Tagebuch
13. MompÓs
Das Küstengebirge hinter Cartagena
Die ersten achtzehn Kilometer bis Turbaco waren hart; ich schätzte, daß es über vierhundert Höhenmeter waren, die auf den meisten Karten gar nicht eingezeichnet sind, weil der Höhenunterschied unter fünfhundert Meter beträgt, die ich aufgestiegen bin. Danach leicht wellig, aber doch bergab, meistens jedoch mit einigen kurzen Anstiegen. Das Gelände erinnerte mich an ein weniger altes und damit weniger erodiertes Mittelgebirge, auch, wenn das ihn bedeckende grün heller war, als ich es von dort kannte. Ständig bergauf und bergab: der Schwung der Abfahrt war leider nicht immer gut zu nutzen, besonders wenn in kurzer Folge einige Täler kamen und es eigentlich bergauf ging. In Turbaco war ich auf ein Bier in einer tienda, um mich etwas zu erholen. Die Einheimischen, mit denen ich mich dabei unterhielt, meinten, es sei hier nur bedingt gefährlich; mal sehen.
Alexander von Humboldt, der in der Nähe von Turbaco Gast im Landhaus des Erzbischofs war, fand in der Umgebung bei einem Ausflug Schlammvulkane, wie ich sie bei Loma Arena gesehen hatte. Humboldts Einschätzung das Klima sei kühl, halte ich aber für übertrieben. Wegen der Höhe war die Hitze sicher etwas erträglicher, als weiter unten, aber kühl ist doch ganz anders. Mir kam das kalte Bier jedenfalls gerade recht.
Nach gut fünfundvierzig Kilometern erreichte ich die Brücke über den Canal del Dique, an der sich eine Mautstation befand. Ich zahlte natürlich auf dem Fahrrad nicht. Der Kanal selbst, um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts mühevoll zur Anbindung des Río Magdalena an die Seeschifffahrt in Cartagena erbaut, erschien mir ziemlich unspektakulär. Tausende schwarzer und indigener Sklaven waren hier eingesetzt, um den etwa 145 Kilometer langen Kanal zu bauen. Ab dem Übergang über den Canal de Dique war mir die Guerilla avisiert worden. Außerdem sollte sich hier ein Malariagebiet vor mir auftun.
Malagana
Die Zeit in Cartagena hatte mir wohl gut getan, ich hatte keinen echten Schwächeanfall, was sicher auch mit der regelmäßigen Nahrungsaufnahme zu tun hatte. Als ich nach sechzig Kilometern in Malagana einfuhr, hatte ich aber genug für den Tag. Da die Pension nicht gekennzeichnet war, mußte ich mehrfach fragen, bis ich das richtige Haus gefunden hatte. Das alte Betreiberehepaar war gegenüber in ihrem Frisörladen. Die beiden Alten hatten aber nur wenig Lust, mich aufzunehmen. Das Verhhalten der Wirtsleute kann nur als Angst vor der Guerilla gedeutet werden, für die sie sich zur Zielscheibe gemacht sahen, mit einem weißen Ausländer als Gast. Da ich aber auf keinen Fall weiterfahren wollte, blieb ich so lange hartnäckig, bis sie mir ein Zimmer gaben. Die Unterkunft war ziemlich einfach und Insekten sind wohl an der Tagesordnung – obwohl es mir ziemlich sauber zu sein schien.
Nach Dusche und Siesta habe ich mir das Kaff angesehen und in einem Kiosk ein Bier getrunken. Malagana ist irgendwas zwischen trübe und ätzend; nur einer von den Leuten, mit denen ich geredet habe, erschien mir halbwegs seriös; er meinte auch, daß die Straße erst am späten Nachmittag begänne, unsicher zu werden. Also bin ich im letzten Tageslicht zum Abendessen gegangen und habe mich danach auf der Veranda im Innenhof der Pension mit Reiseführer, Karten und Tagebuch befaßt.
