Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

36. Baños

Ankunft im Bäderort

Nach einer Stunde Fahrt erreichte der Bus das Terminal, das jedoch wegen der geringen Frequenz der Busse eher den Charakter eines öffentlichen Platzes hatte. Noch während ich mit dem Abladen beschäftigt war, redeten zwei Mädchen auf mich ein, die mich unbedingt von ihren Hotels überzeugen wollten. Ich hörte mir das eine Weile an, hatte aber bereits nach dem Reiseführer disponiert. Trotzdem ließ ich mir von einer der beiden die Visitenkarte aufdrängen. Ich hatte einerseits von ihrem Angebot einen guten Eindruck, andererseits wußte ich, daß die Informationen im Reiseführer schnell veralten konnten und es bestand immer die Möglichkeit, daß das Hotel, das ich mir im Reiseführer ausgesucht hatte, belegt war.

In Baños war allerdings die Auswahl an touristischen Einrichtungen, gemessen an den etwa zehntausend Einwohnern, gigantisch. Als ob ich es geahnt hätte, fand ich die von mir ausgewählte nicht dort, wo sie laut Führer hätte sein sollen. Da mir aber das Angebot von drei Dollar, bei eigenem Bad mit durchgehend Heißwasser und Kabelfernsehen prüfenswert erschein, bin ich zu der auf der Visitenkarte angegebenen Adresse, um mich davon zu überzeugen, wie es um die Versprechen der Tochter der Wirtsleute bestellt war. Die Einrichtung des Zimmers war zwar einfach und die Matratze schon etwas durchgelegen, aber da alles andere wie angekündigt war, sah ich bei dem Preis keinen Grund weiterzusuchen, zumal ich die Wahl zwischen mehreren Zimmern bekam. Die Zimmer lagen auf zwei Stockwerken um einen Innenhof verteilt und waren alle vom Hof aus zu betreten. Ich entschied mich trotz des Gepäcks für ein Zimmer in der oberen Etage und war bis zum Ende des Aufenthalts damit zufrieden.

Als ich am Nachmittag meinen ersten Spaziergang durch den Ort machte, hat mich ein großer, schwerer Mittdreißiger auf Englisch angesprochen, ob ich nicht eine gescheite Unterkunft wüßte. Da ich zufrieden war, empfahl ich ihm das Hotel, in dem ich untergekommen war. Danach verabschiedeten wir uns. Da er mir sympathisch war, hoffte ich, daß er ins Belén einziehen würde.

Ich lief anschließend durch den sehr touristisch geprägten Ort. Zuerst auf der Hauptstraße, Ambato, wo sich Kneipen und Restaurant mit Touranbietern und Souvenirläden drängten. Später, als mir der Trubel der zumeist US-amerikanischen Touristen zuviel wurde, ging ich in den Nebenstraßen. Hier erwählte ich auch ein Restaurant zum Abendessen. Schließlich fand ich eine tienda, wo ich ausnahmsweise Pfand für die Flaschen zahlen mußte. Das war sicher auf das Verhalten der übermäßig vielen Touristen zurückzuführen. Den Rest des Abends nutzte ich das Kabelfernsehen auf dem Zimmer.

François

Als ich vom Frühstück ins Hotel zurückkehrte, stand der Mann vom Vortag im Hof und war gerade dabei einzuziehen. Er wollte wissen, was ich vorhatte, und da es nichts besonderes war – ich hatte mir im Reiseführer die Wanderwege der Umgebung ansehen wollen – liefen wir gemeinsam durch den Ort und setzten uns auf eine niedrige Steinmauer, die ein Pflanzenbeet umfaßte, im Park gegenüber der Basilika. François stellte sich mir als Franco-Kanadier vor. Er ist Feuerwehrmann, zuständig für Waldbrände. Daher war er grundsätzlich im Winter arbeitslos. Anstatt sich aber dem Arbeitsamt, von dem er Leistungen bezog, zur Verfügung zu halten, machte er Urlaub in weit entfernten Ländern. Und das schon seit Jahren. Inzwischen schien ihn das schlechte Gewissen zu plagen und er gedachte, dieses den letzten Urlaub auf Arbeitsamtskosten sein zu lassen.

Nach einer guten Stunde im Park, beschlossen wir, in einem der umliegenden Restaurants einen Frühschoppen zu nehmen, der direkt ins Mittagessen einmündete. Im Durst stellte sich heraus, waren wir weniger einig. Er trank kaum. Dafür war aber unsere Unlust uns Weiber ans Bein zu binden wieder gleich. Wie oft hatte ich Südamerikaner gefragt, die von mir wissen wollten, ob ich verheiratet sei, ob sie glaubten, ich hätte Zeit und Geld, monatelang hier mit dem Fahrrad herumzufahren, wenn ich Frau und Kinder hätte. Die Reaktion war immer Gelächter. Im Urlaub jedoch schien François alles nachholen zu wollen, was er sonst glaubte, daß ihm entging. Er erzählte jedenfalls entsprechende Geschichten.

