befand, zumal einige Artikel nicht in der Landeswährung Soles, sondern in Dollar ausgezeichnet waren. Ich kaufte Brötchen, Wurst, Bier und als Vorrat zwei hervorragende Flaschen chilenischen Wein. Da sich im Hotel eine allgemein zugängliche Küche mit Kühlschrank befand, nutzte ich die Gelegenheit, für den nächsten Tag Milch für ein schnelles Frühstück zu kaufen. In der Küche, so gewann ich im Lauf der Zeit den Eindruck, kochten die Gäste nur, nachdem sie sich irgendwo den Magen verdorben hatten, bis sie wieder mutig genug waren, essen zu gehen, denn die Preise im Hypermarkt unterschieden sich zu wenig von denen, die man in einem Mittelklasserestaurant zahlen muß, nur, daß man noch zusätzlich die Arbeit hat. Ich lief zum Hotel zurück, frühstückte, und verzog mich anschließend auf mein Zimmer, um die Reiseführer zu studieren und Siesta zu halten.

Altstadt im Fasching

Am frühen Nachmittag erkundete ich die Altstadt. Mein erster Eindruck vom historischen Zentrum, ohne viel über die kolonialzeitlichen Gebäude zu wissen, war recht positiv. Eines wußte ich allerdings: das verheerende Erdbeben von 1746 hatte fast alle Gebäude zerstört, so daß die, die ich nun sah, späteren Datums sein mußten. Die Bauten der Inkas, von denen es hier keine gibt, weil Francisco Pizarro die Stadt als Ciudad de los Reyes, also die Stadt der (heiligen drei) Könige, im Januar 1535 gründete, waren offenbar erheblich erdbebensicherer, als die Konstruktionen der Eroberer. Durch die Fußgängerzone, die wohl weltweit gleich sind, gelangte ich zur großzügig angelegten Plaza de Armas.

Da der mir von dem Franzosen in Huancayo beschriebene Laden, in dem ich Tabak zu finden hoffte, nur zwei Blocks entfernt war, machte ich mich auf die Suche. Und tatsächlich, beim Franziskanerkloster entdeckte ich eine Kneipe, die im Schaufenster endlos Zigarettenschachteln ausgestellt hatte. Ich setzte mich an einen Tisch, bestellte einen Wein, der zwar auch nicht gerade billig war, aber mir im Vergleich zu dem unverschämten Bierpreis, preiswerter vorkam. Da ich den verschlossenen Schrank mit holländischem Tabak entdeckte, gleich noch ein Päckchen Tabak dazu, das ich sofort zum Einsatz brachte. Seit Ende September, als mir in Santa Marta der Tabak, den ich mitgebracht hatte, ausgegengen war, konnte ich zum ersten Mal eine Zigarette drehen.

Während ich meinem Wein und die Zigarette genoß, sah ich, wie ein vor dem Fenster stehender Polizist von einer Wasserbombe getroffen wurde. Er hat gelacht. Es scheint sich hierbei um einen allgemein akzeptierten Faschingsbrauch zu handeln. Trotzdem hatte ich wenig Lust, sein Schicksal und das einiger Touristen, die vorbeiliefen und ebenfalls getroffen wurden, zu teilen.

Aber, als ich in der entgegengesetzten Richtung zu einen Internetplatz lief, kam ein junges Mädchen von hinten gerannt und schüttete mir einen Eimer Wasser auf den Rücken, bevor ich sie bemerkte. So saß ich durchnäßt vor einem Computer und schrieb meinen Bericht. Als ich fast zwei Stunden später in die Kneipe zurückkehrte, war ich schon fast wieder trocken. Das Abendessen, das man mir hier vorsetzte, war nicht nur eine Designerportion, es war noch nicht mal besonders gut. Aber teuer. Ich brauchte fast eine Stunde zurück zum Hotel, wo ich mich auf dem Zimmer mit einer Flasche des chilenischen Merlots aus dem Hypermarkt über den Plan für den nächsten Tag machte.

Arbeit im Club

Als ich, erst gegen halb neun, mir in der Bäckerei beim Hotel Frühstückskekse kaufte, mußte ich feststellen, das diese besser im Supermarkt gekauft hätte, weil mir der Preis ziemlich hoch vorkam. Anschließend unterhielt ich mit Jorge, dem Rezeptionisten, ausgiebig über meinen geplanten Altstadtrundgang. Er kannte seine Stadt recht gut und konnte mir einige Empfehlungen für mein Besuchsprogramm geben. Da es inzwischen spät genug war, um zu den South American Explorer um die Ecke zu gehen, machte ich mich auf den Weg.