Da Stromausfall herrschte, brachte mir die Wirtin eine Kerze. Nachdem sie sich offensichtlich mit mir als Übernachtungsgast abgefunden hatten, waren die Wirtsleute erheblich freundlicher. Ich hatte vor, die Straße nach Sincelejo, der Hauptstadt des Departements Sucre, bis Carmen de Bolívar fahren und dort nach Zambrano abzubiegen, weil hier ein Bootstransport nach Magangué angekündigt war. Von da aus wieder zum Teil mit dem Boot nach Mompós, das auf einer Insel zwischen Magdalenaarmen und Nebenflüssen liegt. Da es nach Zambrano über hundert Kilometer sind, habe ich beschlossen, den Abschnitt in zwei Tagen zu fahren.
Früh und mit regulärem Frühstück am Kiosk habe ich Malagana hinter mir gelassen und bin durch ziemlich hügeliges Gelände und im Gegenwind durch die von Kulturland und vereinzelt Wald geprägte Landschaft gefahren. Gelegentlich war ein Sandstein aufgeschlossen. Ans Gelände sind die Straßen hier nicht angepaßt. Da gibt’s völlig unnötige Pässe! Hier waren öfter Geier mit Hundeleichen – einmal sogar ein Gaul – zu sehen. Aber weil weniger Verkehr herrschte, waren die absoluten Zahlen geringer, als ich es in Venezuela erlebt hatte. Hier wurde noch viel geritten, mehr Esel, als Pferde.
Ich verspürte eine seltsame Stimmung, als ich vor einem Schild mit Entfernungsangaben vorbeifuhr. Medellín stand darauf. Das brachte mir die Größe der selbstgestellten Aufgabe in Erinnerung. Weniger, wegen der angegebenen rund fünfhundert Kilometer, als mehr, wegen des Rufs, den die Stadt international genießt. Drogenkartelle, Mafiamorde und Anschläge, die zeitweise den Zustand totaler Anarchie impliziert haben. Seltsamerweise verstärkten diese Assoziationen aber eher meinen Willen, die Aufgabe zu lösen.
Trotz der psychischen und der körperlichen Belastung durch Gelände und Hitze erreichte ich das Tagesziel. Ich widerstand der Versuchung, fünfzehn Kilometer vorher, in San Juan Nepomuceno, wo einige Übernachtungsmöglichkeiten waren, zu bleiben.
San Jacinto
San Jacinto ist zwar auf das Ausnehmen von Touristen spezialisiert, aber die Stimmung ist anders, als in Malagana, besser. Die Kunsthandwerker, die entlang der Straße Hängematten, Hüte, Taschen und anderes Handwerkliches verkaufen, sind sogar in einer Kooperative organisiert, touristisch ausgerichtet. Da die im Reiseführer angekündigte Pension offenbar nicht mehr in Betrieb war, entschied ich mich für eine der anderen beiden auf der Hauptstraße. Auch, wenn das Zimmer einfach war, zufrieden war ich doch, zumal ich den Preis zu schätzen wußte – unter zehn Mark.
Nach Mittagessen, Dusche und Siesta habe ich mir den Ort ein wenig angesehen, bevor ich mich auf der Veranda einer Kneipe niedergelassen habe. Viele der vorbeikommenden Einheimischen haben gegrüßt. Man lebt hier zwar von den Touristen, aber daß die Freundlichkeit aus Geschäftsinteresse gespielt war, hätte ich nicht behaupten können.
Trotz der Mittelgebirgslandschaft bezeichnet man sich noch als Küstenbewohner. Die Schlampermentalität herrscht ja auch noch vor. Während ich abends ins Tagebuch schrieb, ist eine Tochter zum Abflussrohr des Bades gegangen; als sie bemerkt hat, daß ich es sehe, hat sie verlegen gelacht und ihr kleiner Bruder mußte zum Wasserholen laufen. Außerdem schienen Stromausfälle in der Dämmerung hier an der Tagesordnung zu sein: ich mußte schon wieder bei Kerzenlicht essen!
