Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher
W3C-Validierung

Neuigkeiten zu meiner Arbeit am Unabhängigkeitskrieg



Wie angekündigt, wende ich mich diesmal den für mein Werk über die Unabhängigkeitskriege in den Bolivarianischen Ländern benutzten Quellen zu, die gegenüber denen für diese Internetseiten benutzten, natürlich eine signifikante Erweiterung finden mußten. Ich verwende vorwiegend Literatur von Autoren, die diese Zeit selbst erlebt haben. Der nachfolgende Text ist, auch ungeachtet der Dokumentsammlungen, die ich für mein Buch verwende, keine vollständige bibliographische Liste, es ist eine Zusammenstellung der wichtigsten Literatur, auf der meine Arbeit fußt. Bei den Verfassern ist zu unterscheiden, ob es sich um direkt an den Geschehnissen Beteiligte oder quasi-neutrale Beobachter handelt. Hinzu kommen die Historiker der betrachteten Länder, die nicht nur, wie Beteiligte und Beobachter gelegentlich, sondern nahezu durchgehend aufgrund von Dokumenten der tatsächlichen Augenzeugen/Beteiligten ihre Darstellung abgeben. Auch, wenn die Konvention für Literaturzitate, wie sie heute existiert, damals noch nicht üblich war, werden bei Briefen zumeist Autor, Datum und Ort genannt, um nachvollziehen zu können, auf welcher Grundlage die Beschreibung von Ereignissen beruht.


Um den Wert von Informationen in den Quellen halbwegs einschätzen zu können, ist es unerläßlich zu wissen, woher sie kommen und unter welchen Bedingungen diese niedergelegt wurden. Einem Geologen genügt dafür eine Aufschlußbeschreibung mit Foto, Skizze und genauer Positionsangabe. Natürlich kann auch das Gestein im Anstehenden, beispielsweise durch Erosion oder Vegetation, seine wahre Natur anfänglich verschleiern. Der Unterschied zur Arbeit mit den Schriften vergangener Zeiten, besteht in bewußten Lügen und Weglassungen, die das Ziel verfolgen, einen Schein zu erwecken, der nichts mit der Realität zu tun hat. Persönliche Eitelkeiten, die meist am schnellsten entlarvt werden können, stellen kein echtes Hindernis zum Verständnis dar. Auch die nahezu allgegenwärtige Vaterlandsliebe auf allen Seiten, die versucht, ein möglichst glänzendes Bild zu entwerfen, läßt sich mit etwas Übung und Erfahrung herausfiltern. Schließlich ist Propaganda ein unverzichtbarer Teil des Krieges. Das sind allerdings keine Phänomene aus Südamerika, sondern sind weltweit und zu allen Zeiten beobachtbar; zweifellos gibt es jedoch lokaltypische Ausprägungen.


Die Zeitzeugen haben ihren unverrückbaren Blickwinkel auf die Ereignisse und die Art, wie sie diese dargestellt sehen möchten. Auch, wenn der Leser nicht über Ereignisse und Zusammenhänge hinweggetäuscht werden soll, die persönliche Meinung des Autors hat immer einen Einfluß auf sein Werk. Wie offen der Schreiber beispielsweise mit seiner politischen Einstellung umgeht, ist ein Indiz für seine Glaubwürdigkeit, denn das Verbreiten, unzureichend als solche gekennzeichnete, persönliche Meinungen als Tatsachen hinzustellen, kratzt am Ruf jedes Autors. Akteure können in die Verlegenheit geraten, ihr eigenes Handeln darzustellen, während Zeitzeugen, die ihre Beobachtungen und die dazugehörigen Hintergründe wiedergeben, dies aus einem anderen Blickwinkel und generell ohne Hintergedanken tun. Mit letzteren soll diese kleine Aufstellung beginnen.


