Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Geographie

Alexander von Humboldts Südamerikareise

Einleitung

Am 3. August 1804 landete Alexander von Humboldt nach sechs Jahren Amerika in Bordeaux. Der als Geologe ausgebildtete Naturforscher hatte damit, rund sechzig Jahre vor der Einführung der Gesellschaftsreisen durch Thomas Cook, eine nicht nur für die damalige Zeit unglaubliche Reise hinter sich. Als Erster überhaupt, hatte er sein Privatvermögen, zu dem er zusammen mit seinem Bruder Wilhelm 1797 nach dem Tod der Mutter gekommen war, zu Forschung und Wissenschaft genutzt.

Die mehrjährige Vorbereitung und die über zwanzig Jahre währende Nachbereitung und Veröffentlichung der Forschungsergebnisse der Reise, gipfelten in seiner legendären Vorlesung an der Berliner Singakademie im Wintersemester 1827/28. Damit trat er eine Welle der Begeisterung für Natur und Wissenschaft los, die hundert Jahre lang die Forschung in Deutschland zu immer neuen Höhen führte, und ihm rund tausend Lokalitätsbenennungen, Tier- und Pflanzennamen sowie Phänomenbezeichnungen einbrachte.

Venezuela (mit Kuba)

Noch nicht dreißig Jahre alt, schiffte er sich am 5. Juni 1799 in La Coruña zusammen mit dem Arzt und Botaniker Aimé Bonpland (eigentlich Aimé Jacob Alexandre Goujaud) ein. Die Landung auf Lanzarote zwölf Tage später, nutzte er zu Naturbeobachtungen und Messungen, wie er dies auch später in Lateinamerika meistens tat.

Keine drei Tage nach seiner Landung im venezolanischen Cumaná, verließ er bereits die älteste noch existierende Stadtgründung Südamerikas zu einer zweitägigen Exkursion. Endgültig verließ er, nach einigen Ausflügen zur Höhenbestimmung von Bergen, dem Erfassen von Flora und Fauna, astronomischen und meteorologischen Beobachtungen, sowie nicht zuletzt zu Geologie und Geographie, nach vier Monaten Cumaná und begab sich per Schiff nach Caracas.

In Caracas erfragte er Bevölkerungsstatistiken, entwickelte Gedanken zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Agrarnutzung und zur Gewinnung mineralischer Rohstoffe. Nicht alle diese Studien, die er im Lauf der Reise erstellte, waren Selbstzweck: einerseits aus Dankbarkeit gegenüber der spanischen Krone, der er die außergewöhnliche Paßausstellung für Südamerika verdankte und andererseits, weil ihn die meist freundlich unterstützenden Kolonialbeamten gelegentlich um seinen Rat baten, verfaßte er die Studien.

Nach der Besteigung des Hausbergs von Caracas, der Silla (Sattel) verließ er am 7. Februar 1800 Caracas und begab sich durch die Täler von Aragua ins westlich gelegene Valencia. Auch hier erkundete er zunächst die Umgebung, bevor nach Calabozo aufbrach. Der Ort liegt in den weiten Ebenen, den Llanos. Von hier aus machte er am 19. März seine berühmten Zitteraal-Erfahrungen. Obwohl die Gymnoten schon entladen waren, erhielten er und Bonpland heftige elektrische Schläge bei dem Versuch, sie zu untersuchen.

Weiter südlich, in San Fernando de Apure, bestieg er einen Kahn, der ihn flußabwärts an die Mündung in den Orinoko brachte. Er folgte der Überschwemmungslandschaft mit ihren Galeriewäldern bis nach Angostura, dem heutigen Ciudad Bolívar. Dabei überquerte er die berühmten Katarakte und fuhr, allerdings vorsichtig, weil ihn die Brasilianer im Falle des Grenzübertritts zu erschießen drohten, auf dem Río Caciquiare.