El Carmen de Bolívar
Ohne Frühstück los, denn ich wollte erst im nächsten Ort, El Carmen de Bolívar vespern, wo ich nach Zambrano zur Fähre nach Mompós abzubiegen gedachte. Angegeben mit elf Kilometern, war es aber, wie immer, weiter. Zirka fünfhundert Meter vor dem Ortsschild ist mir eine Hinterradspeiche gerissen. Noch ein wenig Fahren auf Asphalt schien mir möglich, die anvisierten vierzig Kilometer nach Zambrano allerdings auf dem Feldweg nicht.
Kurz nach acht morgens saß ich wieder beim Steakfrühstück an einem Kiosk und überlegte, wie es weitergehen sollte. Dabei erfuhr ich, daß in Zambrano eine Brücke gebaut worden ist, und damit der Fährbetrieb eingestellt war. Man hat mich dann darauf verwiesen, daß ich unten am Busterminal noch mal fragen sollte.
Ich fuhr also mit dem Fahrrad weiter in Richtung Ortsmitte zur Busstation. Hier wurde ich schnell von einem Haufen Leute umringt. Eine ganze Reihe von Leuten erklärte mir, der Schiffsverkehr nach Zambrano sei mit dem Brückenbau eingestellt worden; ich müsse mit dem Bus fahren. Einer der Einheimischen erkannte an meiner Aussprache, daß ich Deutscher bin. War sicher nicht falsch, vor all den Leuten. Trotzdem hat man aber behauptet, daß der Bus nicht rechtzeitig da sein würde, um die Fähre über den Río Magdalena zu erreichen. Man hat mich regelrecht vom Bus ferngehalten, damit man mir eine Privatfahrt aufschwätzen konnte. Achtzig Mark habe ich schließlich für mich und das Fahrrad ausgehandelt. Die Warnungen, die ich Cartagena gehört hatte, waren offensichtlich sehr berechtigt, denn die Einwohner sind schlimmer, als Guerilla und Malaria.
Die Fahrt nach Magangué im Auto bewies mir, daß ich den schwersten Teil doch selbst geschafft hatte, die paar kleinen Hügel durch die wellige Graslandschaft in der angenehmerweise ein paar Bäume standen, wären kein Problem mehr gewesen. Überall Vieh auf den Weiden. Und anstehend war selten nur Sandstein zu sehen. Gleich hinter El Carmen sah ich eine, sieben Monate vorher von der Guerilla den Erdboden gleich gemachte, Zahlstation. Mein Fahrer sagte nicht zu Unrecht, wozu sollte der Staat Geld kassieren, wenn es, anstatt zur Instandhaltung der Straße zur Schmierung der Lokalpolitiker diente.
In Magangué hat mich mein Fahrer direkt zum Hafen gebracht. Allerdings waren die hier eingesetzten Schnellboote zu klein, um mein Fahrrad und das Gepäck aufzunehmen. Also hat mich der Mann zu der etwas außerhalb gelegenen Busfähre gefahren und ist geblieben, bis ich Fahrrad und Gepäck in den Bus verfrachtet hatte. Die Wartezeit vorher, habe ich mir am Kiosk verkürzt. Endlich legte die Fähre ab und fuhr gemächlich durch den hier ziemlich braunen und schmutzigen Magdalena.
Obwohl das angebotene Schnellessen nicht sehr einladend aussah, erwies es sich doch als verträglich. Über verschiedene Haupt- und Nebenarme erreichten wir die Anlegestelle bei La Bodega. Von hier aus waren es noch mal fast vierzig Kilometer bis Mompós, die ich aber im Bus geblieben bin, einerseits der gerissenen Speiche wegen, andererseits war die feuchte Hitze ziemlich unerträglich. Im Bus saß ein Einheimischer Anfang zwanzig, Daniel, neben mir. Wir haben uns mit einem Gespräch die Fahrt durch die Wald- und Kulturlandschaft verkürzt. In Mompós ist er mit mir zum Hotel gelaufen.
