Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 8.c. Venezuela: Boves Feldzüge

Der Sieg von Araure Anfang Dezember 1813 gab Bolivar Gelegenheit, sich in Caracas um Staatsangelegenheiten zu kümmern. Wegen der angespannten militärischen Lage ließ er sich am 02. Januar vom Kongreß mit diktatorischen Befugnissen ausstatten, um den fortgesetzten Attacken der Royalisten besser begegnen zu können. Seine Empfehlung, daß sich die ehemaligen spanischen Kolonien vereinigen sollten, um dem Mutterland effektiver begegnen zu können, bestätigte der Kongreß.

Bolivar hatte Rafael Urdaneta an der Westfront beauftragt, Barinas zu besetzen, da in den letzten Dezembertagen ein Vorstoß der Royalisten aus den Ebenen zurückgewiesen werden konnte. Ramon Garcia del Sena sollte für die Sicherung der Stadt sorgen, aber Mitte Januar erlitten seine Truppen eine Niederlage, die ihn zwang, sich auf die Verteidigung von Barinas zu beschränken. Der Angriff des designierten Gouverneurs Antonio Puig am 19. vertrieb die Patrioten aus der Stadt, die anschließend, begleitet von vielen Zivilisten, die die Hinrichtungen, die Puig später tatsächlich durchführte, vorausgeahnt hatten. Unterstützt von einer Gruppe von Llaneros unter Antonio Rangel, bei der auch der Hauptmann José Antonio Paez kämpfte, führte Garcia del Sena die Flüchtlinge in die neugrenadiner Provinz Pamplona, die gerade von Gregor MacGregor und Francisco de Paula Santander von royalistischen Guerilleros gesäubert wurde.

Urdaneta war wegen des Erfolges von Puig und dem Regiment von José Yañez in der Apure-Region gezwungen seinen erfolgreich begonnenen Marsch auf Coro abzubrechen und eine Abteilung nach Süden, nordöstlich von Guanare im heutigen Bundesstaat Guarico zu schicken, um die Königstreuen aufzuhalten. Die Patrioten besiegten Yañez, der am 02. Februar bei der Einnahme von Ospino fiel. Da sich die Königstreuen auflösten, war die Gefahr an diesem Frontabschnitt einstweilen gebannt. Diese Truppen führte Sebastian de la Calzada wieder zusammen und das Regiment Numancia gehörte später zu den bekanntesten Einheiten des Krieges und kam in mehreren Ländern zum Einsatz.

Die größte Gefahr für die Republik stellten die Lanzenreiter von José Tomas Boves und Francisco Morales dar. Diese hatten Anfang Dezember die Region Apure im Süden des Landes eingenommen und marschierten nun mit einem 3500 Mann starken Heer auf die Zentralregion. Am Nadelöhr, dort, wo die La Puerta-Schlucht den Zugang zu den Tälern Araguas gestattet, besiegte er am 03. Februar Vicente Campo Elias, den Bolivar aus Valencia herbeordert hatte.

Diese Niederlage hatte zur Folge, daß Bolivar seine Verteidigungslinie auf die Höhe von Valencia zurücknehmen mußte. Da er sich der Ereignisse vom Juli 1812 in Puerto Cabello erinnerte, die letztlich das Ende der Ersten Republik eingeläutet hatte, ließ er am 08. Februar 818 royalistische Gefangene in Caracas und La Guaira von Juan Bautista Arismendi hinrichten.

Boves teilte nach dem Sieg sein Heer in drei Gruppen. Während zwei Abteilungen von Südwesten und Südosten auf Caracas zustießen, blieb er selbst bei den Verletzten in der La Puerta-Schlucht. Von hier aus dürfte er auch weitere Truppen angeworben haben. Morales, der sich von Südwesten her näherte, griff am 10. Februar La Victoria an, das José Felix Ribas verteidigte. Obwohl Morales über die zweieinhalbfache Mannschaftsstärke verfügte, rannte er den ganzen Tag vergeblich gegen die Stellungen der Patrioten an, und als diese gegen Abend Verstärkungen erhielten, blies Ribas zum Gegenangriff. Morales Söldner wurden in die Flucht geschlagen und die Verbindung zwischen den beiden wichtigsten Städten der Zentralregion, Caracas und Valencia, blieb erhalten.

Ribas wandte sich nun der zweiten Abteilung von Boves im Südosten zu. Er besiegte auch Francisco Rosete am 20., rund 25 südlich von Caracas. Da Ribas jedoch erkrankte und so die Verfolgung nicht einleiten konnte, sammelten sich die Königstreuen für einen erneuten Vorstoß.

