Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

11. Cartagena de Indias I

Ankunft

Gut zehn Kilometer weiter, am Flughafen vorbei, sah ich die Hauptstadt der Provinz Bolívar vor mir liegen. Vor dem Hintergrund des Meeres schien sie mir tatsächlich, wie die Perle der Karibik. Im Gegenwind, von Norden kommend, bin ich in Cartagena de Indias eingefahren. Trotz des Stadtplans im Reiseführer hatte ich nicht die rechte Orientierung. Anfangs wußte ich noch, wo ich war, aber im Gewirr der Straßen des alten Stadtkerns verlor ich den Weg. In einem teuren Hotel nachgefragt, wo man mir allerdings sagte, daß man ausgebucht sei. Argwöhnend, daß ich für die einfach nicht gut genug erschien, habe ich die Rezeptionistin höhnisch dazu beglückwünscht.

José und Marina

Immer wieder haben mich Einheimische anzusprechen versucht, um sich mir als Führer anzubieten, aber ich habe sie ignoriert. Als ich, eher zufällig vor dem Punta Arena stand, habe ich im Reiseführer geprüft, was drin stand. Da es zufriedenstellend war und die Hitze langsam unerträglich wurde, bin ich hinein. Die Rezeptionistin hatte ein Zimmer für mich, das ich auch gleich bezog. Der Preis war genial gut für fünf Mark fünfzig die Nacht. Aber das Zimmer ist, bei eigenem Bad, klein und trotz Ventilator schlecht zu belüften. Allerdings stand der Ventilator wegen eines der hier nicht unüblichen Stromausfälle nicht zur Verfügung, also habe ich mich zu Marina, der Rezeptionistin, ins Foyer gesetzt. Sie war etwa einsfünfundsechzig groß, schlank, was aber wegen ihrer großen Oberweite erst auf den zweiten Blick ersichtlich war, trug das schwarze Haar kurz und stammte aus Medellin, der Hauptstadt Antioquias. Im Verlauf der Reise sollte ich herausfinden, daß das Departement Antioquia in vielerlei Hinsicht das kolumbianische Äquivalent Bayerns ist.

Während wir eine angeregte Konversation über die hiesigen Verhältnisse führten, kam ein Schwarzer, etwa Mitte fünfzig, an die stets verschlossene eiserne Gittertür. Nachdem er Marina überzeugt hatte, ihm reinzulassen, wandte er sich an mich: er wolle mein Freund und Führer für Cartagena sein. Er würde mir auch einen guten Preis machen – zehn Mark am Tag für seine Dienste, so billig, wie nie, sagte er. José gab vor, aus einem anderen Grund zum Hotel gekommen zu sein, aber ich war sicher, daß er mich vorher gesehen hatte und mir nachgegangen ist. Immerhin besitzt er einen Bachiller, ein dem Abitur vergleichbarer Schulabschluß, und erschien mir daher qualifiziert.

Technik

Weil ich Bargeld brauchte, hat er mich zu einigen Wechselstuben im Linienbus nach Bocagrande, dem Touristenstadtteil auf einer Nehrung, gebracht. Da es ein Sonntag war, hatten nicht alle geöffnet, und die, die offen hatten, wollten nicht so recht. Erst, als er selbst, beim fünften Versuch, beim amigo ein Wort einlegte, konnte ich schlecht, aber doch einen Travellerscheck tauschen. Besser ginge es nicht, meinte er, weil die Wechselstuben, im Gegensatz zu den Banken, nichts an solchen Umtauschaktionen verdienen würden. Immerhin konnte ich so Marina eine Anzahlung auf die Hotelrechnung geben. Außerdem fanden wir holländischen Tabak. Es war nicht meine Marke, die hier angeboten wurde und billig war er auch nicht, aber ich war zufrieden, überhaupt Tabak gefunden zu haben. Nur das Zigarettenpapier ist ärgerlich teuer gewesen. Wenn man den Transport bedenkt, war der Tabak dafür recht billig.