Santa Cruz de Mompox
Das Hotel war klasse: Eine alte Kolonialvilla mit mehreren begrünten Höfen und im letzten, ein kleiner Pool. Hier befand sich auch das Restaurant. Ist das beste Hotel am Platz: Klimaanlage, gutes Bad, immerhin mit Kühlschrank, Fernseher und das für fünfundzwanzig Mark die Nacht! Selbst die Möbel waren hier antik.
Nachdem, ich mich in Form gebracht hatte, war es zu spät für eine Siesta. Daher wollte ich mir einen Eindruck von dem Ort verschaffen. Als ich jedoch zum Hoteltor hinauswollte, mußste ich feststellen, daß der Zeitpunkt nicht sehr günstig war. Weil am nächsten Wochenende die neue Landes- und Gemeinderegierung gewählt wurde, gab’s eine Prozession zu sehen: Da den Leuten offensichtlich der Unsinn ihres Tuns, bei der Wahl nämlich, klar ist, machen sie einfach aus der Geschichte das Beste: eine Fiesta. Mit einer Werbung für ihren Kandidaten auf Schildern, Transparenten oder auch dem Hut marschierte mehr als das gesamte Dorf am Eingang des Hotels vorbei; mit Trillerpfeife, johlend und gelegentlich Feuerwerkskörper werfend. Wenn’s nach der Zahl der unters Volk geworfenen Werbemittel ging, so stand der Sieger bereits fest. Der Vorbeimarsch dauerte bestimmt zwanzig, fünfundzwanzig Minuten, da waren sicher auch Leute aus dem Umland. Als ich endlich auf die Straße hinauskonnte, bin ich zum Zentrum des Ortes gelaufen, darauf achtend, dem Wahlkampfumzug nicht zu nahe zukommen. War deswegen nicht so schwer, weil ich ihn immer hören konnte. Am Gemeindeplatz, vor der Stadtverwaltung, waren zu Kundgebungsende Lautsprecherwände aufgestellt und einige Bierstände in Position gebracht worden. Die Ankunft des durch die ganze Stadt ziehenden „Wahlkampfzuges“, der was von Fasching hatte, wartete ich aber nicht ab.
Zurück in Hotel war es, mit einbrechender Dunkelheit, Zeit zum Abendessen. Da das Hotel auch das beste Restaurant haben sollte, bin ich in den letzten Innenhof und habe mir ein Steak zum Bier bestellt. Sehr lange habe ich es jedoch nicht ausgehalten, da ich recht erschöpft war. Das Essen war nicht schlecht und gut verträglich.
Weil ich recht früh wach war, hatte ich nach dem Frühstück Gelegenheit, meine Tagebuchaufzeichnungen zu aktualisieren, bevor ich zum Museum gegenüber des Hotels bin. Die Casa Bolívariana, die mit Hilfe des Führers halbwegs nachvollziehbar war, enthielt Kirchenreliquien, einige sogar alt, zum Teil aus Silber oder Gold und die zur Osterwoche herumgetragenen fast lebensgroßen Figuren, die die vierzehn Leidensstationen von Jesus symbolisieren sollen. Unter den Artefakten Bolívars, die ebenfalls hier ausgestellt sind, faszinierte mich besonders ein Wasserfilterschrank: ein ausgehöhlter Kalkstein im Schrank, aus dem das gekühlte, gereinigte Wasser heraustropft.
Bolívar hier 1812 tätig: „ Wenn Caracas mein Leben gerettet hat, so hat Mompós meine Ehre gerettet.“ Ein Bataillon, gut dreihundert Mann, Momposiner half einen entscheidenden Sieg während der Magdalenakampagne 1812/13 zu erringen.
