Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

31. Oyacachi

Am Äquator

Um kurz vor neun, an meinem hundertvierundzwanzigsten Reisetag, überquerte ich den Äquator, nachdem’s vorher in eine der üblichen Schluchten und danach bergauf gegangen war. An der Panamerikana steht an dieser Stelle eine Weltkugel aus Beton, die einem klarmacht, wo man sich gerade befindet. Das Denkmal ist nichts Besonderes, aber für mich war es ein erhebender Moment, mit dem Fahrrad über dem Äquator zu fahren.

Es war geplant, nach Oyacachi zu fahren. In diesem Indianerdorf im Nationalpark Coca-Cayambe waren im Reiseführer heiße Quellen angesagt und Ursprünglichkeit, denn der Ort hatte erst Mitte der Neunziger eine Zufahrtsstraße erhalten. Da es dort keine Übernachtungsmöglichkeit gibt, gedachte ich fernab jeglichen Rummels Weihnachten im Zelt zu überstehen.

Kurz nach dem kleinen Äquatormonument bin ich von der Panamerikana nach Südost abgebogen, um nach Cangahua zu fahren. Anfangs war der Anstieg wirklich schön einfach. Aber hinter La Esperanza wurde der Weg erheblich steiler. Was mich aber so richtig fertig gemacht hat, war der stürmische Wind des Páramo. Für die paar Kilometer habe ich über eine Stunde gebraucht und war ziemlich fertig. In Cangahua hatte ich keine Lust mehr, zumal der Weg ab hier keine Asphaltierung mehr besaß.

Cangahua

An der ersten tienda, bei der Kirche, hielt ich an, um ich zu stärken. Drei Indianer waren hier schon kräftig am bechern. Einer fragte mich im Lauf des Gesprächs, das ich mit ihnen führte, wie weit, sie hinter der Entwicklung in Deutschland zurück seien. Ich sagte ihm, daß man das so nicht sagen könne. Denn eine Fortentwicklung hätte aktive Mitarbeit an dem Fortschritt, den er meinte, nötig gemacht. Die drei jedenfalls machten keinen Finger krumm. Also konnte ich ihm auch nicht sagen, wann sie in ihrer Entwicklung aufschließen konnten. Sie erzählten mir von einem LKW, der nach Oyacachi führe und empfahlen mir ein Restaurant.

Da es hier im Indianerdorf keine Übernachtungsmöglichkeit gab, und ich auf keinen Fall weiter gegen den mörderischen Wind kämpfen wollte, blieb nur – außer Umkehren – einen der Laster oder Kleinlaster anzuhauen, ob man mich nicht, zu einem vernünftigen Preis, doch noch nach Oyacachi bringen wollte. Allerdings mußte ich, mit der Unterstützung der Wirtin des Restaurants und vor allem ihres Sohnes, kräftig rumfragen und über eine Stunde warten, bis ich im letzten Moment doch noch eine Mitfahrgelegenheit im Laster erhielt. Leider war wegen der Enge und der Zeltplane nur wenig von der Landschaft zu sehen. Alle anderen Mitfahrer waren Indianer, die untereinander Quechua redeten. Neugierig, wie sie waren, sprachen sie mich irgendwann jedoch auf Spanisch an und wir konnten uns die Fahrzeit mit einem angenehmen Gespräch verkürzen. Da die Ladefläche ziemlich ausgefüllt war und ich sowieso keinen der Sitzplätze, auf einem Kartoffelsack, in Anspruch nehmen konnte, weil ich wegen der heftigen Rüttelei das Fahrrad festhalten mußte, bekam ich erst gegen Ende der Fahrt, als einer der Indianer sich bereit erklärte, das Fahrrad zu halten, die Chance mir einen Blick auf das Hochtal das sich hinter mir absenkte zu werfen. Die Landschaft war beeindruckend. In der Spätnachmittagsonne erkannte ich am Horizont weitere Schneegipfel, die die umgebenden Berge weiter heraushoben. Hier befand ich mich im Páramo, das heißt, in der näheren Umgebung sah ich nur Gras. Die darüber liegenden schroffen Gipfel waren, soweit ich das von meinem Standort sehen konnte vegetationsfrei. Hinter der Passhöhe verlief der Feldweg wellig in der Höhe, bevor es merklich nach unten ging. Nach etwa zwei Stunden erreichte der LKW sein Ziel in Napo, was eigentlich eine Dschungelprovinz ist.