Da mein Spanisch immer noch weit weg von der Perfektion war, stellte José mir einen kompetenten Spanischlehrer vor. Der Mann studierte Kunstgeschichte und Soziologie, sprach sogar einigermaßen gut deutsch. Ich habe mit ihm zehn bis zwölf Stunden zu acht Mark ausgemacht. Ab dem folgenden Tag immer zwei Stunden täglich. Amaury hat sofort meine grammatischen Mängel erkannt und versprach, sie zu beheben. Später hörte ich in der ebenfalls von José empfohlenen Wäscherei, in der sich seltsamerweise auch ein Internetanschluss befand, daß er sonst billiger war. Den deutschen Besitzer des Ladens habe ich nie zu Gesicht gekriegt, aber hinter seiner kolumbianischen Freundin, die am Tresen stand, habe ich seine Weißbier-Kartons im Regal gesehen.

Den Abend verbrachte ich mit Schreiben ins Tagebuch. Vor meinen Zimmer standen ein Tisch und ein Stuhl aus Plastik. Im Kühlschrank des Foyers, den ich von meinem Platz aus einsehen konnte, hatte ich meine Biervorräte deponiert, die ich in der tienda ein paar Häuser weiter gekauft hatte. Normalerweise, nach Reiseführerstudium und den Tagebucheinträgen saß ich auf der Couchgarnitur aus braunem Leder in der Hotelhalle, entweder beim Fernsehen oder im Gespräch mit Marina oder anderen Hotelgästen. Obwohl Cartagena, der Touristen wegen, ein vielseitiges Nachtleben anbietet, habe ich es nie genutzt.

Ein ziemlich sinnloser Morgenspaziergang, weil es sich als schwer erwies, Gebäck und Milch auf einmal zu finden. Später, als ich José getroffen hatte, zeigte er mir, was ich suchte: eine anständige Bäckerei.

Rundgang

Nach dem Frühstück ist er mit mir zum ersten Teil der Altstadterkundung aufgebrochen. Ich habe ihm erklärt, warum mich besonders das historische Cartagena interessiert. Mir waren die alten Piratenfilme mit Errol Flynn in Erinnerung, in denen es immer wieder um die Einnahme und Plünderung Cartagenas ging. Es ist historisch belegt, daß Piraten und Freibeuter, sogar die englische Flotte, bis weit ins achtzehnte Jahrhundert immer wieder den Hauptumschlagplatz des spanischen Goldes und Silbers in Südamerika angriffen und belagerten. Erst später erinnerte sich José des Tasmaniers, den er, wie viele seiner Landsleute für einen US-Amerikaner hielt.

Die Altstadt schlägt alle anderen, die ich bisher gesehen habe, um Längen: mehrstöckige alte Kolonialhäuser und das nicht nur vereinzelt, vereinzelt trifft man eher auf richtige Prachtbauten. Und drumherum die Stadtmauer aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts – teilweise weit über zehn Meter dick – aus dem Korallenkalk mit einem besonderen Mörtel und stellenweise mit Ziegelsteinen aus der Zeit der Befreiungskriege repariert.

Durch einen der drei Torbögen des Uhrenturms (Torre Reloj), in denen fliegende Händler Souvenirs anboten, betraten wir die Altstadt. Wir schlenderten über die belebte Plaza de los Coches, den Kutschenplatz, mit ihren umgebenden Arkaden, die vor der sengenden Sonne schützten. Eine steinerne Statue von Pedro de Heredia, der die Stadt 1533 gründete, steht in der Mitte des früher als Sklavenmarkt genutzten Platzes. José versuchte mir einzureden, daß de Heredia zwei Meter groß gewesen sein soll. Daß er seine Zeitgenossen überragte, will ich nicht bestreiten, aber zwei Meter schienen mir jedoch eine kolumbianische Übertreibung.