Vor dem Mittagessen habe ich das Fahrrad mit einem Schlauch abgespritzt und gewartet. Der Versuch allerdings, den Zahnkranz des Hinterrads zum Speichenwechsel zu entfernen, scheiterte allerdings. Ich war froh, den dazu nötigen Spezialschlüssel dabei gehabt zu haben, denn einen solchen Schlüssel habe ich in keiner Werkstatt gesehen.
Nach der Siesta ging ich erneut spazieren. Mompós ist eine Ansammlung alter Kolonialhäuser, wie man sie in den Sümpfen hier kaum vermuten würde. Immer wieder bin ich stehengeblieben, um mir teilweise reich verzierten Gebäude anzusehen. Historisch gründet sich der immer noch sichtbare Reichtum darauf, daß Mompós ein wichtiger Hafen für den Flußtransport auf dem Magdalena war. Heute zehrt man allerdings von der Vergangenheit, die man touristisch vermarktet. Daher gibt es auch Bettler, die aber wesentlich dezenter sind, als in den Touristenhochburgen an der Küste. Eine der wenigen rezenten Einnahmequellen sind die, im ganzen Land berühmten, Schaukelstühle aus Tropenholz und Bast.
Alexander von Humboldt, war im Gegensatz zu mir, von Turbaco aus direkt nach Osten aufgebrochen und hatte sich bereits in Barrancas Nuevas del Rey eingeschifft. Mit einem Boot, er spricht von einem Champán, das mit langen Stangen bewegt wurde, verbrachte er fünfundfünfzig Tage auf dem "Magdalenenstrom", wie er ihn nannte, länger als er auf der bekannteren Orinocotour war. In Mompós hatte er ebenfalls Zwischenstation gemacht. Humboldt schien es der Stadt mit den damals vierzehntausend Einwohnern gut gefallen haben. Er beschreibt die Schönheit der Häuser, die auch mir aufgefallen war und den Reichtum der Bewohner. Er beschäftigte sich in den knapp zwei Wochen hier mit dem Sezieren von "Crocodilen", dem Studium ihres Verhaltens, dem Boden und, wie immer, mit der Vegetation. Von den Stechmücken hatte er genauso schnell genug, wie ich. In seinem Tagebuch schreibt er völlig richtig: "Wenn man alle Hauttheile verwundet und voll Mosquitengift hat (die Thiere inoculieren), so nimmt die Reizbarkeit der Haut so fürchterlich zu, daß man den Eindrücken der Sonnenwärme weit empfänglicher wird."
Da ich nicht immer im besten Restaurant der Stadt, in meinem Hotel, essen wollte, bin ich in ein weiteres, angeblich gutes Restaurant, Fuarfa’s, gegangen. Das Pfeffersteak war zwar geschmacklich unauffällig, aber das Fleisch muß bereits schlecht gewesen sein. In der Nacht hatte ich furchtbare Krämpfe im Darm und schweren Durchfall. Das war bereits eine mittlere Lebensmittelvergiftung, die man mir da zugefügt hat. Die, die nächsten beiden Tagen auftretende giftgrüne Gallenflüssigkeit, beunruhigte mich durchaus.
Am Abend war, der Wahl wegen, vereinzeltes Feuerwerk und das Feiern der Menschen zu hören. Ich war im Hotel, auf der Veranda zum Innenhof vor meinem Zimmer und machte die üblichen Arbeiten.
Da ich zwischen Mitternacht und acht Uhr morgens kaum Schlaf gefunden hatte, bin ich erst gegen elf aufgestanden, habe ein paar Kleinigkeiten erledigt und war ein paar Brötchen und Wasser holen. Die Beschwerden ließen nur sehr langsam nach.
