Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

45. Von Chiclayo nach Trujillo

Chepen

Obwohl ich nicht gerade früh losgefahren bin, war gegen halb acht noch kein Laden offen, so daß ich erst kurz nach acht in Reque an einer Raststätte zum Frühstücken kam. Dahinter begann die Küstenwüste. Über die wellige Fahrbahn, auf der nur mäßig Verkehr herrschte fuhr ich gegen den von schräg vorne, aus Süden, kommenden Wind. Dadurch, daß es ein recht trüber Tag fast ohne Sonne war, gestaltete sich die Fahrt recht angenehm.

Die Wüste war selten völlig vegetationslos und sandig, in Form von Meer angewehten Sicheldünen, die meist zwanzig bis dreißig Meter Durchmesser hatten. Üblicherweise waren vertrocknete Dornbüsche und Geröll zu sehen. Wenige Bodendecker waren grün. Es gab einige landwirtschaftliche Flächen, die mittels Bewässerung, die hier eine lange Tradition hat, nutzbar gemacht worden. Im Osten zog sich das bis fünfhundert Meter hohe Küstengebirge hin. Aufgrund der Nähe zur Subduktionszone vor der Küste waren die Berge sicher stark deformiert, aber wegen der großen Entfernung konnte ich das nur erahnen. Das Meer war allerdings nicht zu sehen.

In den bis fünfundzwanzig Kilometer langen Wüstenabschnitten zwischen den Ortschaften war die Panamerikana ziemlich öde und verlassen. Aber Müll verschandelte trotzdem oder gerade deswegen die Landschaft. Keine tienda oder Raststätte auf über eine Stunde waren keine Seltenheit, so daß ich gegen halb elf nahe Mocope beschloß, eine der Gelegenheiten zu nutzen.

Am südlichen Ortsrand von Chepen hielt ich später an einer Tankstelle. Dabei erfuhr ich von einen nahegelegenen Restaurant, an dem eine Hotelanlage angeschlossen sei. Ich fuhr die letzten Kilometer zu dem Restaurant und setzte mich, wie üblich, an einen der Tische davor. Nachdem ich gegessen hatte, kam zuerst die Frau des Wirts, wohl, um vorzuprüfen, was von mir zu halten sei. Offenbar war der Wirt zufrieden mit dem was er gehört hatte und lud mich auf ein Bier ein. Nach dem guten und reichhaltigen Mittagessen hatte ich, da ich bereits mein Tagessoll erfüllt hatte, nichts dagegen, hier zu bleiben. Der Wirt wollte mit der Hotelbesitzerin reden, um mir einen günstigen Preis zu machen. Für umgerechnet zehn Mark in einem gepflegten Zimmer mit Klimaanlage, Warmwasser im eigenen Bad und einem Schwimmbecken im großen Garten, konnte ich sehr zufrieden sein.

Nach der Siesta bemerkte ich allerdings den Haken bei der Geschichte. Man war zu weit weg von allem und zu meinem Pech hatte das Restaurant, in dem ich mittags so gut gegessen hatte, am Abend geschlossen. Zu meinem Ärger stellte sich die Besitzerin des Hotels dumm. Sie tat so, als wüßte sie nicht, wo ich in der Nähe ein Abendessen kriegen könne. Also lief ich der Panamerikana entlang, aber die einzige, ziemlich heruntergekommene Küche am Straßenrand gab vor, keine Vorräte mehr zu haben. So blieb mir nichts anderes übrig, als das nächste Sammeltaxi anzuhalten, um nach Chepen zurückzukehren. Hier war die Lage aber ebenfalls recht bescheiden. Nach einigem Herumlaufen entschied ich mich auch deswegen, weil es dunkel geworden war, für eine Hähnchenbraterei, wo ich die Tiere im Grill hängen sah. Da die drei Frauen, die den Laden führten, nur mich als Gast hatten, kam ich in den Genuß einer Exklusivbedienung, wofür ich ihnen ein bißchen von meiner Reise erzählen mußte. Später suchte ich mir ein moto, das mich zurück zum Hotel brachte.

Pacasmayo

Daß ich etwas spät aufgestanden bin, war deswegen von untergeordneter Bedeutung, weil ich beschlossen hatte, nur eine kurze Etappe nach Pacasmayo zu fahren und mir dabei am Straßenrand gelegene Ruinen näher anzusehen.

Kurz vor der Brücke über den Río Jequetepeque sah ich ein Hinweisschild auf die Ruinen von Farfán. Hier fand ich die Reste von Lehmziegelgebäuden, die als Wohnungen und Werkstätten gedient haben mögen. Auch sah ich die Reste kleinerer Pyramiden, während ich mit dem Fahrrad durch die Wüste führ. Ich blieb etwa eine Stunde im Bereich der Ruinen, die besser hätten erklärt sein können. Erst später fand ich heraus, daß die Gebäude zwischen dem zwölften und fünfzehnten Jahrhundert genutzt worden waren.

