Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

12. Cartagena de Indias II

Nochmal Altstadt

Heute gab’s noch die letzten Höhepunkte der Innenstadt mit José: Goldmuseum, Inquisitionspalast und Schiffsmuseum.

Im Goldmuseum gab’s zwar was zu lernen über die frühe Indianerkultur der Sinú, aber das meiste Gold sei aber, wie in Santa Marta, aus Sicherheitsgründen nach Bogotá verlegt worden. José war jedoch der Ansicht, daß die Sicherheit nur ein Vorwand sei, damit sich die Bogotanos mit Gold im dortigen Museum schmücken könnten. Ich sah zuerst nur Tonscherben und neuzeitliche Replikate von Gebrauchsgegenständen. Nur ein besonders bewachter und gesicherter Raum enthielt einige Stücke aus Gold: Meist sehr filigrane Ohrringe. Das Goldmuseum in Santa Marta hatte mir besser gefallen. Dafür war der Eintritt hier auch frei.

Der Inquisitionspalast enthält außer einigen Folterinstrumenten, ein paar Replikatgemälden, unter denen mich ein in der Manier von Hieronymus Bosch gemalter Pieter Breughel d.Ä. besonders beeindruckte, auch durchaus sehenswerte alte Karten und die Reste einiger Gebrauchsgegenstände aus der Kolonialzeit. Hier konnte José pausieren, da ich an einer Führung teilnahm. Wie auch in anderen Museen dieser Art, wurde auch hier deutlich, daß die Inquisition zwar folterte, aber sowohl im Umfang, als auch in der Ausprägung doch weit hinter dem zurückblieb, was sich die katholische Kirche in Europa geleistet hat.

Davor, auf der Plaza Bolívar, hat José mich wohl nicht zufällig an den Smaragdhändlern vorbeigeführt. Er stellte mir einen davon vor, wohl in der Hoffnung, er könne eine Provision durch den Verkauf eines Smaragds ziehen. Für europäische Verhältnisse billig, aber für kolumbianische nicht, wollte mir der offensichtlich renommierte Händler einen der Steine verkaufen. Natürlich lehnte ich ab. Da der Mann aber weiterbohrte, verwies ich auf mein Geologiestudium: Wenn ich an Smaragden interessiert sei, so fände ich sie selbst. Das wirkte.

Das Schiffsmuseum lebt von Holzmodellen verschiedener Epochen und Weltgegenden und Dioramen der umgebenden Küste. Einige davon zeigten verschiedene wichtige Schlachten, die im Lauf der Geschichte um Cartagena geführt wurden. Erwähnenswert erscheint mir das Jahr 1741, als der englische Admiral Vernon mit mehrfacher Übermacht angriff, die Stadt nahm, seinen Meister aber in dem spanischen Verteidiger Blas de Lezo fand: Ein Haudegen ersten Ranges, der bereits mit jeweils nur einem Auge, Arm und Bein in Cartagena angekommen war. Als er in der sechsundfünfzig Tage dauernden Schlacht auch noch das zweite Bein einbüßte, ließ er sich in einem Faß herumtragen, um weiter die Verteidigung des Castillos San Felipe zu leiten. Die Engländer mußten trotz ihrer zweihundertsiebzig Schiffen mehr – Blas de Lezo hatte nur sechs! – ihren dreitausend Kanonen und siebenundzwanzigtausend Soldaten unverrichteter Dinge von dannen ziehen. Vernon mußte aufgrund ausbrechender Seuchen unter seinen Männern das Sumpfgebiet um das castillo verlassen. Peinlicherweise hatte er jedoch schon angefangen, seine eigenen Gedenkmünzen zu prägen, auf denen er sich als Bezwinger Cartagenas feiern ließ. Eine davon liegt im Museum.

Der moderne Teil des Museums ist eher Militärschrott; daß die Kolumbianer allerdings die USA in Korea unterstützt hatten, war mir vorher nicht geläufig. Erklärbar wird es, wenn man weiß, daß 1953 ein Militärdiktator putschte, um die violencia, den Bürgerkrieg, der seit 1948 tobte, zu beenden. Das Ende kam aber erst gut fünf Jahre später und kurz darauf begannen die bis heute andauernden Aktivitäten der Guerilla. Kein Wunder also, daß in den Militärmuseen die Aktivitäten im Ausland gefeiert werden, denn auf die Inlandseinsätze gegen Zivilisten kann niemand stolz sein.

