Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

17. Ostkordillere

Santana

Morgens um halb neun los. Es ging ziemlich wellig mehr bergauf, als bergab. Die nächste Etappe führte mich nach Santana, weil ich in Vado Real, im Tal, noch Kraft hatte und wieder keinen besonders guten Eindruck von dem Ort, der an einer Straßenkreuzung liegt. Santana, einige Kilometer weiter, erschien mir wesentlich gastfreundlicher. Der Weg dahin führte allerdings aus den Flusstal heraus. Auf der Karte war dies allerdings nicht zu sehen.

Im Tal war ein dunkler Tonschiefer anstehend, der auch abgebaut wurde. Er ist stark geschiefert, teilweise hatte man den Eindruck von Griffelschiefer. Vom Kalk war hier weniger zu sehen. Das ist eine klassische Abfolge, wenn der Meeresboden zuerst tiefer liegt und auf ihm feinkörnige Sedimente abgelagert werden. Hebt sich der Ozeanboden, bilden sich Riffe, die als Kalk abgelagert werden. Weiter oben sah ich in Vegetationslücken dementsprechend wieder den Kalk.

Einige Kilometer vor Santana fand ich eine Raststätte am Straßenrand, wo ich einkehrte. Das Mittagessen war nicht besonders gut, aber den Rest gaben mir der Preis und der unverschämte Bursche hinter dem Tresen. Ärgerlicherweise hatte ich nicht vorher den Preis mit ihm ausgehandelt, denn sonst wäre mir der Streit mit ihm erspart geblieben. Andererseits hatte ich eine ganze Weile vorher nur gute Erfahrungen gemacht. Daher hatte meine Aufmerksamkeit wohl etwas nachgelassen.

Das Zimmer, das ich im Ort recht schnell gefunden hatte, war einfach und die Tochter, die mir das Zimmer zeigte, mußte vor meiner Dusche das Bad reinigen. Trotzdem war ich mit der Unterkunft nicht unzufrieden, immerhin gab’s Duschkopf und Klobrille.

Da die Kette zweimal nach innen gefallen war, habe ich nach der Siesta die Einstellschraube nachgezogen. Außerdem hatte ich es satt, bei jeder Windböe den Hut festzuhalten oder umzudrehen und ihn aufzuheben. Daher durchbohrte ich die Krempe ganz innen und befestigte am Hutband eine Schnur, die ich unter dem Kinn tragen konnte. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich nie mehr Probleme mit dem Hut. Nicht, daß die Windböen ihn mir nicht doch manchmal vom Kopf rissen, aber durch die Teflonschnur konnte er nicht mehr weggeweht werden.

Zum Abendessen war ich im Restaurant gegenüber der Privatpension. Nicht, daß das Essen besser gewesen wäre, als mittags, aber der Preis war normal und damit angemessen. Nach dem Essen bei Stromausfall beschloß ich, in der tienda daneben ein Bier zu nehmen. Einige Männer saßen an einem der Plastiktische. Nach kurzer Zeit luden sie mich ein, mich zu ihnen zu gesellen.

Nach den üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin, kamen wir zu einer angeregten Unterhaltung über die Lebensverhältnisse in Santana. Schließlich wollten sie mich nötigen, ihnen eine Runde zu spendieren. Der, der am lautesten forderte, ich solle zahlen, trug je eine goldene Kette um den Hals und um das Handgelenk. Ich sagte, wieso ich für sie bezahlen sollte, wo sie doch offenbar reicher waren, als ich, denn ich trug natürlich keinen Schmuck. Außerdem dauerte die Reise noch lange und meine Mittel und meine Lust, hatte vor allem Omar zu weidlich ausgenutzt. Ich sagte ihnen, daß ich sicher ärmer sei, als sie, was wahrscheinlich sogar stimmte, denn die Männer mußten, um abends mal eben Bier trinken gehen zu können, regelmäßige Einkünfte haben, die so gering nicht sein konnten. Ich denke, sie hatte alle ihre fincas. Es gelang mir, mich gegen den ganzen Tisch zu behaupten und sie bezahlten mir ein Bier. Wir saßen zwei oder drei Stunden beisammen und hatten viel Spaß. Schließlich warf uns die Wirtin 'raus, weil einige der Männer am Tisch recht angetrunken waren.