Am Nachmittag habe ich mit dem Ehemann der Doña Manuela, der Besitzerin des Hotels, geplaudert. Einerseits über die weitere Reiseroute an der großen Karte im Hotelfoyer, andererseits über Mompós, dessen Sehenswürdigkeiten und Menschen. Dabei erwähnte er einen Arzt, mit dem er regelmäßig Schach spielte. Danach schlug ein weiterer Versuch fehl, den Ritzelkranz vom Hinterrad wegen des anstehenden Speichenwechsels zu lösen. Ich war wohl doch etwas geschwächt von der Lebensmittelvergiftung. Da half es auch nichts, daß einer der Hotelboys mit anpackte.
Die klare Brühe zum Abendessen im Hotelrestaurant sorgte dafür, daß es mir etwas besser ging, aber gut war dennoch anders. Hinzu kamen Schwierigkeiten mit dem Bargeld. Ich hatte in Mompós nicht so viel Zeit verbringen wollen, dazu kam das recht teure Hotel und so wollte ich am nächsten Tag zur Bank, um an mehr Geld zu kommen.
Nach dem Frühstück habe ich die Bankautomaten in Mompós ausprobiert, mußte aber feststellen, daß sie meine Mastercard nicht akzeptierten. Also bin ich zur Abfahrtstelle der Sammeltaxis nach Bodega, aber hier dauerte es, bis das Taxi voll war und losfahren konnte. Dafür mußte ich an der Bootsanlegestelle nicht lange warten. Allerdings funktionierte die Benzinleitung mitten auf der Strecke nicht mehr richtig, so daß mehrere Notreparaturen notwendig waren, bis wir in Magangué anlegen konnten. Selbst, wenn es nicht sehr weit war, zum Zentrum, mußte ich doch die Banken noch finden. Bis ich mich zur ersten Bank durchgefragt hatte, die sich allerdings als ungeeignet erwies, verging noch mal Zeit, so daß ich die zweite erst fünf vor halb zwölf erreichte – und es war wegen des Andrangs früher zu! Ich mußte bis zwei warten, um das gleiche Ergebnis zu hören: Nämlich am Geldautomaten meine Kreditkarte zu benutzen. Später bin ich darauf gekommen, daß ich in Maracaibo möglicherweise den Code umgekehrt eingegeben habe und mir der Zugang gesperrt wurde. Dieses Problem habe ich erst in Quito korrigieren lassen.
Da ich mich immer noch nicht fit fühlte, bin ich, um mir die Wartezeit zu verkürzen, durch den Ort gelaufen. Wenige historische, aber viele alte Häuser habe ich gesehen und die Menschen waren weniger freundlich und hilfsbereit, als ich es vorher gesehen hatte. Daß die typisch kolumbianische Art hier etwas unterdrückt war, führte ich auf die in der Nähe operierende Guerilla zurück. Abgesehen davon, daß Hafenviertel weltweit etwas heruntergekommener und gefährlicher sind.
Die Bootsfahrt in dem kleinen, zum Schutz vor der Sonne überdachten Schnellboot zurück auf die Insel, auf der Mompós liegt, verlief dieses Mal reibungslos. Ja, schon wieder eine Insel, gebildet von Río Magdalena und seinen Nebenflüssen, nach der Inselstadt Cartagena. Der Río Magdalena ist hier schmutzig braun und voller Wasserpflanzen; die Ufer sind überwuchert, so daß der Übergang zu den treibenden Wasserpflanzen fließend ist.
Bei der Sammeltaxifahrt zurück, hatte ich Gelegenheit, den kolumbianischen Fahrstil zu genießen: Mittelstreifen gelten nur bei Gegenverkehr, nicht nur nicht, beim Ausweichen von Schweinen und Buckelrindern, Radfahrern und Fußgängern, sowie Schlaglöchern. Dafür war der Fahrstil etwas rasanter über die, zugegebenermaßen, nicht sehr verkehrsreichen Straßen, deren Verkehrsdichte sich etwa mit dem Deutschland der Sechziger Jahre vergleichen läßt, jedenfalls draußen auf dem Land.
