Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 6.d. Neugranada: Bürgerkrieg anstatt Befreiungskampf

In Bogota führte der Präsident der Cundinamarca, Antonio Nariño, die von Ihm angestoßene Diskussion über die Unabhängigkeit fort und stritt mittels Propaganda in seiner Zeitung mit den föderalistisch gesinnten Provinzen, die ihm vorwarfen, daß Bogota sie nicht ausreichend im Kampf gegen die Spanier unterstützte. Andererseits ließen die Provinzen ebenfalls keine Gelegenheit aus, sich gegen Nariño zu profilieren.

In der Provinz Popayan verfolgte das Heer des Präsidenten Joaquin Caicedo y Cuero im Januar den abgesetzten spanischen Gouverneur Miguel Tacon bis an die Küste, wo er besiegt wurde, aber nach Tumaco entkam. Von hier aus setzte er seine Flucht per Schiff nach Peru fort. Der Erfolg gegen Pasto war einem Feldzug aus Quito geschuldet, aber weil die Ecuadorianer Pasto geplündert hatten, reiste Caicedo in die Hauptstadt des Nachbarlands um sich zu beschweren, während seine Soldaten das Umland von Pasto zu befrieden suchten.

Da sich Ende 1811 drei Gemeinden von El Socorro der Cundinamarca angeschlossen hatten, kam es am 21. Januar zu einem Gefecht am Westabhang der Ostkordillere auf dem Gebiet der dazwischenliegenden Provinz Tunja, das Joaquin Ricaurte für die Cundinamarca entscheiden konnte. Dieser setzte den Feldzug fort und, nach einem erneuten Sieg erzwang er die Kapitulation von El Socorro Mitte Februar. Der Widerstand den die Annexionen in der Provinz hervorrief, veranlaßten Ricaurte, die Provinzhauptstadt am 07. März zu besetzen. Daher schickte Nariño, der offenbar immer noch glaubte, die Landeseinheit herstellen zu können, indem er einzelnen Gemeinden den Weg ebnete, sich direkt Bogota zu unterstellen, am folgenden Tag eine Abteilung Soldaten unter Antonio Baraya auf der Ostkordillere nach Norden, um den Orten, denen bisher der Mut gefehlt hatte, den Anschluß zu erleichtern. Die Anbindung von Garzon in der Provinz Neiva lehnte Nariño jedoch ab, da er die Stabilität der Provinz in Gefahr sah.

An der Nordküste scheiterten im Februar die Patrioten von Mompos bei einem Versuch den Rio Magdalena flußabwärts von den Royalisten Santa Martas zu befreien. Diese rückten im März ihrerseits vor und besiegten die Milizen aus Mompos. Aber wie auch im Mai, als die Royalisten die Vorgefechte gewannen, scheiterten sie an der Verteidigung des Flußhafens.

Inzwischen bröckelte Nariños Rückhalt in Bogota. Seine Rücktrittsgesuche hatte das Wahlkollegium abgelehnt, aber seine Vorstellungen zu regieren, fanden ebenfalls keinen Mehrheit. Daher ließ er sich am 18. April zum Diktator ausrufen. Als Gegengewicht zum Kongreß der Provinzen, der inzwischen in Ibague tagte, ließ er ein Gründungsrevisorkollegium einsetzen, in dem die Cundinamarca wegen der Annexionen die Mehrheit der Abgeordneten stellte. Mitte Mai schloß die Cundinamarca schließlich einen Vertrag mit dem Kongreß, der die Cundinamarca zum Beitritt (und damit zur Annahme der Beschlüsse) verpflichtete, und dem Kongreß Zugriff auf die bis dahin allein von Bogota verwalteten Finanzen gestatte. Im Gegenzug wurden die Annexionen der Cundinamarca anerkannt, unter der Voraussetzung, daß keine weiteren mehr hinzukämen. Der Bundeskongress sollte von nun an souverän das Land regieren.

Das Heer von Baraya, das mit der Sicherung weiterer Annexionen beauftragt war, hatte auf Anordnung Nariños wegen des Erdbebens in Venezuela eine Pause eingelegt und war schließlich weiter nach Tunja marschiert. Hier wechselte es am 25. Mai, mittels des „Protokolls von Sogamoso“ die Seiten und unterstellte sich dem Kongreß. Um einen Bürgerkrieg zu verhindern, schickte der Kongreß einige Abgeordnete, zu denen auch Camilo Torres gehörte. Ihren Einsatz konterkarierte Nariño indem er den Vertrag mit dem Kongreß in Frage stellte und am 23. Juni an der Spitze eines Heeres Bogota verließ. Er besetzte mit seinem Heer am 03. Juli Tunja. Ricaurte, der zu den Unterzeichnern des Protokolls von Sogamoso zählte, stieß Mitte Juli nach Norden in die Provinz El Socorro vor, wo er den dortigen Statthalter Bogotas am 19. bei Paloblanco besiegte. Zwei Tage später wurde seine Nachhut von den Bürgern bei Charala endgültig besiegt. Diese Erfolge zwangen Nariño, sich mit dem Kongreß auf dem Verhandlungsweg zu einigen. Der Vertrag von Santa Rosa de Viterbo sicherte den Frieden, aber der Diktator der Cundinamarca hatte seine Ziele nicht durchsetzen können.

