Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

34. Latacunga

Auf der Panamerikana

Nachdem ich mich eine Weile durch den für südamerikanische Verhältnisse sehr dichten Verkehr der Panamerikana gequält hatte, stellte ich fest, daß es Zeit würde, Mittag essen zu gehen. An der nächsten Raststätte störte man sich aber daran, daß ich grundsätzlich nicht bereit war, das Fahrrad unbewacht vor der Tür stehen zu lassen. Also, kein Umsatz für diese Kleingeister. An der nächsten Raststätte, kurz vor Aloag, die zugegebenermaßen nicht ganz das Niveau der ersten hatte, verlor niemand über das Fahrrad ein Wort. Es lehnte neben mir an der Wand, während ich aß. Auch wenn das Essen nicht schlecht war, fühlte ich mich nicht besonders gekräftigt, als ich weiterfuhr.

Wenn ich gleich auf die Panamerikana gefahren wäre, hätte ich es sicher bis Lasso geschafft. Außerdem mußte ich, wenn auch nicht steil, aber doch den Berg hoch, weil man sich wieder den notwendigen Brückenbau geschenkt hatte. Ich fuhr in einem breiten Tal, zu dessen beiden Seiten teilweise schneebedeckte, riesige Berge standen. Einige davon sind heute noch aktive Vulkane.

Kurz vor dem Mineralbrunnenort Machachi sah ich mich mit einem kräftigen Auflauf von Schülern auf der Straße konfrontiert. Man streikte gegen die schlechte Wirtschaftslage. Die Polizei sorgte dafür, daß die Panamerikana nicht vollständig blockiert war, aber der Verkehr staute sich doch auf einigen hundert Metern. Am Ortseingang waren keine Bullen und Schüler waren es auch nicht mehr, die hier streikten; Dafür brannten Reifen auf der Straße und der Stau war länger. Man hielt mich zwar wieder für einen Nordamerikaner, wie die gringo-Rufe, die mir stellenweise entgegenschlugen, bewiesen, aber obwohl die Menschen sehr wohl begriffen haben, daß die USA, respektive deren Wirtschaftspolitik einen nicht geringen Anteil an der Wirtschaftskrise hatte, kam es glücklicherweise nicht zu Übergriffen gegen mich. Gerechterweise muß man allerdings bemerken, daß die Korruption in Südamerika ebenfalls ihren Anteil an der schlechten Wirtschaftslage hat. Daher wurde einer der reichsten Männer Südamerikas, Noboa, zum Präsidenten gewählt, weil man die Hoffnung hatte, daß dieser gegen die Korruption weniger anfällig sei. Das erwies sich allerdings als Trugschluß. Die Einführung des US-Dollars als Währung ein Jahr zuvor offenbarte die Schwächen der ecuadorianischen Wirtschaft nun brutal. Der beste Satz des deutsch-österreichischen Weichlings aus Cayambe dazu war: "Jetzt lernen die endlich den Wert ihres Geldes kennen".

Machachi

Endlich in Machachi, schien es unmöglich, ein Hotel zu finden. In der aufgeheizten Stimmung hatte ich wenig Lust, einen der Bewohner auf ein brauchbares Hotel anzusprechen. So fuhr ich etwas ziellos durch die Stadt, bis sich ein Zwölfjähriger mit dem Fahrrad zu mir gesellte, den ich sofort zur Hotelsuche einspannte. Mit ihm habe ich geredet und er hat mir dieses, was das Zimmer angeht, nicht schlechte Hotel für sechs Dollar gezeigt, mit dem ich halbwegs zufrieden sein konnte. Nachdem ich mein Gepäck und das Fahrrad auf mein Zimmer gebracht hatte, bin ich zu Fuß mit ihm zur nächsten tienda um ein Bier zu trinken und ihn zu einem Yoghurt einzuladen, für seine freundliche Hilfe. In der tienda haben wir Radioberichte – live, vorort – zum Streik entlang der Panamerikana gehört. Die Lage schien zwar kritisch, zu ernsthaften Ausschreitungen kam es allerdings nicht. Zumindest so lange wir die Radioreportage verfolgten.

