Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

39. Von Riobamba nach Cuenca

In der südlichen Kordillere

Den Bus um halb acht habe ich gerade noch gekriegt, weil er mit geradezu unsüdamerikanischer Pünktlichkeit losgefahren ist. Ich schaffte es eben aufzuladen, als er losfahren wollte. Die letzte Kippe habe ich auf dem Trittbrett zu Ende geraucht, neben dem Fahrer. Dabei sah ich, wieso er derart pünktlich losfahren wollte. Gleich an beim ersten Halt verließen viele Fahrgäste den Bus, um einzukaufen. Da ich kein Frühstück gehabt hatte, nutzte ich die Gelegenheit ebenfalls.

Durch hügelig-welliges, aber scheinbar nicht sehr schwieriges Gelände, das meistenteils von Weiden bedeckt war, ging es durch Cajabamba und weiter nach Colta, nach etwa siebenundzwanzig Kilometern, wo die älteste Kirche Ecuadors, La Balbanera, aus dem Jahr 1534, steht. Ich konnte nur einen kurzen Blick auf den mehrfach renovierten Bau werfen, aber die Eingangsfassade sah wirklich alt aus, der Rest weniger. Das liegt daran, daß die Kirche mehrfach nach Erdbeben wieder aufgebaut werden mußte. Vorbei auch an dem kleinen See von Colta, der vor lauter Schilf kaum zu sehen war. In einer großen Anstrengung, zu der ich mich immer noch nicht fähig fühlte, hätte ich’s wohl bis Guamote geschafft, weil’s hinter Columbe bis an den Ortsrand von Guamote bergab ging.

Meist ging die Fahrt durch Landschaft, die hier von breiten Hochtälern geprägt ist, zwischen denen nicht sehr hohe Berge liegen – die dahinterliegenden, richtig hohen Schneegipfel waren aufgrund der Wolken leider nicht auszumachen; Nur einmal habe ich einen durch die Wolken sehen können. Die Straße wand sich meist an den Bergen entlang, natürlich keine Schlucht auslassend. Zeitweise war die Panamerikana vom Regen weggespült oder von Erdrutschen unpassierbar gemacht worden. An diesen Stellen waren recht abenteuerliche Alternativstrecken – ungeteert, versteht sich – improvisiert worden, die recht eng waren und ziemlich knapp am Abgrund vorbeiführten. Und das ist die beste Fernstraße des Landes! Auf dem Fahrrad hätte ich sicher wenig Schwierigkeiten mit den Straßenverhältnissen gehabt, aber in dem, seit Tagen meist nachmittags auftretenden Regen, wäre es nicht das reine Vergnügen gewesen, mich auf den ungeteerten Abschnitten fortzubewegen.

Alausi

Nach knapp zwei Stunden, in Alausi, holten mich die Wolken ein. Als der Bus kurz vorher nach Tixan kam, war von den Schwefelminen nichts zu sehen. Dafür wurde der Bus ätzend voll. Ich mußte nicht nur meinen zweiten Sitzplatz aufgeben, den ich der schmerzenden Oberschenkel, vor allem aber der minimalen Beinfreiheit wegen, dringend gebraucht hätte; die Leute standen auf dem Gang. Der Bus war relativ neu und noch gut erhalten, aber ich war sicher, daß es in einem alten Bus nicht anders gelaufen wäre, nämlich, daß der Fahrer alles mitnahm, was an der Strecke die Hand ausstreckte – egal was in den Papieren über zulässiges Gesamtgewicht und maximale Fahrgastzahl stand. Gott sei Dank sind die allermeisten Leute in Alausi, wo wir etwa zwanzig Minuten rumgestanden sind, wieder ausgestiegen.

Während der Zigarettenpause vor dem Bus, warf ich einen Blick auf die umliegenden Häuser und die Bewohner. Alausi ist ein ziemliches Nest; Ich war froh, daß ich hier nicht übernachten musste, und genau das wäre der Fall gewesen, wenn ich Rad gefahren wäre. Vielleicht hätte ich sogar einen Tag der Wäsche wegen, bleiben müssen. Die Häuser schienen nicht wirklich alt zu sein, nur verwahrlost. Und hier, auf der, warum auch immer, vierspurigen Hauptstraße mit dem begrünten Mittelstreifen drängten sich Gestalten, denen man nachts nicht begegnen wollte.

