Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 19.a. Peru: das letzte Widerstandsnest

Nach dem Sieg von Ayacucho (s. Kap. 18.c.) blieb Sucre mit dem Vereinigten Heer bis zum 20. Dezember in Huamanga, bevor er den Marsch nach Cusco antrat, wobei er die Division von Jacinto Lara zurückließ. Von Oberperu aus hatte der letzte spanische Vizekönig Pedro Antonio Olañeta den Gouverneur von Arequipa, Juan Pio Tristan, zum Vizekönig ernannt, aber dieser zog es vor, Cusco den anrückenden Patrioten zu überlassen und begab sich nach Arequipa. Sucre zog in der alten Inkahauptstadt am 25. Dezember ein, ordnete die Verwaltung neu und setzte Agustin Gamarra als politischen und militärischen Gouverneur ein. Sucre schrieb am Olañeta, um ihn zur Aufgabe zu bewegen, aber der Ultramonarchist setzte seinen Widerstand fort. Daher setzte Sucre am Jahresanfang sein Heer erneut in Bewegung, um sich dem letzten unter spanischer Kontrolle stehenden Land in Südamerika zu widmen.

Auch, wenn es der von Bolivar eingesetzte montonero-Führer war, der Arequipa besetzte und Tristan gefangennahm, war Sucres Vertrauen in die Guerilla offenbar nicht besonders groß. Er befahl Lara aus Ayacucho in die größte Stadt in Südperu und änderte die Marschroute des Vereinigten Heers ebenfalls. Am 12. Januar traf er in Arequipa ein, wo er im Triumph empfangen wurde.

Zum Jahreswechsel hatte die Nachricht vom Sieg Sucres bei Puno am Titicacasee eine Meuterei bewirkt, wobei die dortigen Kolonialtruppen überliefen. Rudecindo Alvarado, der vor einem Jahr bei der Fahnenflucht der republikanischen Truppen in Callao in Gefangenschaft geraten war, wurde befreit und übernahm das Kommando über die desertierten Royalisten. Olañeta schickte José Maria Valdes, Barbarucho, mit einem Bataillon nach Puno, damit dieser den Verlust der Provinz verhinderte. Als Alvarado vom Übergang der Kolonialtruppen am 10. Januar über den Rio Desaguadero erfuhr, trat er, weil er kaum über ein Drittel der Soldaten wie Barbarucho verfügte, den Rückzug an. Mitte Januar besetzte der Argentinier den Hafen am zweitgrößten See in Südamerika und ließ Alvarado verfolgen.

Sucre, dem die Geschehnisse übermittelt worden waren, brach daraufhin aus Arequipa auf. Das Vereinigte Heer wiederum ließ Barbarucho die Verfolgung der Deserteure abbrechen und bewog ihn zur Aufgabe von Puno. Am 01. Februar besetzten die Patrioten Puno. Damit begann der Feldzug in Oberperu, der im nachfolgenden Kapitel beschrieben ist.

In Callao, dem Hafen von Lima, berief sich der Kommandant Ramon Rodil darauf, daß die Festung Real Felipe nach Kolonialrecht unter dem direkten Befehl des Königs stand und weigerte sich daher, die Kapitulation von Ayacucho anzuerkennen. Rund 8000 Zivilisten hielten sich nach der spanischen Niederlage dort auf. Rodil verfügte über 2800 Soldaten zur Verteidigung der ausgedehnten Anlage, womit die Kapazität ausgelastet war. Noch im November des vergangenen Jahres war Bartolomé Salom mit zweitausend Soldaten aus Quito aufgebrochen und hatte Lima Mitte Dezember erreicht. Ohne eine formale Belagerung zu beginnen, lagen die Truppen der Republik in Callao.

Im Hafen befanden sich sieben Schiffe aus Großkolumbien unter den Befehl von John Illingworth, um die Seeblockade aufrecht zu erhalten. Rodil hatte die spanischen Schiffe, die vor der Südküste Perus lagen (s. Kap. 18.c.) zu seiner Unterstützung angefordert, aber diese betrachteten, auch wegen eines Befehls von Ferdinand VII., den Krieg als beendet. Statt dessen trafen im Januar zwei chilenische Schiffe ein, die die Hafenblockade verstärkten. Sie blieben bis August, nachdem die Chilenen mit Rodil einen Gefangenenaustausch vereinbart hatten.