Zurück auf der Panamerikana, fuhr ich nun mehr nach Südwesten. Die Bedingungen hatten sich allerdings nicht geändert. Der Wind war unvermindert heftig und wirbelte immer wieder Staub auf. Die starke Sonneneinstrahlung verursachte mir einen Sonnenbrand an den ungeschützten Hautstellen. Der Hut und das langärmlige Leinenhemd verhinderten zwar das Schlimmste, aber vor allem die Handrücken waren meist gerötet. Die Strecke war wellig und mehr ansteigend, als abfallend, aber nicht des Flußtals wegen, über das ausnahmsweise eine Betonbrücke führte.

Die Landschaft hier ist vom bis zu sechshundert Meter hohen, nackten und schroffen Küstengebirge geprägt und prinzipiell in zwei nicht-urbane Gebiete aufzuteilen: zum einen der natürliche Lebensraum hier. Die Wüste besteht aus, vom Meer angewehten Sanden, die nicht immer als sichelförmige Dünen ausgebildet sind, und dem Erosionsprodukt der Berge. Es war eine ziemlich eintönige Landschaft, die aber durchaus ihren wilden Reiz für mich hatte. Der Rest zwischen den Wüsteninseln sind seit über fünfzehnhundert Jahren bewässerte, grüne Bachtäler. Hier konzentriert sich seit jeher die Bevölkerung.

Das Küstengebirge ist von Sedimenten aufgebaut, die jedoch wegen der Nähe zur Subduktionszone metamorph und deformiert sind. Dazwischen sind Plutonite aufgeschlossen. Das bis fünfhundert Meter hohe Gebirge, soweit ich’s gesehen habe, war stark zerklüftet und von fluviatilen und äolischen Erosionsrinnen zerfurcht. In der Nähe von Pacasmayo, an der Küste, herrschten Konglomeraten vor, wie sie als Ergebnis von durch die Hebung des Hinterlands verursachter Erosion entstehen.

Durch den Dunst, der hier ständig herrschte, habe ich zuerst, obwohl ich mir rational gesagt habe, eigentlich müßte ich jetzt den Pazifik sehen, beständig Zweifel gehabt, bis ich ihn am Ortsrand, kurz vor der häßlichen Zementfabrik, die in einem der Reiseführer erwähnt war, vor mir liegen sah. An diesen Tag lag er so friedlich vor mir, wie es sein Name impliziert. Ich hatte ihn niemals vorher gesehen und war etwas enttäuscht, weil ich den wesentlich unruhigeren Atlantik an verschiedenen Stellen gesehen hatte. Im weiteren Verlauf der Reise hat er mich aber durchaus noch beeindrucken können.

Der Ort in dem knapp dreizehntausend Einwohner leben, ist im Zentrum einigermaßen touristisch aufgemacht, so daß ich keine Schwierigkeiten hatte mich für eins der sechs oder sieben Hotels, die ich angetroffen habe, zu entscheiden. Das Quartier war zwar recht einfach und hatte nur kaltes Wasser, aber im Restaurant unten im Haus habe ich gut gegessen.

Nach der Siesta wartete ich kurz das Fahrrad und habe mir anschließend das Dorf angesehen. Erwartungsgemäß war das Meer die einzige Attraktion, aber ich entdeckte immerhin drei Internetplätze. (Pacasmayo ist unter Surfern wegen seiner ungewöhnlichen Wellen berühmt.) Als es zu dämmern begann, wollte ich mir den Sonnenuntergang vom oberen Teil des Dorfs ansehen, der auf einer Klippe gebaut war. Je weiter ich allerdings in diesen Teil Pacasmayos vordrang, desto übler wurde die Wohngegend und, als ich merkte, daß es zu schnell dunkel und ich nicht ans Meer gelangen würde, sondern eher Gefahr lief, ausgeraubt zu werden, kehrte ich ins Zentrum zurück. Da ich eine ganze Menge anderer Restaurants gesehen hatte, beschloß ich nicht im Hotel zu essen, sondern suchte mir ein anderes Gasthaus, das sich aber als nicht so gut, wie meine Unterkunft herausstellte. Schließlich kehrte ich, nach einem Halt in einer tienda zum Hotel zurück, um die folgende Etappe zu planen.