Der Brite William Bennet Stevenson (ca. 1787- nach 1830) war als Kind nach Ecuador gekommen und befand sich zufällig als Sekretär im Dienst des Gerichtspräsidenten, als in Quito 1809 der Aufstand ausbrach. Später begab er sich nach auch Lima und beobachtete die dortigen Ereignisse für den dritten Band seiner „Historical and descriptive narrative of twenty years of residence in South America“ (London, 1825). José Santos Vargas (1796-1852) ist zwar ein Beteiligter, aber das Tagebuch des Tambourmajors einer Guerilla in Oberperu (Diario de un soldado de la Independencia, 1982) offenbart zuweilen eine Naivität, die ihm den Vorwurf der bewußten Lüge erspart. José María Caballero (1770-1819), der die Ereignisse in Bogotá in seinem Tagebuch der Unabhängigkeit (Diario de la Independencia; Bogotá, 1974) festhielt, bemüht sich um eine halbwegs wertfreie Darstellung der Geschehnisse aus der Sicht eines Bürgers. Auch der Maler und Autor José María Espinosa (1796-1883), ebenfalls in Neugranada, schildert aus seiner Perspektive (Memorias de un Abanderado; Bogotá, 1936) zwar nicht völlig neutral, aber doch ohne Hintergedanken. Diese Autoren hatten zwar zumeist wenig Zugang zu Entscheidungsträgern und deren Motivationen, aber sie drücken unmißverständlich die Sachverhalte aus, was einige der nachfolgend genannten Autoren gelegentlich geradezu akribisch vermeiden.


In die Reihe der halbwegs objektiven Darstellungen ist man geneigt, auch einige der Beteiligten zustellen, wie den Neugrenadiner Manuel Antonio López (1803-1881) zu stellen, obwohl dieser als Offizier mit zeitweiser Tätigkeit im Stab Bolívars durchaus ebenso zur Verklärung hätte beitragen können. Seine „Recuerdos historicos“ (Bogotá, 1878) zeigen Sachkenntnis, vermitteln aber auch Emotionen, ohne dabei bewußt die Geschichte zu verfälschen. Vielleicht etwas überraschend, ist auch der Spanier Joaquín de la Pezuela (1761-1830) hier anzusiedeln. Sein „Memoria Militar (1813-1815)“ (Lima, 1955) ist für einen Oberbefehlshaber, der für seine Leistungen in Oberperu zum Vizekönig Perus ernannt wurde, recht offen und schnörkellos, auch, wenn er von Berufswegen eigentlich hätte Propaganda machen müssen. Ähnlich korrekt berichtet auch Juan Antonio Álvarez de Arenales (1770-1831) in seiner „Segunda campaña a la sierra del Perú 1821“ (Buenos Aires, 1920) während der Landung von José de San Martín in Peru. Weil der Befehlshaber des spanischen Expeditionsheers 1815, Pablo Morillo (1775-1837), seine Memoiren (Bogotá, 2010) 1826 auf Französisch verlegen ließ, und erst 1950 eine spanische Auflage erschien, kann er sich sich eine relativ freie Meinungsäußerung erlauben, ohne dabei mehr, als dem üblichen Patriotismus zu frönen. Auch der in Venezuela agierende Offizier José de Austria (1791-1863), der viele Dokumente in seinem „Bosquejo de Historia Militar de Venezuela en la Guerra de Independencia“ (Valencia, 1857) verarbeitet, bemüht sich, als auf Seiten der Patrioten agierender Militär, um eine weitgehend sachliche Darstellung.


Die meisten Historiker zeichnen sich ebenfalls durch Patriotismus aus, schon, weil sie auf Berichte der Beteiligten angewiesen sind. Die Feldherren auf dem Schlachtfeld passen die Realität ihrem Bericht an, um einerseits sich, wie andererseits die Seite, für die sie kämpften, zu glorifizieren. Der spanische Hofchronist Mariano Torrente (1792-1856) hätte obendrein mit Kerker rechnen können, wenn er in seiner „Historia de la Revolucion Hispano-Americano“ (Madrid, 1829/30) auch nur im Ansatz versucht hätte, die Idee der Abspaltung vom Mutterland zu verharmlosen oder den spanischen Militärs ihre Fehler zu sehr vorzuhalten. Daher fällt ihm erst gegen Ende des dritten und letzten Band seines Werkes auf, daß Militärs in ihren Berichten zur Übertreibung neigen, was natürlich weniger für seine Landsleute, als vielmehr für den Gegner gelten soll.