Daniel, der Zwölfjährige, hat mich wieder zum Hotel gebracht, wo er mich ein bisschen über Fahrrad und Ausrüstung ausgefragt hat. Er wollte auch unbedingt noch wissen, wann ich am nächsten Tag los wollte, um mich morgens noch mal vor dem Hotel zu treffen; er hat deswegen sogar noch mal angerufen. Gekommen ist er allerdings nicht. Seine Eltern, vermute ich, haben ihn wohl zurückgehalten, obwohl ich ihm gesagt hatte, daß ich Deutscher bin.

Abends mußte ich noch eine Weile im Regen nach einem Restaurant suchen, aber das Resultat war gerade mal akzeptabel. Den Rest des Abends verbrachte ich, wie meistens auf dem Land, im Hotelzimmer und habe Karten studiert, vorgeplant und ins Tagebuch geschrieben. Es beunruhigte mich, daß ich mich etwas erkältet hatte, denn ich hatte wenig Lust, in einem kleinen Ort ein paar Tage im Bett liegen zu müssen. Abgesehen davon traute ich der medizinischen Versorgung in größeren Städten mehr.

On the road again

Am Morgen, nach dem erwähnenswert guten Frühstück, in einer Bäckerei, bin ich zwar recht früh losgekommen, aber dafür habe ich mich um gut eineinhalb Kilometer verfahren. Als ich Zweifel hatte, habe ich angehalten und den Kompass benutzt. Beim Wenden wohl, ist mir ein Schlauch kaputtgegangen. Diese Umweltschweine hier schmeißen offenbar dauernd Flaschen und anderen Müll auf die Straße. In keinem anderem Land der Reise hatte ich derart viele Reifenpannen, wie in Ecuador. Über eine halbe Stunde hat mich der Schlauchwechsel am Hinterrad gekostet, weil ich es zweimal tun mußte, denn das Ventil beim ersten war kaputt und mit dem zweiten Ersatzschlauch nicht kompatibel.

Die Straße ging in der Folgezeit relativ flach über etwa achtzehn Kilometer bergan. Kurz vor der Hochebene – die letzten sieben Kilometer waren doch etwas steiler – war, im Sandstein, schön durch die hellere Färbung erkennbar, ein altes Flussbett aufgeschlossen, teilweise kreuzgeschichtet. Schöne Anschnitte entlang der Straße. Und auf dreitausendsechshundert Meter, die aber wesentlich angenehmer waren, als die gleiche Höhe hinter Oyacachi nach Weihnachten, zog sich die Straße fünf Kilometer auf der welligen Hochebene hin, bis es endlich wieder bergab ging. Wenn vorher Hochweiden die Straße säumten, so war es oben ein Pinienwald, der die Paßhöhe bedeckte. Wie schon in Südkolumbien traten hier immer wieder Eukalyptusbäume auf, deren Geruch mich ein wenig die Fahrzeugabgase vergessen ließ.

Die Vulkane und Berge, wegen denen ich eigentlich hier fuhr, waren leider im Nebel der Wolken, so daß ich mir nur unzureichend vorzustellen vermochte, was Humboldt hier gesehen hatte. Auf der Downhill-Strecke hat mich ein kräftiger Regenschauer erwischt. Die Wolken hatten es zwar über den Paß geschafft, aber dahinter regneten sie sich ab. Der schweizer Regenponcho hat sich mal wieder hervorragend bewährt. Die angekündigte Raststätte gab’s jedoch nicht. Hier habe ich den Nebenweg über Mualó verpaßt, den ich eigentlich hatte nehmen wollen, um dem Verkehr zu entgehen. Es ging flott bergab mit seltenen ebenen Abschnitten bis Latacunga, der vierzigtausend Einwohner zählenden Hauptstadt der Provinz Cotopaxi.

Latacunga

Humboldt hatte wohl keine Chance, fehlzugehen. Erstens dürfte die Straßenführung sowieso über Mulaló geführt haben und zweitens hatte er ortskundige Begleiter, wie beispielsweise Carlos Montúfar, den er immer gern als seinen Freund und Opfer der spanischen Rückeroberung während den Befreiungskriegen hinstellt. Er mußte in dem heute einige Kilometer östlich der Panamerikana gelegenen Ort sein Gepäck erwarten. Deswegen traf er erst am 11. Juni 1802 in Latacunga ein.