Bolivar hatte derweil Caracas befestigen lassen und sich entschlossen, die Llaneros, dort zu erwarten, wo die Straße nach Süden auf den Verbindungsweg zwischen Caracas und Valencia traf: in San Mateo. Er ließ den Ostteil des Ortes und die angrenzende Hazienda, in der er in seiner Kindheit öfter gewesen war, befestigen, um für den Ansturm der Lanzenreiter gewappnet zu sein. Außerdem kommandierte er, wo immer möglich, Soldaten von anderen Frontabschnitten ab, um schließlich mit 2800 Mann Boves’ fast 7000 Royalisten zu erwarten.

Nach einer Woche des Abtastens, griff Boves am 28. Februar mit seiner gesamten Streitmacht an. Der in mehreren Wellen, konzentriert an verschiedenen Stellen erfolgte, war vor allen für die Llaneros verlustreich, aber Bolivar verlor wichtige Offiziere, Manuel Villapol und Campo Elias. Boves selbst wurde ebenfalls am Bein verletzt. Daher überließ er Morales die Belagerung für einem Monat und erholte sich in Villa de Cura.

Während dieses Monats starteten beide Seiten immer wieder kleinere Aktionen, aber an der Gesamtlage änderte sich nichts. Im Südosten von Caracas hatte sich inzwischen die Abteilung von Rosete wieder zusammengefunden und am 06. März Ocumare del Tuy, südlich von Caracas erobert. Bolivar entsandte daraufhin vierhundert Soldaten unter Tomas Montilla, um die Verteidiger von Caracas bei dem Versuch zu unterstützen, den Ort, in dem die Royalisten unter der Zivilbevölkerung gewütet hatten, zurückzuerobern. Das gelang jedoch erst nach der Gesundung von Ribas am 20..

Trotz des Streits zwischen Bolivar und Santiago Mariño, der Ostvenezuela befreit hatte, war dieser, allerdings etwas spät, aus Barcelona mit seinem Heer aufgebrochen, um Bolivar zu entsetzen. In drei Gruppen waren die Ostvenezolaner auf die Zentralregion vorgestoßen und trafen am 23. mit den Truppen von Ribas zusammen, die Rosete vertrieben hatten.

Boves war inzwischen wieder genesen und kehrte am 24. nach San Mateo zurück, um am folgenden Tag die entscheidende Attacke auf Bolivar in San Mateo zu führen. Er wußte, daß Mariño im Anmarsch war und seine Zeit daher begrenzt. Am folgenden Tag verfügte er den Generalangriff auf die Patrioten. Diese verloren den Ostteil des Dorfes, ihre Westflanke, und wurden auch am unterbesetzten Ostflügel geschlagen. Ein in der Nacht von hinten herangeführter 800 Mann starker Trupp bedrohte nun das Magazin. Dieses war nicht mehr zu retten und so sprengte sich der kommandierende Offizier, der aus Neugranada stammende Joaquin Ricaurte mit den Munitionsvorräten in die Luft. Die resultierende Verwirrung nutzend, schickte Bolivar eine Abteilung zur Rückeroberung, die erfolgreich verlief. Auch an der Westseite der Front gelang es den Patrioten, den verlorenen Boden gutzumachen. Boves erkannte am späten Nachmittag sein Scheitern an und wandte sich nun den Verstärkungen aus dem Osten zu.

Sein Heer erreichte die La Puerta-Schlucht zu spät, um Mariño am Durchgang zu hindern, aber am Nordausgang der Schlucht, bei Bocachica, griff Boves an. Die Schlacht, die den ganzen Tag währte, kostete Boves große Teile seines Heeres und er floh nach Westen. Bolivar ordnete von San Mateo aus, die Verfolgung der Besiegten an.

Boves floh nach Westen, weil er von einem Feldzug von José Ceballos wußte. Urdanetas durch Abkommandierungen dezimierte Truppe, mußte am 11. März Barquisimeto aufgeben, und San Carlos am 17.. Urdaneta war daher gezwungen, sich auf Valencia zurückzuziehen. Hier erreichte ihn Bolivars Befehl, die Stadt mit nur noch 280 Soldaten bis zum Tod zu halten. Ceballos verfolgte ihn mit 4000 Mann und errichtete eine Belagerung. Bereits am ersten Tag von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten, leisten die Patrioten tagelang erbitterten Widerstand. Als schon alles verloren schien, und Urdaneta die Sprengung des Pulvermagazins vorbereitete, erreichten Boves und Morales, mit ihrem auf eine Handvoll Lanzenreiter dezimierten Heer am 03. April den Gouverneur von Coro. Dieser brach panisch die Belagerung Valencias ab und zog sich nach San Carlos zurück. Mariño zog mit seinem Heer nach, geriet aber dabei am 16. in einen Hinterhalt von Ceballos, der ihn zwang, den Gegenfeldzug abzubrechen.

