Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

19. Santa Fé de Bogotá I

In die Stadt

Auf der Autobahn fuhr ich zügig, weil eben bis leicht abschüssig, nach Bogotá. Viel Verkehr und Staub machten die Fahrt nicht gerade zu einem Vergnügen. Vor der Einfahrt in den nobleren Norden der Stadt, stärkte ich mich an einer kleinen Raststätte. Die neueren, reichen und sauberen Viertel im Norden wichen im Lauf der Fahrt Allerweltswohnsiedlungen der letzten dreißig oder vierzig Jahre, an denen nichts besonderes war. Weiter dem Zentrum zu schlossen sich etwa hundert Jahre alte republikanische Bauten an, denen zunehmend moderne Hochhäuser mit dreißig und mehr Stockwerken folgten. Am Ende meiner Fahrt, in der Candelaria, waren hauptsächlich Gebäude der Kolonialzeit anzutreffen. Weiter in Süden, ich sah sie erst viel später und wenig ausgiebig, waren die Armenviertel und Slums, die sich überall in Südamerika gleichen.

Nach über fünfzehn Kilometern durch die Riesenstadt, fand ich den anvisierten Stadtteil La Candelaria problemlos und habe hier das Hotel gesucht. Empfehlenswert war anders: erst mal war keiner da um mich zu empfangen, dann war das Bad dreckig und der Fernseher im Foyer war zu laut.

Santa Fé de Bogotá

Als Gonzalo Jiminéz de Quesada 1538 die hier lebenden Muisca-Indianer unterwarf und den hier lebenden Oberhäuptling, den Zipa Bacata, hinrichten ließ, um dessen Namen mit dem seiner Heimatstadt Santa Fé in Spanien zum heutigen Namen zu vereinigen, trafen zwei weitere entradas, Vorstöße ins Landesinnere, ein. Die eine, geführt von Sebastián de Benalcazár, einem Leutnant Pizarros, von Süden und eine weitere von Nordosten. Der in Diensten der Welser stehende Nikolaus Federmann kam mit den zerlumpten Resten seiner Männer an und mußte feststellen, daß bereits alles geplündert und in Besitz genommen war. Der Anwalt Jiminéz de Quesada überzeugte seine beiden Konkurrenten, die Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Verteilung von Land und Beute, Kaiser Karl V. in Spanien zu überlassen. Gouverneur der Provinz wurde keiner von den dreien, aber sie wurden finanziell abgefunden.

Die kolumbianische Hauptstadt, die mehr als zweitausendsechshundert Meter über dem Meer liegt und daher eine Durchschnittstemperatur von knapp 15°C hat, auch wenn es in der Tropensonne manchmal wärmer erscheint, ist äußerst vielfältig. Und überall voller Leben. Die "tote Stadt", die Alexander von Humboldt bei seinem Besuch, Anfang Juli bis Anfang September 1801, beschreibt, ist heute voller Leben. Hinzu kommt, daß in der sehr katholisch geprägten Dreißigtausend-Einwohner-Stadt seiner Zeit sicher weniger los war, als das heute in der Acht-Millionen-Metropole der Fall ist. Auch daß sie „ungeheuer schweinisch und ungebildeter, als in Caracas“ seien, mutet heutzutage ziemlich seltsam an.

Bogotá gilt als die gebildetste Stadt des Kontinents und das Spanisch, das hier gesprochen wird, soll das beste in Südamerika sein. Da zumindest ein Teil der vielen Universitäten, die es heute gibt, damals bereits existierten, verwundert mich Humboldts Bewertung. Mein Eindruck ist jedenfalls genau umgekehrt. Auch, daß er schlecht gewohnt hatte, kann man nicht behaupten. Der berühmte Botaniker José Celestino Mutis, von dem er begeistert war, stellte ihm ein ganzes Haus mit Dienstboten zur Verfügung. Überhaupt, die Wissenschaft hält er sehr hoch, in dem Ort, den er offenbar nicht allzusehr mochte.

Vielleicht war es die chicha, die er nicht mochte und der er die Schuld gibt, daß die Männer zu schlapp und die Frauen zu energisch seien. Jedenfalls: "Alles Volk riecht wegen der Chicha sehr faul aus dem Munde." Daß die Frauen in Südamerika oft das Heft in der Hand halten, habe ich auch anderswo bemerkt und inzwischen trinkt man hier erheblich weniger chicha, als mehr Schnaps oder Bier. Außerdem ist die Hygiene längst eingezogen.