Da ich meinen Ausweis in Quito im Club hatte liegen lassen, stellte mir Max, ein braungebrannter Kölner Anfang Zwanzig, einen neuen aus und führte mich durch die Clubräume. Danach sah ich mir die Berichte der Radfahrer für die weitere Strecke durch und kopierte im Copy-Shop gegenüber, was ich für meine Weiterfahrt brauchte. Außerdem hatte ich mir einige Berichte über Lima, in denen einige Clubmitglieder ihre Erfahrungen in Lima aufgeschrieben hatten, vervielfältigt.

Zurück im Club, ließ ich mir von Max das Angebot an Stadtplänen zeigen, das sie vorrätig hatten. Der, den er als den besten bezeichnete, überzeugte mich nicht sehr und für sechs Dollar fand ich ihn nicht gerade billig. Weiterhin ließ ich mir Karten der Provinzen zeigen, durch die mich mein Weg führen sollte. Hier war ich ebenfalls wenig erbaut. Also kehrte ich ins Hotel zurück, um mich bei Jorge nach Buchläden zu erkundigen, wo ich nach weiteren Stadtplänen fragen konnte. Er war sofort bereit mich zu begleiten.

Geführter Rundgang

Wir klapperten einige Buchläden ab, ohne jedoch einen besseren Stadtplan zu finden, als den, der Club angeboten hatte. Außerdem waren die Karten in den Buchläden alle teurer. Während wir durch die Altstadt liefen, konnte Jorge mir die Geschichte oder Geschichten über einige der Häuser erzählen. Als wir an der Plaza de Armas waren und am Regierungsgebäude vorbeikamen, zeigte er mir den nördlichen Balkon, auf dem Alan Garcia, ein Kandidat für die anstehenden Präsidentschaftswahlen, der vor einigen Jahren schon mal Präsident war, seine Reden ans Volk gerichtet hatte. Daher ging er in die Geschichte als Balkonpräsident ein.

Da es inzwischen Zeit zum Mittagessen war, habe ich Jorge wegen seiner Erklärungen eingeladen. Er bestand allerdings darauf, in einem billigen Lokal Essen zu gehen. Auf dem Rückweg, nachdem wir es aufgegeben hatten, einen besseren und preiswerteren Stadtplan zu finden, ging er in ein Einkaufszentrum, um sich ein Ersatzteil für seinen Computer zu besorgen. Als wir nach vier Stunden auf dem Weg zurück ins Hotel waren, sagte ich ihm scherzhaft, daß er jetzt wieder arbeiten müsse, worauf er beleidigt war. Es half auch nichts, ihn darauf hinzuweisen, daß ein Spaziergang mit mir eher ein Vergnügen sei, besser, als die Arbeit hinter dem Tresen der Rezeption allemal. Er blieb mir gegenüber den Rest meines Aufenthalts im Hotel reserviert.

Nach einer kurzen Ruhepause bin ich zum Club zurück und habe den Stadtplan dort gekauft. Dort traf ich eine weitere Deutsche, die ebenfalls hier arbeitete. Ich fand zwar, daß sie nicht schlecht aussah, hatte aber nicht vor, mich aus dem Takt bringen zu lassen. Da der Tag fast gelaufen war, beschloß ich, nur noch für die nächsten paar Frühstücke und meinen abendlichen Bierkonsum im Hypermarkt einzukaufen. Obwohl es sich nicht lohnte, habe ich mir auch ein Abendessen in der Hotelküche zubereitet. Nach dem Essen setzte ich mich an einen der Tische und begann das abendliche Ritual des Tagebuchschreibens und der Vorbereitung für den nächsten Tag mittels meiner Reiseführer und den SAEC-Informationen. Den Rest des Abends verbrachte ich vor dem Fernseher auf dem Zimmer.

