Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

35. Ambato

In der Kordillere

Frühstück gab's zur Abwechslung mal im Hotel, so daß ich recht früh auf die Panamerikana kam. Laut der Karte des Instituto Geografico Militar, hatte ich weiteres, leichtes Abfahren bis Ambato zu erwarten; die ersten schnellen etwa zwanzig Kilometer war das auch richtig: Es ging leicht bergab, so daß ich einen hervorragenden Schnitt für die erste Stunde hinlegen konnte, immerhin zweiundzwanzig Stundenkilometer, ohne mich dabei besonders zu verausgaben.

In Salcedo, an einer Ampel, hat mich ein etwa Zwanzigjähriger angesprochen. Die zwei Minuten Gespräch haben ihm gereicht, um mich als Deutschen zu identifizieren; Bravo! Eine derart schnelle Zuordnung der Volkszugehörigkeit setzte voraus, daß er bereits mit Deutschen zu tun gehabt hatte, was ich für ungewöhnlich hielt. Zumindest nach den Erfahrungen, die ich gemacht hatte.

Wenige Kilometer danach ging’s s aber unplanmäßig und kräftig bergauf bis zum Lago Yambo. Ich quälte mich durch lichten Wald und Weideland, auch an einer Rumfabrik vorbei, den Berg hoch. Hier herrschte glücklicherweise wenig Verkehr und je höher ich kam, desto schöner wurden die Ausblicke auf die Landschaft.

Hier und bei den nachfolgenden Anstiegen hatte ich Gelegenheit, an den Straßenaufschlüssen schön gebankten, hellen Sandstein mit Kalk- und Geröllhorizonten, zu beobachten, die mir den Aufstieg etwas unterhaltsamer gestalteten. Außer ein paar Klüften und wenigen Aufschiebungen, lagen die Schichten aber weitgehend ungestört.

Es gab noch einige teilweise heftige Anstiege über von Erosionsrinnen zerfurchte Hügel, bis ich den idyllischen See unter mir liegen sah. Hier waren auch ein Rasthaus und Parkplätze, damit man von der Terrasse aus den Blick auf die Landschaft genießen konnte. Ich sah hier auch Bahngleise, die aber wohl außer Betrieb waren. Die Streckenführung war jedenfalls abenteuerlich.

Auf der Hochfläche um den See verlief die Straße wellig, bis es nach Ambato endlich bergab ging. Am Ortseingang von Ambato nutzte ich an einem Kiosk die Gelegenheit, ein Bier zu trinken und nach dem Weg zu fragen. Ambato liegt auf einem Hügel, der von tiefen Schluchten umgeben ist. Daher begeisterte mich die Abfahrt wenig, sah ich doch bereits den nötigen Aufstieg vor mir. Über eine der wenigen Brücken gelangte ich über die Schlucht und begann den Aufstieg in die Ortsmitte.

Ambato

Ambato selbst ist ziemlich hügelig und der Gang zur Touristeninformation war nicht nur mühsam, sondern auch wenig erfolgreich. Ich hatte mich bereits mit der Mitarbeiterin nach einigem Verhandeln auf ein Hotel im Zentrum geeinigt, als der Chef kam und mir eine weniger gute Übernachtungsempfehlung, eines etwas außerhalb des Zentrums liegenden, Hotels gegeben hat. Einerseits hatte ich dadurch einen längeren Weg ins Zentrum, andererseits hieß es, daß es da abends nicht ganz sicher sei. Da ich mich auch endgültig entscheiden mußte, ob ich mich später schwarz ärgern wollte, weil ich entlang der Avenida de Volcanes nicht einen einzigen bestiegen hatte. Die Straße macht hier ein Dreieck über der Touristenort Baños – es gibt hier tatsächlich eine ganze Menge Bäder bzw. Thermalquellen. Von hier aus kann man den Tungurahua-Vulkan, der 5023m ü.N.N. liegt, besteigen. Bereits in Quito hatte ich der Neujahrszeitung entnommen, daß für den Vulkan gelber Alarm herrscht. Die haben auch geschrieben, daß sie wegen des läppischer hundertfünfzigtausend Dollar die Vulkanbeobachtung in Ecuador nicht mehr aufrecht erhalten können. Als ich in der Touristeninformation fragte, ob man denn den Vulkan, wegen der Alarmstufe gelb besteigen könne, hieß es, ich müsse mich in Baños mit dem Bürgermeister auseinandersetzen. Aufgrund meiner Ausbildung war ich aber optimistisch.