In Oyacachi

Oyacachi ist ein winziges Indianerdorf, das nur wegen der Thermalquellen an den Rest der Welt angeschlossen wurde. Die zwei oder drei Dutzend Hütten sind meist aus Holz gebaut, in den selteneren Fällen hatten sie ein gemauertes Fundament. Da sich der Tag dem Ende zuneigte, erfragte ich zuerst die Lage des Schwimmbadgeländes, auf dem man mir sagte, daß ich zelten könne. Der Platzwart war schon am gehen, als ich eintraf und mich nach einem Zeltplatz erkundigte. Überall auf dem Gelände könne ich zelten, meinte er. Dann verlangte er pro Nacht vier Dollar. Der US-amerikanisch finanzierte Ausbau der Quellen und dem umgebenden Gelände zeugte nicht von übermäßiger Freizügigkeit, fast so, als hätten sie schon vorher gewußt, daß die Thermalquellen, die wohl mit natürlicher Ursache nach Schwefel riechen, verunreinigt sind. Das jedenfalls behaupten sie jetzt.

Nachdem ich das Zelt aufgeschlagen und meine Ausrüstung verstaut hatte, bin ich zurück in den Ort gelaufen. Hier erwartete mich eine böse Überraschung: es gab’s kein Bier, weil’s für die Leute erstens unerschwinglich ist und im Nationalpark nicht verkauft werden darf. Aber Schnaps, den durften und wollten sie verkaufen. Nachdem ich dem besten Rum, den sie hatten, im Zelt verstaut hatte, bin ich in der einsetzenden Dunkelheit auf die Suche nach dem einzigen, unbeschilderten Restaurant gegangen. Zu trinken gab’s dort ebenso wenig, wie eine Speisekarte, aber die frittierte Forelle war klasse. Da ich der einzige Gast war, haben mich Maria und Patricio, die Wirtsleute nach dem Essen am dringend nötigen Kaminfeuer gut unterhalten.

Als morgens der Regen auf das Zeltdach prasselte, habe ich mich noch mal umgedreht. Später bin ich Kakao mit Brötchen im „Restaurant“ frühstücken gegangen.

Ausflüge

Als der Regen etwas nachgelassen hatte, bin ich, einer Empfehlung der Wirtsleute folgend, zwei Kilometer den Weg ins Tal gelaufen, wo ein, vor fünfundzwanzig Jahren verlassener Ortsteil mit Friedhof zu sehen war. Aber nur vom Weg aus, wegen der Zäune, die für die Weidewirtschaft der Indianer angelegt waren. Der Weg war durch den Regen ziemlich schlammig. Das war auch der Grund, warum ich nicht weiter gelaufen bin, obwohl das Hochtal, das von beiden Seiten von hohen Bergen umrahmt war durchaus ansehnlich ist, wenn hier nicht gerade Wolken sind. Zwei andere, sicher interessantere Plätze, von denen einer sogar inkaisch sein soll, in fünfzehn Kilometern, waren bei ständigem Nieselregen, der durchaus gelegentlich zu richtigem Regen wurde, leider unerreichbar.

Unter einem Dach aus Stroh (oder so was ähnlichem) habe ich auf dem Schwimmbadgelände meine Peru- und Bolivienführer wegen Quechua gewälzt. Leider vergeblich, wie sich beim Mittagessen herausgestellt hat: die Leute reden einen anderen Dialekt; nicht daß sie es nicht verstünden, aber man gebraucht andere Worte und Redewendungen. Ich habe das mit den deutschen Dialekten verglichen.