Historischer Stadtkern

Bereits kurz nach acht bin ich aus dem Hotel, um das für diesen Tag geplante Besuchsprogramm zu absolvieren. Nach etwa einer halben Stunde Fußmarsch durch die acht-Millionen-Stadt, die höchstens durch ihren Lokalkolorit von anderen Großstädten unterscheidet, weil man den allergrößten Teil der Straßenhändler, die früher die ganze Gegend blockiert und wohl auch nicht immer ganz legal ihre Ware feilgeboten hatten, durch die Vergabe weniger Lizenzen aus der Innestadt verdrängt hat, erreichte ich mein erstes Ziel. Leider war die Kirche San Marcelo noch geschlossen. Während ich zum nächsten Programmpunkt schritt, sah ich ein riesiges Plakat mit einem der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl. Toledo war auf dem Gemälde als Inca dargestellt. Später erfuhr ich, daß er sich in diesem Aufzug seinen Anhängern als Pachacutec II. präsentiert hatte.

Die Kirche Jesús María bot einen überwältigenden Eindruck von churriguresker Altarbaukunst. Der riesige, vergoldete Altar, gehörte zu den schönsten, die ich auf der Reise gesehen hatte. Das Gebäude aus dem achtzehnten Jahrhundert enthielt außerdem ziemlich sehenswerte Gemälde mit religiösen Motiven. Anschließend lief ich zum Museo de los Combatientes del Morro de Arica. Auf dem Weg dahin kam ich an der großartigen Fassade von San Agustín vorbei. Das Innere überzeugte mich allerdings weniger.

Da ich der einzige Besucher an diesem Morgen im Museum der Schlacht von Arica war, bekam ich eine Exklusivführung durch die Räume, in denen Waffen, Uniformen, Fahnen, Geländemodelle, Gemälde und sogar Fotos zu sehen waren. Zu Beginn des Salpeterkrieges 1879 kamen die Chilenen aus dem Bolivien abgenommenen Küstenstreifen nach Norden marschiert und eroberten mit einer mehrfachen Übermacht die Garnison des Ortes Arica, der heute zu Chile gehört.

Der Befehlshaber der Peruaner, Oberst Bolognesi, wußte, daß er, trotz der sich auf dem Weg befindlichen Unterstützung durch Kriegschiffe, keine Chance hatte, die Schlacht zu gewinnen. Trotzdem drückte er dem chilenischen Offizier, der mit ihm über die Übergabe der Stadt verhandeln sollte, den hier legendären Spruch von der letzten cartucho, Patrone, hin, bis zu der er zu kämpfen bereit war. Es kam natürlich, wie es kommen mußte. Da Bolognesi keine neuen Verteidigungsstrategien oder eine zündende Idee zum Gegenangriff aufzuweisen hatte, wurden er und die meisten seiner Soldaten getötet, bis sich der Rest ergab. Die Verehrung Bolognesis, die ich immer wieder angetroffen habe, kann also nur aus seinem Starrsinn heraus, sich nicht der Übermacht zu ergeben, erklärt werden. Letztlich aber war sein Opfer ohne Bedeutung; die Chilenen zogen sogar in Lima ein.

Eigentlich hatte die Casa de Oquendo nicht auf meinem Plan gestanden, aber ich bereute nicht, in das gegenüber der Einmündung in die nächste Straße gelegene Kolonialhaus gegangen zu sein. Der Innhof des Hauses, in dem José de San Martín nach der Ausrufung der ersten Unabhängigkeit Perus gewohnt hatte, ist ein Kleinod. Das große Hoftor stand zwar offen, aber weil das Haus einen bewohnten Eindruck machte, bin ich nicht weiter vorgedrungen. Um die nächste Ecke herum fand ich Santo Domingo. Die Kirche stammt von 1549, das angeschlossene Kloster der Dominikaner von 1603. Trotz der baulichen Schönheit des Komplexes, blieben mir besonders die prunkvolle Einrichtung der Kirche, die Schnitzereien des Kapitelsaals und der sehr schöne Innehof des Klosters in Erinnerung. Hier war bis zur Gründung ihrer eigenen Gebäude 1671 die Universität San Marcos untergebracht.

Ein kurzer Spaziergang brachte mich zur Casa Aliaga. Das schöne Kolonialhaus, das immer noch im Besitz der Nachfahren des Unterführers von Pizarro ist, gehört zu den wenigen Häusern aus dem sechzehnten Jahrhundert, die das Erdbeben offenbar ohne allzu große Beschädigungen überstanden haben. Hinein gelangte ich allerdings nicht. San Pedro, zwei Ecken weiter gilt, weil die Kirche ebenfalls nur geringe Beschädigungen durch Erdbeben davongetragen hat, als einer der besterhaltensten Bauten Limas. 1638 im Barock-Stil mit maurischen Einflüssen von den Jesuiten erbaut, hat nicht nur eine einzigartige, nüchtern wirkende Fassade, auch ihr Inneres ist sehr sehenswert. Vergoldete Haupt- und Seitenaltäre, sehenswerte Gemälde und schöne Kacheln zeichnen sie ebenfalls aus. Die fünf-Tonnen-Glocke La Abuelita, das Großmütterchen, von 1590 erklang 1821 zur Unabhängigkeit, aber nicht, als ich gerade da war.