Alle drei sind sehr schöne Kolonialbauten mit genial guten Innenhöfen, die immer alle mit Bäumen, zum Teil Palmen und Büschen begrünt sind. Drei Stockwerke mit reich verzierten Balkonen, runden das Bild, der leider nicht immer im besten Zustand befindlichen Kolonialhäuser, ab. Wie bereits erwähnt, fallen diese Gebäude unter denn anderen im historischen Zentrum nicht weiter auf.

Wieder auf den Spuren Humboldts

In Cartagena konnte ich auch eine Spur wieder aufnehmen, die ich hinter Valencia hatte verlassen müssen. Die alten Gebäude standen bereits zu Zeiten Alexander von Humboldts, der am 31. März 1801 von Kuba kommend mit dem Schiff eintraf. Ihn begeisterten die Festungsanlagen der Stadt und ihre Geschichte genauso, wie mich. Zu seiner Zeit waren die schönen Häuser nicht restauriert und der Ort war erheblich kleiner. Da der Hafen zu dieser Zeit noch voll in Betrieb war, gestaltete sich sein Aufenthalt in Cartagena entsprechend unsicher. Daher erklärt sich, daß er nur knapp drei Wochen blieb und sich seine Begeisterung in Grenzen hielt. Seine Herberge nennt er elend, was ihm heute sicher nicht mehr passieren könnte.

Die Cienaga von la Boquilla

Nicht gerade früh mit José im Bus nach La Boquilla gefahren. Hier haben mich seine Verwandten versucht auszunehmen, was ihnen später den Spruch von mir eingebracht hat, daß am Strand mehr Haie wären als im Meer. José hatte gelacht und seine Verwandten haben ganz genau verstanden, was ich von ihnen wollte. Der bestimmt vierzig Zentimeter lange corvina, Seebarsch, war mit zwanzig Mark überteuert, selbst wenn er saugut geschmeckt hat und die Bootsfahrt entsprach den fünfundzwanzig Mark, die sie kostete. Daß das Bier da auch nicht gerade billig sein würde, war mir klar, aber das Doppelte des Ladenpreises hat José doch verhindert.

Ausgerüstet mit Bier in der Kühlbox sind wir im Mangrovenwald des Sees hinter dem Meer durch drei Kanäle, bis zu einem weiteren Strand gefahren. Die Cienaga La Virgen gehört hat Verbindung zum Meer und besteht aus Salzwasser. Durch regelrechte Tunnels im Mangrovendickicht arbeitete sich der Bootsführer mit der Stange langsam durch das, für Mangroven ziemlich saubere Wasser weiter vor. An den Luftwurzeln bis knapp über dem Wasserspiegel hingen Muscheln und Austern, Kleinkrebse huschten vorbei und exotische Vögel schrieen.

Nach etwa einer halben Stunde sind wir auf einer weiteren Insel angekommen, auf der man mich zum Essen nötigte, diesmal waren es, gute und teure Krabben, natürlich fangfrisch. Vorher bin ich aber zum Ende des Strandes an einen Aufschluß gegangen. Unter der Muschelbruchstück-Humus-Decke stand eine dunkelgraue, leicht glimmrige und damit etwa epizonal, das bedeutet ziemlich schwach, metamorphe Grauwacke von nur wenigen Zentimeter Mächtigkeit an. Direkt darunter im gelbbraunen Feinsandstein von sehr geringer Kohäsion, war eine Scherzone mit schon kataklastischen Zügen; im Großen war nur eine leichte Undulation und wenig Bruchtektonik festzustellen. Diese Bildungen waren ziemlich jung, ganz sicher weniger als fünfundsechzig Millionen Jahre, Tertiär eben.

Der Rückweg verlief auf einer etwas anderen Route, so daß ich diesmal Gelegenheit besaß, mich noch etwas mit den Vögeln der Umgebung zu beschäftigen: kleine Strandläufer, Möwen, Reiher, weiß und braun, und natürlich wieder graue Pelikane. Zurück unter dem Palmendach von Josés Verwandten am Strand servierte man mir den frisch zubreiteten Fisch. José bekam nichts davon ab. Seine Verwandten stellten mir einen Teller hin, den ich für die Gräten benutzte. Irgendwie ist José schon mitverantwortlich für den teuren Tag gewesen, denn er kannte ja seine Verwandten. Wieder in Cartagena, gab ich ihm aber umgerechnet zwei Mark fünfzig, damit er essen gehen konnte. Nach dem Essen wollten mich die lieben Verwandten noch weiter ausnehmen, aber die tägliche Spanischlektion war fällig und wir nahmen den Bus zurück in die Innenstadt. Am nächsten Tag, machte ich José klar, habe er frei, weil ich wenigstens einen Tag meine Ruhe haben wollte.