Durch die stark belebten und befahrenen Gäßchen der Altstadt ging’s zum Konvent der Augustiner, dem Sitz der Universität Cartagenas, das im italienischen Stil gebaut wurde. Hinüber zur Dominikanerkirche, Santo Domingo, der ältesten Kirche Cartagenas mit ihrem beeindruckenden Barockaltar, in den aber ältere Teile eingearbeitet wurden. Daß sie eher an eine Festung, als an eine Kirche erinnert, liegt wohl daran, daß sie vor der Stadtmauer errichtet wurde und so eine Schutzfunktion gegenüber Piraten hatte. Die etwa gleich alte Kathedrale wurde von Sir Francis Drake bei seinem Raubzug 1586 noch im Bau erwischt und zerstört, so daß sie erst dreißig Jahre später fertig wurde. Wir sahen den vergoldeten Hauptaltar im ansonsten recht schmucklosen Inneren.

José hat mir die Bauwerke aus seinem Schulwissen und wohl auch einiger Fremdenführererfahrung heraus erklärt. In der Kirche und dem Kloster San Pedro Claver hat er mich einem seiner vielen Freunde anvertraut, für eine Spezialtour in dem Haus, in dem Peter Claver, ein holländischer Mönch des frühen siebzehnten Jahrhunderts, gelebt hat. Einige der Räume, insbesondere der Wohnraum Clavers sind restauriert. Der Sonderführer berichtete einige Details aus den Leben des Mönchs und des Gebäudes. Der "Sklave der Sklaven", auch „ Apostel der Neger”, wollte dem Treiben der Sklavenhändler und -halter nicht mehr tatenlos zusehen. Dafür ist er vor über hundert Jahren heilig gesprochen worden.

Regeneration

Durch die zunehmende Hitze und die Lauferei wurde ich durstig und habe auf ein Bier gedrängt. In der tienda, in der wir den Durst löschten, kamen zwei Polizisten vorbei, die sich für meine selbstgedrehten Zigaretten interessierten. Ich zeigte ihnen den Tabak und offenbar waren sie erfahren genug, um zu wissen, daß hier Tabak verkauft und dementsprechend auch geraucht wurde. Sie gingen kommentarlos.

Inzwischen war es Mittagessenszeit und José führte mich zu zwei einander gegenüberliegenden Kantinen mit Plastikstühlen und -tischen in denen das Standardessen angeboten wurde. Dabei handelte es sich um eine Knochenbrühe, mal Kalb mal Huhn, mit yuca, Kochbananen und Gemüse und anschließend eine ovale Platte auf der sich – je nach Bestellung Rindfleisch, Huhn, oder Fisch befand. Dazu gab's als Salat viele rohe Zwiebelringe mit wenigen Tomatenscheiben. Als Beilagen fungierten, ebenfalls variabel, frittierte Kochbananen, Reis, gekochte oder frittierte Yucca und/oder Pommes. Eigentlich war im Preis von umgerechnet zwei Mark fünfzig ein Fruchtsaft oder Limo inbegriffen, aber ich bestellte immer Bier dazu. Trotz der scheinbaren Eintönigkeit, war das Essen immer gut und verträglich. Das erste der beiden Restaurants war zu voll, so daß ich zum Abendessen später alleine hin bin.

Organisation

Satt und zufrieden, habe ich José aufgefordert, mir einen Schreibwarenladen zu zeigen, wo ich mir ein Heft für die Spanischlektionen gekauft habe. Bis wir auch noch beim Fremdenverkehrsamt einen Stadtplan gefunden hatten, war es auch schon Zeit zum Hotel zurückzukehren, um mich auf den beginnenden Grammatikkurs mit Amaury vorzubereiten. José war mit zurück ins Hotel gekommen und wir unterhielten uns noch ein wenig mit Amaury, bevor wir anfingen. Dabei verkaufte mir José für den übernächsten Tag, den Mittwoch, eine Bootstour zu den südwestlich gelegenen Rosario-Inseln, die Nationalpark sind. Gut zwanzig Mark mit Mittagessen und Bootstransfer.