Humboldt traf am 1. Juli hier ein, nachdem er sich die Schwefelminen von Tixan begutachtet hatte. Seit seiner Zeit hat sich offenbar kaum etwas geändert, denn er bezeichnet den Ort als ärmlich. Das Klima nennt er gemäßigt, stellt aber gleichzeitig die starke Nebelneigung fest. Weil hier in der Gegend tollwütige Wölfe aufgetreten sind, berichtet er, daß die Tollwut erst um 1780 nach Amerika eingeschleppt wurde.

Auf der Panamerikana

Nach der Abfahrt waren wir voll in den Wolken, im Nebel und Nieselregen, was den Fahrer aber nicht daran gehindert hat, weiter willenlos zu überholen. Dazu muß man wissen, daß die Busse normalerweise die schnellsten Fahrzeuge auf der Landstraße sind; wahrscheinlich, weil sie Geld für Benzin einnehmen. Geruchsmäßig war ich aber nicht immer sicher, ob es wirklich Benzin war, selbst wenn ich wußte, daß die Oktanzahlen in Südamerika geringer, als in Nordamerika und Europa sind.

Erst in Biblián sollte sich das Wetter ändern; selten gab's Wolkenlücken in denen wenigstens das Tal, an dessen Flanke die Panamerikana lief, zu sehen war. Ich denke, daß der neblige Streckenabschnitt signifikant über dreitausend Meter hoch war. Entlang der Straße waren gelegentlich die anstehenden, meist steilstehenden sandigen bis kalkigen Sedimente aufgeschlossen, die ich schon kannte. Da der Nebel ziemlich dicht war und ich sowieso nichts sehen konnte, bin ich etwas eingenickt.

Ich wachte auf, weil der Bus anhielt und ein paar Marktfrauen selbstgemachtes Essen an die Reisenden verkauften. Die gekochten Maiskolben machten zwar durchaus den Eindruck, als könne man sie bedenkenlos essen, aber bei den anderen Speisen hatte ich Zweifel. Da ich sowieso keinen Hunger hatte, ließ ich die Gelegenheit aus.

Cañar

Daß Cañar die Indianerhauptstadt in Südecuador sein soll, habe ich nicht unbedingt anhand der Bevölkerung feststellen können. Kurz vorher, in Tambo, war der Abzweig nach Ingapirca, der einzige Ort und Grund, wegen dem es mir leid tat, den Bus genommen zu haben: Inkaruinen mit einem zweitägigen Radfahrweg, mit Zelten. Aber ich mußste inzwischen mit dem Geld etwas haushalten und ein Tag Busfahren ist billiger, als ein Tag mit Essen und Übernachten. Ich schätzte, ich hätte mindestens fünf Tage gebraucht, um von Riobamba nach Cuenca mit dem Fahrrad zu fahren. Bei auf dieser Basis geschätzten fünfzig Dollar sparte ich fünfundvierzig ein.

Humboldt hatte sich natürlich Ingapirca nicht entgehen lassen und berichtet ausführlich über die Ruinen. Seine Weiterreise, begleitet von einem Erdbeben, war ziemlich beschwerlich. Trotzdem kam er bereits am 3. Juli in Cuenca an und freute sich, dem Empfang am nächsten Tag, den man für ihn auszurichten gedachte, entgangen zu sein.

Kurz vor Azogues waren glimmrige, schön verstellte Schiefer zu sehen. Hier mit dem Geologenkompass rummessen, um die Raumlage der Schichten und damit die Art und Stärke der Deformation zu bestimmen, hätte mir Spaß gemacht. Auf etwa zehn bis fünfzehn Kilometer waren sie anstehend, denn in Cuenca herrschten wieder die "normalen" sandigen Sedimente vor. Zwischenzeitlich habe ich auch wollsackverwitterten Granit gesehen.

In Biblián, kurz vor Azogues ist das Wetter wieder fast gut geworden und ich bin, im Sonnenschein, gegen halb zwei endlich in Cuenca eingefahren. Im Lauf des Nachmittags hat es sich wieder zugezogen und zu regnen begonnen.



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