Unabhängigkeit
Kapitel 11.b. Venezuela: die Schaffung der Basis zur Befreiung
Nach der gescheiterten Expedition Simon Bolivars im vergangenen Jahr, hatte dieser nach Haiti zurückkehren und den dortigen Präsidenten Alexandre Petion erneut um seine Hilfe bitten müssen. Dank der Unterstützung, die Bolivar ein zweites Mal erhielt, konnte er mit Truppen und Ausrüstung am 31. Dezember 1816 in Barcelona, das die zurückgebliebenen Patrioten hatten sichern können, anlanden.
Der Streit, den Bolivar vier Monate vorher zurückgelassen hatte, schwelte weiter und nicht alle Befehlshaber waren bereit, ihm noch eine weitere Chance zu geben. Da der spanische Oberbefehlshaber Pablo Morillo den Verlust Barcelonas nicht auf sich beruhen lassen konnte, schickte er ein starkes Heer unter Pascual Real nach Osten, um Francisco Tomas Morales, den José Tadeo Monagas mit den anderen Patriotenstreitkräften in der Region vertrieben hatte, zu ersetzen. Mitte Januar zog Bolivar der dreieinhalbfachen Übermacht entgegen, um wenigstens eine Verzögerung zu erreichen, damit Santiago Mariño mit dem neuen Ostheer die Gelegenheit hatte, nach Barcelona zu kommen, um bei der Verteidigung der Stadt zu helfen. Mitte Februar griff eine spanische Flotte aus Cumana die Schiffe Bolivars unter Luis Brion vor Barcelona an, konnte aber zurückgeschlagen werden. Währenddessen bereitete Bolivar die Spanier an Land mit einem für die Patrioten siegreichen Vorgefecht auf die Entscheidungsschlacht vor. Da Mariño aber nicht dazu beitragen wollte, daß wieder nicht er, sondern Bolivar zum Befreier würde, verzögerte er seinen Marsch. Bolivar blieb nun nichts anderes übrig, als sich in Barcelona zu verschanzen. Am 18. zogen die Spanier in die Stadt ein, aber da Mariño inzwischen doch schon recht nahe war, verließen sie Barcelona bereits am nächsten Tag wieder.
Um Mariño auf seine Seite zu bringen, machte Bolivar ihn zum Oberkommandierenden der Befreiungsstreitkräfte, blieb aber oberster Führer. Anfang März führte die Flotte von Brion Angriffe auf die unweit der Küste liegenden Spanier, die von Vorstößen der Landtruppen hätten begleitet werden sollen, aber Mariño weigerte sich, zu attackieren.
Mariños Beispiel der Befehlsverweigerung machte Schule und auch seine Offiziere begannen nun gegen ihn zu meutern. José Francisco Bermudez, der die Führung der Truppen übernahm, gedachte jedoch ebenfalls nicht, Bolivar zu gehorchen, und so verließ dieser mit einer kleinen Begleitmannschaft die Region, um sich Angostura zu widmen, wo Manuel Piar seit dem Ende des vergangenen Jahres kämpfte. Auf Bitten der Bevölkerung Barcelonas, stellte Bolivar eine siebenhundert Mann starke Truppe ab, um den Ort zu verteidigen. Da ihm allerdings klar sein mußte, daß das Ostheer nicht eingreifen würde, und die Spanier eine große Übermacht darstellten, waren die Soldaten von vorneherein zum Tod verurteilt. Nach seinem Weggang am 21. März bereiten die Spanier den Angriff vor, und am 07. April machten die Spanier die Garnison nahezu komplett nieder, da die Patrioten auf Bolivar vertraut hatten und nicht kapitulieren wollten.