Mariano Felipe Paz Soldan (1821-1886) zitiert für seine „Historia del Perú independiente“ (Lima, ab 1868) zumeist Dokumente aus dem Katalog der Nationalbibliothek. Wo er selbst die Lücken füllt, die es zwangsläufig gibt, vertritt er seine Meinung, mit Vaterlandsliebe gewürzt. Dieses Werk ist in jeden Fall Pflichtlektüre für die Ereignisse in Peru. Manuel Mendiburu (1805-1885) vermeidet in seinem „Diccionario histórico-biográfico del Perú“ (Lima, ab 1874) zuweilen unangenehme Zusammenhänge, schildert allerdings, auch anhand vieler Dokumente, wichtige Details zu den Ereignissen. Die acht Bände umfassen den Zeitraum ab der spanischen Eroberung.


Der bolivianische Autor Manuel José Cortés (1815-1865) gibt in seinem „Ensayo sobre la historia de Bolivia“ (Sucre, 1861) einen Überblick über die Ereignisse in seiner Heimat, ohne jedoch zu sehr in die Tiefe zugehen. Auch der Richter und Politiker Manuel María Urcullu folgt mit seinen „Apuntes para la historia del Alto-Peru, hoi Bolivia, por unos patriotas“ (Sucre, 1855) lediglich der großen Linie der Ereignisse. Trotzdem gelten sie als die wichtigsten Standardwerke von Zeitzeugen. Der Offizier Miguel Ramallo bringt mit den „Batallas de la Guerra de la Independencia Altoperuana“ (La Paz, 1913) etwas Licht in die militärischen Details und gewährt mit dem „Guerra Domestica“ (Sucre, 1916) interessante Einblicke in die innerspanischen Auseinandersetzungen im Vorfeld der Entscheidungsschlacht von Ayacucho. Eine gute Ergänzung zu den Ereignissen in Peru und Bolivien, bietet der argentinische Historiker und Politiker Bartolome Mitre (1821-1906) mit seinen Werken „Historia de San Martín y de la Emancipación Sudamericana“ (Buenos Aires, 1890) und „Historia de Belgrano y de la Independencia Argentina“ (Buenos Aires, 1887). Er hat beispielsweise auf die Ereignisse um Bolívar und dessen Heer in Peru einen unverstellten Blick, aber auch er ist zweifellos argentinischer Patriot, mit eigenen nationalen Interessen, was sich in Bolivien besonders gut beobachten läßt.


Die „Historia eclesiastica y civil de la Nueva Granada (Bogotá, 1869) des Historikers und Malers José Manuel Groot (1800-1878) beleuchtet, ebenfalls reichlich mit Dokumenten hinterlegt, die Geschichte Neugranadas aus unterschiedlichen Blickwinkeln. José María Baraya (1828-1878), der für seine „Biografías militares“ (Bogotá, 1878) aus dem laufenden Etat des Departements Cundinamarca finanziell bei der Veröffentlichung unterstützt wurde, liefert auch Informationen abseits der Hauptwerke der Historiker, die gelegentlich sehr nützlich sind. Gleiches gilt auch für die „Cronicas de Bogotá“ (Bogotá, 1981) von Pedro María Ibáñez (1854-1919), die längst nicht so lokal sind, wie der Name vermuten läßt. Für den wichtigsten n eugrenadiner Autor, Restrepo, werden weiter unten eigene Kategorien von beabsichtigten Falschdarstellungen eingeführt.


Der Ecuadorianer Jacinto Jijón y Caamaño (1890-1950) „Quito y la independencia de América“ (Quito, 1922) gibt einen kompetenten Überblick über die Ereignisse seines Heimatlandes und schließt Lücken in der Geschichte Kolumbiens. Der aus Guayaquil stammende Historiker Rodolfo Pérez Pimentel (*1939) präsentiert auf seinen Webseiten seine Werke „El Ecuador Profundo“ und „Diccionario Biográfico del Ecuador“, die Einblicke etwas abseits der großen Ereignisse bieten, aber keineswegs lediglich das Hintergrundpanorama verdichten. In den beiden ersten Bänden der „Historia general del Ejército Ecuatoriano“ ergänzt der Offizier Edison Macías Núñez (*1944) militärische Aspekte.


