Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Unabhängigkeit

Kapitel 17.c. Peru: fruchtloses Hin und Her

Das eklatante Scheitern der Campaña de Puertos Intermedios im Januar (s. Kap. 16.a.) löste in Lima massive Unruhen aus, was den Vorsitzenden der Regierungsjunta José de la Mar in Bedrängnis brachte. Obwohl er als Militärchef sicher nicht völlig unbeteiligt am Scheitern des Feldzugs war, wurde Juan Antonio Alvarez de Arenales angetragen, einen geplanten Staatsstreich gegen de la Mar zu führen. Dieser lehnte jedoch ab, da er seine Reputation in Gefahr sah, und verließ Peru, noch bevor es zum Putsch kam.

Der siegreich aus Ecuador zurückgekehrte Andres de Santa Cruz hatte weniger Skrupel. Er postierte seine Soldaten am 26. Januar auf einem Acker bei dem Vorort Balconcillo, der für die Meuterei namensgebend wurde, und ließ die Außenbezirke der Hauptstadt als Drohgebärde besetzen. Tags darauf wählte der Kongreß Bernardo Torre Tagle zum neuen Präsidenten, aber Santa Cruz ließ de la Mar und weitere Mitglieder der Regierung festnehmen und setzte unter dem Druck der Bajonette seiner Soldaten Jose de la Riva Agüero als Präsidenten durch.

Riva Agüero bat Großkolumbien um Unterstützung, bereitete einen neuen Vorstoß an die Südküste vor, wozu er in England einen Kredit aufnehmen ließ, und verhandelte vergeblich mit den Spaniern unter José Canterac im zentralen Hochland wegen eines Waffenstillstands. Da allein Canterac inzwischen 9000 Soldaten unter seinem Kommando hatte, kamen die insgesamt 5500 Soldaten, die Bolivar Mitte März und Mitte April von Guayaquil aus einschiffte, den Peruanern sehr gelegen. Ursprünglich hätten es mehr sein sollen, aber das aufrührerische Pasto zwang Bolivar den Norden Ecuadors gegen die Königstreuen zu sichern (s. das vorhergehende Neugranada-Kapitel).

Da Bolivar von den Plänen Riva Agüeros, einen erneuten Vorstoß an die Südküste zu unternehmen wußte, und ihm die mangelhafte Vorbereitung des Unternehmens bekannt war, befand sich Antonio José Sucre im April beim Transport der Soldaten aus Großkolumbien, um die Absicht der Peruaner, seine Truppen in die heikle Mission zu verwickeln, zu vereiteln. Sucre bereitet nicht nur den Feldzug besser vor, er sondierte auch das reichlich unsichere politische Terrain für Bolivar, bevor dieser selbst nach Peru kam.

Anfang Juni ergriff Canterac erneut die Initiative, indem er mit seinen Soldaten von Tal des Rio Mantaro auf Lima marschierte. Jeronimo Valdes näherte sich derweil von Süden der Hauptstadt. Insgesamt brachten die Spanier 8000 Mann auf, um Lima zurückzuerobern. Die montoneros taten ihr Möglichstes, die Royalisten auf ihrem Weg zu behindern, aber einer solchen Truppenkonzentration konnten sie nicht wirklich trotzen.

Die Patrioten, die von den Absichten Canteracs wußten, sahen ihre Chancen nicht in einer Verteidigung Limas, sondern glaubten, durch einen erneuten Vorstoß an die Südküste die Königstreuen ablenken zu können. Schon Mitte Mai hätten die Republikaner mit ihrer Aktion beginnen wollen, aber schon wieder verlor man Zeit damit, Verstärkungen aus Chile abzuwarten, die letztendlich doch nicht eintrafen. Mitte Juni lief das Unternehmen, das Santa Cruz führte, schließlich doch an.