Manuel Piar war noch im vergangenen Jahr auf die Südseite des Orinoko gelangt (Kap. 10.c.) und hatte den Widerstand von lokalen Einheiten der Spanier überwunden. Anfang Januar gelang ihm der Übergang über den extrem breiten Orinokozufluß Caura, obwohl der spanische Gouverneur mit einem Ausfall dies zu verhindern versuchte. Auch, wenn er seine Truppe mit freiwilligen auf dem Weg auf 2000 Mann verdoppelt hatte, war ihm klar, daß er die Stadt mit ihren 3200 Verteidigern nicht würde nehmen können. Der Angriff am 18. Januar konnte daher nur dazu dienen, vorgelagerte Stellungen einzunehmen und eine Belagerung aufzubauen.
Um Angostura und Ciudad Guayana von ihrer Versorgung abzuschneiden, beschloß Piar die Einnahme der Missionen von Caroni, südlich zwischen Angostura und Ciudad Guayana. Er umging sein Ziel im Februar und schlug einen Angriff aus den Festungen des alten Guayana zurück, womit er sich die Kontrolle des Umlands sicherte. Zum Monatsende konnte er die Missionen, immerhin rund vierzig Dörfer, in Besitz nehmen und damit sein Heer versorgen.
Nach der Verfolgung der letzten regulären Truppen der neugrenadiner Republik in Casanare im vergangenen Jahr, hatte Morillo Miguel de la Torre mit einer Entsatztruppe nach Angostura geschickt, die allerdings von José Antonio Paez und Krankheiten auf dem Weg dezimiert worden war. Nachdem Piar sich Anfang April mit Bolivar getroffen und das weitere Vorgehen besprochen hatte, traf de la Torre Vorbereitungen, um Piar mit einem Ausfall zu vertreiben. Piar besiegte ihn jedoch in der Schlacht von San Felix, unweit östlich von Ciudad Guayana am 11. April. De la Torre verlor rund 80 Prozent seiner Soldaten und entkam mit knapper Not. Da Piar keine zehn Prozent Verluste zu beklagen hatte, waren die Königstreuen nun auf Verteidigung ihrer Städte beschränkt, die Piar allerdings ohne Schiffsunterstützung nicht einnehmen konnte. Bolivar traf kurz danach mit den ihm verbliebenen Truppen aus dem Nordosten ein, aber Brions Schiffe kamen erst Anfang Juli.
Paez hatte um die Jahreswende Llaneros rekrutiert, als er von dem Entsatzheer für Guayana Kenntnis erhielt. Am 28. Januar griff er das Lager von de la Torre etwa 125 km südwestlich von San Fernando de Apure überraschend an. Er fügte den Spaniern schwere Verluste zu, bevor diese sich zur Verteidigung formieren konnten. Pablo Morillo verstärkte als Konsequenz die Verteidigung von San Fernando de Apure, so daß Paez im März und April nur vorgeschobene Einheiten besiegen, aber die Stadt selbst nicht einnehmen konnte. Sein Vorstoß im Juni endete jedoch bei der Verfolgung einer spanischen Abteilung mit einer herben Niederlage.
Bolivar war nach seinem Treffen mit Piar in den Nordosten Venezuelas zurückgekehrt, und hatte dort die Truppen für den Guayana-Feldzug in Marsch gesetzt. Da die Ostvenezolaner weiterhin blockierten, konnte Bolivar nur 500 Mann mit nach Süden nehmen. Nach seinem Weggang initiierte Mariño am 08. Mai in Cariaco, östlich von Cumana einen Kongreß, der ihn zum Oberbefehlshaber wählte. Auch einige von Bolivars Offizieren waren zurückgeblieben, aber sie hießen nur die erneute Ausrufung der Republik gut. Danach folgten sie Bolivar nach Süden.
Als Morillo von dem erneuten Erstehen der Republik erfuhr, rüstete er ein 3000 Soldaten umfassendes Heer aus, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Im Mai verließ er San Fernando de Apure, wo er sich deswegen aufgehalten hatte, weil er Paez für seinen gefährlichsten Gegner hielt, und zog an die Nordostküste. Hier erwartete er auch Verstärkungen aus Spanien. Morillo besiegte Mariño in Cariaco am 10. Juni und trieb in der Folge die patriotischen Verbände auf. Diese flohen zu Bolivar nach Guayana, nur Mariño nicht, denn er fürchtete den Zorn Bolivars. Nach einem Monat war der Widerstand auf dem Festland gebrochen und Morillo wandte sich der Insel Margarita zu, die die Operationen der Patrioten seit dem Aufstand von Arismendi unterstützt hatte.