José María Baralt (1810-1860), dessen Onkel in den Zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts Parlamentspräsident in Bogotá war, holte diesen 1827 zu sich, um die Ausbildung abzuschließen. Eine erste Fassung seines Geischichtswerks von 1841, überarbeitete Baralt zwar noch selbst, aber der Historiker Ramón Díaz vervollständigte und publizierte das „Resumen de la Historia de Venezuela (1797-1830)“ (Curaçao, 1887) in drei Bänden. Der aus Caracas stammende Feliciano Montenegro Colón (1781-1853) hatte im Krieg für Spanien gekämpft, aber er blieb danach in Venezuela. Hier zeichnete er sich später in der Volksbildung aus. Seine „Geografía general para el uso de la juventud de Venezuela” (Caracas, 1833-1837) in vier Bänden präsentiert einige Kontrapunkte zur Darstellung patriotischer Historiker. Wie auch bei anderen Zeitzeugen, gibt es bei diesem Autor gelegentlich Lücken, seine eigene Rolle betreffend.


Die primitivsten Formen der Lügen dienen meist der persönlichen Eitelkeit und sind oft mit einfachen Mitteln zu entlarven. Die Entfernungen zwischen zwei Orten haben sich nicht verändert und sind meßbar. Gewaltmärsche, wie beispielsweise der von Morillo 1818 in Venezuela, können natürlich nicht lang und hart genug geschildert werden. Solange Wegmarken erwähnt werden, können die Strecken und damit die Entfernungen nachvollzogen werden. Fehlen diese Hinweise, kann das auf unerlaubte Beschönigung hindeuten, mit der grundsätzlich zu rechnen ist. Was für den Marsch von Soldaten gilt, ist auch auf Botenritte übertragbar und trägt viel zur Lösung der oft entscheidenden Frage bei, wer, wann, was wußte, oder zumindest hätte wissen können. Die einfachste Variante, zu der gern gegriffen wird, sind keine oder unklare Informationen zu Zeiten und Orten.


Der Engländer William Miller (1795-1861) schrieb seine Memoiren (in the service of the Republic of Peru. London, 1828) für ein europäisches Publikum, das sich in Südamerika nicht auskannte. Ein bekanntes Beispiel für eine schamlose Übertreibung, ist die Havarie der Fregatte, auf der er als Chef des Marineinfanteriekorps diente. Miller legte die Grundberührung 50 Meilen vor die Küste von Chile. Tatsächlich befand sich das Schiff in der Bucht von Talcahuano, bei der Insel Quiriquina, die kaum zwei Kilometer von einer, die Bucht begrenzenden, Halbinsel entfernt liegt. Vizeadmiral Thomas Alexander Lord Cochrane (1775-1860), der die Fregatte kommandierte, bestätigte natürlich in seinen Memoiren „Narrative of Services in the Liberation of Chili, Peru and Brazil“ (London, 1859) die Darstellung Millers, da diese auch zu seinem Ruhm beitrug. Für den Fortgang der Ereignisse, ist in diesem Fall der Ort der Handlung nur insofern bedeutend, als Lord Cochrane seiner Besatzung die Rückkehr in den nahen Hafen ausreden mußte, um auf der anschließenden Kaperfahrt Erfolge präsentieren zu können. Auch der Schotte Gregor MacGregor (1786-1845), der in Venezuela kämpfte, macht sich seinen Memoiren (London, 1820) der Übertreibung schuldig, aber alle diese Autoren liefern wichtige Informationen, die nicht sie selbst oder ihre Reputation betreffen.