Inzwischen hatte Ramon Correa y Guevara, der aus Maracaibo kommend, in den venezolanischen Anden die Patrioten unterworfen, überschritt Mitte Juni die Grenze zu Neugranada und eroberte Cucuta und das Umland. Obwohl die Provinz um Unterstützung bei den Bundesgenossen und Bogota erbat, war diesen der Bürgerkrieg wichtiger. So blieb die Grenzregion unter spanischer Kontrolle.

Die Guerilla im Tal des Rio Patia in der Provinz Popayan war im April gegen die Provinzhauptstadt gezogen, aber José Maria Cabal hatte die ersten Angriffe am 26. April abwehren können. Der für die Republik kämpfende US-Amerikaner Alexander Macaulay hatte am 29. einen Gegenangriff gestartet, der die Patianos aus der Gegend vertrieb. Cabal verfolgte, unterstützt von Macaulay, die Patianos, die nach Pasto flohen. Wegen der Abwesenheit von Caicedo, und weil offenbar zu viele Truppen im Umland waren, anstatt in Pasto selbst, planten die Königstreuen einen Aufstand. Von dieser Nachricht aufgeschreckt, kehrte der Präsident der Provinz nach Pasto zurück, brachte aber nicht genügend Soldaten mit. Am 21. Mai schlugen die Royalisten los und nahmen Caicedo gefangen. Anfang Juni überließ Cabal Macaulay die Führung des Heeres, da er in Popayan zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Dieser marschierte, immer wieder in Gefechte verwickelt, nach Pasto, wo er Ende Juli eine Belagerung errichtete. Durch einen Ausfall am 25. besiegt, mußte er als Ergebnis von Verhandlungen, abziehen. Trotz seiner Niederlage gelang es Macaulay, für seinen Abzug die Herausgabe fast aller Gefangenen, darunter auch Caicedo, durchsetzen. Unter ungeklärten Umständen machte er Anfang August jedoch wieder kehrt, und zog erneut auf Pasto. Offenbar wußte er von einem Zug der Ecuadorianer, mit denen er wohl die Stadt hätte einnehmen können, aber er zog einen Weg vor, der ihn nicht an die Ecuadorianer annäherte. Die Pastusos wußten von der Richtungsänderung des US-Amerikaners und entsandten eine Truppe. Ihren Angriff am 12. schlug Macaulay zurück, womit er die Royalisten zu einem Waffenstillstand zwingen konnte. Diese waren jedoch nie gewillt, ihn einzuhalten und nur zwei Tage später hatten sie mit ihren Überraschungsangriff Erfolg. Macaulay und Caicedo gerieten in Gefangenschaft, und ihnen wurde der Prozeß gemacht. Wegen eines gescheiterten Fluchtversuchs im Dezember wurden sie im folgenden Januar auf Anordnung des Gerichtspräsidenten von Quito, Toribio Montes, hingerichtet.

Nach Nariños Ankunft Mitte August in Bogota, war man zwar mit dem Friedensschluß zufrieden, aber, daß es überhaupt zum Krieg gekommen war, bewog nun das Wahlkollegium seinen Rücktritt zu akzeptieren. Da es aber bereits dreieinhalb Wochen später erneut zu schweren Meinungsverschiedenheiten mit dem Kongreß kam, kehrte er Mitte September wieder in seinen Diktatorposten zurück.

Am unteren Magdalena schienen derweil die Verhältnisse zementiert, denn wie am Jahresanfang, gelang es den Momposinern Mitte August, einen kleinen Ort im Süden der Provinz Santa Marta einzunehmen, aber der Gegenfeldzug im September warf sie auf ihre Stadt zurück. Gestärkt von ihrer neuen Verfassung, verhinderten sie jedoch, daß die Königstreuen ihre Stadt besetzten. Im Oktober gelang es ihnen sogar die Samarios (Bewohner Santa Martas) zurückzudrängen und verlorenen Boden wieder gutzumachen. Eine Entscheidung an diesem Frontabschnitt fiel erst mit den aus Venezuela eingetroffenen Flüchtlingen der Ersten Republik am Jahresende.