Mitte Juli landete er seine Truppen auf der Insel an. Aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit, konnte er die wichtigsten Städte besetzen, aber im Inneren der Insel, wo eine dornige Trockenvegetation vorherrscht, verlor er immer wieder Abteilungen, die den Feldzug für ihn zu kostspielig werden ließen. Die Nachricht vom Fall Angosturas ließ ihn schließlich den Feldzug nach nur einem Monat abbrechen.
Bolivar hatte Ende April den Orinoko überquert und stieß Anfang Mai zu den Truppen von Piar, die Angostura und Ciudad Guayana belagerten. Piar, der genau wußte, daß ihn Bolivar wegen seiner Befehlsverweigerung zur Verantwortung ziehen würde, floh. Anfang Juli näherte sich die Flotte Brions, die von Barcelona der Küste entlang zur Mündung des Orinoko gesegelt war. Am 08. Juli durchbrach die Vorhut Brions bei Pagallos die Seeblockade der Spanier, und damit übernahmen die Patrioten die Kontrolle über den Fluß. In den folgenden Tagen wurde die Ausrüstung, die Bolivar aus Haiti mitgebracht hatte, entladen.
Die Spanier in Angostura vergegenwärtigten sich der Unhaltbarkeit ihrer Lage, da sie seit Wochen von der Versorgung durch ihr Hinterland abgeschnitten waren, und nun auch der Fluß keine Sicherheit mehr bot. Am 17. kommandierte Miguel de la Torre den Abzug auf 34 Schiffen nach Ciudad Guayana, das mit den nahegelegenen Festungen eine günstigerer Verteidigungsposition bot. Außerdem wußte man, daß Morillo über die Lage informiert war und Verstärkungen schicken würde. Bermudez, der die Belagerung der Stadt geleitet hatte, rückte sofort nach, um die Hafenstadt zu besetzen.
In Ciudad Guayana litt man ebenfalls unter dem Mangel an Vorräten, und so setzten die Schiffe ihre Flußfahrt auf dem Orinoko zur Mündung fort, da nur hier ein Entkommen möglich war. Als die Schiffe am 03. August bei Cabrian, etwa 50 Kilometer nordöstlich von Ciudad Guayana an dem befestigten Lager der Patrioten vorbeikamen, ließ Bolivar einen kombinierten Angriff von Land und mit seiner Flotte beginnen, der die Formation der Spanier auflöste und in die Flucht schlug. Nur zwei oder drei der Schiffe entkamen der Verfolgung, die sich über Tage hinzog. Während Miguel de la Torre entkam, machte die Flotte Brions reiche Beute. Ciudad Guyana, das bisher noch Widerstand geleistet hatte, kapitulierte sofort, als die Nachricht von der spanischen Niederlage auf dem Fluß eintraf.
Mit der Kontrolle des unteren Orinoko und den wichtigsten Städten hatte sich Bolivar die Ausgangsposition für zukünftige Eroberungen geschaffen. Im Westen hielt Paez die Spanier in Atem, ohne jedoch nachhaltige Eroberungen zu machen. So gelang ihm zwar die Einnahme von Barinas Mitte August, aber mit seinen Lanzenreitern konnte er keine dauerhafte Verteidigung errichten und wegen der Division Sebastian de la Calzada auf den Merida-Anden, blieb ihm letztlich nur der Rückzug. Trotzdem verhinderte er, daß die Spanier den Süden und Südwesten des Landes unter ihre Kontrolle bekamen. Die Insel Margarita erhielt durch das vermehrte Eintreffen von Söldnern ab dem Jahresende, die Rafael Urdaneta trainierte, eine besondere Bedeutung. Daher bestand das vordringlichste militärische Ziel in der Rückeroberung des Hafens Barcelona und der Herstellung einer sicheren Landverbindung an den Orinoko, damit der Nachschub nicht zeitaufwendig um die Ostspitze Venezuela per Schiff transportiert werden mußte. Bolivar, der sich zuerst um die Wiederherstellung der Disziplin in seiner Truppe und um die anstehende Staatsgründung kümmerte, zog es jedoch vor, einen direkten Vorstoß nach Caracas zu planen.
