Unabhängigkeit
Kapitel 14.c.: Peru: die Landung von San Martin
Die Landeoperationen von Thomas Alexander Lord Cochrane im vergangenen Jahr, hatten die Peruaner auf die Unterstützung der Regierungen von Chile und Argentinien vorbereitet. Da aber die zweite Feindfahrt des Schotten bislang wenige Erfolge aufzuweisen hatte, war er am Jahresende nach Südchile gesegelt, um sich dem befestigten Hafen Valdivia zu widmen. Valdivia stellte einen wichtigen Stützpunkt für die spanischen Schiffe nach der Passage von Kap Horn dar, dessen Einnahme die Nachschubwege der Kolonialherren empfindlich stören würde. Aus diesen Gründen befand sich Lord Cochrane am 18. Januar an der Schärenküste vor der Hafenstadt.
Unter spanischer Flagge betrieb er Aufklärung über die Stärke der Verteidigung von Valdivia, als er in den Fjord einfuhr, an dessen Ende die Hafenstadt liegt. Er begutachtete die insgesamt 15 Wachforts und befestigten Geschützstellungen in aller Ruhe, bis die Spanier Verdacht schöpften und das Feuer eröffneten. Da Cochrane genug gesehen hatte, zog er sich aus dem Fjord zurück, erkundete die Umgebung und wartete auf die Ankunft einer vom Lotsenkommando angekündigten Kriegsbrigg aus Spanien ab. Als diese am 21. die Gewässer vor dem Fjord Valdivias erreichte, brachte er sie, wieder unter spanischer Flagge, auf und machte reiche Beute.
Mit seinen eigenen Kräften war er nicht in der Lage, einen Angriff zu starten, aber auf halbem Weg nach Santiago, in Talcahuanco fand er Unterstützung. Es gelang ihm, die Kapitäne eines chilenischen Schoners und einer argentinischen Brigg zu überzeugen, mit ihm zu segeln. Außerdem stockte der Provinzgouverneur seine 400 Soldaten auf 650 auf, womit der Lord über eine ausreichende Streitmacht verfügte. Am 25. brach er auf, um Valdivia einzunehmen.
Vier Tage später, auf dem Weg, lief seine Fregatte in der Nacht auf einen Felsen auf und schlug Leck. Die Begleitschiffe waren zu weit weg, die Küste ebenfalls, und seine Beiboote konnten die Besatzung und die Soldaten nicht aufnehmen. Zu seinem Glück sank das Schiff nicht und er ließ das eindringende Wasser mit Eimern ausschöpfen. Als sich die anderen Schiffe näherten, verlegte er seine Soldaten und sich selbst auf den Schoner und die beiden Briggs. Die Fregatte sollte sich im Hintergrund halten, auch weil sie den Spaniern bereits bekannt war.
Am 02. Februar erreichte die Flottille ihr Ziel, und am folgenden Tag forderte sie Lotsen an, um in den Fjord zu gelangen. Lediglich an einem der Wachforts war die Anlandung der Landtruppen möglich, da der Wellengang recht stark war. Als die Spanier die Landungsboote sahen, eröffneten sie das Feuer aus ihren Geschützen. Binnen einer Stunde brachten die Patrioten mit nur drei Booten 300 Soldaten an Land, nachdem William Miller mit 45 Marinesoldaten die am Landeplatz zusammengezogenen Soldaten der Spanier vertrieben hatten.
Nach Einruch der Nacht griffen die Chilenen das erste der Wachforts geräuschvoll an, um einer kleinen Abteilung unter Francisco Vidal hinter dem Fort die Gelegenheit zu geben, unbemerkt einzudringen. Im Licht des Tages wäre der Angriff wegen zu weniger Soldaten wohl leicht zurückgeschlagen worden, aber in der Nacht sahen die Spanier nicht, wie wenige es tatsächlich waren, die sie von hinten beschossen. Der anschließenden Verfolgung entkamen einige der Spanier, die im nächsten Fort Einlaß forderten. Da die Besatzungen der Forts aber nicht unterscheiden konnten, wann die letzten Spanier eindrangen, und wann die ersten Patrioten, nahmen diese in einer Art Dominoeffekt alle Wachforts auf der Westseite des Fjord in dieser Nacht ein.