Ruhetag

Der Ruhetag war nicht ganz so ruhig, wie ich mir das vorgestellt hatte, wenigstens hat’s aber zur Siesta gelangt. Am Vormittag habe ich ein wenig organisiert und bin entspannt durch die Stadt gelaufen. Hinter der Stadtmauer habe ich mich auf einen ins Meer reichenden Steinwall gesetzt und die relative Ruhe genossen. Auf dem Rückweg ist mir José über den Weg gelaufen und wir haben ein Bier getrunken, bevor ich zum Mittagessen bin.

Der Umtrunk fand, wie meistens, in einer Eckkneipe, die bezeichnenderweise Salsa y mas ná hieß, statt. Übersetzt bedeutet der Dialektname Salsa und sonst nix. Wegen der Musik bin ich nicht hinein, aber José hat mir hier immer wieder einige „Honoratioren“ von Getsemaní vorgestellt, mit denen wir dann Bier tranken und uns durch die Salsarhythmen hindurch anschrieen. Gelegentlich mußte ich von ihrem aguardiente mittrinken, was ich aber aufgrund der niedrigen Alkoholqualität nur ungern tat, aber ich konnte die Korona ja nicht verärgern.

José und ich haben uns noch über die Planung für den nächsten Tag verständigt. Ein Marsch auf den Berg zur Popa und das Kennenlernen von Josés sieben Kindern und seiner Frau. Ich denke, daß es bei ihm nicht das bekannte amigo der Straßenverkäufer und Bettler ist, sondern er mir wirklich Sachen angedeihen läßt, die mit den zehn Mark am Tag, die er mir aufgrund seines relativ hohen Bildungsstandes wert ist, eigentlich nicht abgedeckt sein können. Er sagt, daß er es für seinen Ruf tue: klar will er, daß ich zufrieden nach Deutschland maile und dort möglichst noch Propaganda für ihn und seine Stadt mache. Beide sind’s auch wert. Man muß sie nur zu nehmen wissen.

Die Hauptschwierigkeit sehe ich allerdings in der Sprache: mit weniger spanisch als jetzt, mit Amaurys Hilfe, ist es auch kaum empfehlenswert, und hier sprechen zu wenige Leute andere Sprachen, als daß man sich darauf verlassen könnte, sich anderweitig zu verständigen. Sicher, im Notfall könnte José sein rudimentäres Englisch zum Einsatz bringen, aber damit würde vieles ungesagt bleiben, was mir den Aufenthalt hier so angenehm gestaltet hat.

Die letzten Attraktionen

Morgens gab’s noch den letzten Teil der Stadtbesichtigung: Die Popa, auf ihrem hundertfünfzig Meter hohen Hügel. Der Konvent heißt deswegen so, weil das Wort Schiffsrumpf bedeutet und die Erhebung eine solche Form für die ersten Spanier hatte. Der Blick über die Stadt beweist, daß Cartagena de Indias aus verschiedenen Inseln besteht, die durch Brücken verbunden sind. Der Fußmarsch vom Fuß des Hügels aus bringt’s deswegen, weil der Weg mit Touristenbussen verstopft ist. Im Inneren steht wieder ein vergoldeter Altar und einige Räume sind im Kolonialstil hergerichtet.

Auf dem Rückweg hat mir José noch sein Haus in einer armen Gegend vorgeführt; sowohl das Haus, als auch die Einrichtung waren das Beste, in der ganzen Straße. Und gebettelt hat hier auch keiner. Mittlere bis obere Mittelklasse, auch wenn’s zum Auto nicht reicht. Daher ist er in seinen Ansprüchen an mich auch bescheidener. Seine Familie war nur zu einem geringen Teil anwesend, seine füllige Frau und zwei seiner Töchter, sowie ein nachgeborener kleiner Sohn. Da ich nicht unbedingt ein Freund solcher Familiengeschichten bin, verhielt ich mich etwas steif, aber weder kühl noch reserviert. Auf dem Weg haben wir uns in seiner Stammkneipe bei ihm um die Ecke gestärkt, wo er mir seine Saufkumpane vorgestellt hat. Hier hatten wir mehr Spaß. Die Männer, alle etwa Mitte fünfzig, warnten mich noch vor der Guerilla und dem nächsten Streckenabschnitt. Nicht zu unrecht, wie sich herausstellen sollte.