Nach der Lektion bin ich in die Wäscherei, um ins Internet zu gehen. Auch, wenn ich von der Tatsache begeistert war, daß auf den Rechnern Linux lief, überwogen die Nachteile, weil die Verbindung langsam und instabil war. Außerdem funktionierte die Zwischenablage nicht wie gewünscht. Da es aber in Cartagena genügend Internetplätze gab, beschloß ich daraufhin, mir ein anderes zu suchen. Für diesen Tag war es allerdings zu spät, weil es bereits aufs Abendessen zuging.

Altstadt und Anektdoten

Am Vormittag bin ich mit José die zehn Kilometer der noch existierenden Stadtmauern abgelaufen. Die mehr als dreihundertfünfzig Jahre alten murallas, wie man die Stadtmauer hier nennt, aus Korallenblöcken, erstreckt sich noch um fast die ganze Innenstadt, die auf einer Insel liegt; Mehr als zwei Kilometer im Südwesten, eine ansehnliche Bastion, hat ein unkultivierter gobernador, ein Provinzgouverneur also, zur Straßenverbreiterung einreißen lassen. José gab seine Erklärungen zu Schießscharten für Gewehre und Kanonen und Wachtürmen und -unterständen, dem speziellen Mörtel, der verwendet wurde, den vielen Reparaturen nach Angriffen. Teilweise war es mehr, als nur ein einfacher Wehrgang, wie beispielweise an den bóvedas, Gewölben, die als Pulvermagazin und Gefängnis in der Zeit der Kolonie genutzt wurde. Die Torbögen waren bei meinem Besuch voller Händler.

Die Zeit verging wie im Flug. Als wir ziemlich verschwitzt wieder an der Plaza de los Coches standen erzählte, er mir stolz vom ersten schwarzen freien Händler, der ebenfalls hier gestanden hatte, um seine Waren anzubieten. Da habe ich ihn, der selbst ein wohl ziemlich reiner Schwarzer ist, gefragt, ob es ein entlaufener Sklave, ein cimarron, gewesen sei. Er ist fast aufgebracht über die Frage gewesen: Das seien doch unzivilisierte Wilde, mit denen man nichts zu tun haben wolle! Er, dessen Familie die Sklaverei überstanden hat, ist – nicht nur in seinen Augen – zivilisiert. Der Gedankengang, daß schwarze Sklaven hinterher, eben weil sie nicht in die Freiheit flüchteten, die Zivilisierten sind und nicht die "Wilden", verdient Beachtung.

Von hier aus sahen wir uns einige prächtige Kolonialhäuser mit wunderbaren, begrünten Innenhöfen an, zu denen José mir einiges über die Erbauer und wechselnden Besitzer erläuterte. Es waren die Häuser der Herzöge von Valdehoyos, der Grafen von Pestagua, von Don Benito und das Stilleben (bodegon) von la Candelaria (Lichtmeß). Ich glaube nicht, daß ich in alle Gebäude ohne Josés Hilfe gekommen wäre.

In der Calle de Damas konnte ich ihm aus dem Informationsbüchlein der Tourismusbehörde vorlesen: Carlos III. stellte Ende des achtzehnten Jahrhunderts bei einer Prüfung des Staatshaushalts fest, daß in die Festung San Felipe Unsummen flossen. Er soll ins Leere gestarrt haben und gefragt haben: "¿Donde estás que non te veo?" Wo bist du, daß ich dich nicht sehe? Ein Satz, der José und mir noch viel später zu manchem Scherz herhielt. Der Bourbone beschloß also, selbst in Südamerika nachzusehen, ob sein Geld auch gut angelegt sei. Da eine solche Reise für einen König zu dieser Zeit nicht ungefährlich war, verkleidete er sich als Frau und logierte in einem der Häuser, der Gasse, die deswegen heute Calle de las Damas heißt.