Organisation

Nach dem Mittagessen und der Siesta bin ich zur Touristeninformation, die aber wegen des nachgeholten Feiertags jedoch geschlossen war. Der Taxifahrer, der mich dorthin gebracht hat, hätte mir aber sagen müssen, daß die Fahrt unnötig war. Die Suche nach einem Restaurant, später, zum Abendessen, war genauso ätzend, aus dem gleichen Grund. Hinzu kommt, daß gerade der Stadtteil La Candelaria von der Aktivität der Studenten lebt. An Feiertagen ist daher alles ziemlich tot hier. In anderen Vierteln ist das nicht unbedingt so.

Da Bogotá eine riesige Ausdehnung hat, ist es nicht ganz leicht, alles zu finden, was von Wichtigkeit ist; zumal es Stadtteile gibt, in die man als Tourist besser nicht geht. Das ist aber in jeder Großstadt genauso. Dieser erste Eindruck der Größe und der Unpersönlichkeit ließ mir bereits am ersten Tag die Lust auf die Stadt vergehen, deren Lichtermeer mich beim Flug nach Caracas so begeistert hatte.

Nach einigen sinnlosen Herumlaufen, bin ich zurück ins Hotel, um mich in den Reiseführern zu informieren, was man hier alles gesehen haben muß.

Nach der lauten Nacht im Hotel, fuhr ich erneut mit dem Taxi zur Touristeninformation. Hier wurde ich freundlich und kompetent beraten, auch, wenn Informationen zum Radfahren dort wenig bekannt waren. Immerhin erhielt ich eine Reihe vom Broschüren und Karten.

Zurück im Hotel, war das Zimmer nicht gemacht und ich beschloß, nun endgültig auszuziehen. In einem besonders empfohlenen Treffpunkt für Reisende war aber kein Platz mehr, sagte man mir ziemlich kurz angebunden über die Sprechanlage. So konnte das Platypus bei mir nicht punkten. Aber ich fand auf dem Weg ein anderes Hotel, das mir ausreichend gut erschien. Ich machte auch keinen Hehl daraus, daß ich deswegen umziehen würde, weil ich mit dem ersten Hotel nicht zufrieden war. Hotel und Einrichtung waren nicht mehr neu, aber mein Eindruck war ausreichend gut und für umgerechnet zwanzig Mark nahm ich das Zimmer. Nachdem ich meine Sachen aus dem ersten Hotel abgeholt und das Zimmer bezogen hatte, sah ich mir die Umgebung an.

Städteaufbau

Da das Straßensystem in Kolumbien immer noch den königlichen Regularien aus dem sechzehnten Jahrhundert folgt, sind die Straßen in Nord-Süd verlaufende carreras und callesin Ost-West-Richtung eingeteilt. Die exakte Orientierung an den Himmelsrichtungen ist nicht in allen Städten gegeben, aber durch die Nummerierung der Straßen war es so gut wie ausgeschlossen, sich zu verirren. Zumindest, wenn man einmal begriffen hat, von wo aus die Zählung beginnt.

In größeren Städten konnte es vorkommen, daß die Nummern der calles doppelt vergeben waren und mit einem N oder S für Nord und Süd, bezogen auf die Lage vom Zentrum aus, versehen waren. Analog galt für die carerras, daß sie mit O und E für oeste, Westen, und este, Osten, gekennzeichnet sind. Auch das Finden von Adressen ist relativ leicht, weil die genaue Adresse nicht nur die Straße, sondern auch die zughörige Querstraße mit einschließt, so daß man immer genau weiß, in welchem Block man zu suchen hat. Nur die Hausnummern sind manchmal etwas chaotisch.