Er erkannte als erster die zwei möglichen Fließrichtungen des Verbindungsflusses: bei Niedrigwasser in den Orinoko und bei Hochwasser in den Amazonas. Eine Bestätigung liegt erst seit jüngster Zeit vor. Von Angostura reisten Humboldt un Bonpland erneut durch die Llanos, zurück nach Cumaná, wo er sich nach Kuba einschiffte. Vom 19. Dezember 1800 bis zum 8. März 1801 hielt er sich auf Kuba auf.

Kolumbien

Als er kurz vor seiner Ankunft in Cartagena de Indias, etwas südlich davon, am Punta Gigante, mit Bonpland auf einem Beiboot "herborisieren" gehen wollte, wurde er fast Opfer entlaufener schwarzer Sklaven, cimmarrones, denen er nur mit knapper Not entging. Von Cartagena aus begab er sich nach Turbaco, um die Schlammvulkane zu untersuchen. Heißer, wassergesättigter Ton dringt hier aus der Erde und bildet etwa zehn Meter hohe Schlammkegel.

In Barrancas Nuevas del Rey schiffte er sich auf dem größten Fluß Kolumbiens, dem Magdalena ein. Hier verbrachte er mehr Zeit, als auf dem Orinoko, 55 Tage. Unterbrochen von Landausflügen, wurde sein Kahn flußaufwärts gestakt. Bis zu den Stromschnellen von Honda. Von hier aus erklommen Humboldt und Bonpland die Ostkordillere, um ins 2800 Meter hoch gelegene Santa Fé de Bogotá gelangen.

Dank der Vermittlung von Celestino Mutis fehlte es den Reisenden an nichts. Mutis hatte einige Jahre zuvor seine "botanische Exkursion" durch Kolumbien, das damals noch Neu-Granada hieß, gemacht. Darunter ist nicht eine einzelne Expedition zu verstehen, sondern eine über viele Jahre hinweg kontinuierliche Erforschung der Flora. Erst durch die Zuwendungen von Juan Carlos von Spanien konnte mit dem Druck des aufwendigen vielbändigen Werkes von Mutis begonnen werden.

Obwohl Humboldt hier den schärften naturwissenschaftlichen Geist seiner Amerikareise postuliert (neben Mexiko Stadt), bezeichnet er die Stadt als tot. Nachdem er auch hier die wichtigen Programmpunkte, Salzbergwerk von Zipaquirá, den See von Guatavita (der in der Mythologie der Muisca-Indianer von herausragender Bedeutung war), den Tequedama-Wasserfall, dem Monserrate (den Hausberg Bogotás) und den danebenliegenden Guadelupe-Berg abgearbeitet hatte, wandte er sich nach Südwesten, ins Tal des Río Magdalena.

Humboldt überquerte mit viel Angst vor den Kaimanen, schwimmend den Magdalena und erstieg die Zentralkordillere. Zwischen Ibagué und Armenia weigerte er bei der Überquerung des Passes La Linea, sich nach Landessitte auf einem Stuhl auf dem Rücken eines indianischen Trägers transportieren zu lassen. Der Humanist Humboldt wollte sogar wissen, wie es sich anfühlt, seinen Träger über einige Stunden hinweg zu tragen.

Über das damals nur als Flecken existierende Cali reiste Humboldt in die alte Kolonialstadt Popayán, wo er heute noch einen Koffer stehen hat – im Museum. Hier bestieg er zum ersten Mal (in Amerika) einen aktiven Vulkan, den Puracé. Am 19. Dezember 1801 erreichten Humboldt und Bonpland Pasto, die südlichste Stadt Kolumbiens. Nur um seinen Bruder nicht zu beunruhigen behauptete er in einem Brief an ihn, er verbrächte Weihnachten in Pasto, in Wirklichkeit war er am Weihnachtstag bereits in Ecuador, oder, wie man damals sagte, dem Königlichen Gerichtsbezirk (Real Audiencia) Quito.

Ecuador

Über Ibarra reisten Humboldt und Bonpland nach Quito. Vorher schon hatte sie ein Empfangskomitee weit vor der Stadt begrüßt. In dieser Abordnung befanden sich die beiden Gelehrten Carlos Montúfar und Francisco José Caldas.