Nach einem Monat der Erholung auf beiden Seiten, kam es erneut zu Kämpfen. Während sich im Westen der neue Generalkapitän Manuel Cajigal y Niño mit einem über zweitausend Soldaten umfassenden Heer näherte, schuf Boves seine nächste Llanero-Truppe. Da Bolivar die Situation vom März, als er wegen der Belagerung von Boves in San Mateo keine Gelegenheit gehabt hatte, sich Ceballos entgegenzustellen, vermeiden wollte, zog er Cajigal entgegen, um ihn zu besiegen, bevor Boves zurückkehrte.

Westlich von Valencia, am Guataparo-See, stellte er sich zwischen dem 16. und 20. Mai mit Kräften des Ost- und des Westheeres zur Schlacht. Cajigal ließ sich jedoch nicht aus seinen Stellungen locken und die Gefechte hatten vier Tage keinen Sieger. Erst als José Francisco Bermudez mit einer einzigen Kompanie die Auflösung der Spanier herbeiführte, sorgte er für die Entscheidung zugunsten der Patrioten. Cajigal floh Richtung Süden, wollte aber mit seinem wieder zusammengeführten Heer unbedingt in der Nähe bleiben, um Boves zu erwarten.

Obwohl Cajigal in der Ebene von Carabobo 4000 Lanzenreiter Verstärkung erhalten hatte, rückte Bolivar am Nachmittag des 27. nach, wobei er einen Regenschauer ausnutzte, um seine Truppen in Stellung zu bringen. Der Regen verhinderte einerseits, daß die Spanier seine Truppenbewegungen genau beobachten konnten, und anderseits den Einsatz von Feuerwaffen, um den Anmarsch zu stören. Weil Bolivar am Morgen des folgenden Tages Cajigal vergeblich provozierte, ließ er ab Mittag geschlossen vorrücken. 5000 Separatisten besiegten an diesem Tag 6000 Königstreue, die fast die Hälfte ihres Heeres, hauptsächlich auf der Flucht, verloren. Urdaneta verfolgte die Fliehenden und zog in Barquisimeto ein.

Den Soldaten war eine Erholung vergönnt, als sie langsam nach Villa de Cura marschierten. Geplagt von Versorgungssproblemen, die inzwischen wegen des anhaltenden Krieges in der gesamten Republik auftraten, bewegte sich das vereinigte Heer auf die La Puerta-Schlucht zu, wo es die Ankunft von Boves erwartete.

Santiago Mariño, der das Kommando hatte, stellte die Soldaten am 14. in der Schlucht nach seinen Vorstellungen auf. Als Bolivar am folgenden Tag, nur wenige Stunden vor der Schlacht ankam, war er mit der Aufstellung unzufrieden und die beiden gerieten in Streit. Die Umgruppierung Bolivars war jedoch ebenfalls unzureichend, da nicht mehr genügend Zeit für einen kompletten Neuaufbau blieb. Wegen des Streites hielt keiner der beiden, wie sonst üblich, eine anfeuernde Rede vor der schlacht. Boves auf der anderen Seite jedoch schon.

Schon der erste Angriff der Königstreuen brachte das Chaos in die Reihen der Patrioten. Während Bolivar, Mariño und Bermudez mit knapper Not die Flucht gelang, befanden sich Ramon Garcia del Sena und Diego Jalon unter den tausend Opfern bei den Patrioten.

Die Ostvenezolaner flohen in ihre Heimat und Bolivar verfügte in der Zentralregion über keine tausend Mann, um Boves aufzuhalten. Zwei Tage nach der Schlacht stürmte Boves die Verteidigungsstellungen am La Cabrera-Paß und errichtete eine Belagerung von Valencia. Er entsandte einen Vorhut Richtung Caracas, die Ribas diesmal nicht mehr aufhalten konnte. Daher ließ Bolivar die Wachmannschaft vor Puerto Cabello nach Caracas verlegen und organisierte die Flucht der Patrioten aus der Stadt. Eine letzte Niederlage gegen die Vorhut am 06. Juli unweit Caracas, führte zum Aufbruch von 20.000 Flüchtlingen Richtung Osten.