Auch Humboldt, der am 12. Juni 1802 hier eintraf, wollte ebenfalls nach Baños und zum Tungurahua. Er mußste jedoch feststellen, daß die Straße derzeit unpassierbar war. Daher beschloß er, sofort nach Riobamba weiterzureisen, um von dort aus den Vulkan zu besteigen, obwohl ihm der Ort scheinbar gefiel. Die Zerstörungen waren auch nicht mit denen Latacungas vorher zu vergleichen.

Bereits beim Einzug in das wirklich weit außerhalb liegende Hotel, fragte ich gleich nach dem Wäscheservice. Man versicherte mir, daß sie bis zum nächsten Morgen fertig sein würde. Zufrieden verließ ich das Hotel, um Mittagessen zu gehen. Die Empfehlung des Portiers war allerdings ein Schnellrestaurant, auf das ich keine Lust hatte. Also suchte ich weiter, bis ich in einer Kneipe was fand. Aber richtig zufrieden war ich nicht, vor allem, weil ich recht weit gelaufen war.

Nach der Mittagsruhe bin ich die zwei Kilometer ins Zentrum gelaufen und habe mir den Ort angesehen. Als ich ein Internet fand, nutzte ich sogleich die Möglichkeit, mich wieder mal zu melden. Da einige der Nachrichten besondere Antworten verlangten, kam ich erst aus dem Internetladen, als es bereits Zeit war, zum Abendessen. In einem guten, aber nicht billigen Schweizer Restaurant auf der Hauptstraße, die hier Cevallos heißt, sorgte ich für den nötigen Kaloriennachschub.

Direkt neben dem Hotel hatte ich eine tienda gesehen, die ich, zufrieden nach dem guten Essen aufsuchte, um mich mit Bier für den Abend im Hotelzimmer einzudecken. Das junge Ehepaar, das Laden führte, verwickelte mich in ein Gespräch, bei dem ich vor allem dem Mann recht vernünftige Ideen zu der wirtschaftlichen und sozialen Lage seines Landes entlocken konnte. Ich empfand es als schlimm, daß Leute, wie er das ganze Ausmaß der Katastrophe verstanden, aber nicht in der Lage waren, etwas daran zu ändern, weil die Mehrzahl der Leute bereits abgeschaltet hatte und alles über sich ergehen ließ. Daran konnten auch die Streiks, mit denen ich in den vorangegangen Tagen konfrontiert war, nichts ändern. Denn man protestierte lediglich dagegen, daß die Verarmung schneller, als gewohnt voranschritt, nicht gegen die Tatsache selbst.

Die drei Tage auf der staubigen, verkehrsreichen Panamerikana hatten mir gut getan, selbst wenn mich eine nicht allzu schwere Erkältung plagte. Voller Tatendrang studierte ich die für den nächsten Tag geplante Etappe, denn die Hundertfünfundzwanzigtausend-Einwohner-Stadt, die die Hauptstadt der Provinz Tungurahua ist, bot wenig Sehenswertes. Auch deswegen, weil sie 1949 Opfer eines verheerenden Erdbebens war.

Ein verlorener Tag

Voller Energie bin ich zum Frühstück suchen aufgebrochen. Anschließend begann aber der Leidensweg. Zuerst war der Geldautomat nicht in der Lage, die freigeschaltete Pin-Nummer für die Kreditkarte zu akzeptieren. Der Alternativplan, die durch den gestiegenen Dollar-Kurs attraktiveren Reiseschecks einzulösen, erwies sich als äußerst zeitraubend. Nicht nur, weil ich die Öffnung der Filiale abwarten mußte, sondern weil ich zum ersten und glücklicherweise einzigen Mal auf der Reise erleben mußte, daß man meiner Unterschrift mißtraute. Verärgert lief ich zum Hotel zurück, um die Belege, die ich von der Bank in Quito noch hatte, zu holen, um zu beweisen, daß man dort ebenfalls ohne Probleme ausgezahlt hatte. Es half nichts. Ich mußte weiter warten und brannte einige Zigarettenlöcher in den teuren Teppich, um den Vorgang zu beschleunigen. Auch der Wechsel der Mitarbeiter brachte nicht den gewünschten Erfolg. Immer wieder wurde ich vertröstet, wohl in der Hoffnung, ich würde aufgeben. Erst als um zwei Uhr nachmittags, nach unverschämten fünf Stunden Wartezeit der Auslandschef verfügbar war, lief alles normal ab und ich bekam mein Geld. Zum Mitschreiben: die Bank hieß Banco del Pacifico (ist aber nur Teil der US-amerikanischen Pazifikbank).

Zwischenzeitlich, nachdem ich mich versichert hatte, daß während meiner Abwesenheit nichts passieren konnte, bin ich Mittagessen gegangen. Das italienische Restaurant in der Nähe war sicher eines der besten dieser Art auf der Reise. Selbst wenn die Portionen unangemessen klein und nicht gerade billig waren, war ich von den beiden Pastagerichten, die ich genoß begeistert. Dazu fand ich Underberg auf der Karte. Interessanterweise in der Schweiz hergestellt, wohl für den internationalen Markt.