Die Provinz Mariquita hatte ebenfalls Milizen aufgestellt, die im Juli dem Magdalena nach Norden folgten und die Königstreuen von Simiti besiegten. Nach weiteren Erfolgen konnten die Patrioten Anfang Oktober in Ocaña einziehen und dort die Regierung übernehmen.

Die venezolanischen Patrioten waren im September und Oktober in Cartagena angekommen bereiten im Auftrag der Provinzjunta Feldzüge vor, die Ende Oktober starteten. Die beiden Brüder Miguel und Fernando Carabaño zogen entlang der Küste nach Süden, weil Sincelejo (heute Hauptstadt des Departements Sucre) und der Hafen Tolu sich wieder an Spanien orientierten. Bis in den Dezember hinein unterwarfen sie die Gemeinden bis zur Mündung des Rio Sinu. Der gebürtige Spanier Manuel Cortes Campomanes blieb westlich des Rio Magdalena, wo er die königstreuen erfolgreich vertrieb und der Franzose, Pierre Labatut, den noch Miranda mitgebracht hatte, zog entlang der Küste nach Osten. Im November und Dezember gelang es ihm die Royalisten auf der Ostseite des Magdalena in einer Reihe von Gefechte zu besiegen, und machte sich Ende Dezember auf den Weg nach Santa Marta, wo er am 06. Januar 1813 einzog.

Wegen der zentralistischen Struktur innerhalb der Cundinamarca forderte der Kongreß im Oktober die Übernahme des Föderalismus auch innerhalb der Provinz und im Bezug auf die annektierten Gemeinden. Mit der Wahl des neuen Vorsitzenden des Kongresses, Camilo Torres, verschärfte sich die Auseinandersetzung. Dieser hatte seinen Sitz von Ibague, nach einem kurzen Intermezzo in Villa de Leiva, in die Provinzhauptstadt Tunja verlegt.

Der Verlust von Pasto und die Siege der Spanier in Ecuador gaben den Königstreuen in Popayan erneut Auftrieb. Die Provinzregierung sah sich gezwungen, ihren Regierungssitz nach Norden zu verlegen, um nicht wie Caicedo in Pasto, Opfer eines Aufstands zu werden. Die Truppen die Tacon an die Küste verfolgt und später die Region unterworfen hatten, kehrten zwar Anfang Oktober siegreich zurück, aber nur knapp einen Monat später mußten sie dem Gerichtspräsidenten von Quito, Toribio Montes, weichen, der zur Sicherung seines Sieges in Ecuador das Hinterland so tief wie möglich unter seine Kontrolle bringen wollte.

Auch nach Casanare waren viele der venezolanischen Patrioten aus den Llanos geflohen. Sie schlossen sich den gerade im Entstehen begriffenen Guerillas des Indianerseelsorgers Ignacio Mariño, Ramon Nonato Perez oder weiteren Truppen an, beziehungsweise kooperierten mit diesen. Gemeinsam stoppten sie am Jahresende spanische Einfälle an der Grenze.

Der Kongreß verschärfte derweil den Streit mit einer Verurteilung der Handlungsweise Nariños, dem inzwischen die Spanier(!) in der Hauptstadt ihre Unterstützung angeboten hatten, im November. Mit dem Heer Barayas war der Kongreß nun auch in der Lage, seinen Drohungen militärisches Gewicht zu verleihen. Da der Kongreß auch die Abgeordneten der Cundinamarca inhaftierte, zog Nariño erneut mit einem Heer aus, um den Kongreß zu unterwerfen. Ende November waren die Zentralisten Bogotas bei einem Vorhutgefecht gegen die Unionstruppen noch erfolgreich, aber am 02. Dezember scheiterte ihre Attacke auf Ricaurte bei Ventaquemada. Ricaurte setzte nach und versprengte die Zentralisten. Baraya ließ sein Heer nachrücken und in der zweiten Dezemberhälfte lagen die Föderalisten vor Bogota und man drohte sich gegenseitig. Am 31. Dezember trafen sich Baraya und Nariño in einem Kloster nördlich von Bogota, aber Baraya bestand auf einer militärischen Lösung, obwohl Nariño ihm den Einzug in die Hauptstadt gestattete. Damit trat der Bürgerkrieg im Januar 1813 in seine entscheidende Phase.

Im Dezember hatte der venezolanische Flüchtling Simon Bolivar als Oberst, Cartagena mit zweihundert Rekruten verlassen, um in Auftrag der Junta Cartagenas die Sicherung des Rio Magdalena zu übernehmen. Er legte seine Befehle sehr offensiv aus und nahm eine beträchtlich stärkere Garnison der Königstreuen von Santa Marta weiter flußaufwärts ein. Bis zum 01. Januar 1813 säuberte er die Flußregion bis nach El Banco, wo der Rio Magdalena seine Richtung von Nord auf West wechselt.



Fortsetzung: Kap. 7. 1813: Lichtblicke



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