Die Truppen unter Urdaneta ganz im Westen, kämpften sich in den folgenden Wochen ihren Weg von Caracas auf die Merida-Anden. Die letzte Niederlage vor Merida, bei Mucuchies, am 07. September überzeugte Urdaneta, daß er nur in Neugranada sicher war. Hier unterstellte er den Rest seiner Soldaten dem Kongreß der Union.

Bolivar tat, was möglich war, um die Zivilisten nach Osten zu bringen, da Boves und seine Llaneros jeden des Patriotismus verdächtigen kurzerhand umbrachten. Trotz der widrigen Bedingungen der Regenzeit erreichten die Flüchtlinge Barcelona Ende Juli, aber die Schiffe dort waren schnell ausgelastet und die Menschen mußten ihre Flucht nach Osten, Richtung Cumana fortsetzen, um nicht den brutalen Llaneros in die Hände zu fallen.

Mitte August zwang Bolivar die Lage, eine Verzögerungsschlacht zu führen, da die Truppen von Boves schon gefährlich nahe waren. Am 17. kam es in Aragua de Barcelona zu diesem Treffen. Bolivar hatte nicht genügend Truppen und war auf die Hilfe der Ostvenezolaner angewiesen. Francisco Bermudez erkannte ihn jedoch nicht mehr als Oberbefehlshaber an, und so fehlte die nötige Koordination. Die beiden Feldherren entkamen vom Schlachtfeld, aber gut 4000 zivile Flüchtlinge ließ Morales, der die Verfolgung leitete, kaltblütig ermorden.

Bolivar kümmerte sich, obwohl ihn inzwischen fast niemand mehr als Chef anerkannte, um die verbleibenden Flüchtlinge und brachte sie nach Cumana. Den Staatsschatz hatte er ebenfalls retten können, aber die Bianchi-Brüder auf deren Schiffen er ihn deponiert hatte, wollten mit der Begründung, von Mariño im vergangenen Jahr nicht ausreichend bezahlt worden zu sein, einen Anteil. Bolivar und Mariño begaben sich an Bord des Flaggschiffs, um mit den Freibeutern zu verhandeln. Da diese jedoch zur Insel Margarita segelten, legten die Offiziere Bolivars Verhalten nach dessen Rückkehr, mit immerhin den größten Teil des Schatzes, als Verrat aus.

Als Bolivar am 05. September zurückkehrte, sperrten ihn die Offiziere um Manuel Piar und José Felix Ribas ein. Drei Tage später schrieb er das Manifest von Carupano, indem er seine Handlungsweise erklärt und, wie 1804 am Monte Sarco bei Rom schwört, für die Befreiung sein Leben zu opfern, wenn nötig. Tags darauf half ihm ein Offizier bei der Flucht, und er reiste per Schiff nach Neugranada.

Auf den Feldzug von Morales hatte dies keinen Einfluß, denn er jagte alle Patrioten bis zur Vernichtung. Bermudez konnte Maturin tagelang erfolgreich behaupten, und besiegte die Angreifer schließlich sogar am 12. September. Nachdem Boves in Caracas willenlos gemordet hatte, begab er sich im September nach Osten. Piar konnte die Einnahme Cumanas nur bis in die zweite Oktoberhälfte verzögern, und wieder wütete Boves schrecklich unter der Bevölkerung.

Ribas und Bermudez versuchten vergeblich die Vereinigung der beiden Truppenteile von Boves und Morales im November zu verhindern. Anfang Dezember bei Urica, griff Ribas mit den letzten zweitausend Patrioten die beiden Königstreuen an. Wegen der hohen numerischen Überlegenheit der Spanier, war dies das Ende für die Patrioten, aber Boves wurde von einigen patriotischen Lanzenreitern auf dem Schlachtfeld getötet. Eine Woche später vernichtete Morales die geflohenen Reste bei Maturin endgültig. Er rief sich zum neuen Staatschef aus, nachdem er die Zweite Republik für beendet erklärt hatte.

Ribas wurde nach der Schlacht von Urica gefangen und hingerichtet. José Tadeo Monagas, Manuel Cedeño und Pedro Zaraza gelang die Flucht in die Wälder südlich des Orinoko. Außer den Offizieren, die Bolivar begleitet hatten, und Urdaneta, überlebten einige Lanzenreiter im Westen, die sich in die neugrenadiner Provinz Casanare absetzen konnten. Dazu gehörte auch José Antonio Paez.



Fortsetzung: Kap. 8.d. Neugranada: die Katastrophe von Pasto



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