Nach der Siesta bin ich erneut aufgebrochen, um einige nahe gelegene alte Felszeichnungen zu suchen. Die entsprechende Felswand hatte man mir gezeigt, so daß ich den Weg dahin gefunden habe. Allerdings mehr schlecht, als recht, weil es einerseits keinen durchgehenden Pfad dahin gab und ich andererseits über nasse, bemooste Wiesen gehen mußte. Als ich endlich vor der Felswand stand, mußte ich feststellen, daß an ihren Fuß bis zu fünfzig Meter hoch Boden anstand und dieser von einem nahezu undurchdringlichen Nebelwald bedeckt war. Trotzdem kämpfte ich mich auf dem glitschigen Boden bis zum Beginn der Steilwand hoch. Später hat mir Patricio gesagt, daß schon lange niemand mehr bei den Zeichnungen gewesen war und ich besser meine Machete mitgenommen hätte, um mich durch den Wald am Rand der Felswand entlang, zu den Zeichnungen durchzuarbeiten.

Nach dem Abendessen habe ich mich noch eine Weile mit Patricio unterhalten. Wer nun glaubt, man hätte es mit unterentwickelten Halbwilden zu tun, der irrt gewaltig: Die Indianer haben zwar aufgrund ihrer Lage im Talkessel kein Fernsehen, sind aber stets bemüht, in ihr Wissen auf der Höhe der Zeit zu halten. So sah ich im Gastraum beispielsweise aktuelle spanische Ausgaben des National Geographic. Patricio empfahl mir, eingedenk meines Geologiestudiums, einen interessanten Artikel daraus über die Nordamerikakolonisation von Europa aus, vor mehr als fünfzehntausend Jahren. Nachdem seine, ich glaube es waren vier, Kinder im Bett waren, hat er sich zur Verbesserung der Konversation vor dem Kaminfeuer zu einem – aber nicht mehr – Schluck aus meiner Rumflasche hinreißen lassen.

Weihnachten

Wenn es am Vortag regnerisch war, so war dieser Tag, der Weihnachtsabend, völlig verregnet. Der Ort liegt auf knapp dreitausend Metern Höhe und die Vegetation beweist auch, daß sich hier in diesem Tal die Wolken sammeln und abregnen. Patricio bestätigte mir ebenfalls, daß es meistens regnete und wolkenverhangen sei. Dadurch hat die Äquatorsonne, die ich an anderer Stelle, bei gleicher Höhe, als ziemlich intensiv empfunden habe, keine Chance, das Land zu erwärmen. Die Durchschnittstemperatur, die auch in der Nacht nicht wesentlich schwankt, schätzte ich mittels meines Taschenthermometers auf unter zehn Grad. Deswegen habe ich auch die Hoffnung auf Wetterbesserung begraben.

Daher saß ich fast den ganzen Vormittag im Restaurant von Maria und Patricio. Ab Mittag sind ein paar einheimische Touristen aufgetaucht, die aber, ob des schlechten Wetters, bald wieder abgezogen sind. Sie kamen mit Geländefahrzeugen und machten keinen armen Eindruck. Einer kam in das Restaurant, in dem ich saß mit seinem kleinen Sohn und fragte grußlos und ziemlich barsch, woher ich stamme. Ich erwiderte scharf, daß ich es gewohnt sei, mit „Sie“ angesprochen zu werden. Ruhiger fügte ich hinzu, daß ich Deutscher sei. Sichtlich verdattert nahm er an dem zweiten Tisch Platz und sagte seinen Sohn, daß er wirklich geglaubt hätte, ich sei US-Amerikaner. Da er sich aber nicht bei mir entschuldigte, ignorierte ich ihn für den Rest meines Aufenthalts im Restaurant.

Nach der Siesta bin ich wieder im Restaurant mit den Indianern gesessen. Der reiche Unsympath mit seinen Vorurteilen war nicht mehr da. So konnte ich mich mit Patricio über Weihnachten und die Kirchengeschichte im Ort unterhalten. Er ließ mich auch in einer von Dorfpfarrer verfassten und vom Bischof herausgegebenen Ortsgeschichte lesen. Vor etwa hundertfünfzig Jahren war der Ort an diese Position gelegt worden, vorher befand er sich tiefer im Tal, aber wegen Erdrutschen habe man den alten Standort aufgegeben.