Von letzterem hielt Humboldt so wenig, daß er sich seine Weiterreise mit ihm verbat. Caldas führte in der Folge seine mangelnde Kompetenz durch Schmähschriften gegen Humboldt vor. Montúfar begleitete ihn bis nach Nordperu und es entstand eine enge Freundschaft. Weil Montúfar in den Jahren 1811/12 in Ecuador und bis 1816 in Kolumbien an führender Stelle für die Unabhängigkeitskämpfer engagiert war, wurde er nach der Rückeroberung durch Pablo Morillo in Bogotá hingerichtet (Caldas endete genauso.). Als Humboldt, viel später, in einem Aufsatz seinem Schmerz über den Tod seines Freundes zum Ausdruck brachte, rüffelte ihn ein spanischer Staatsekretär mit der Bemerkung, Humboldt habe es dem König zu verdanken gehabt, daß er Südamerika besuchen dürfe. Wenn ein Rebell gegen genau diesen König hingerichtet würde, sei dies nicht die Sache Humboldts.

Inspiriert durch die Lektüre des Berichts von Charles Marie de La Condamine, der mit seiner französischen Expedition 1736-42 den Äquator vermessen hatte, suchte Humboldt nach den Spuren dieses Unternehmens. Er fand sie östlich von Quito in Form eines zu seinem Unwillen zerstörten Gedenksteins für die Vermessung. Quito war auch Ausgangspunkt für eine Reihe von recht abenteuerlichen Besuchen Humboldts auf Vulkanen: den beiden Pichinchas (Gagua- und Ruccu-), den deren Hängen Quito liegt, und dem Cotopaxi.

Nach fünf Monaten reiste Humboldt weiter auf dem Rücken der Anden nach Süden, nach Riobamba. Von hier aus erklomm er den Chimborazo, der damals als der höchste Berg der der Welt galt. Tatsächlich ist kein Punkt auf der Erdoberfläche weiter vom Erdmittelpunkt entfernt, als der Gipfel des 6310 Meter hohen Chimborazo. Es waren aber nicht Übelkeit, Zahnfleischbluten und Höhenkrankheit, die ihn zur Umkehr auf etwa 6000 Meter zwangen, sondern eine unüberwindliche Schneewehe. Er erkannte als erster die Ursache für die Höhenkrankheit, nämlich den Sauerstoffmangel.

Auf der Weiterreise Richtung Peru besuchte er die berühmten Schwefelminen von Tixan, Cuenca und Loja, ohne jedoch zu verweilen.

Peru

In Nordperu bleib er nur eine Woche in Tomependa, um sich von Astorpilco, einem "Inka", Ruinen aus dieser Zeit zeigen zu lassen und Inka-Legenden zu hören.

In Cajamarca, der Stadt in der Francisco Pizarro den letzten legitimen Inkaherrscher, Atahualpa, 1534 hinrichten ließ, hielt ihn offenbar ebenfalls nichts, zumal Montúfar ihn schon vor Tomependa verlassen hatte.

Erst am Meer in Trujillo gönnte Humboldt sich zwei Wochen Ruhe. Hier fiel ihm die unzeitgemäße Stadtmauer auf. und er fand heraus, daß sie lediglich zum Schutz gegen den angewehten Sand der Küstenwüste, die von Nordperu bis Mittelchile reicht, schützt. Diese Wüste verdankt ihre Entstehung dem von der Antarktis kommenden Meeresstrom, der nach ihm benannt ist. Natürlich konnte er sich Chan Chan (das bedeutet Sonne Sonne), die größte Lehmziegelstadt der Neuen Welt nicht entgehen lassen. Keine fünf Kilometer vom Ortsrand von Trujillo, sind heute die Ruinen von zehn ummauerten Palaststädten zu sehen, in denen die Herrscherfamilien lebten. Die Reste der riesigen umgebenden Wohnsiedlung für Bauern, Fischer, Handwerker und Kaufleute erstreckte sich bis weit in die Stadtgrenzen des heutigen Trujillo hinein.