Er war bereits im Rahmen seiner Cotopaxi-Besteigung hier gewesen und kannte daher den Ort. Zu seiner Zeit war der Ort aus Bimsstein gebaut und zeigte, wie die ganze Gegend, noch Spuren des großen Erdbebens vom 4. Februar 1797. "Es gibt keine acht Häuser in Latacunga, wirkliche Häuser mit Dächern, und doch hat die Stadt ungefähr 3-4000 Einwohner." Und: "Alle Welt bereitet sich Behelfsquartiere, die in den Ruinen kaum zu sehen sind." Während seines Besuches gab es dort eine Pulvermühle, deren Wirtschaftlichkeit er untersuchte. Trotz des guten Gewinns für den König, schien ihm der Hauptzweck die Herstellung von Feuerwerk zu sein, das in Quito oft und ausgiebig bei Feiern eingesetzt wurde. Humboldt fand sogar noch Zeit, am gleichen Tag die Geologie der Umgebung zu studieren und Theorien zur Entstehung des Erdbebens zu entwerfen. Seine Beobachtungen sind dabei nicht weniger wertvoll, als damals, nur die Schlüsse, die er zieht, sind durch den Kenntnisstand seiner Zeit geprägt.

Als ich Latacunga erreichte, war, wie am Tag vorher, der Teufel los. Wirtschaftlich begründete Streiks gegen Präsident Noboa, aber, wie schon in Machachi, hat man mich bis auf wenige unqualifizierte gringo-Rufe in Ruhe gelassen und ich habe mich besser zurechtgefunden. Die Hotelsuche gestaltete sich etwas schwierig, weil die ersten beiden Hotels, die ich aus dem Reiseführer ausgewählt hatte, belegt waren. Erst der dritte – nicht planmäßig vorgesehene – Stop zum Erfragen eines Zimmers im Hotel war erfolgreich; Ich hätte nur gleich das warme Wasser anmahnen müssen, da es offenbar nur auf besonderen Wunsch eingeschaltet wird. Sonst aber war ich zufrieden mit der Unterkunft, abgesehen davon, daß es durch den Verkehrslärm zu laut war. In den engen Gassen der Altstadt hätte ich aber auch nicht derart starken Verkehr vermutet, wie ich ihn später erlebt habe. Die Freundlichkeit der Wirtin war allerdings erfrischend. Sie zeigte mir, weil ich sagte, daß ich nicht bleiben könne, ein Fotoalbum mit Bildern des Vulkans Cotopaxi und seiner Umgebung. Bei gutem Wetter. Anschließend gab sie mir noch einen Tipp für das verspätete Mittagessen.

Nach dem späten Ausruhen bin ich noch ein wenig in der wieder beruhigten Stadt herumgelaufen. Sie schien mir einen Tag wert zu sein, auch weil man hier in der Hauptsache Cotopaxi-Bergsteiger erwartete. Daher war die Infrastruktur der Vierzigtausend-Einwohner-Stadt recht brauchbar und ich kam in den seltenen Genuss, eine echte Bierkneipe finden. Hier habe ich einen schwach gezapften Krug Bier getrunken. Nachdem ich dem Wirt nachdrücklich gesagt hatte, er solle den Kohlensäuredruck erhöhen und er’s dann auch gemacht hat, habe ich einen gut eineinhalb Liter fassenden Krug ausgetrunken. Gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, daß das Bier schal wurde. Zum Abschied konnte ich mir nicht verkneifen, dem Wirt noch hinzudrücken, daß Bierzapfen nur was für Deutsche sei. Im Hotel Rodelú, nicht weit weg, leistete ich mir ein Cordon Bleu für drei Dollar. Ich war in jeder Beziehung zufrieden. Allerdings war das Restaurant des Hotels natürlich nur ein Ort für Touristen. Einheimische haben in der Regel keine drei Dollar fürs Essen. Wie bereits am Vortag, mußte ich durch den Regen laufen, der aber an diesem Tag länger anhaltend war.



zurück zum Inhaltsverzeichnis