Nach einem Ruhetag brachte der Lord seine Schiffe erneut in den Fjord und setzte zweihundert Mann auf der Ostseite ab. Hier räumten die Spanier ohne Kampfhandlungen das Feld, sodaß Lord Cochrane am 06. die Stadt anlaufen konnte. Auch hier hatten die Spanier das Weite gesucht. Trotz der Plünderungen durch den geflohenen Gouverneur, blieb dem Schotten immer noch reichlich Beute, darunter auch ein Schiff und viele Waffen.
Mit dem Schoner und der erbeuteten Brigg verfolgte er die Flüchtlinge nach Chiloé, einer Insel rund sechshundert Kilometer südlich, vor der Küste von Chile. Am 17. Februar landete William Miller im Norden von Chiloé an, und besiegte das Empfangskommando. Der Angriff auf die Festung San Miguel de Ahui am folgenden Tag scheiterte verlustreich und Miller wurde wieder schwer verletzt.
Nach diesem letzten Mißerfolg kehrte Lord Cochrane nach Valparaiso zurück, wo er am 27. Februar eintraf. Der Oberste Direktor Bernardo O’Higgins war zwar zufrieden, aber da seine direkten Vorgesetzten ihm der Erfolg neideten, und weil es zu einer Regierungskrise kam, dauerte es mehrere Monate, bis die geplante Operation zur Befreiung Perus anlaufen konnte.
Anfang Mai begannen die Vorbereitungen, die sich bis weit in den August hinzogen, und auch genaue Anweisungen des Parlaments für den Expeditionsleiter José de San Martin im Bezug auf seine Aufgaben umfaßte. Am 21. August brachen schließlich sechs Kriegsschiffe, zwei Brander und 16 Transportschiffe mit gut 4300 Soldaten nach Peru auf.
Die erste Landung erfolgte am 08. September an der peruanischen Südküste. San Martins Stabschef Juan Gregorio de las Heras führte drei Bataillone vor die Tore von Pisco. Am folgenden Tag war die spanische Wachgarnison verschwunden, und der Ort wurde von den Truppen des Expeditionsheers besetzt. San Martin hatte sich bereits am Tag vorher an seine Soldaten gewandt und ihnen klargemacht, daß dies kein Eroberungs- sondern ein Hilfsfeldzug war. Die Zivilbevölkerung sollte geschont werden und Plünderungen würden bestraft, verlautbarte San Martin eingedenk der Vorgaben des chilenischen Parlaments. Auch an die Peruaner wandte sich der Argentinier. Er versprach Sicherheit und die Aufrechterhaltung der Ordnung, sowie seine Hilfe bei der Befreiung des Landes von den Spaniern. Diesen legte er nahe, die Verfassung von Cadiz umzusetzen, um das Kolonialsystem zu reformieren. Im Gegensatz zu Bolivar im Norden spricht er nicht von absoluter Unabhängigkeit.
Wegen der geringen Anzahl an Beibooten dauerte es immer mehr als zwei Tage, die Soldaten anzulanden. Daher konnten erst am 11. zwei Abteilungen aufbrechen, um das Umland zu erkunden. Der spanische Regionalkommandeur erkundete ebenfalls und berichtete an den Vizekönig Joaquin de la Pezuela in Lima. Durch die Revolution in Spanien war auch de la Pezuela zur Zurückhaltung gezwungen. Er bot daher San Martin Verhandlungen an, die nach dem Vereinbaren einer Feuerpause am 25. September in Miraflores (heute Stadtteil Limas) begannen. Auch de la Pezuelas persönlicher Einsatz und die Bereitschaft San Martins, eine konstitutionelle Monarchie mit einem Spanier an der Spitze hinzunehmen, rettete die Unterhandlungen nicht vor dem Scheitern am 01. Oktober.
San Martin plante daraufhin, Lima zu isolieren. Ein Feldzug mit knapp einem Drittel seines Heeres sollte Lima sichelförmig umfassen und die Peruaner im Hochland zum Aufstand bewegen. Er gedachte sein Heer an der Nordküste nach getaner Arbeit wiederzutreffen, wo er anzulanden plante. Mit 1240 Mann brach der aus Oberperu bekannte Juan Antonio Alvarez de Arenales am 05. Oktober von Pisco auf.
Die sich zurückziehenden Spanier konnten am 15. bei Nazca besiegt werden und am folgenden Tag verloren die Spanier ihre Ausrüstung durch eine verfolgende Abteilung. Deswegen konnte sich Alvarez de Arenales in Ica seinen politischen Aufgaben widmen, und 21. erklärte die Stadt im Schutz seines Heeres die Unabhängigkeit.