Vor der Abreise

Den Tag habe ich mit Organisation verbracht und das letzte Bier mit José getrunken. Vorher hatte es auch schon ein paar gegeben, er hat mir auch wieder „ unentgeltlich” geholfen. Er wurde nicht müde, mir zu versichern, daß er alles nur aus Freundschaft tue. Da ich immer noch Schwierigkeiten mit meinem Wecker hatte, habe ich noch mal den Uhrmacher im Centro Commercial Getsemaní aufgesucht. Während er das Problem endgültig behob, haben wir uns noch ein wenig unterhalten. Ich habe ihm über meine weiter Route berichtet. Daraufhin zeigte er mir das Bild seines Bruders, den die Guerilla am Río Magdalena erst vor einigen Monaten umgebracht hatte und mich gewarnt. Obwohl man in der Karibischen Küstenregion kaum Militär sieht, gilt sie als die sicherste im ganzen Land. Wäre dem nicht so, würde ein erheblicher Teil der Einnahmen des Landes, die vom Tourismus nämlich, wegbrechen und offenbar kann sich das niemand leisten. Die Region von der mir der Uhrmacher erzählt hatte, ist dagegen wesentlich gefährlicher. Hier gibt es zwar ebenfalls Militär, aber wegen der unübersichtlichen Landschaft können nur einige Städte und die Region nicht komplett, geschützt werden.

Nach der letzten Spanischlektion und der Verabschiedung von Amaury saß ich mit einigen Hotelgästen im Foyer. Mir sind besonders unter den vielen Reisenden aus anderen Ländern die beiden Bogotanos aufgefallen, einen richtig kultivierten Jungen mit seiner Frau. Anderson sagte, er kenne sein Land, bis auf zwei, für mich nicht interessante Ecken. Abgesehen vom Einblick seinem guten Atlas mit Schnitten, um die Geländeoberfläche besser beurteilen zu können, hat er mir seine Telefonnummer gegeben, damit ich ihn in Bogotá wiedertreffen kann – in etwa drei Wochen. Er und seine Frau sind wesentlich distinguierter in ihrem Auftreten, als die Küstenbewohner. Den Beweis trat ein Küstenbewohner im Lauf des Abends an, als wir, zur Verbesserung des Spanischs der Ausländer am Tisch, ein Ratespiel machten, bei dem einer einen Gegenstand erklären mußte und der Rest herausfinden sollte, worum es sich handelte.

Unter den anderen Gästen war auch Aaron, ein Israeli mit persischen Vorfahren, zu dem ich im Lauf der Zeit ein recht gutes Verhältnis entwickelt hatte. Ich vermute, daß es daran lag, daß er, anders als die europäischen Juden, die ich bisher kennegelernt habe, ein völlig entspanntes Verhältnis zu Deutschen hat. Er berichtete mir, daß er eigentlich in Lima wäre, aber ein Urlaub ihn bis zur karibischen Küste verschlagen hatte. Er erzählte mir von der im Süden Kolumbiens wohl doch recht gefährlichen Guerilla, die den Bus, in dem reiste, zwischen Pasto und Popayán angehalten und beraubt hatte. Er selbst sei allerdings davongekommen, da sich die Straßenräuber auf reiche Einheimische beschränkt hätten.

Ich war froh endlich weiterfahren zu können. Nicht, daß es mir in Cartagena nicht gefallen hätte, im Gegenteil, aber meines Bleibens konnte hier nicht sein. Ich wollte ja noch so viel sehen und hatte mit dem Abschluß des Karibikküstenteils nur einen kleinen Bruchteil der Strecke nach Bolivien hinter mich gebracht. Außerdem wurde es Zeit, daß ich die Leichtigkeit des Küstenlebens hinter mir ließ, um die mentale Stärke, die für die anstehenden Bergetappen zu erlangen. Zuerst aber mal Malagana, der nächste Etappenort, von dem ich gehört hatte, daß er etwas gefährlich sein soll. Aber er hat die perfekte Distanz zum Hafen für den schnellen Weitertransport auf dem Río Magdalena nach Mompós.

José war morgens bei meiner Abfahrt im Hotel. Er gab zwar vor, was anderes zu wollen, aber er wollte hauptsächlich sehen, ob und wie ich losgekommen bin.



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