Sucre verfügte hauptsächlich über seine eigenen Soldaten aus Großkolumbien, zu denen bestenfalls jeweils 1000 Peruaner, sowie Argentinier und Chilenen von der Expedition San Martins kamen, über etwa halb so viele Soldaten, wie Canterac. Auch wenn noch 2000 montoneros hinzukamen, so erschien dem Venezolaner Lima doch unhaltbar, zumal der Kongreß ihm zwar den Oberbefehl übertragen hatte, aber gleichzeitig auch keine Erlaubnis gegeben hatte, eine Entscheidungsschlacht herbeizuführen. Er gab daher Lima auf und verschanzte sich in der Festung Real Felipe in Callao. Juan Lavalle geleitete mit seinen berittenen Grenadieren 10.000 Flüchtlinge aus Lima nach Norden, um sie vor den Spaniern zu schützen.

Zwischen dem 18. und 20. Juni leisteten die republikanischen Truppen an den Ausfallstraßen Canterac Widerstand, aber letztlich war die Einnahme Limas mit den Mitteln über die Sucre verfügte, und den politischen Vorgaben, die ihm der Kongreß gemacht hatte, nicht zu verhindern. Der Kongreß ersetzte angesichts der spanischen Erfolge Riva Agüero durch Torre Tagle als Präsidenten. Riva Agüero hätte eigentlich des Landes verwiesen werden sollen, aber Sucre setzte durch, daß er sich im befreiten Nordperu aufhalten durfte.

Die Strategie, die Spanier zwar nicht völlig widerstandslos, aber doch ins Leere laufen zu lassen, zahlte sich letztendlich aus, als Sucre Rudecindo Alvarado am 13. Juli mit 3000 Soldaten einschiffen ließ, um das Heer Canteracs zu umgehen, um ins Hochland vorzustoßen. Canterac begriff sofort den Sinn der Operation, gab Lima auf und kehrte ins Hochland zurück. Wegen des Feldzugs von Santa Cruz im Süden, hatte Canterac Valdes schon eine Woche vorher ins südliche Hochland geschickt, um den Vizekönig José de la Serna in Cusco zu unterstützen. Da nun für Lima keine Gefahr mehr bestand, machte sich Sucre mit seinen Truppen eine weitere Woche später nach Süden auf, um Santa Cruz zu unterstützen.

Im Juli stieß ein Verband von Guerillas, die Santiago Marcelino Carreño von Cerro de Pasco heranführte, ins Mantarotal vor. Er besetzte Tarma, nahm in Reyes (Junin) Guerillas aus Huanuco auf und bewegte sich nach Süden. Die Spanier waren allerdings gewarnt und besiegten die Patrioten in einem Hinterhalt in der Schlucht von Macon, 50 Kilometer nordwestlich von Huancayo, einen Tag bevor Canterac den Rückmarsch antrat. Carreño beschränkte sich in der Folgezeit auf die Sicherung von Cerro de Pasco.

Santa Cruz hatte bereits Mitte Juni seine 5000 Soldaten bei Arica, im heutigen Chile an Land gebracht, erkundet, und die im Umland liegenden spanischen Garnisonen vernichtet. Anschließend brachten die Schiffe, mit denen die Patrioten gekommen waren, eine kleine Abteilung 300 Kilometer nach Norden, um die starke Garnison von Arequipa zu beschäftigen. Das Gros einer Truppen teilte er in zwei Gruppen, die getrennt ins Hochland vorstießen. Die nördliche Division führte er selbst ab dem 23. Juli über Torata nach La Paz, während sein Stabschef Agustin Gamarra mit der zweiten Division weiter südlich von Tacna nach Oruro marschierte.

Auch Sucres Vorhut unter William Miller gelangte nun an die Südküste, etwa 300 Kilometer nordwestlich von Arequipa. Er verproviantierte sich bei den Spaniern und erkundete die Umgebung, ohne dabei auf nennenswerten Widerstand zu treffen. Valdes befand sich derweil auf dem Weg nach Süden, wohin ihm José Carratala aus Arequipa mit Verstärkungen folgte. Miller suchte ihn zwar, aber konnte die Spanier nicht daran hindern, weiter nach Süden vorzudringen, um sich Santa Cruz zu widmen. Auch anderen Abteilungen der Vorhut gelang nicht mehr, als eine Belästigung von Valdes’ Nachhut.