Nachdem wir dem Gewühl des Zentrums Richtung Osten entronnen waren, führte mich José zur kolonialen Holzstierkampfarena. Da von außen nicht viel zu sehen war, wollte ich wissen, ob man hinein könnte. Mein Führer fragte einen zufällig vorbeikommenden Anwohner, wessen Garten hinter dem Haus dafür geeignet war. Er klopfte an der entsprechenden Tür, wies sich als Fremdenführer aus und fragte, ob wir durch den Garten der hier lebenden Familie zur Stierkampfarena gehen könnten, um die Stierkampfarena zu besichtigen. Die ältere, dicke Mulattin, die uns geöffnet hatte, führte uns durch ihr Wohnzimmer hinter das Haus.

Die Stierkampfarena war leider halb zerfallen und wurde sogar teilweise zum Trocknen der Wäsche der umliegenden Bewohner zweckentfremdet. Wir konnten ein Stück weit unter den steilen Sitzreihen herumlaufen, aber aufgrund der Baufälligkeit der morschen Holzkonstruktion, war es leider nicht möglich, auf die Sitzreihen zu klettern.

Routine

Schließlich wurde es Zeit zum Mittagessen zu gehen. Die anschließende Spanischstunde – ich zeigte bereits Wirkung – wurde fast zur Plauderstunde, beim Üben der Vergangenheitsform. Irgendwann kamen wir auch zur Philosophie, aber bis ich "Echl", wie Amaury es aussprach, als Georg Friedrich Wihlhelm Hegel identifizieren konnte, hat’s etwas gedauert. Soziologenvordiplomniveau eben, aber bisher der höchste Bildungsstand, den ich bewußt in Kolumbien angetroffen habe. Nach der Spanischlektion plauderte ich noch etwas mit Amaury, so daß es mir zu spät wurde, um an diesem Tag ins Internet zu gehen.

Später, als sich José und Amaury verabschiedet hatten, lief ich noch etwas spazieren, bevor ich zum Abendessen ging. Ich blieb an diesem Abend länger am Tisch vor meinem Zimmer, weil ich nicht nur ins Tagebuch schrieb und im Reiseführer las, sondern ich wiederholte auch das, was Amaury mir beigebracht hatte, bevor ich ins Foyer zur Abendgestaltung ging.

Bootsausflug

Bis in den frühen Nachmittag war eine Bootsfahrt zu den Nationalparkinseln von Rosario angesetzt. Obwohl der Tag früh gut begann, entwickelte er sich zu einer Tortur. José hatte mich zur Bootsanlegestelle gebracht, war dann aber vorsichtshalber schnell abgehauen. Er durfte zwar nicht mit in den Abfahrtsbereich hinein, aber die Mole hätte er mir schon besser definieren müssen. So ist es zu erklären, daß ich mich aufgrund einiger technischer Pannen, mit eineinhalbstündiger Verspätung, zwar auf der richtigen Route aber beim falschen, gleich schlechteren Veranstalter wiederfand. Aber die Fahrt von der Anlegestelle an der Mole der Pegasi (Muelle de Pegosos) – am Ostrand, zum Paseo de los Mártires, stehen tatsächlich zwei geflügelte Pferde aus Stein – in die Bahia de los Animas, die Bucht der Seelen, vorbei an der Virgen del Navegante, der Jungfrau der Seeleute, einer etwa vier Meter hohen Steinstatue, und später zwischen der Nehrung des Touristenstadtteils Bocagrande und der Insel Tierrabomba hinaus aufs offene Meer, erwies sich als sehr schön – und flott. Nur die kleinen Schnellboote der Tourveranstalter mit wenig Tiefgang kommen hier über die Untiefen der Korallen zwischen den Inseln und Halbinseln. Die einzige Hafeneinfahrt am Ende der Inseln in der Bucht von Cartagena ist von zwei Wachforts gesichert: die Batería de San José und die Fuerte de San Fernando, die wir auf der Rückfahrt besichtigten.