Die Ausbruchsversuche der Spanier, die Salom sämtlich stoppen konnte, führten Ende Februar dazu, daß die Patrioten damit begannen, Stellungen rund um die Festung zu errichten und Geschütze aufstellen. Anfang April, als die Positionierung abgeschlossen war, begann der Beschuß aus den, inklusive Schiffen, 171 Geschützen, der in den folgenden Monaten einige Zehner Tonnen Geschosse auf Real Felipe niedergehen ließ. Die Spanier standen den Patrioten mit ihrem Beschuß nicht viel nach. Die Patrioten verloren knapp 200 Mann im Artilleriefeuer, während die Spanier die Mehrzahl ihrer 800 Verluste bei Ausbruchsversuchen hinnehmen mußten.

Ab Anfang Mai begannen in mehreren Schüben in den folgenden Wochen insgesamt knapp 2400 Zivilisten die Festung zu verlassen. Die Patrioten hatten jedoch kein besonderes Interesse an den Royalisten und verweigerten schließlich die Aufnahme. Da Rodil wegen seiner angespannten Vorratslage die Flüchtlinge auch nicht mehr zurücknehmen wollte, starben die letzten in Feuer beider Seiten im Niemandsland.

Es gab Attacken der Republikaner, aber die vor gut 20 Jahren nach den Ideen von Alexander von Humboldt verstärkten Festungsmauern aus Ziegelsteinen, verhinderten einen militärischen Erfolg Saloms. Während die Royalisten wegen Nahrungsmangel ihre Ausfälle ab August aussetzen mußten, konnten die Republikaner, teilweise sogar mit Festen, aus dem Vollen schöpfen. Aber auch sie hatten unter Krankheiten, die sich im Heer ausbreiteten zu kämpfen. Bis zu 2500 Tote sollen die grassierenden Epidemien gekostet haben. Vor allem der sich in der Festung ausbreitende Skorbut forderte 8000 Menschenlebenleben, darunter auch Bernardo Torre Tagle. Rund 500 Belagerte schafften es entweder zu desertieren oder wurden von Rodil für den Versuch hingerichtet.

Trotz der hohen Verluste war Rodil nicht bereit, Real Felipe aufzugeben. Anfang Januar 1826 konnten die Republikaner zwar mit Hilfe einiger Überläufer für einige Tage einen Wachturm besetzt halten, aber erst ein englisches Schiff im Hafen erleichterte die Verhandlungslösung ab dem 11. Januar. Am 22. wurde die Kapitulation der letzten Spanier in Peru ausgehandelt, und am folgenden Tag gaben 376 Soldaten und etwa 700 Zivilsten die Festung auf. Kaum 1100 von ursprünglich nahezu 11.000. Rodil war nicht dabei, er hatte sich zu den Engländern auf ihr neutrales Schiff geflüchtet. Nach seiner Rückkehr nach Spanien wurde er zum Herzog ernannt.

Bolivar erhielt für seine Leistungen um die Befreiung Perus vom Kongreß die lebenslange Präsidentschaft und bereiste Peru, und später Oberperu. Nach seiner Rückkehr 1826 nach Lima, zettelte Andres de Santa Cruz, als Vorsitzender des Regierungsrats, einen Putsch gegen ihn an. Der Staatsstreich konnte zwar abgewendet werden, aber Bolivar verzichtete im September auf die Präsidentenwürde und kehrte dem Land für immer den Rücken.

Ungeachtet der auch in Peru auftretenden Aufstände von Königstreuen, war man nicht wirklich bereit, auf Gebietsansprüche in Ecuador, insbesondere den Hafen Guayaquil zu verzichten. Im Januar 1829 mußte Sucre die Peruaner in Südecuador militärisch aufhalten, aber trotz der Kapitulationsbedingungen unter "Brüdern", die sich in der Folgezeit entgegen Sucres Hoffnungen nicht als beispielgebend erwiesen, gaben die Peruaner ihren Anspruch auf Südecuador nie auf. Ecuador ist daher heute kleiner als damals, und noch in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu Kämpfen an der Grenze zwischen den beiden Ländern.



Fortsetzung: Kap. 19.b. Oberperu: Staatsgründung ohne Entscheidungsschlacht



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