Puente Nacional

Die Strecke, die nach dem Frühstück auf mich wartete, war eigentlich nicht sehr anspruchsvoll, aber die vergangenen Tage im Bergland hatten mich viel Kraft gekostet. Eigentlich hätte ein Ruhetag angestanden. Aber keiner der Orte, die ich gesehen hatte, schien mir dafür geeignet. In Barbosa, beim Mittagessen, mußte ich mich endgültig entscheiden, wie ich fahren wollte. Hier war die Kreuzung, die einerseits nach Tunja führte, was etwas vom direkten Weg nach Süden abwich, oder nach Zipaquirá, was nicht nur direkter war, sondern auch eine Sehenswürdigkeit aufwies, die ich mir keinesfalls entgehen lassen wollte. Außerdem war der Weg nach Tunja sicher steiler und ich hätte über fünfzig Kilometer auf einer Strecke fahren müssen, die zum größten Teil aus Anstieg bestand. Ich fuhr also den direkteren und wie ich hoffte, weniger anstrengenden Weg nach Süden.

Ich fühlte mich nach dem Mittagessen stark genug, um die elf Kilometer ins nächste Dorf, Puente Nacional anzugehen. Dort sollte es auch ein gutes Hotel geben. Ein Radfahrer, den ich beim Anstieg vor dem Ort traf, erklärte mir den Weg in das etwas außerhalb liegende Hotel. Dabei handelte es sich um ein ehemaliges Kloster, das von außen einen guten Eindruck machte. Der Bedienstete wollte mich jedoch nicht hereinlassen, weil der Besitzer gerade nicht da sei. Ich sagte, ihm zwar, daß ich das Hotel nur jetzt beziehen würde, aber er ließ mich nicht hinein. Auf dem Weg in den Ort riß mir erneut eine Speiche. Und die Unterkünfte im Ort waren nicht sehr einladend. Das angeblich beste Hotel hatte nur ein Gemeinschaftsbad und so suchte ich weiter, bis ich in einer der bekannt schlechten Pensionen landete, die ihr Bad nur durch eine nicht bis zur Decke reichende Mauer abgeteilt hatten. Aber billig war’s. Nur eben wieder kein Ort zum Ausruhen.

Beim Rundgang durch Ort nach der Siesta habe ich einen Agrartechniker getroffen. Hamlet erwies sich als durchaus gebildeter Gesprächspartner. Dabei wurde es aber zu spät, um mich um die gerissene Speiche zu kümmern. Er schleppte mich zu seinen Verwandten zum Abendessen. Wieder eine Empfehlung, die nur mäßig war und nur auf dem Verwandtschaftsverhältnis beruhte. In der tienda an der Hauptstraße haben wir noch ein Bier getrunken, bevor ich mich zum Kartenstudium zurückgezogen habe.

Chiquinquirá

Weil die Speiche gerissen war und ich zur Reparatur zu lange gebraucht hätte, um am selben Tag eine ganze Etappe zu fahren, beschloß ich, die heutige Etappe bis Chiquinquirá mit dem Bus zu bewältigen und dort etwas auszuruhen. Genauso schwierig, wie die Hotelsuche, erwies sich der Transport nach Chiquinquirá. Ich habe fast drei Stunden warten müssen, weil die regelmäßig verkehrenden Kleinbusse für das Fahrrad zu klein waren und der erste große Bus nicht auf das Einladen meines Gepäcks warten wollte. Der zweite kam erst gar nicht. Da ich aber, wie üblich die Hauptattraktion des Dorfes war, standen einige Leute um mich herum, die mir soweit möglich auch helfen wollten.

Da ich vor der tienda wartete, in der ich am Vorabend mit Hamlet gewesen war, bemühte sich auch der Besitzer um mich und mein Fortkommen. Als er die Machete am vollgepackten Fahrrad sah, zog er sie heraus und schlug damit durch die Luft, bis ich ihm sagte, daß sie kein Spielzeug sei. Aber ihm, wie den anderen, umstehenden Männern, schien sie zu gefallen. Zwischenzeitlich saßen auch zwei Schüler bei mir auf der Treppe der tienda, die mir ein Spiel beibringen wollten, um die Wartezeit zu verkürzen.