Touristische Höhepunkte der Altstadt

Im Viertel La Candelaria drängen sich zu bestimmten Zeiten die Studenten auf den Straßen und der Verkehr ist ein einziger Stau in den engen Gassen, die meist Einbahnstraßen sind. Bei der Fülle der Sehenswürdigkeiten in der Altstadt, die sich über die Grenzen Candelarias hinaus erstreckt, wäre der Reiseführer sicher hilfreich gewesen. Aber mit dem in England hergestellten Buch hätte man mich zu leicht mit einem US-Amerikaner verwechseln können und das wollte ich auf keinen Fall. Also schrieb ich mir die Sehenswürdigkeiten mit der Adresse und in einer vernünftigen Reihenfolge auf und lief sie, höchstens einen kurzen Blick auf den Zettel werfend, der Reihe nach ab.

Eher zufällig stand ich so vor den Gebäude des Außenministeriums, wo am Abend des 25.09. 1828 Simón Bolívar nur mit knapper Not dem Mordanschlag entgangen war, der von Santander mitangezettelt worden war. Leider war das Kolonialbauwerk, das 1777 von den Jesuiten als erste öffentliche Bibliothek Lateinamerikas eingerichtet worden war, nicht zugänglich.

Die Stammkneipe

Da ich für den ersten Tag noch keinen richtigen Plan gemacht hatte, lief ich ohne Ziel durch die Straßen. Schließlich fand ich, nicht weit vom Hotel entfernt, eine tienda mit Tischen und Stühlen, wo ich dem Wirt und seinem Sohn akzeptable Bier- und Zigarettenpreise abtrotzen konnte. Ich machte den Laden zu meiner Stammkneipe. Das Ambiente in dem Laden mit vier Tischen gefiel mir trotz des Schmutzes auch deswegen, weil sich hier, in einem Bezirk, wo sich historische Sehenswürdigkeiten und unzählige Schulen und Hochschulen befanden, ein Teil der Kundschaft immer Studenten waren.

Allerdings habe ich in diesem Laden niemals ein Gespräch geführt. Im Gegensatz zu den tiendas auf dem Land, war ich hier keine Attraktion, die den tristen Alltag auflockern konnte. Hier fiel ich nicht einmal besonders auf unter den vielen, teilweise recht verschiedenartigen Menschen, die sich durch die Gassen und Läden drängten. Vor dem Laden stand meistens ein stämmiger blonder Mann, den ich nicht für einen Kolumbianer hielt. Er hatte einen kleinen transportablen Stand, an dem er einzelne Zigaretten und Süßigkeiten an die vielen Passanten verkaufte. Eines Tages sah ich, wie er mit einem Besen aus der tienda nach einem Platzregen die verstopften Gully reinigte. Kolumbianer, vor allem aus dem Hochland, sind sicher korrekt und sauber, eine solche Handlungsweise traute ich ihnen aber nicht zu. Ich habe nie mit dem Mann geredet, obwohl wir uns einige Male in die Augen gesehen haben.

Nach dem Abendessen blieb ich im Hotel, um mich auf den nächsten Tag vorzubereiten, damit er etwas effektiver verlief, als dieser Tag.

An der Universidad Nacional

Am Vormittag bin ich zur Uni gefahren. Taxifahrten kosteten hier umgerechnet zwischen zwei und fünf Mark, je nach Strecke. Der Wahrheit halber muß ich erwähnen, daß es ziemlich viele Unis hier gab; ich schätzte, daß es mehr als zehn waren. Also, die Nationaluni, die den besten Ruf genießt. Hier war ich zuerst bei den Geographen, um mich über Karten für den weiteren Streckenverlauf zu informieren. Ich mußte vor Weihnachten noch nach Ecuador, da ich nicht vorhatte, mein Aufenthaltsvisum zu verlängern. Die Geographen hatten ein paar nette Bilder von Karten und Satellitenbildern beziehungsweise Luftbildern ausgestellt und einige Historische Karten von ihrem ersten eigenen Geographen vor zweihundert Jahren, Agostin Codazzi, nach dem alle Kartenämter in Kolumbien benannt sind. Der Service umfaßt sogar Straßenkarten und Atlanten. Hier habe ich einen kleinen Straßenatlas erworben, der ausgewählte Strecken mit Querschnitten zur Verdeutlichung der Höhenlage zeigt, dazu enthalten die Kartenblätter touristische Informationen, inklusive der für mich so wichtigen Übernachtungsmöglichkeiten. Für siebzehn Mark nicht zu teuer; Das sechsbändige Flaggschiff – für den zehnfachen Preis – war mir entschieden zu umfangreich, obwohl mir die detaillierten Karten sicher zupaß gekommen wären.