Juan Antonio Monet stand auf Anordnung Canteracs bei Ica, um mögliche Truppenbewegungen der Patrioten zu beobachten. Am 11. August konnten berittene Grenadiere aus dem ehemaligen Expeditionsheer von San Martin die Spanier besiegen und damit die Erkundung der Spanier erheblich einschränken.

Santa Cruz erreichte am 07. August La Paz, wo ihn das Angebot Sucres erreichte, ihn bei seinem Feldzug zu unterstützen. Da Santa Cruz jedoch nicht bereit war, den Ruhm mit Sucre zu teilen, zog dieser am 31. August in Arequipa ein. Auch Gamarra erreichte Anfang August das Hochland und lieferte sich mit dem spanischen Oberbefehlshaber für Oberperu, Pedro Antonio Olañeta, kleinere Gefechte. Gamarra nutzte jedoch die Gelegenheit nicht, den auf Verstärkungen wartenden Olañeta endgültig zu besiegen, sondern bewegte sich auf sein Ziel Oruro zu. Aus der Republiqueta von Ayopaya stieß Miguel Lanza mit 600 Guerilleros zu Gamarra, aber Gamarra beschränkte sich darauf, Oruro zu besetzen, anstatt Olañeta nach Potosi zu verfolgen. Oberperu hätte zu diesem Zeitpunkt befreit werden können, da an der Südgrenze Juan Antonio Alvarez de Arenales mit Truppen bereitstand, die hingereicht hätten, gemeinsam mit Gamarra Olañeta endgültig auszuschalten.

Valdes erreichte Mitte August Puno am Westufer des Titicacasees und gedachte, sich mit den Truppen, die der Vizekönig José de la Serna selbst aus Cusco heranführte, zu vereinigen, um Santa Cruz aus Oberperu zu verdrängen. Santa Cruz wußte von der sich nähernden Gefahr, war aber immer noch nicht bereit, Sucre um Unterstützung zu bitten. Er ließ die Brücke über den Rio Desaguadero im Süden des Titicacasees besetzen, um die Spanier aufzuhalten. Am 22. erreichte Carratala Valdes südlich von Puno. Nun wäre ihm die Unterstützung der Großkolumbier doch willkommen gewesen, aber die Distanz war in der verbleibenden Zeit nicht mehr zu überbrücken.

Santa Cruz zog daher Valdes und Carratala in der Hoffnung entgegen, sie vor dem Eintreffen des Vizekönigs besiegen zu können. Am. 25. August kam es bei Zepita, etwa 120 Kilometer südöstlich von Puno zur Schlacht. Santa Cruz hatte weder Sucre noch Gamarra rechtzeitig zu sich gerufen, und so kam es zu einem eher taktischen Unentschieden, das beide Seiten als Sieg darstellten. Drei Tage später traf de la Serna ein, womit sich das Kräfteverhältnis deutlich zugunsten der Königstreuen verschob. Erschwerend kam hinzu, daß der wiedererstarkte Olañeta von Süden nachdrängte. Santa Cruz bewegte sein Heer östlich des Rio Desaguadero nach Süden, auf Gamarra zu, der immer noch keine neuen Befehle hatte. Lediglich die Abteilung an der Brücke über den einzigen Abfluß des Titicacasees verhinderte einstweilen, daß de la Serna und Valdes nachstoßen konnten.

Santa Cruz mangelnde Initiative in den ersten Septembertagen ermöglichte es nun auch Olañeta zum Vizekönig vorzustoßen und so blieb ihm keine Wahl, als das Hochland aufzugeben. Mit den Truppen von Gamarra, begann er Mitte September den Abstieg. Da es zu organisatorischen Fehlleistungen kam, und die Moral der Soldaten wegen Santa Cruz’ Führungsschwäche gelitten hatte, löste sich sein Heer zusehends auf, da Tausende desertierten, ohne daß die Spanier mehr taten, als den Patrioten auf den Fersen zu bleiben. An der Küste schifften sich nur noch 1300 Mann des Heeres von Santa Cruz ein, das wegen eines spanischen Korsaren, der während der Passage angriff, auf kaum 1000 Soldaten geschrumpft war, als es Lima ereichte.