Der Brandenburger Hugenotte Heinrich Ludwig Villaume, der als Louis Henry Ducoudray Holstein (1772-1839) mit „Bolivars Denkwürdigkeiten“ (Hamburg, 1830) erstmals umfassend auf Deutsch veröffentlichte, ist Bolívar alles andere, als gewogen. Seine Darstellung krankt jedoch hauptsächlich daran, daß er Zeitzeugen wiedergibt, da er selbst nur einige Monate Bolívars Stabschef gewesen war. Die Ereignisse vor seinem Zusammentreffen mit Bolívar 1815 auf Haiti, kennt er nur aus den Erzählungen von Bolívars Anhängern und für die danach, beruft er sich auf teilweise namhafte Zeugen. Bei diesen ist allerdings nicht ersichtlich, woher diese ihre Informationen bezogen haben sollen, da sie selbst nicht in Südamerika waren. Ducoudray Holstein war jedoch bereits 1812 nach Cartagena de Indias gekommen und 1815 vor den Spaniern nach Haiti geflohen, wo er auf Bolívar traf. Für die Ereignisse, die er selbst miterlebte, ist er Augenzeuge, wie andere Autoren auch.


Die Erinnerungen der beiden Offiziere in den Reihen der Unabhängigkeitskämpfer Tomás Cipriano Mosquera (1798-1878) und José Hilario López (1798-1869) ergänzen sich während des Krieges, da sie meist an verschiedenen Fronten zum Einsatz kamen. Danach gehörten sie unterschiedlichen politischen Lagern an, was naturgemäß zu Auffassungsunterschieden führt. Ein weiterer Unterschied ist, daß Bolívars Anhänger Mosquera diesem sein Werk „Memoria sobre la vida del general Simón Bolívar“ (Bogotá, 1954) widmet. López, der Bolívar, nach dem Krieg, wegen dessen größenwahnsinniger Autokratie bekämpfte, pflegte laut seinen Memoiren (Paris, 1857) trotz der politischen Meinungsunterschiede mit Bolívar, ein gutes Verhältnis zu diesem. Beide Autoren können sich auf persönliche Gespräche mit Bolívar berufen und haben meist tiefen Einblick in die Geschehnisse, beziehungsweise waren führend daran beteiligt. In diesem letzten Fall verschweigen beide gelegentlich Details zu ihrem eigenen Handeln, um ihren Ruf zu schonen, zumal beide viel später Präsidenten von Kolumbien waren. Nicht unbedingt von den beiden Autoren in dieser Form gewünscht, aber durchaus hilfreich zum Gesamtverständnis, kann es vorkommen, daß sie sich verplappern, was sie fast schon in die Nähe der unbedarften Zeitzeugen rückt.


José Antonio Páez (1790-1873) neigt in seiner „Autobiografía“ (New York, 1869) zweifellos ebenfalls zur übertrieben ruhmreichen Darstellungen seiner Heldentaten. Allerdings besteht bei diesem ebensowenig Veranlassung zur Selbsterhöhung, wie bei Miller, denn beide waren außerordentlich kühn in ihren Militäroperationen. Bei Páez kommen jedoch politische Tätigkeiten hinzu, die zu noch größeren Verdrehungen der Wahrheit führen, als bei den Einsätzen auf dem Schlachtfeld. Als Autor bleibt Páez, auch nach drei Amtszeiten als Präsident Venezuelas, der einfache Llanero, als der er seine Karriere begonnen hatte. Das heißt, er benutzt keine besonders ausgefallenen rhetorischen Techniken, um seine bewußten Unwahrheiten zu kaschieren.


Solche Techniken lassen sich bei dem auf Seiten der Spanier kämpfenden Offizier Andrés García Camba (1793-1861) in seinen Memoiren (para la historia de las armas en el Perú. Madrid, 1846) durchaus beobachten. Dieser war als Stabs-und Führungsoffizier auch deswegen beliebt, weil er, aufgrund seiner allseits bekannten Eloquenz, oft für das Verfassen von Heeresberichten herangezogen wurde. Insbesondere, wenn es nötig war, negative Ereignisse positiv darzustellen. In seinem Werk nutzt er seine sprachlichen Fähigkeiten, um Weglassungen von Sachverhalten und Ereignissen zu tarnen, wenn er dies für zweckdienlich hält. García Camba, der direkt mit Miller in Peru zu tun hatte, bemerkt zu dem obigen Beispiel hämisch, die Äste von Bäumen auf der Insel Quiriquina hätten die Takelage von Lord Cochranes Fregatte gestreift, als diese beschädigt wurde. Seine Absicht besteht darin, die Lebensgefahr für die Besatzung der Fregatte als lächerlich zu entlarven. Solche Schienbeintritte der Autoren untereinander sind nichts ungewöhnliches, auch wenn sie, beispielsweise, einander im Feld mit Zigarren ausgeholfen hatten.