Ein paar Schritte die Straße herunter fand ich das Museo Banco Central de Reserva. Im Parterre des Gebäudes waren alte Münzen und Geldscheine ausgestellt, die die Entwicklung des Geldes von der Kolonialzeit bis heute dokumentierten. Nachdem ich die Schaukästen abgeschritten hatte, ging ich die Treppe hinauf in die Pinakothek. Hier waren meist zeitgenössische Werke peruanischer Künstler aufgehängt, an denen ich genauso schnell vorbeischritt, wie am Geld. Im Keller wurden Textilien und Keramiken der Vicús-Kultur, die ich in Lambayeque schon kennengelernt hatte, präsentiert. Als besonderes Exponat erkannte ich sofort die weiße Steinsäule, die nicht zu den anderen Ausstellungsstücken paßte. Der auf die Hälfte verkleinerte Nachbau der Raimondi-Stele dominierte den Raum. Das viereckige, vier Meter fünfzig hohe Original aus weißem Granit stammt vom Zentrum des Alten Tempels von Chavín de Huantar in der nördlichen Kordillere. Auf den Seitenflächen ist der sogenannte Stabgott, zum Teil in einer Mischung als Mensch- und Tierwesen dargestellt. Die Säulennachbildung beschäftigte mich länger, als die übrigen Exponate, zumal ein Informationsblatt beigelegt war. Um die Ruinen der Chavín, die in dieser Gegend zwischen 1200 und 300 v.Chr. ihr Zentrum hatte, zu sehen, hätte ich von Casma aus nach Osten die Anden hinauffahren müssen. Nicht sehr weit, aber dafür sehr hoch.

Etwas erschlagen von den Eindrücken des Vormittags, suchte ich mir ein Restaurant, wo ich mich stärkte. Nach dem Mittagessen fand ich leider San Francisco noch geschlossen, so daß ich der Kirche La Merced den Vorzug geben mußte. Hinter der überwältigenden Fassade blieb die Inneausstattung nicht zurück: Vergoldete Barockaltäre, die Intarsiendecke der Sakristei und das geschnitzte Chorgestühl fand ich ziemlich gut. Da es für San Francisco immer noch zu früh war, besuchte ich die Kathedrale. Obwohl bereits 1555 gegründet, stammt der jetzige Bau aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Die Altäre waren zur Abwechslung versilbert, die Wände hatten Mosaike und neben dem Haupteingang liegt eine Mumie, die Pizarro sein soll. Aus den Reiseführern wußte ich allerdings, daß Pizarro in der Krypta liegt, wer immer da zu sehen ist, Pizarro ist es jedenfalls nicht. Im hinteren Teil der Kathedrale gelangte ich in das zugehörige Museum für sakrale Kunst. Gemälde und Reliquien konnte ich hier bewundern, aber ich verlor bald die Lust.

Endlich war es Zeit für San Francisco. Da das Kloster nur im Rahmen einer Führung betreten werden kann, mußte ich vor dem Eingang noch etwas auf weitere Führungsgäste warten, bis die Gruppe ausreichend groß war. Zuerst wurde die Barockkirche besichtigt. Die Konstruktion hat die Erdbeben seit ihrer Erbauung um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts deswegen so gut überstanden, weil man in den tragenden Teilen Bambusstäbe eingebaut hat, die die Erdstöße abfangen konnten. Das hervorragend gearbeitete Chorgestühl und die beeindruckende Decke im maurischen Stil waren allein den Eintritt wert. Natürlich hingen auch überall Gemälde. Nach viel zu kurzer Zeit, um alles würdigen können, obwohl ich und einige andere Touristen verzögerten, wo immer möglich, ging die Gruppe ins angeschlossene Kloster, wo zuerst der wunderbare, begrünte Innenhof des UNESCO-Weltkulturerbes im Mittelpunkt stand. Darum herum sind an den Wänden Szenen aus dem Leben von Franz von Assisi auf Kacheln, die eigens aus Sevilla herangeschafft worden waren, dargestellt. Die Erläuterungen des Franziskaners, der die Führung machte, waren allerdings zeimlich spärlich.