Von hier ab verlor auch der Geologe Humboldt das Interesse an der zwar nicht eintönigen, aber fast völlig vegetationsfreien Landschaft und reiste in einer Eselssänfte bei geschlossenen Vorhängen. Kurz vor Santa, nördlich von Chimbote, inspizierte er einen Schlachtort, bei dem die Inkas am Ende des dritten Viertels des fünfzehnten Jahrhunderts die in dieser Gegend herrschenden Chimú niedermetzelten. Die Chimú sind die Reste dessen, was nach der vierhundertjährigen Wari-Herrschaft von den Moche-Kultur übriggeblieben war. Auch an den von der Sonne ausgebleichten Knochen, konnte Humboldt die Verletzungen erkennen, die von den stumpfen fünfzackigen Steinsternen an den Köpfen der Streitkolben der Inkas herrührten.

Am 23. Oktober 1802 erreichte er Lima. Seine Beobachtungen des Merkurdurchgangs am 09. November, derentwegen er in Nordperu immer wieder zum schnellen Aufbruch gedrängt hatte, konnte er wegen der Nachlässigkeit einiger Limeños, denen er eines seiner Fernrohre geliehen hatte, nicht nachprüfen.

Nach zwei Monaten in Lima nahm er ein Schiff nach Guayaquil in Ecuador, wohin er einen Teil seines Gepäcks hatte schaffen lassen. In Guayaquil verbrachte er wiederum zwei Monate, bevor sich Humboldt ins mexikanische Acapulco aufmachte.

Mexiko

Ein Jahr lang Mexiko folgte, in dem Alexander von Humboldt seinem Forscherdrang freien Lauf ließ. Auch hier entstanden fundamentale Erkenntnisse aus Naturbeobachtungen, Gedanken zu Sozialstruktur und Bevölkerungsgefüge, sowie wirtschaftlichen Verbesserungsvorschläge. Diese Erkenntnisse, wie beispielsweise die Tageszeitenklimate der Anden oder seine legendäre Zeichnung zu den Höhenstufen und Vegetationszonen, seine Einsichten über die nach ihm benannte kalte Meeresströmung und deren Einfluß auf die morphologische Ausprägung der Küste sind noch heute wegweisend.

USA

Zwischen März und Juli 1804 war er in den USA von Empfängen und Vortragsterminen so ausgelastet, daß ihm für seine Lieblingsbeschäftigungen, Naturbeobachtung und Forschung kaum noch Zeit blieb. Immerhin war auch der Präsident unter seinen Bewunderern.

Nachbereitung

Die wissenschaftliche Auswertung der Voyage aux région equinoxiales du Nouveau Continent erfolgte in 34 Bänden, die er auf eigene Kosten von 1805 bis zu seiner Rückkehr nach Berlin 1827 in Paris veröffentlichte. Die in den Bänden 28-32 enthaltene Rélation Historique schildert er den Verlauf seiner Reise. Mit Bonpland veröffentlichte er einen persönlichen Reisebericht. Ihn ins englische zu übersetzen, schaffte Humboldt noch zu Lebzeiten. Über der Diskussion mit dem deutschen Übersetzer starb er bei etwa der Hälfte des Werkes fast neunzigjährig. Diese Werke berücksichtigen jedoch nur den Zeitraum bis Anfang Peru. Die vollständigste Reisebeschreibung sind seine persönlichen Tagebücher, die jedoch ebenfalls Lücken aufweisen.

Linkempfehlung

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften präsentiert eine umfassende Chronologie Humboldts (extern) zu der auch die Daten der Reise gehören.


In meinem Reisebericht finden sich weitere Details zu der Reise Alexander von Humboldts, zumeist aus einen persönlichen Tagebüchern, wann immer - und zwischen Cartagena und Lima ist das recht häufig - wir die selbe Route benutzten.