Der Weg ins Hochgebirge war mit der Zerschlagung der Spanier an der Küste ebenfalls geebnet. Nachdem Juan Lavalle mit den berittenen Grenadieren die sich zurückziehende Garnison von Huamanga besiegt hatte, zogen die Argentinier und Chilenen am 31. Oktober dort ein. Vier Jahre später benannte Bolivar die Stadt in Ayacucho um. Hier brauchte Alvarez de Arenales eine Woche, um die örtlichen Patrioten zur Erklärung der Unabhängigkeit zu bewegen. Er verteilte die überall auf dem Weg die mitgebrachten Waffen, damit sich die Peruaner ihre Unabhängigkeit aus eigener Kraft erhalten konnten. Denn im Süden erhielt Mariano Ricafort vom Vizekönig den Befehl, die befreiten Gebiete erneut zu unterwerfen. Außerdem beauftragte de la Pezuela den Gouverneur von Huancavelica sich dem Feldzug von Alvarez de Arenales entgegenzustellen und entsandte Diego O’Reilly nach Cerro de Pasco als Sicherung dahinter.
Derweil düpierte Alvarez de Arenales Mitte November den Gouverneur, als er diesen an einer Brücke über den Rio Mantaro vergeblich warten ließ, und einen anderen Übergang fand. Den sich zurückziehenden Gouverneur stellte wieder Lavalle in Jauja, wo er dessen Truppe in die Flucht schlug. An diesem Tag, dem 20. November, zog das Heer in Huancayo ein, wo sofort die Unabhängigkeit proklamiert wurde. Daher, und weil Huancayo längst nicht die Bedeutung wie heute als zweitgrößter Binnenmarkt hatte, zogen die Patrioten nach Jauja weiter. In Tarma, etwa 35 Kilometer nordöstlich, konnte eine Abteilung der Argentinier und Chilenen die Truppen des Gouverneurs am 23. endgültig zersprengen.
Ricafort erreichte an dem Tag, als Tarma seine Unabhängigkeit erklärte, dem 29. November, Huamanga und besiegte die numerisch weit überlegenen, aber unzureichend geschulten Patrioten. Er besetzte die Stadt und leitete blutige Strafmaßnahmen ein. Die nun als Guerillas, in Peru als montoneros bezeichnet, tätigen Patrioten, die in diesem Fall mehrheitlich aus Indianern bestanden, wurden bei Cangallo, etwa 50 Kilometer südlich von Huamanga erneut besiegt, und Ricafort ließ den Ort niederbrennen. Er bewegte sich langsam nach Norden, auf Huancayo zu, damit er am Weg seine Strafaktionen durchführen konnte. Am 30. Dezember schlug er ein riesiges hauptsächlich aus Indianern bestehendes Patriotenheer vor der Stadt und hielt wieder blutig Gericht. Sein Stellvertreter José Carratala, war ihm inzwischen gefolgt, aber vor seinem Eintreffen konnte Ricafort die Region nicht unter Kontrolle halten, da zu viele Patrioten die Niederlage überlebt hatten. Er wartete südlich von Huancayo auf Carratala, der im folgenden Januar eintraf.
Inzwischen waren die Truppen von Alvarez de Arenales auf Cerro de Pasco vorgestoßen, wo O’Reilly mit seinen Truppen lag. Im Morgengrauen des 06. Dezember griff das argentinisch-chilenische Heer den über 4300 Meter hoch gelegenen Ort an. Die Gegenwehr der Spanier hielt sich wegen der taktischen Leistung von Alvarez de Arenales in Grenzen. Die Spanier flohen, wobei viele in Gefangenschaft gerieten, darunter auch Andres de Santa Cruz, der bald darauf die Seiten wechselte. Die nachsetzenden Patrioten faßten Tage später auch O’Reilly selbst und verleibten sich die Ausrüstung der Spanier ein.
Bis hierher war der Feldzug ein Erfolg gewesen, aber um das Erreichte zu sichern, wäre es unumgänglich gewesen, nach Süden zurückzukehren und sich Ricafort zu widmen. Aber genau dies geschah nicht. Die peruanischen Patrioten wurden alleine und den spanischen Repressionen ausgesetzt gelassen. San Martin erkannte das zwar, aber sein Befehl zur Umkehr für Alvarez de Arenales erfolgte im Januar zu spät, weil seine Abteilung bereits zu nahe an den inzwischen an der Nordküste gelandeten Soldaten von San Martin waren.