Da ich erst um kurz vor vier wieder zurück war, und noch dazu einigermaßen schlapp, war der Tag gelaufen. Ich habe mich bei einem der Zimmermädchen nach meiner Wäsche erkundigt. Diese ergriff sofort die Gelegenheit, um mich nach deutschem Geld zu fragen, für ihre Sammlung, wie sie behauptete. Ich gab ihr ein Zweimarkstück, was sich aber als Fehler herausstellen sollte - und ich habe es auf der gesamten Reise nie wieder getan. Als ich gegen fünf ein Bier probierte, stellte ich fest, daß der Magen-Darm-Trakt scheinbar halbwegs normal funktionierte. Um sieben habe ich hier Steak mit Reis gegessen – es gibt in dieser Region offensichtlich kein gutes Fleisch! Nicht gut, was den Geschmack angeht, verträglich ist es, sachgerechten Umgang vorausgesetzt, aber schon.
Den ganzen Vormittag habe ich mit vergeblichen Versuchen, das Ritzel zu lösen, verbracht; Na ja, eine Stunde Vokabeln und Grammatik, bis das Kettenöl eingedrungen war. Genützt hat’s aber nichts, das Öl; das Lernen schon. Danach bin ich mit dem ausgebauten Hinterrad durch den Ort gelaufen. Fünf Werkstätten und einige freiwillige Helfer auf der Straße, die mein Problem mitbekamen, waren dazu nicht in der Lage. Und das in einer Region in der es von alten und neuen Fahrrädern nur so wimmelt – ich habe auf der gesamten Reise keine andere Region getroffen, in der so viele Radfahrer unterwegs waren, wie hier.
Kurz vor Mittag habe ich den Friedhof besucht, der im Reiseführer als sehenswert angepriesen war. Marmor, wie angekündigt, war eher selten und Carrara habe ich gar nicht gesehen. Und so richtig den Besuch wert fand ich ihn auch nicht. Nach der Siesta zur empfohlenen Reparatur. Drei mal wurde ich noch weitergeschickt, ohne, daß das Ritzel sich gelöst hätte. Einige Unbeteiligte haben auch ihr Glück versucht. Erst, als ich nach fast zwei Stunden zurückkam und Doña Manuela die Geschichte erzählte, wurde der wohl Kräftigste abkommandiert, mir zu helfen. Im dritten Versuch gab das Ritzel endlich nach. Die Speiche war schneller eingezogen, als der Rest gewartet, gesäubert und geschmiert. Für die Zentrierung fehlte mir allerdings der Nerv an diesem Tag.
Vor dem Essen kam das zweite Zimmermädchen und wollte ebenfalls deutsches Geld. Eine ausländische Münzsammlung erschien mir aber schon unwahrscheinlich genug. Der Kellner, der sich dazu gesellte, brachte die Rede auf die deutsche Wirtschaft und den Geldwert. Ich erzählte ihnen von der nach dem zweiten Weltkrieg daniederliegenden Wirtschaft und dem Wirtschaftswunder Ludwig Erhards, der immerhin die Rückseite des Zweimarkstücks zierte. Auch der Hinweis, daß die Italiener immer Tausenden ihrer Währung rechneten und davon die Stabilität nicht zwangsläufig abhinge, konnte sie nicht beruhigen. Es seien eben zu wenige, die leistungsbereit sind, setzte ich ihnen auseinander – und den wenigen würden auch noch Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ich war auch durchaus bereit ihnen zuzugestehen, daß die entwickelten Länder auf ihre Kosten ihren Reichtum mehrten. Allerdings wäre ich ja auch nicht der Bundeskanzler, also verantwortlich und in der Lage, Änderungen vorzunehmen. Trotzdem schienen sie mich als mitverantwortlich zu betrachten.
In der Nacht wieder mit Durchfall erwacht. Daß die auf das im Essen gefundene Fluginsekt zurückgehen sollte, bezweifle ich aber; Unzweifelhaft hingegen meine Entscheidung, nachdem das Tier mit den Fingern vom Essbrett entfernt wurde, den Rest zu verweigern.