Die Münchhausiaden der Beteiligten haben normalerweise keinen Einfluß auf den Verlauf der Geschichte. Die Schlacht von Ayacucho wäre wohl nicht anders ausgegangen, wenn García Camba nicht, ausgerechnet, als er einen wichtigen Gegenangriff starten wollte, unter seinem erschossenen Pferd eingeklemmt wurde, wie er selbst zu seiner Verteidigung angibt. Es könnte natürlich auch daran gelegen haben, daß García Camba beim Schreiben wußte, wie der Angriff seiner Kavallerieabteilung ausgehen würde. (Ob der Kasselaner Offizier Otto Philipp Braun, bei der selben Gelegenheit, tatsächlich fünfmal rechtzeitig absprang und weiterkämpfte, wie er nach Hause schrieb, oder sich bereits von den Südamerikanern hatte anstecken lassen, was die Anzahl angeht, kann anhand der vorliegenden Quellen nicht ermittelt werden.)


Bereits bei einigen der vorgenannten Autoren konnte gelegentlich beobachtet werden, daß Halbwahrheiten verbreitet werden, obwohl die Schreiber die Hintergründe kennen mußten. Wenn schließlich eine der Quellen doch den entscheidenden Hinweis gibt, der die Geschehnisse ins rechte Licht rückt, zeigt sich, wer, meist der Reputation Bolívars oder der Nation wegen, mehr verhüllen, als preisgeben will. (Seltsamerweise sind es gerade die Streitkräfte der Länder, die ohnehin die größten Kriegshelden haben, zuvorderst Venezuela und Argentinien, aber auch Chile, die am intensivsten glorifizieren.)


Die Berichterstattung erfordert es immer wieder, daß Handlungsstränge zugunsten anderer in den Hintergrund treten und, nachdem eine relevante Parallelentwicklung abgearbeitet wurde, zu diesen zurückgekehrt wird. Je detailreicher ein Autor erzählt, desto mehr Handlungsebenen gibt es, die verknüpft werden müssen. In den einfacheren Fällen wird zum Beispiel eine Truppenstärke gegenüber der vorangegangenen Erzähletappe verändert, wenn ein Handlungsstrang erneut aufgegriffen wird. Es ist nicht natürlich nicht ausgeschlossen, daß Desertionen, die meist nur ungern eingeräumt werden, oder örtliche Freiwillige, die Anzahl einer Abteilung verändern können, aber in vielen Fällen wird auf den bereits bekannten Ausgang, und damit ein Erklärungsversuch, vorbereitet, um den Ruf des eigenen Befehlshabers zu schützen.


Überhaupt ist die Chronologie bestens geeignet, um zu verdrehen und täuschen. Dies gilt sowohl auf dem Schlachtfeld, als auch bei der Frage, wer wann über eine bestimmte Information verfügen konnte. Keine Angabe zu machen, wann, was und in welcher Reihenfolge geschah, kann bereits ein Hinweis auf eine versuchte Vertuschung sein, dem nur mit dem Studium möglichst vieler Quellen aller Beteiligten begegnet werden kann. Jeder der Autoren findet irgendwann einmal einen Grund, etwas zu verheimlichen, das er wußte. Wenn, wie nach der Schlacht von Ayacucho geschehen, die Verlierer den Bericht der Sieger gegenzeichneten, dann wird schnell klar, wie gering der Nutzen der offiziellen Quellen der beiden Parteien ist, um eine halbwegs chronologische Darstellung der Ereignisse auf den Schlachtfeld zu gewinnen. Details werden zwar präsentiert, aber eine logisch nachvollziehbare, durchgehende, Abfolge der Ereignisse mit ihren kausalen Zusammenhängen, soll der Leser nicht erhalten.