Am 29. Oktober hatte San Martin den Rest seines Heeres wieder auf die Schiffe verladen und war nach Norden aufgebrochen. Vor Callao verblieb Lord Cochrane mit einem Teil seiner Kriegsschiffe, um den Hafen erneut zu blockieren, während der Rest das Anlanden der Truppen bei Ancon, 25 Kilometer nördlich, deckte. Während San Martin das Umland seines Landepunktes besetzte, plante der Lord einen Anschlag auf die spanische Flotte.
In der Nacht des 05. November fuhr er unbemerkt in den Hafen ein und setzte rund 250 Mann in Landungsboote, die sich der besten spanischen Fregatte bemächtigten. Der Lord, der selbst an der Operation teilnahm, erlitt eine Verletzung, die ihn daran hinderte, der spanischen Flotte weitere Beschädigungen zuzufügen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Dazu trug sicher auf bei, daß die inzwischen alarmierten Wachgarnisonen das Feuer aus den Küstenbatterien eröffneten. Trotzdem war der Anschlag entscheidend, da die chilenische Flotte mit der Prise der der Spanier nun überlegen war.
Nach der spanischen Rückeroberung von Neugranada war das Numancia-Regiment restrukturiert und aufgefrischt worden. Während zwei seiner Bataillone in der Schlacht von Boyaca kämpften, war das 1. Bataillon nach Peru verlegt worden. Diese gut ausgerüstete und kampferfahrene Einheit war die beste Truppe der Spanier in Peru. Bis auf eine in Trujillo stationierte Kompanie führte sie Jeronimo Valdez den die Umgebung des Landeplatzes erkundenden Truppen von San Martin entgegen. Frederik Brandsen lauerte dem unvollständigen Bataillon mit der Kavallerie auf, und überraschte es auf einer Hazienda bei Chancay. Der Angriff schien zuerst Erfolg zu haben, aber die Spanier fanden auf der Flucht zur Disziplin zurück, und leisteten Widerstand. Das resultierende Unentschieden sicherte dem Expeditionsheer von San Martin den Ort Chancay.
Unterdessen traf sich San Martin mit Lord Cochrane, den er zu seinem Handstreich beglückwünschte und ordnete den Aufbruch der Flotte nach Norden an. Am 12. November schifften die Soldaten hundert Kilometer nördlich, bei Huacho, aus. Lord Cochrane kehrte anschließend nach Callao zurück, wo er für die folgenden Monate eine (gelegentlich durchlässige) Seeblockade errichtete. San Martin unterstützte auch hier die Unabhängigkeitserklärungen von Städten und entsandte ein Kontingent nach Guayaquil, wo sich die Patrioten erhoben, und um seine Hilfe gebeten hatten (s. das folgende Kapitel 14.d.).
Es kam zu kleineren Gefechten mit den Spaniern im befreiten Küstenabschnitt, der nun über hundert Kilometer lang war, aber der wichtigste Erfolg der Republikaner war am 03. Dezember der von Spionen organisierte Übertritt des Numancia-Bataillons in die Reihen der Patrioten. Dies war deswegen möglich, weil die Venezolaner und Neugrenadiner ihre bereits befreiten Kameraden beneideten und die Moral entsprechend gesunken war. Neben dessen bereits erwähnten Qualitäten, schmerzte die Spanier besonders, daß dieses Bataillon die vorderste Front gegen die Republikaner dargestellt hatte. Dafür stand an diesem Tag die Seeblockade Callaos nicht, und es trafen Verstärkungen aus Cusco ein, die José Canterac auf dem Seeweg selbst geführt hatte. Er übernahm bald darauf die Führung des Generalstabs.
Im Dezember fühlten sich eine Reihe von Städten an der Nordküste durch die Erfolge des chilenisch-argentinischen Expeditionskorps und dem Aufstand von Guayaquil animiert, die Unabhängigkeit auszurufen. Hinzu kam, daß der Gouverneur von Trujillo, Bernardo Torre Tagle, nach einigem Zögern, den Bestrebungen zuneigte, und um den Jahreswechsel folgten die meisten Städte im Norden Perus den Ruf der Freiheit. Soweit war die Expedition von San Martin ein Erfolg, aber der Süden und Teile des Hochlands, sowie Lima selbst, befanden sich nach wie vor in den Händen der Kolonialherren. Diesen Aufgaben widmete sich San Martin im folgenden Jahr.
Fortsetzung: Kap. 14.d.: Ecuador: beginnender Widerstand