Über unser Gespräch war es Nachmittag geworden und wir machten einen kleinen Spaziergang an den Ortsrand, wo ich François vor dem Hintergrund des Tungurahua auf sein Bitten, mit seiner Kamera fotografierte. Dabei sagte ich ihm, daß ich ihn ersteigen wolle. Er sagte sofort, daß das für ihn nichts sei, auch wenn er sich berufsbedingt fit halten müsse und dies regelmäßig kontrolliert wurde.

Vor dem Abendessen trennten wir uns kurz, weil er sich um einen Kurs zur Wiederbelebung seines Spanisch kümmern wollte und ich, weil ich einen Bergführer brauchte. Wir trafen uns beim Ehemann der Hotelbesitzerin wieder, der für uns beide Rat wußte. François wurde an eine Sprachschule gegenüber des Hotels verwiesen und ich sollte am nächsten Tag einen Bergführer treffen, den der Mann für mich auswählen wolle. Nach dem Abendessen trennten wir uns endgültig für diesen Tag, um auf den Zimmern fernzusehen.

François und ich trafen uns nach dem Frühstück nur kurz, um über den Tag zu reden. Während sein Vormittag von der Spanischlektion beherrscht wurde, standen bei mir die Verhandlungen mit dem Bergführer an. Zum Mittagessen und danach verabredeten wir uns aber.

Als Milton Muños, den aber wegen seiner platten Nase alle nur Ñata nannten, was Stupsnase bedeutet, endlich kam, hatte er eine Menge Versprechen und einen guten Preis zu bieten. Anfahrt nach Pondoa, dem Eingang zum Nationalpark, mit dem Jeep, Pferde für die nächste Etappe, Übernachtung in einer Schutzhütte, Gipfelbesteigung und Rückkehr am gleichen Tag, war sein Angebot. Dafür wollte er sechzig Dollar. Der Aufbruch wurde für den nächsten Tag um acht Uhr angesetzt. Als ich ihn am späten Nachmittag erneut traf, mußte er die Pferde aus dem Programm nehmen, weil die Jeepfahrt zu teuer war. Ich war allerdings überzeugt, daß er bei einer Gruppe von drei oder vier Teilnehmern alles, was er ursprünglich versprochen hatte, auch halten konnte.

Da er mir einen integren Eindruck machte, verzichtete ich darauf, seine Bergführer-Lizenz in Augenschein zu nehmen. Im Lauf der Tour hatte ich ausreichend Gelegenheit, mich von seinen Qualitäten zu überzeugen, die sowohl aus hervorragenden Ortskenntnissen, als auch in speziell erlernten Bergführer-Techniken bestanden, die man ohne besondere Schulung kaum beherrschen kann. Außer diesen Organisationsmängeln bestand seine größte Schwäche in der Unfähigkeit zu kochen.

Da François und ich uns nach dem Essen einig waren, eine Siesta zu halten, trafen wir uns erst später am Nachmittag wieder. Wieder liefen wir gemeinsam durch den Ort, bevor wir eingekehrt sind. Da ich nicht wollte, daß man mich wegen unserer Sprache für US-Amerikaner hielt, sprachen wir zwischenzeitlich französisch, zumal auch François mir den Unterschied zwischen kanadischem und US-Englisch nicht erklären konnte.

Dabei erzählte ich ihm auch, daß die Einheimischen mich immer wieder lauernd gefragt hätten, ob ich Kanadier sei. Das erboste ihn ziemlich, denn so sagte er, wenn die Amis schon überall die Ersten sein wollten, so müssten sie auch wenn’s unangenehm sei, dazu stehen. Ich fand seine Rage durchaus nachvollziehbar. Nachdem ich sein Französisch gehört hatte, bei US-Amerikanisch und Spanisch gut in Übung war, war ich ganz froh, daß es keine deutschen Kolonien in der Neuen Welt gab. Die Leute hätten Deutsch genauso verhunzt, wie sie es mit den drei anderen Sprachen getan haben. Ausdrücklich sind hier Kolonien, wie die der Amish an der Ostküste der USA, auszunehmen, weil das dort gesprochene Deutsch sich seit der Einwanderung vor rund hundertfünfzig Jahren nicht verändert hat und deswegen ungewohnt klingt.

Da ich am nächsten Tag den Aufstieg auf den Vulkan vorgesehen hatte, verabschiedete ich mich bald nach dem Abendessen, um ausgeruht zu sein.



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