Weil das Geologische Institut mit Museum gleich um die Ecke war, bin ich da natürlich hin. Eigentlich ist es Ingeominas, der Geologische Dienst, der in dem Gebäude untergebracht war. Wie immer, bei öffentlichen Einrichtungen mußte ich den Ausweis an der Pforte hinterlegen, um dafür einen Besucherausweis zu erhalten.

Die neueste geologische Karte war zwar nur drei Jahre alt, aber mit dem, was ich auf der Fahrt gesehen habe, stimmte sie nicht besonders gut überein. Eine Strukturkarte gab es überhaupt nicht. Das mag daran liegen, daß die neueren Erkenntnisse zur geologischen Struktur Kolumbiens einem zu schnellen Wandel unterliegen. Die Schausammlung der Minerale besteht enttäuschenderweise zur Hälfte aus bei einer Firma in den USA gekauften Mineralen, so ähnlich wie bei uns Krantz. Und einige Stücke waren auch noch falsch einsortiert. Der Bestand an einheimischen Mineralen ist allerdings nicht schlecht, wenn auch hier wieder kräftig Fehler aufgetreten sind. Im Museum des Geologischen Diensts Bleiglanz mit SPb, anstatt PbS (die chemische Formel), abgekürzt zu finden, hat mir fast die Tränen in die Augen getrieben. Ein Gutteil der Stücke hatte keine Herkunftsbezeichnung, Formeln waren fehlerhaft und eine Altersbestimmung – auch relativ – gab’s auch nur in den selteneren Fällen. Die Steiermark war nach Deutschland verlegt und einige weitere Minerale kamen aus Orten in Deutschland, die ich noch nie gehört hatte.

Bei den ausgestellten Fossilien, schien es mir etwas besser zu sein, das konnte aber auch an meinen beschränkten Paläontologiekenntnissen liegen. Natürlich muß ich den gewaltigen Tertiärkrokodilskopf und die ziemlich kompletten und aufgebauten Skelette des Mammuts und des Riesenmastodons sowie eines Kreidesauriers erwähnen – sie sind einfach nicht zu übersehen; aber bei den Kleinfossilien bleibt festzustellen, daß ich Hobbymineralien- und Fossiliensammler in Deutschland kenne, die besser präparieren, als der hauptamtliche Präparator dieser Sammlung.

Als ich rausging, sah ich ein Schild, daß ich eigentlich eine Mark zwanzig Eintritt hätte bezahlen müssen. Die Empfangsdame sagte mir allerdings, weil ich mich gut zwei Stunden im Museum aufgehalten hätte, was wohl Kompetenz meinerseits zu beweisen schien, müsse ich nicht bezahlen. Außerdem wollte sie mir noch ein Faltblatt zum Museum mitgeben. Ich habe ihr gesagt, daß die Sammlung zwar durchaus einige gute Stücke enthalte, aber ich den Tränen nahe sei – und bin gegangen.

Netz und Heavy-Abend

Nach der Siesta unternahm ich bei der Post einen weiteren Versuch, Anderson, den Bogotano, den ich Cartagena kennengelernt hatte, anzurufen. Vom Hotel aus war es nicht möglich, Handynummern anzuwählen. Auch bei der Post war es ein ziemlicher Aufwand, der allerdings nichts einbrachte. Ziemlich frustriert, auch über die Unpersönlichkeit der Großstadt, lief ich ziemlich sinnlos spazieren. Schließlich entdeckte ich zufällig ein Internetcafé. Ja, diesmal war eine Kneipe angeschlossen. Aber nachdem ich über eine Stunde am Text für meine Mail-Partner gearbeitet hatte, brach die Leitung nach draußen und alle Computer des lokalen Netzwerks zusammen. Der Student, der die Anlage überwachte, konnte mich zwar davon überzeugen, daß es nicht an den Geräten des Ladens gelegen hatte, aber den verlorenen Text konnte auch er nicht mehr zurückholen.