Olañeta verfolgte derweil die in Oberperu zurückgebliebenen Guerillas und eroberte am 24. September La Paz zurück. Er setzte den Feldzug gegen die Guerilla fort, die Truppe Lanzas Mitte Oktober aufgerieben wurde. Da Olañeta in der entscheidenden Schlacht von Alzuri (Falsuri) auch das Kriegsgerät der Patrioten beschlagnahmen konnte, war diese Guerilla praktisch zerschlagen.

Weil de la Serna auch Canterac nach Süden befohlen hatte, begann nun auch Sucres Position in Arequipa unhaltbar zu werden. Anfang Oktober setzten sich die Großkolumbier, die inzwischen vom katastrophalen Scheitern von Santa Cruz wußten, gedeckt von der Kavallerie unter William Miller, aus der Stadt ab. Canterac besetzte Arequipa, kehrte danach ins zentrale Hochland zurück, und de la Serna ging nach Cusco. Ramon Rodil wurde in der Gegend von Ica stationiert, während Valdes im November an die Küste vorstieß, um sich einem chilenischen Heer, das nun doch zur Unterstützung von Santa Cruz eingetroffen war, zu widmen. Als die Chilenen im November vom Scheitern der zweiten Campaña de Puertos Intermedios erfuhren, und nicht bereit waren, sich dem Kommando von Bolivar, der inzwischen nach Lima gekommen war, zu unterstellen, kehrten sie in ihr Heimatland zurück.

Die alarmierenden Nachrichten aus Peru hatten Bolivar im August bewogen, sich selbst dorthin zu begeben. In Begleitung von 1500 Soldaten traf er am 01. September in der peruanischen Hauptstadt ein. Bereits am 10. übertrug ihm der Kongreß die oberste Militärführung und stattete ihn mit weitreichenden politischen Vollmachten aus, um sein Befreiungswerk zu beginnen.

Sein erstes Ziel bestand in der Herstellung der Einheit unter den Patrioten. Der gestürzte Präsident Riva Agüero hatte im nordperuanischen Trujillo seinen eigenen Staat gegründet und erkannte Torre Tagle nicht als Präsident an. Er begann, die Soldaten von Santa Cruz, die nach dem gescheiterten Feldzug im Süden des Perus mehr als unzufrieden waren, zu werben und hatte im Oktober ein 3000 Mann starkes Heer aufgestellt. Bolivar sah nach wenigen Wochen ein, daß er auf dem Verhandlungsweg nicht weiterkam und gedachte, Sucre mit 4000 Soldaten in den Norden Perus zu schicken. Da dieser jedoch eine massive Rufschädigung befürchtete, mußte Bolivar sich selbst um Riva Agüero kümmern.

Er hatte in Erfahrung gebracht, daß Riva Agüero mit dem Vizekönig de la Serna Kontakt aufgenommen hatte, was er belegen konnte. Im November überzeugte er die Abgesandten der "Zweigrepublik", daß ihr Präsident ein Verräter war, und diese verbreiteten die Nachricht im Heer von Riva Agüero. Daraufhin desertierten viele seiner Soldaten, und der Unrechtspräsident wurde am 25. festgesetzt. Bolivar überstimmte den Kongreß, der ihn hinrichten wollte, und Riva Agüero wurde nach Europa verbannt.

Damit war den Peruanern ein Bürgerkrieg erspart geblieben, der sicher auch Bolivars Ruf geschädigt hätte, und die Einheit unter den Patrioten war gesichert. Bevor Bolivar nach Lima zurückkehrte, widmete er sich den Aufbau des befreiten Nordens. In Trujillo gründete er beispielsweise eine Universität. Im Januar machte er sich per Schiff nach Lima auf, um die Befreiung Perus einzuleiten.



Kapitel 18. 1824: Generalkapitulation der Spanier



zum Inhaltsverzeichnis