Militärs haben zu allen Zeiten einen Hang dazu gehabt, sich, ihre Nation und ihre Sache vorteilhafter darzustellen, als sie tatsächlich sind. Die Politiker hingegen sind in genau dieser Disziplin geübt. Wieweit würde man einen Minister, den man im Amt erlebt hat, vertrauen, der seine Version von Ereignissen Jahrzehnte zuvor, veröffentlicht? José Manuel Restrepo (1781-1863) war elf Jahre in der Regierung Bolívars. Er nutzte auch später das Regierungsarchiv für sein umfangreiches Werk „Historia de la revolución de la república de Colombia“ (Besançon, 1858). In der frühen Fassung von 1827 (Paris) ist das Werk weitgehend historisch korrekt, endet jedoch 1817. Der Grund dafür scheint in einem Brief Bolívars an Restrepo vom 10 November 1824 aus dem peruanischen Chancay zu finden zu sein (Archivo del Libertador, vol. 46, folio 11. (Doc. 129)): „Daß mir ein Gelehrter die Geschichte meines Vaterlandes widmet, zeugt von der schmeichelhaftesten Hochachtung, die ich in meinem Leben empfangen kann […] Sie möchten wissen, ob ich die Widmung ihres Werkes annehme; wenn ich sie annehme, dann unter der Bedingung, daß Sie in dieser sagen, es wäre für Ihren Freund Bolívar und nicht für den [Staats-]Chef von [Groß-]Kolumbien“. In der Fassung von 1858 läßt Restrepo daher beispielsweise bewußt die Schlacht weg, die 1819 zur Befreiung des Südens von Neugranada führte. Grund dafür ist nicht allein, daß es nicht Bolívars Truppen gewesen waren, die den Sieg errangen, sondern, daß sie obendrein von einem seiner innenpolitischen Gegner aus der Ersten Republik Kolumbiens angeführt wurden. Der oben genannte José María Baraya berichtet über dieses Treffen in Tal des Cauca.


Glorifizierende Berichterstattung über Bolívar und das Ausblenden unpassender Ereignisse, sind in Restrepos Standardwerk jedoch nur ein untergeordneter Grund für die beabsichtigten Fehldarstellungen. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß Restrepo sich nicht selten an die Regierungszeitung (Gaceta de Colombia) hält, ohne dies jedoch kenntlich zu machen. Restrepo hat selbst ein starkes Interesse daran, daß, insbesondere die Ereignisse nach dem Krieg, in einem ganz anderen Licht erscheinen sollen, als sie tatsächlich waren. Um eines der vielen unangenehmen Beispiele dieser Zeit herauszupicken, sei auf staatliche Schmiergeldzahlungen zur Manipulation der öffentlichen Meinung hingewiesen. Bolívar hatte, wohl noch 1919, in Neugranada damit begonnen, einflußreiche Bürger mit Versprechungen, Ämtern und eben auch Geld, an sich und seine politischen Vorstellungen zu binden. (Dabei geht es im Kern um die erbliche Herrschaft einer von Bolívar ausgesuchten Elite, was den Rest der Bevölkerung benachteiligte und folgerichtig verärgerte.) Restrepo stand bis 1824 dem Haziendaministerium (vielmehr Wirtschafts- und Finanzministerium, als rein agrarisch orientiert) vor und wußte genau, wieviel Geld diese Aktivitäten, später auch in den anderen Ländern, kostete. In seiner anschließenden Amtszeit als Innen- und zeitweise auch Justizminister, wurden Bürger wegen ihrer politischen Ansichten enteignet und ausgewiesen. Auch, wenn Restrepo über kanonisches Recht promoviert hatte, so kannte er seinen eigenen Gesetzesverstöße doch ganz genau. Erst viel später, am Ende seines vierten Bandes, als er und andere Anhänger Bolívars nicht mehr in der Regierung waren, gibt der Autor diese von Bolívar eingeführten Methoden zu, allerdings nur bei den politischen Gegnern, die mittlerweile dazugelernt hatten. Restrepo gehörte später keiner Regierung mehr an, aber, wegen seiner Fähigkeiten, wurde er mehrfach als Behördenleiter und Sondergesandter eingesetzt. Auch wegen seiner eigenen Glaubwürdigkeit als Autor, konnte er die ganze Wahrheit nicht offenbaren.