Patricio gab auch zu, daß die Missionierungsversuche der Priester in dieser Gemeinde nie besonders fruchtbar waren. Man hat sich offensichtlich zwingen lassen, in die Kirche, den einzigen Bau, der vollständig aus Stein ist, zu gehen, aber daß man deswegen auch glaubte, was die Pfarrer den Indianern erzählten, mag ich nach dem Gesehenen nicht glauben. Daher feierten die Zwangschristianisierten Weihnachten nicht. Mir war das ziemlich egal, da ich sowieso kein Freund christlicher Feste bin. Die sture Indifferenz der Indianer mag allerdings durchaus gläubige Europäer abstoßen. Ich habe aber gerne meine, im teuren Hotel geklauten, kalifornischen Walnüsse mit ihnen geteilt. Den Abend verbrachten wir mit Gesprächen vor dem Kamin.

Der erste und hier einzige Weihnachtsfeiertag brachte zwar wieder etwas besseres Wetter, aber dafür, das Zelt am nächsten Tag trocken einzupacken, reichte es nicht. Der Platzwart, den ich auf dem Weg zum Frühstück traf, hatte Verständnis und hat mir eine der cabañas zur Verfügung gestellt, damit ich das Zelt trocknen konnte. Um die in Stufen betonierten warmen Quellen befanden sich, verteilt auf dem Gelände, einige hölzerne strohgedeckte Hütten unterschiedlicher Größe. Ein Teil dieser Hütten diente direkt dem Badebetrieb in Form von Umkleidekabinen, Duschen und Toiletten, während zwei von ihnen Wohnfunktion hatten. Der Platzwart hatte mir die größere der beiden angewiesen, in der sich eine Bar und eine kleine Küche befand. Ich sagte ihm, daß ich nach dem Frühstück einzöge.

Streit

Während ich in Gesellschaft von Patricio frühstückte, sah ich die ersten Weihnachtsgäste eintreffen. Da wir von meinem Fahrrad gesprochen hatten, wollte er mit zum Zelt kommen und es sich ansehen. Ich ließ ihn – als einzigen auf der Reise – ein paar Proberunden im Gras drehen und begann damit, meine Sachen zu packen und den Umzug vorzubereiten. Während wir und zu der etwas oberhalb der Quellen gelegenen cabaña gingen, ich trug bereits erste Gepäckstücke und Patricio schob das Fahrrad, näherte sich eine Gruppe von etwa acht Personen unter Führung des Stellvertreters des Platzwarts, um die cabaña zu besichtigen und anschließend in Besitz zu nehmen. Obwohl ich deutlich sagte, daß ich bereits hier einzöge, bestanden sie darauf, ebenfalls hierher zu kommen, um hier ihr Mittagessen zu kochen.

Als sie die Hütte verließen, um ihr Gepäck zu holen, schloß ich die Tür und versuchte sie abzuschließen. Sie schloß aber leider nicht richtig. Als sie die Tür öffnen wollten, habe ich mich dagegen geworfen, aber die hatten bereits einen Fuß in der Tür. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die Tür zu öffnen und freizumachen. Ich stieß eine bösartig keifende junge Frau von der Schwelle, aber da sie zu diesem Zeitpunkt noch zu viert vor der Tür standen, rückte der Rest zu schnell nach, als daß ich mich ins Innere hätte zurückziehen können und die Tür zu schließen. Es kam zu einem, von wilden Beschimpfungen begleiteten Handgemenge, aber keiner unternahm den Versuch, ernsthaft zu schlagen. Kurz darauf mußten sie einsehen, daß sie nicht an mir vorbeikamen. Ich setzte mich auf die gut dreißig Zentimeter hohe Türschwelle. Verbal setzte sich die Auseinandersetzung fort. Als ihnen die Luft und die Beschimpfungen ausgingen, habe ich Patricio, der mit betretenem Gesicht der Szene beigewohnt hatte, aufgefordert, den Platzwart zu holen, um dieser unerfreulichen Geschichte ein Ende zu machen.