Erst fünfzig Jahre vorher waren unter dem Kloster die Katakomben entdeckt worden, in denen zehntausende Limeños bis zur Eröffnung des Friedhofs 1808 beerdigt worden waren. Die Gebeine der Toten lagen gestapelt und sortiert in den unterirdischen Gewölben, die nicht zur Gänze besichtigt werden können. Der Eindruck, den die Führung bietet, ist jedoch ausreichend. Unter den vielen San Franciscos, die ich auf meiner Reise gesehen habe, war dieses sicher das beeindruckendste.

Alexander von Humboldt, der zwischen dem 23. Oktober und dem 24. Dezember 1802 in Lima war, empfand wohl ähnlich, denn er schrieb in sein Tagebuch: "Das Kloster San Francisco ist ein schönes Gebäude, innen mit schönen Höfen und Galerien, die an Italien erinnern." Von den außen hängenden Alabasterkreuzen, die er beschreibt, habe ich nichts mehr gesehen.

Schon ziemlich geschafft, lief ich zur Casa de Trece Monedas weiter, dessen Fassade den Rokkokostil der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts in Türen und Fenstern widerspiegelt, wie die genuesischen Erbauer ihn seinerzeit sahen. Santo Thomás, nach der nächsten Ecke sah ich ebenfalls nur von außen. Von dem runden Kreuzgang, der außer Sankt Peter in Rom der einzige sein soll, habe ich jedenfalls nichts gesehen. Also begab ich mich zum letzten Programmpunkt des Tages.

Das Museo del Tribunal de la Santa Inquisición erschien mir angesichts des Eintrittspreises und der erzwungenen Riesenführung mit über vierzig Leuten erheblich überbewertet. Als die Führung endlich losging, strebten die Massen in den bis 1820 genutzten Gerichtssaal, der ziemlich kahl aussah, wenn man von der Holztäfelung an der Wand und dem Richtertisch absah. In den weiteren Räumen in denen die Gefangenen untergebracht waren und gefoltert wurden, um Geständnisse zu erpressen, standen meist Modelle und Imitationen, die den hauptsächlich peruanischen Besuchern die Geschehnisse in diesen Haus veranschaulichen sollten. In der Folterkammer kam eine Frage zu den Methoden und, wie ich bereits wußte, war die Inquisition in Südamerika weit weniger brutal und umfassend, als in Europa. Sicher wurde gefoltert, aber der Einsatz beispielsweise glühender Zangen unterblieb und der Umfang der Folterungen und Urteile blieb weit hinter dem zurück, was sich die katholische Kirche in Europa geleistet hatte.

Nach der nicht sehr lange dauernden Führung war ich froh, wieder an die frische Luft zu kommen und mir ein Restaurant zum Abendesen suchen zu können. Auf dem Weg zurück nutzte ich vorher noch die Gelegenheit, mir San Marcelo, das ich am Morgen verschlossen gefunden hatte, von innen anzusehen. Aber nach so vielen vergoldeten Altären und spanischen Kacheln, konnte ich das Interieur nicht mehr richtig würdigen.

Als ich nach dem Abendessen im Hotel saß und meine Tagebucheintragungen weiterführte, kamen vier junge Männer, die wie sich herausstellte, aus Venezuela waren. Mit ihnen unterhielt ich mich lange und intensiv über meine Reiseerfahrungen in ihrem Land. Ähnlich, wie Mario im Hotelkomplex Guama, schilderten sie mir Venezuela in den leuchtendsten Farben und wollten mir nachträglich eine bessere Meinung von ihrer Heimat vermitteln. Einer gab mir am Ende des Gesprächs einen kleinen, dezenten Anstecker mit der Landesfahne, den ich in den nächsten Tagen auch trug. Meine eigenen Erfahrungen stellten sich aber im Lauf der Zeit, als dominanter heraus. Von ungefähr war es auch sicher nicht gekommen, daß man mich beim nächsten Honorarkonsulat, Zuhause in Deutschland noch, eindringlich vor einer Radtour in Venezuela gewarnt hatte, als ich mir die Unterlagen für ein Visum schicken lassen wollte.



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