Der junge Mann, der das Netz betreute, schien mir auch der richtige zu sein, mir etwas zu guten Kneipen zu erzählen, aber von Schwermetall, hier pars pro toto "Metallica" genannt wird, hatte er keine Ahnung. Oder er wollte nicht. Als es dunkel war, habe ich per Zufall auf der Calle 19, einer belebten Einkaufsstraße, eine Passage gefunden, in der außer den hier üblichen, hausgemachten hamburguesas verkauft wurden, eine ganze Reihe von Musikkneipen gefunden. Mindestens zwei waren für mich: hard & heavy eben. Nachdem ich mir nach weiterem sinnlosen Rumlaufen, noch zwei Sandwichs gegönnt habe, bin ich in eine der beiden. Bei einigen guten Metalvideos habe ich mich zum ersten Mal in Bogotá richtig gut gefühlt. Über drei Stunden habe ich nichts anderes gemacht, als alte(!) und neue Metalvideos, bei angemessener Lautstärke genossen und Bier getrrunken. Erstmalig auf dieser Reise bin ich kurz nach zehn noch auf der Straße gewesen, beim Rückweg.

Organisation

Das Reisescheckeinlösen morgens verlief zwar ziemlich problemlos, dafür habe etwas Schwierigkeiten mit dem Finden der Bank gehabt. Hier ging alles so verdammt zäh vor sich, nicht nur, weil die Bank zwar nicht die Adresse, aber dafür den Namen gewechselt hat.

Nach dem langwierigen Bankgeschäft bin ich in eine Gegend mit dem Taxi gefahren, die laut Reiseführer und Gelben Seiten von Fahrradläden gespickt sein sollte. In einigen Städten Südamerikas habe ich die Konzentration bestimmter Gruppen von Geschäften in einem relativ kleinen Bereich feststellen können. Trotzdem mußte ich eine ganze Weile suchen, bis einer der Läden bereit war, mir das Hinterrad zu zentrieren. Nach zwei Speichenbrüchen war das dringend nötig, und einen Zentrierständer konnte ich nicht auch noch mitführen. Ich konnte es zwar noch vor dem Mittagessen abholen, aber den Einbau und die nötige Wartung verschob ich auf nach der Siesta. Da ich mich die ganze Zeit im Hotelzimmer aufhielt, war es mir egal, daß der Nachmittag ziemlich verregnet war.

Nach dem Abendessen habe ich mich zur Abendunterhaltung in den Norden der Stadt fahren lassen. Der Taxifahrer, mit dem ich mich gut unterhielt, duzte mich, obwohl er jünger war, als ich. Er erklärte mir, er wolle bei seinen Gästen dafür sorgen, daß sie sich wohl fühlten und nicht übervorteilt würden. Das nahm ich zum Anlaß ihm zu sagen, daß es Europäer vorzögen, mit Sie angesprochen zu werden. Da er mich ebenfalls, wie die meisten anderen Südamerikaner altersmäßig unterschätzte, schien er peinlich berührt. Darauf sagte ich ihm, daß ja nicht alle so stillos wären, wie die Engländer, die selbst ihre Königin duzten. Hier lachte er wieder mit.

Mehr Sehenswürdigkeiten

Nach der, wie meist in Bogotá, ärgerlichen Frühstückssuche, standen touristische Sehenswürdigkeiten auf dem Programm. Die Jesuitenkirche San Ignacio aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert beeindruckte durch die barocken Altäre, die maurische Decke und die Gemälde an den Wänden. Danach ging ich die gut zweihundert Meter zur Plaza Bolívar.

Der große Hauptplatz der Stadt mit einer Reiterstatue des Befreiers war immer bevölkert. Bei Sitzungen des Parlaments ist das Capitolo Nacional am Südende des Platzes, mit seinem schönen Innenhof, der von der Eingangstreppe durch den Säulengang erspäht werden kann, abgesperrt und bewacht. Im Westen steht das prächtige Rathaus, in dessen Bogengängen die von Antonio Nariño übersetzten Menschenrechte von Thomas Payne auf Steintafeln aushingen. Der Hinweis, daß Nariño sie nur übersetzt hatte, fehlte. Bestraft wurden sowieso beide, unabhängig voneinander. Die Ostfassade des Platzes bilden der Erzbischofspalast mit seinen reichverzierten, bronzebeschlagenen Toren, die nur äußerlich prächtige Kathedrale und, dazwischen, geradezu eingeklemmt, die Capilla del Sagrado vom Ende des siebzehnten Jahrhunderts. Aus dem historischen Rahmen fällt der neue Justizpalast im Norden des Platzes. Er ist deswegen neu, weil sein Vorgänger vom Militär bei einer Guerillaaktion 1985 schwer beschädigt wurde.