Chocope

Weil die Läden an der Küste offenbar grundsätzlich erst um acht Uhr öffnen, fuhr ich ins sieben Kilometer entfernte San Pedro de Lloc, um dort an einer Raststätte am Ortsende zu frühstücken. Danach erwarteten mich fünfundvierzig Kilometer durch diesmal stellenweise vegetationsfreie Wüste entlang des Küstengebirges. Sanddünen, gelegentlich Geröll, die Berge und ein unglaublich blauer Himmel mit vereinzelten Federwolken waren für Stunden das einzige was mich begleitete. Abgesehen natürlich vom unvermeidlichen Wind und dem spärlichen Verkehr, der aber meiner Ansicht zu meiner Sicherheit beigetragen hat. Sollten sich in dieser Einöde Banditen auf Verkehrsraubüberfälle spezializiert haben, wäre ihnen schwer beizukommen.

Ein Gutteil der Strecke verlief bergauf, aber ohne den Wind, hätte ich es bis auf zwei oder drei herbe Ausnahmen kaum bemerkt. Irgendwann hatte ich mich zur nächsten Siedlung, Paijan, durchgekämpft. Hier beschloß ich, Mittagspause zu machen. Allerdings zog sich diese bereits deswegen, weil man einen Sohn des Restaurants erst zum Bier holen schicken mußte. Außerdem hatte ich den Eindruck, daß man, entgegen der sonstigen Gewohnheit, mit dem Kochen erst begann, als ich bestellt hatte. Hinzu kamen einige Neugierige aus dem Ort und ein Handlungsreisender, die gar nicht genug Geschichten von meiner Reise hören konnten.

Endlich gelang es mir, mich loszureißen und die letzten fünfzehn Kilometer nach Chocope anzugehen. Hier habe ich mit zwei Bullen geredet, die mir das einzige Hotel gezeigt und von deutschen Archäologen in El Brujo, einem Ausgrabungsort in der Nähe berichtet haben. Dabei handelt es sich um einen Lehmziegeltempel der Moche, der auf einem 5000 Jahre alten Abfallberg steht. Die farbigen Reliefs, deren Nachbildungen ich später in Lima sah, hätten den Ausflug zu der Ausgrabungsstelle gerechtfertigt. Zumal mir die Bullen sagten, wie ich dort problemlos hingelangen könne, obwohl der Reiseführer behauptet, das Areal sei für Touristen gesperrt.

Es wurde zusehends später, als ich die Pension erreichte, wo ich mal wieder hart über den Preis verhandeln mußte. Der knapp siebzigjährige Don José erwies sich als zäh, aber als er gegenüber dem ursprünglichen Preis ein Viertel nachgelassen hatte, war ich einverstanden. Allerdings bin ich überzeugt, daß er gegenüber dem Preis für Einheimische vorher etwa die Hälfte draufgeschlagen hat. Allein deswegen ist in dieser Gegend das Verhandeln um den Zimmerpreis obligat. Außerdem mußte ich mich entscheiden, ob ich Warmwasser im Gemeinschaftsbad wollte, oder das Zimmer mit dem eigenen Bad. Ich entschied mich für letzteres, aber ich hatte den Eindruck, ich war in einer Art Hochzeitszimmer gelandet, um es vorsichtig auszudrücken.

Nach der Siesta bin ich in den zur Pension gehörenden Laden, um mich dort bei einem Bier mit Don José und seinem Sohn Jorge, der etwa mein Alter hatte, zu unterhalten. Meine Hose war unterhalb des Knies zerrissen; Jorge, dem unser Gespräch gefallen hatte, erklärte sich bereit, mir dieselbe zu flicken. Dazu gingen wir in die privaten Wohnräume der Familie, wo er eine urtümliche Singer Nähmaschine hervorholte und damit die Hose wieder in Form brachte. Zuerst wollt er kein Geld für die Arbeit annehmen, aber ich überzeugte ihn, daß er sich für die „harte Arbeit“ ein Bier verdient hatte, das ich ihm bezahlen konnte.

Mit dem Abendessen war ich weniger zufrieden. Ich hatte mich bei den Wirtsleuten erkundigt, wo ich hingehen könne und sie schickten einen ihrer Söhne mit, damit ich die Empfehlung nicht verfehlen konnte. Später habe ich nachgefragt, ob es Verwandte von ihnen gewesen seien. Als man es mir bestätigte, ließ ich meinem Unmut über das Abendessen an ihnen aus. Dieses Prinzip ist mir später noch häufiger begegnet und meist habe ich vorher den Verwandschaftsgrad erfragt, bevor ich entschied, ob ich den Empfehlungen folgen wollte. Den Rest des Abend verbrachte ich, wie üblich, über dem Studium der Karte und den Informationen des Reiseführers.



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