Um die Moral in seinem Heer wiederherzustellen, ließ er Manuel Piar fangen und machte ihm den Prozeß. Piar hatte sich Bolivar widersetzt und war geflohen. Insofern war es richtig und wichtig, ihn exemplarisch zu verurteilen. Piar wurde deswegen hingerichtet, weil Bolivar nicht die meisten der ostvenezolanischen Offiziere, allem voran Marino, zur Verantwortung ziehen konnte, ohne seine militärische Schlagkraft zu schwächen. Hinzu kam, daß Piar Mulatte war, und so der Widerstand gegen die Erschießung am 15. Oktober geringer war, als dies bei einem Kreolen der Fall gewesen wäre. Bolivar schickte Antonio José Sucre als Unterhändler zu Marino, der schließlich nachgab, weil Sucre bei Bolivar seine Straffreiheit erreichte.
Das politische Ziel, die Staatsgründung, erfolgte durch einen Staatsrat, dem Brion vorstand, am 01. November. Der Präsident Bolivar gab dem Staat den Namen Großkolumbien (Gran Colombia), was sich nicht auf den heutigen Staat bezieht, sondern den ganzen Kontinent meinte, der von Kolumbus entdeckt worden war. Von Beginn an waren neben Venezuela auch Neugranada und Quito als Departements vorgesehen.
Vor allem das spanische Expeditionsheer stand jedoch den Expansionsplänen Bolivars entscheidend im Weg. Daher konzipierte er einen Feldzug am Jahresende, der die Einnahme von Caracas zum Ziel hatte. Seit Mitte des Jahres hatten Leonardo Infante und Pedro Zaraza südöstlich der Hautstadt gegen die dortigen spanischen Garnisonen mit einigem Erfolg gekämpft. Den Spaniern war Bolivar jedoch wichtiger gewesen, als dieser Nebenkriegsschauplatz, der sie nie in Bedrängnis hätte bringen können. Nun, da sie die Staatsgründung nicht hatten verhindern können, schickte Morillo de la Torre mit den Truppen von Pascual Real, die Barcelona zurückerobert hatten, nach Südwesten, um die Vorhuten Bolivars zu vernichten, da sie die Gefahr ahnten, die auf sie zukommen würde, wenn Bolivar diese verstärkte und auf Caracas marschierte. Bolivar war zu spät aus Angostura aufgebrochen, weshalb er die Niederlage von Pedro Zaraza bei La Hogaza am 02. Dezember nicht verhindern konnte. Aber er hatte ihm ausdrücklich befohlen, Gefechten aus dem Weg zu gehen. In der blutigen Schlacht, die sich für die Patrioten zur Katastrophe entwickelte, wurden beide Feldherren, Zaraza und de la Torre, verwundet.
Für Bolivar bedeutete die Niederlage allerdings, daß er den Plan auf die Hauptstadt zu marschieren, bis ins nächste Jahr aufschieben mußte, bis er mittels Zwangsrekrutierungen und der Beschlagnahme kriegswichtiger Güter erneut ein Heer aufgestellt hatte. Mit Paez, der sich südlich von San Fernando de Apure gegen Ende des Jahres hatte festsetzen können, verfügte er über einen Verbündeten, mit dem es möglich war die Spanier mehr als nur in Bedrängnis zu bringen.
Fortsetzung: Kap. 12. 1818: Stagnation