Als die jungen Männer der Gruppe schon den gütlichen Einigungsversuch annahmen, keifte die Frau immer noch weiter. Der harmloseste ihrer rassistischen Sprüche war der, daß sie die Ecuadorianer seien und damit Hausrecht hätten. Ich hielt dagegen, daß sie hier genauso wenig zu sagen hätten, wie ich. Schließlich kam der Platzwart, von dem ich später vermutete, daß er der Häuptling war. Er ließ sie erst mal in die Hütte, wo er ihnen erklärte, die Gemeinde hätte verboten, daß in der Hütte Feuer gemacht würde und damit sei die cabaña zum Kochen ungeeignet. Sie hätten also gar keinen Grund, hierher zu kommen. Erst ganz am Ende, als schon alle am Gehen waren, gab er zu, daß ich bereits vor ihrem Eintreffen die Hütte von ihm erhalten hätte. Die ätzende Alte, die während der ganzen Zeit Theater gemacht hatte, schimpfte sogar beim Weggehen weiter. Ein junger Mann aus der Gruppe, der allerdings erst nach dem Handgemenge eingetroffen war, streckte mir die Hand hin. Ich ergriff sie, ganz froh, daß die Sache nicht weiter eskaliert war und weil mir nichts daran lag, mit den anderen Gästen in Feindschaft zu leben. Patricio hatte mir meinen Eindruck, daß in diesem Indianerdorf alles ruhig und friedlich sei, immer wieder bestätigt, gleichzeitig aber gewarnt, daß andere Feriengäste nicht die Mentalität der Dorfbewohner hätten. Das war sicher auch ein Grund für meine Hartnäckigkeit, die cabaña exklusiv zu bewohnen.

Als die Gruppe unter dem Strohdach, unter dem ich zwei Tage vorher Quechua zu lernen versucht hatte, ihr Quartier bezogen hatte und zu kochen begann, holte ich den Rest meiner Ausrüstung und das Zelt in die Hütte. Danach verrammelte ich alle Eingänge. Es gelang mir auch das Schloß der Hintertür, vor der wir gestritten hatten, wieder zu reaktivieren und mit meinem Taschenmesser abzuschließen. Derart abgesichert, traute ich mich, während das Zelt trocknete, zum Mittagessen zu gehen. Der Platzwart, den ich traf, meinte er sei nicht in der Lage, mir dauerhaft die Hütte zu bewachen. Ich versprach sofort nach dem Essen zurückzukehren.

Nach der Siesta in der Hängematte beschäftigte ich mich mit der Wartung des Fahrrads und der Ausrüstung. Das Zelt wurde aber an diesem Tag nicht mehr trocken. Erst, als gegen fünf Uhr die letzten Gäste das Gelände verlassen hatten, bin ich ins Restaurant gegangen. Hier erfuhr ich, daß man nach dem vormittäglichen Streit einen Polizisten auf dem Gelände postiert hatte, um von vorneherein weitere Zwischenfälle auszuschließen. Auch verstand ich nicht, wieso Patricio mir an diesem Abend keine Gesellschaft leistete. Erst später ist mir klar geworden, daß im Hinterzimmer des Restaurants eine Art Gemeinderatssitzung abgehalten wurde, wahrscheinlich, um Maßnahmen zu beraten, wie sich derart unliebsame Zwischenfälle, die den Ruf des Ausflugsorts schädigen konnten, zu vermeiden.

Ausklang

Zurück in der cabaña sah ich ein letztes Mal nach der Ausrüstung, bevor ich mich den Karten und dem Reiseführer wegen der anstehenden Etappe widmete. Schließlich machte ich noch meine Tagebucheinträge. Als ich bei einer letzten Zigarette saß, klopfte es. Der Nachtwächter hatte meine Taschenlampe gesehen und wollte wissen, wieso ich mich hier aufhielte. Diese Begebenheit zeigte mir, daß offenbar zu wenig Kommunikation herrschte. Hätte der Platzwart seinen Stellvertreter rechtzeitig informiert, wäre allen diese unschöne Geschichte erspart geblieben. Dass der Nachtwächter nicht wusste, daß ich mich hier berechtigterweise aufhielt, zeigt, daß man offenbar die Natur des Problems nicht erkannt hatte.