Ziemlich schnell, mit rund fünfzig Stundenkilometern, sind wir in dem zirka acht Meter langen Boot mit ungefähr einem Dutzend Sitzreihen, zwei Plätze zu beiden Seiten des Mittelganges, zur winzigen Insel San Martin de Pajarales gefahren, auf der, außer den Touristenkiosken, ein Aquarium eingerichtet war. Zehn Mark Eintritt, die nicht im Fahrpreis inbegriffen waren, erschienen mir doch zu teuer. Nach einer Stunde, die ich mit der Erkundung des frei zugänglichen Teils der Insel und einer Stärkung zugebracht hatte, ging’s zur ehemaligen Insel Barú, zu der eine Straße gebaut worden war. Die Playa Blanca, der weiße Strand ebenda, erwies sich als die, mit Abstand, schönste und klarste, bisher gesehene Bucht. Sichttiefe mindestens sechs Meter. Der Strand war weiß und bei weitem nicht so überlaufen, wie in Tucacas. Und schöner, als in Taganga. Während sich das Gros der Passagiere mit Schnorcheln und in den Strandkiosken vergnügte, habe ich mir die Halbinsel angesehen. Ich wanderte zu einem Höhlensystem mit Vampirfledermäusen im Korallenriff, das aus dem Meer ragt und ausgespült wurde, mehr oder weniger rezent. Krebse, Eidechsen und anderes Kleingetier versteckte sich in den ausgewaschenen Spalten des Riffs. Danach bin ich ebenfalls an einen der Kioske, um mich zu stärken.

Wir rasten zurück nach Tierrabomba, an dessen Südspitze wir ankerten und ein schlechtes Essen in einem zweitklassigen Restaurant serviert bekamen. Hier erst merkten die Veranstalter an der Essenskarte, daß ich eigentlich fehl am Platz war, aber um noch etwas zu ändern, war es zu spät. Wieder nervte ein Einheimischer, der mich unbedingt führen wollte. Mit seinen Erklärungen sah ich mir die Fuerte San Fernando an.

Es war weniger der Preis, über den ich mich ärgerte, als vielmehr die Pannen und der schlechte Service. Dafür war der Preis zu hoch. Der Zeitplan war durch die späte Abfahrt auch ziemlich durcheinadergeraten, so daß ich mit eineinhalb Stunden Verspätung zur Spanischstunde kam. José, der in der Hotelhalle mit Amaury auf mich wartete, habe ich erst mal rund gemacht, wie er dazu käme, mir so was als eine gute Tour zu verkaufen; es schien ihm ernsthaft auf den Magen geschlagen zu sein. Der Ruf dieser Firma hing sowohl mit seinem, als auch dem Ruf von Cartagena zusammen. Deswegen war ich mit José ziemlich unnachsichtig.

Weil’s schon so spät war, habe ich nur eine Stunde Spanisch gemacht. Nach der Spanischlektion wollte ich, nach dem schlechten Mittagessen auf Tierrabomba, etwas teurer, in der Hoffnung, daß es besser sei, essen gehen. Nach einigem Suchen fand ich ein Restaurant, das besser aussah, aber nicht war.

San Felipe de Barajas

Morgens hat mich José zur Besichtigung der Festung San Felipe de Barajas abgeholt. Da er mir vorher schon über die zu erwartenden Tunnel und Gänge berichtet hatte, brachte ich zur näheren Erkundung derselben, meine Taschenlampe mit. Schon von weitem sahen wir das Fort mit seinen Wällen und Türmen aufragen. Vor der Zugbrücke am Eingang steht das Denkmal eines arm- und beinamputierten Kämpfers mit Augenklappe in der Tracht eines Spaniers des achtzehnten Jahrhunderts: Blas de Lezo, der Verteidiger von Cartagena. José gab mir einige Erklärungen zu der Schlacht, die ihn berühmt gemacht hatte. Aber erst am nächsten Tag, im Schifffahrtsmuseum, am Modell der Schlacht, habe ich wirklich verstanden, worin seine außergewöhnliche Leistung bestand.