Als ein verirrtes Sammeltaxi aus Chiquinquirá vorbeikam, haben die Leute es für mich angehalten und der Fahrer wollte nur sechs Mark für die rund fünfundvierzig Kilometer lange Fahrt. Allerdings hatte die Sache einen Haken: da er keine Lizenz für Überlandfahrten hatte, mußte er an der Zahlstelle umkehren, weil hier gerade die Bullen kontrollierten und er nicht an ihnen vorbei konnte. Schließlich, als ich mich entschlossen hatte, mit dem Fahrrad die Zahlstelle allein zu passieren, sind sie endlich, nach über einer Stunde, zum Mittagessen gefahren. Der Taxifahrer hat mich hinter der Zahlstelle wieder aufgenommen und, in Chiquinquirá von einem Kollegen zum, von mir vorher bestimmten, Hotel fahren lassen. Das brachte mich nun auf den Gedanken, daß er überhaupt keinen Transportschein hatte. Aber immerhin hatte mir der Mann geholfen.

Das Hotel machte einen guten Eindruck, obwohl mir der Teppichboden aus Hygienegründen nicht besonders gefiel. Aber das Zimmer war gut eingerichtet und ich hatte Warmwasser. Für fünfzehn Mark pro Nacht konnte ich durchaus zufrieden sein. Der Ort, der auf kühlen zweieinhalbtausend Metern Höhe liegt, war mir mit knapp vierzigtausend Einwohnern groß genug, um hier einen Tag zu verbringen. Das Hotel schien mir ebenfalls gut genug, um es einen Tag hier auszuhalten. Auch Anzahl und Qualität der Restaurants, wie ich mich bereits beim Mittagessen überzeugen konnte, bestärkten mich in meiner Entscheidung.

Nach der Mittagsruhe machte ich einen Spaziergang im beginnenden Regen. Dabei habe ich unerwarteterweise ein Internet gefunden und ein paar Mails fertiggemacht. Julio, der wohl zum Laden gehört, ist anschließend mit mir zum Essen gegangen. Er hat mich in ein im Subparterre gelegenes Restaurant an der Plaza de Bolívar geführt. Das Steak war hier dick und saftig, geradezu unkolumbianisch. Allerdings war Julio ziemlich durstig, so daß ich ihn zur Schonung meiner Finanzen nach dem vierten Bier zum Selbstzahlen aufgefordert habe. Das wollte er jedoch nicht. Für den nächsten Tag hat er sich bereit erklärt, mir bei der Ponchosuche und der Radreparatur zu helfen und ich gedachte, mich ums zu Fahrrad kümmern, mal wieder waschen zu lassen, ausruhen und mir die empfohlene Basilika anzusehen.

Die Nacht war nur ätzend: nebenan feierten die Leute in einer Disco zu laut und zu lange, sicher bis zwei Uhr nachts. Aber um halb sechs waren schon wieder ein paar Radaubrüderl im Foyer des ersten Stocks – direkt vor meinem Zimmer. Derart verärgert, habe ich beschlossen, Chiquinquirá den Rücken zu kehren. Der Frühstückskauf war ebenfalls ein Flop, weil zum Gebäck in der Bäckerei gegenüber keine Milch verkauft wurde. Als dann auch Julio morgens nicht zum helfen bei der Fahrradreparatur erschien, war ich endgültig bedient.

Ich suchte reichlich verärgert den Busbahnhof. Dabei lief ich die richtige Straße zuerst in der falschen Richtung, bis ich schließlich mein Ziel erreichte. Da der Bus – es war inzwischen zehn Uhr – gerade abgefahren und der nächste erst um zwölf fällig war, bin ich zurück und habe zu Ende gepackt. Noch während ich mich im Reiseführer weitergebildet habe, hat das Telefon geklingelt. Julio wollte noch mal abstauben; ich habe ihn jedoch genauso kühl abgefertigt, wie das Hotelpersonal, das erwartungsgemäß Schwierigkeiten bei der überzahlten zweiten Nacht gemacht hat. Mit meinem Geld – ohne Julio – bin ich zum Busbahnhof gefahren und nach einer knappen Viertelstunde zu einem Schwein von Fahrer in den Bus gestiegen. Trotz Bedenken wegen der Fahrweise und der schlechten bis gefährlichen Straße kam ich nach gut eineinhalb Stunden, mit dem gesamten Gepäck, nur ziemlich staubig und durchgerüttelt, gut im hundert Kilometer entfernten Zipaquirá an.



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