Ich bin früh aufgestanden, um zu packen, weil ich ahnte, daß die Etappe lang werden würde. Das Zelt war über Nacht getrocknet. Ein letztes Mal bei Maria und Patricio gefrühstückt. Er hat sich für die mangelnde Aufmerksamkeit am Abend vorher entschuldigt, allerdings ohne zu verraten, wie dieser Mangel begründet war. Sein Verhalten bestärkte meine hohe Meinung über die Indianer in Südamerika.

Rückweg

Es ging auf der steinig-schlammigen Schotterstraße in den Wolken, im Nieselregen, mal weniger, aber meist mehr bergauf. In den Wolken betrug die Sichtweite zeitweise weniger, als dreißig Meter. Vorbei an Magmatiten, die von Flechten und Moosen überwuchert waren; in der Nässe sah ich auch Krüppelnadelbäume und andere exotische Pflanzen. Wegen der Kälte und der Feuchtigkeit mußte ich mich fast gewaltsam daran erinnern, daß ich nur ganz knapp südlich des Äquators war. Wenigstens herrschte hier kein Verkehr. Ein einziges Auto ist mir auf der Strecke begegnet. Nach drei Stunden war ich endlich fast luftlos auf der Passhöhe: dreitausendsechshundert Meter über dem Meer.

Bergab ging’s zwar etwas leichter, aber Straße und Wetter waren schon hart, bis ich endlich wieder in Regionen kam, in denen die – es ist immerhin die Äquator- – Sonne wenigstens die größte Kälte vertreiben konnte. Fast tausend Höhenmeter, auf knapp dreißig Kilometern. Kurz, bevor es wieder wärmer wurde, erreichte ich eine Straßensperre. Der Weg in den Nationalpark ist nicht ständig geöffnet. Der Polizist öffnete mir ziemlich überrascht, einen Reisenden, dazu auf dem Fahrrad, zu sehen, die Schranke. Vorher hatte ich schon das Fahrrad über eine Kette heben müssen, die quer über die Straße gespannt war.

Je weiter ich kam, desto wärmer wurde es und der Nieselregen hörte auch auf. Und diesmal war der Wind auch meist in meinem Rücken, sonst hätte ich es wohl kaum geschafft, nach dem herben Aufstieg. Nun war die Landschaft, die ich vorher nur ausschnittweise in vereinzelten Nebellücken wahrnehmen konnte, in ihrer ganzen wilden Schönheit zu sehen. Ich fuhr einer tiefen Schlucht entlang, die sich zu einem Hochtal weiter unten ausweitete. In diesem Hochtal lebten einige Indianer in einer Ortschaft, die größer war, als Oyacachi. Darum herum fuhr ich durch große Felder. Hier war die Straße besonders schlecht. Aber immerhin war eine Straßenbaumaschine damit beschäftigt, angefahrene Erde und Schotter neu zu planieren.

Endlich war ich wieder in Cangahua, wo ich mich erst mal stärkte. Leider war das Restaurant, in dem ich auf dem Hinweg gegessen hatte, geschlossen, aber die Alternative ein paar Häuser weiter war auch nicht schlechter. Die letzten sechs Kilometer zum Hotel erschienen mir, wegen der Asphaltierung der Straße, äußerst angenehm zu fahren.

Das Hotel, kurz vor der Einmündung auf die Panamerikana, war noch ein wenig teurer, als das Jatun Huasi bei Cayambe. Die Qualität der Zimmer fand ich sogar etwas geringer, als vor einer Woche, dafür war die Lage ruhiger und es handelte sich um einen alten Kolonialhof, auf dem für die Touristen Pferde gezüchtet wurden.

Nach dem entspannenden Wannenbad und der Siesta saß ich im überdachten Innenhof und habe mir das schöne Gebäude angesehen. Meine idyllische Betrachtung wurde durch von einem Ausflug zurückehrende US-Amerikaner gestört, die recht laut waren. Ihren Gruß, als sie an mir vorbeigingen, habe ich auf Spanisch beantwortet.

Auch das Restaurant blieb hinter dem des Jatun Huasi zurück, obwohl das Essen nicht schlecht war. Zurück im Zimmer habe ich den ebenfalls vorhandenen Kamin eingeheizt und den Abend mit ein paar Bieren vor dem Fernseher verbracht.



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