Schlimmer geht's nimmer, sollte man glauben. Der nachgeborene Venezolaner Vicente Lecuna (1870-1954), der ein halbes Jahrhundert lang renommierte Fachartikel verfaßte, kann obendrein in seiner „Cronica de la guerra razonada“ (Caracas, 1950) dabei überführt werden, Behauptungen aufzustellen, die er selbst mit der Publikation von Schreiben der Beteiligten widerlegt hatte. Unnötig zu erwähnen, daß Bolívar und das Vaterland die Nutznießer dieser Verdrehungen der Tatsachen sind. Allerdings ist dieser Autor ebenso unverzichtbar beim Studium der Ereignisse, da er, zumindest an den Stellen, wo er dies will, äußerst kenntnisreiche, mit Dokumenten und Sekundärliteratur hinterlegte, Schilderungen abliefert.


Unter den Werken, die mir bislang zumindest nicht vollständig zugänglich waren, befindet sich auch die umfangreiche Beschreibung und Dokumentsammlung von Bolívars Adjutanten Daniel Florence O'Leary, die dessen Sohn im Regierungsauftrag zusammenstellte. O'Learys, in der Regierungszeitung „Gaceta de Colombia“ veröffentlichter, Heeresbericht zur Schlacht von El Santuario, unterscheidet sich, abgesehen vom, durch Restrepo als Minister und Autor gedeckten, Mordbefehl für José María Córdova, nicht von denen der meisten seiner Kollegen, was den Wahrheitsgehalt angeht: ein wenig am Ruhm feilen, geht immer. Dieser Autor griff auf das Archiv, das sich Restrepo angelegt hatte zu, wobei er mehr Dokumente in sein Werk einfließen ließ, als der Besitzer. Der Historiker Juan Bautista Pérez y Soto (1854-1926) hat danach noch einmal Restrepos Dokumentensammlung durchforstet und dabei Schriftstücke zutage gefördert, die weder Restrepo noch O'Leary hatten verwenden wollen (Archivo del Libertador, Caracas). Die schiere Menge an Schreiben aus der Zeit, bietet immer noch Gelegenheit, jene versteckt zu halten, die Aufschluß über einige ungeklärte Sachverhalte geben können. Ich kenne mittlerweile mehrere tausend Dokumente aus der Zeit und aus verschiedenen Perspektiven, aber Lücken und offene Fragen bleiben trotzdem.


Fazit der Betrachtung wesentlicher Bestandteile der Quellen für mein Werk ist, daß es keinen Autor gibt, dem man alles glauben darf; allerdings gibt es auch keinen, dem man von vorneherein ausschließen sollte. Nur die Prüfung der Details, bevorzugt anhand der Berichte der direkt Beteiligten beider Seiten, verspricht eine maximale Annäherung an die Geschehnisse jener Zeit. Für mein Werk ist das Kapitel zum Ende Großkolumbiens, mit regulären Ausmaßen, sicher ein sinnvoller Abschluß; für die ohnehin anstehende Überarbeitung der vorherigen Kapitel, anhand der in Lauf der Jahre gefundenen Literatur, stellen die darin gewonnenen Erkenntnisse einen nicht unbeträchtlichen Impakt auf die Sichtweise der frühen Jahre dar. Für einige der Ungereimtheiten und Lücken dieser Zeit liegt nun die Erklärung auf der Hand.


Seit einiger Zeit schon denke ich daran, einen Vortrag, voraussichtlich in Heidelberg, über die Geschehnisse dieser Epoche zu halten. Allerdings fehlt mir bislang eine zündende Idee zu einem Thema, das geeignet ist, die Massen zu mobilisieren. Auch dazu, beim nächsten Mal mehr.


Bis demnächst

Stefan Beck




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