Die wirklich beeindruckende, von einem Holländer in der ersten Bauphase, Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, entworfene und von Negersklaven gebaute Burg ist der fast fünfzig Meter hohe Hügel, auf dem sie erbaut ist! Die sieben Mauerebenen, die den Hügel künstlich versteilen, sind alle zu Wehrgängen ausgebaut und individuell zu verteidigen. Der Inselhafen war früher schmaler, so daß die Befestigungsanlagen bis ans Wasser gereicht haben. Die Mauern waren mit Luftlöchern versehen, daß der Hügel atmen konnte – genial. Der ganze Hügel ist wie ein Schweizer Käse durchlöchert von einem Tunnelsystem, das die Ebenen untereinander und mit dem Meer verbindet. José und ich verbrachten eine Stunde in den feuchten Tunneln, ohne jedoch alle erreicht zu haben. Abflussrinnen, Wachtürme und Schießscharten – auch für Kanonen und in den kleinen Wachtürmen – vervollständigten das Bild der uneinnehmbaren Festung. Ganz oben auf der letzten Ebene steht das steinerne Wohngebäude des Festungskommandanten und einige Werkstätten, die restauriert sind, damit man sich ein Bild des Lebens in der Festung machen kann.

Auf einer der oberen Ebenen steht ein teurer Kiosk, an dem wir ein Bier genommen haben. Die Besitzerin, die sechsundzwanzig Jahre in der Schweiz gelebt hat, hörte mir wohl an, daß ich Deutscher bin und sprach mich auf deutsch an. Wir haben eine ganze Weile geplaudert.

Lifestyle

Auf dem Rückweg kamen wir an der Statue der India Catalina vorbei. Die nach der Überlieferung blendend schöne Häuptlingstochter soll von Alonso de Ojeda aus der Nähe meiner letzten Übernachtung vor Cartagena geraubt worden und über den Umweg des Sklavenmarkts von Santo Domingo in den Besitz Pedro de Heredias gelangt sein. Dem Stadtgründer Cartagenas sollte sie im Umgang mit den Indianern der Region dienlich sein. Obwohl viel begehrt, soll sie sich ihr ganzes Leben lang den Eroberern verweigert haben.

Nach dem Mittagessen widmeten wir uns technischen Notwendigkeiten. José führte mich in den Centro Commercial Getsemaní, wo ich die Batterie meines Reiseweckers tauschen lassen konnte. Dabei fragte ich auch nach einheimischen filterlosen Zigaretten. Die einzigen, die er kannte, waren Pielroja, Rothaut. Mit diesen an Gauloises oder Rothändle erinnernden Zigaretten kam ich bis weit nach Ecuador hinein sehr gut zurecht. Und wir gingen erneut in die Wäscherei, aber nicht wegen des Internets. Pünktlich kehrten wir in Hotel zurück, wo ich mit Amaury die nächste Lektion abhielt. Danach endlich fand ich die langersehnte Gelegenheit, ins Internet zu gehen. In einem nahegelegenen Hotel war ein Raum mit einigen Computern, von wo aus ich Verbindung mit dem Server aufnehmen und meine Post lesen konnte.

Später, beim Bier in der Hotelhalle bekam ich mit, wie sich Marina eine hamburguesa holen ließ. Da ich vorher keine Lust auf ein Abendessen verspürt hatte und mir Marina versicherte, daß die Hamburger sehr gut seien, bin ich ebenfalls die Gasse zur La Trinidad Kirche hochgelaufen, um mir einen Hamburger zu beschaffen. Eigentlich bin ich kein Freund solcher Schnellessen, aber hier greift die in Schnellrestaurants in Deutschland gemachte Erfahrung nicht. Eine füllige, ältere Schwarze briet die Hamburger frisch auf der Kochplatte ihres kleinen Standes auf dem Kirchplatz fügte frischen Salat, Tomaten, Zwiebeln und einige Soßen meiner Wahl hinzu und heraus kam einer der besten Hamburger, die ich je gegessen hatte. In Großstädten, habe ich später herausgefunden, gibt es wohl die ungeliebten Hamburgerketten, aber die Mehrzahl der Südamerikaner kauft ihre Hamburger frisch an Straßenständen – zurecht.



zurück zum Inhaltsverzeichnis