Nach der Siesta bin ich in vorher nicht gesehene Teile der Stadt gelaufen und habe dabei wohl das Universitätsviertel entdeckt, wie viele Studenten auf der Straße und den umliegenden Kneipen vermuten ließen. Da am späten Nachmittag wieder der Regen einsetzte, flüchtete ich in eine der Kneipen. Ich saß unter einen Sonnenschirm im Hinterhof und sah dem Treiben eine Weile zu, bis ich beschloß, in das gegenüberliegende Steakrestaurant zu gehen. Hier war das Ambiente zwar gediegen und die Portionen riesig, aber trotz der Empfehlung im Reiseführer fand ich die Qualität nur mäßig.

Auf dem Rückweg von der Fleischorgie ins Hotel, war’s mir noch zu früh ins Bett zu gehen und ich habe mir noch Bier beschafft. Als ich die tienda im Zentrum betrat, ist der Endsechziger, der gerade beim Fernsehen war, kräftig erschrocken. Als ich grüßte, stellte er sich zwar schwerhörig, war aber sofort bereit, mehr Umsatz zu machen: er wollte mir ein Bier mehr verkaufen, als ich bestellt hatte, was ich allerdings ablehnte. Ich habe nur etwa die Hälfte meiner wenigen Sätze mit dem Mann mit erhobener Stimme gesprochen. Hasta luego, verabschiedete ich mich, worauf dieser elende Schlawiner mit "Dankescheen" und "Auf Wiedersehen" antwortete! Zusammen mit dem italienischen Mittagessen war der Alte sicher das Highlight des Tages. Er, der schwerhörig tat, hat mehr verstanden, als ich gesagt habe.

Auf dem Dach des Busses

Auf dem Weg zum etwas versteckt liegenden terminal de transporte fand ich eine tienda zum Frühstücken. Ich hatte beschlossen, mit dem Bus nach Baños zu fahren, weil ich immer noch von der unverschämten Bank genervt war. Nachdem ich mir eine Fahrkarte gekauft hatte, ging ich auf den Hof, um das Verladen des Fahrrads zu überwachen. Dabei kam mir der Gedanke, daß ich bei dem sonnigen Wetter auf dem Dach des Busses selbst mitfahren könne, zumal ich von einem solchen Transport beim South American Explorer Club gelesen hatte. Der Fahrer war allerdings nicht sehr begeistert, wies mich darauf hin, daß es verboten sei und sagte, ich solle mich auf einen der Plätze begeben. Als der Bus aber zusehends voller wurde, bin ich noch mal zum Fahrer. Diesmal erteilte er mir die Erlaubnis auf dem Dach mitzufahren.

Leider ließ die Plastiktüte, in der sich mein Poncho befand, beim Fahrer, denn ich hätte ihn gut als Sitzunterlage auf den Metallstreben des Dachgepäckträgers brauchen können. Der Fahrtwind bei durchschnittlich sechzig bis siebzig Stundenkilometern verlangte, wie der Fahrer es gefordert hatte, daß ich mich ständig festhielt. Gefährlich waren allerdings Gegenwindböen, mit denen immer wieder zu rechnen war. Obwohl die Strecke eben bis abschüssig war, erkannte ich sofort, daß der Wind auf dem Fahrrad zum Problem geworden wäre, hätte ich selbst in die Pedale getreten. Viel Gepäck bedeutet nicht nur viel Gewicht, sondern eben auch einen erhöhten Windwiderstand.

Die Fahrt selbst war allerdings ein Erlebnis. Durch die erhöhte Sitzposition hatte ich einen hervorragenden Ausblick auf die Landschaft und die Dörfer, die der Bus durchfuhr. Da sich nur wenige Bäume in der Nahe der Straße befanden, genoss ich die Sicht auf die immer niedriger werdenden Berge. Ambato, das etwa 2700 Meter hoch liegt, ist von Bergen umgeben, die mindestens viertausendfünfhundert Meter hoch sind, Baños dagegen liegt auf 1800 Metern und die Berge darum herum sind mit Ausnahme des Fünftausend-Meter-Vulkans Tungurahua höchstens dreitausend Meter hoch. Während an der Straße anfangs Kulturland vorherrschte, waren die letzten zwanzig Kilometer vor Baños von Vulkaniten geprägt: basaltische Lava in den bekannten sechseckigen Abkühlungssäulen in rauhen Mengen. Hier sah ich über dem Anstehenden öfter Wald.



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