Gut hundert Meter südlich, hinter dem Parlamentsgebäude beginnt der Park mit dem Palacio de Nariño, dem Präsidentenpalast. Die Wachen davor, in Phantasieuniformen aus der Feder Bolívars, fand ich eher lächerlich und undiszipliniert, wenn ich deutsche oder englische Wachsoldaten zum Vergleich heranziehe. In den Park bin ich leider nicht hineingekommen, was mich weniger des Palastes, als mehr wegen des Observatorio Astrónonomico, das José Celestino Mutis zu Beginn des neuzehnten Jahrhunderts eingerichtet hat, ärgerte.

Meine Laune erfuhr keine Verbesserung, als ich für die Iglesia Santa Clara Eintritt bezahlen mußte. Das aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts stammende Nonnenkloster offenbarte in seinen düsteren Inneren zahllose Wandfresken unter einer Mudejar-Holzdecke (maurisch). Über die ausgedehnte Gemäldesammlung rechtfertigt sich wohl der Eintritt. Die um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts gebaute, gut restaurierte Kirche San Agustín enthielt, außer den geradezu ins Auge springenden vergoldeten Barockaltären mit mehr oder weniger wichtigen Heiligenfiguren, Gemälde und textile Wandbehänge. Die Kassettendecke verdiente besondere Aufmerksamkeit.

Das Archäologische Museum, im Osten gegenüber des Palacio de Nariño, war in einem verschachtelten Kolonialbau untergebracht, der Casa del Marqués de San Jorge, vom Ende des siebzehnten Jahrhunderts. In ansprechender Weise wurden Keramiken der präkolumbischen Indianer präsentiert. Die Räume waren nach den drei Themen Menschenbilder, Wildtiere und Flora sowie nach den Volksgruppen geordnet. Meistens waren die Exponate in gläsernen Kästen untergebracht, aber es gab auch riesige Tonkrüge, die ohne Verglasung ausgestellt wurden.

Hier wurde ich erstmals auf die unterschiedlichen Bemalungsarten aufmerksam: einerseits konnte ich verschiedene Naturfarben auf den Gefäßen unterscheiden, andererseits völkerspezifische Darstellungen. Landessprachliche Erklärungs- und Hinweistafeln führten zu den korrekten Einschätzungen des Stils und der Volksgruppenzuordnung. Hier legte ich, begünstigt durch die wenigen Besucher, die sich in den vielen Zimmern verloren, den Grundstein zum Verständnis der frühen Kulturen Kolumbiens. Neben den auffällig-markanten, breiten anthropomorphen Gestalten der Quimbaya, die etwa 500-1000 im mittleren Caucatal um Armenia lebten, stachen mir die Büsten der Tumaco, 600-100 v. Chr., an der südlichsten Pazifikküste ins Auge. Mit den künstlich deformierten Schädeln und der "Halskrause" erinnerten mich diese ziemlich realistischen Darstellungen an die alten Ägypter.

Nach Mittagessen und Siesta bin ich zum nahegelegenen Militärmuseum gelaufen. Gut eineinhalb Jahrhunderte Militärgeschichte waren hier auf zwei Stockwerken zu bestaunen. Üblerweise jedoch war das Militär seit den Unabhängigkeitskriegen, worüber man sich zwischen den historischen Waffen und Fahnen wenig ausläßt, größtenteils mit Kriegen gegen die eigene Bevölkerung beschäftigt, als mit Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn oder exterritorialen Einsätzen, wie beispielsweise als Hilfstruppen der USA in Korea.

Nach einer Stärkung in der "Stamm-tienda" habe ich mich auf die hier meist langwierige Suche nach dem Abendessen gemacht. Einerseits sind durch den Universitätsbetrieb die meisten Restaurants nur mittags geöffnet, andererseits beschränkt sich die Auswahl in diesem Teil der Stadt auf schlechten Billigfraß und teure Nobelrestaurants.



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