Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

30. Cayambe

Nach Cayambe

Landschaftlich reizvoll war der Weg am Pabla-See entlang, bald nach meiner Ausfahrt aus Otavalo. Ich fuhr hier in einer Gegend, in der sich Mischwald- und Kulturlandschaften ablösten. Die Straße wurde zusehends steiler und nach rund fünfundzwanzig Kilometern bergauf, kam ich in einer Graslandschaft auf die Passhöhe. Die Raststätte hier war mir sehr willkommen, um mich bei einem Bier zu stärken.

Bei der anschließenden Abfahrt erreichte ich einen neuen Downhill-Rekord von fünfzig Stundenkilometern. Absolut gesehen ist das nicht viel, bezogen aber auf die fünfundvierzig Kilo Gepäck, die am Fahrrad befestigt waren, sicher ein Risiko.

Über die letzten welligen Kilometer fuhr ich in Cayambe ein. Hier habe ich nach Klaus, meinem Nachbarn vom Flugzeug gefragt, denn er hatte gesagt, daß ihn jeder im Ort kenne. Nicht gerade jeder, aber doch viele, fand ich heraus. Der angebliche Biologe betrieb hier ein Café. Dieses war relativ einfach zu finden. Aber man sagte mir dort, er sei an diesem Tag nicht zur Arbeit erschienen. Sein Personal war offensichtlich ausreichend zuverlässig, daß er sich dies leisten konnte.

Zäher Beginn

Nachdem ich seine Adresse erfragt hatte, machte ich mich auf die Suche, mußte aber bald feststellen, daß sein Haus weit außerhalb lag – etwa fünf Kilometer – und ich den Weg allein kaum finden würde. So nahm ich das Angebot des Anfangzwanzigers an, den ich nach dem Weg gefragt hatte, mich dorthin zu führen. Da der Weg sich immer weiter hinzog und ich von dem morgendlichen Aufstieg noch erschöpft war, nahm ich das Angebot meines Führers an, mein Fahrrad über die steilsten Stücke der Feldwege zu schieben. Etwa fünfzig Meter vor dem Haus hat er sich von mir getrennt, nachdem ich ihm einen Dollar in die Hand gedrückt hatte.

Klaus hatte mir verschwiegen, daß er verheiratet war, so daß ich etwas überrascht vor seiner Frau stand, die mir erklärte, daß er krank sei. Nichtsdestotrotz kam er ins Wohnzimmer und unterhielt sich eine Stunde mit mir. Ich sah meine Hoffnungen auf eine niveauvolle Konversation, nach deren mich nach Monaten der Abstinenz durchaus gelüstete, bereits nach wenigen Minuten zerstört, als er mich ungefragt duzte. Außerdem brauchte er fast das ganze Gespräch, um sich zu erinnern, wo wir uns getroffen hatten. Wiedererkannt hat mich allerdings sofort. Immerhin konnte er mir einige Empfehlungen die örtlichen Hotels und Sehenswürdigkeiten betreffend geben. Für den nächsten Tag verabredeten wir uns in seinem Café.

Im Hostal Mitad del Mundo hatte man aufgrund der Vorweihnachtszeit nur noch ein Zimmer und das zur Panamerikana hinaus gelegen. Als man mir aber auch noch mittels Warmwasserzeiten vorschreiben wollte, wann ich zu duschen habe, verließ ich den Laden. Klaus’ zweite Empfehlung war bereits völlig im Weihnachtstrubel ausgebucht. Meine eigene Suche verlief genauso wenig erfolgreich, wie der Snack, den ich mir zwischenzeitlich gönnen mußte, gut war. Immerhin konnte ich einem Passanten, während ich vor der Imbißbude stand, eine letzte Chance für ein Hotel entlocken. Dafür mußte ich allerdings auf der Panamerikana über einen Kilometer zurückfahren.

Das Hotel kostete zwanzig Dollar, dafür bot es allen erdenklichen Luxus. Eine geräumige Zwei-Zimmer-Hütte mit Kamin und Bad bei sehr guter Ausstattung. Dazu konnte ich die hoteleigenen Zusatzeinrichtungen kostenlos genießen: einen Sportcenter mit Sauna, Türkischem Bad, Yacuzzi, (Kinder-)Schwimmbecken und Sportgeräten.

Den Rest des Tages verbrachte ich nach der Siesta im Sportcenter, um mich zu erholen. Abends war ich im hoteleigenen Restaurant zum Essen. Für drei Dollar gab’s ein Ein- bis Zweisterneessen in nobler Atmosphäre.

Nach dem, im Preis inbegriffenen, Frühstück, lief ich der Panamerikana entlang, zurück in den Ort, nicht ohne ausdrücklich meine Wäsche in Auftrag gegeben zu haben. Ich wäre auch gerne ins Dampfbad gegangen, aber der zuständige Sporthallenwart, war zu spät und hatte nicht vorgeheizt. Kalte Füße im Dampfbad trugen nicht zur Verbesserung meiner Laune bei.

Entlang der Panamerikana lief ich zurück nach Cayambe, auch um mir die Ortsteile anzusehen, durch die ich bei der Hotelsuche am Vortag nicht gekommen war. Dabei stieß ich auf ein bronzenes Denkmal von Rumiñahui. Daß die Indianer sich immer noch als Inkas verstanden, obwohl sie in dieser Gegend erst in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts erobert wurden, wußte ich, daß aber die Bindung zu dem Inka-General noch derart ausgeprägt war, erstaunte mich doch etwas. Vielleicht hängt das mit der Theorie zusammen, daß der Bürgerkrieg der Pizarros Eroberung 1533 erst ermöglichte, nicht nur ein Krieg der beiden Söhne Huayna Capacs, Huascar und Atahualpa, um den Besitz des gesamten Reichs war, sondern auch ein Krieg zwischen Priestern der Inka-Hauptstadt Cuzco und den Generälen in Quito war. Letztere, eben unter dem Oberbefehl Rumiñahuis, der aus der Region des heutigen Ambato in der Provinz Tungurahua stammte, waren die für wenige Monate Siegreichen. Dann landeten die Spanier.

Wenig Effektives

Da ich vorhatte, über Weihnachten zu zelten, um dem in Südamerika fast noch größeren Weihnachtsrummel zu entgehen, ergriff ich freudig die Gelegenheit, um mich per E-Mail abzumelden. Allerdings herrschte den ganzen Vormittag Telefonausfall, wie ich im zweiten Internetladen, den ich fand, erfuhr. Daher beschloß ich bei Klaus einen Frühschoppen zu nehmen. Da er anfangs beschäftigt war, las ich eine Lokalzeitung.

Die Konversation mit ihm gestaltete sich kaum besser, als am Vortag. Er war mir zu verweichlicht und suchte offenbar immer nach wachsweichen Kompromissen, anstatt einen festen Standpunkt zu haben. Mit seiner Einstellung, von der er mich zu überzeugen versuchte, wäre ich auf meiner Reise kaum über Valencia hinausgekommen. Er glaubte mir beispielsweise nicht, daß die Stimmung in Südkolumbien so aufgeheizt war, daß dort im allgemeinen keine vernünftige Diskussion mehr möglich war. Allerdings wäre er selbst nie dorthin gefahren, um seine Theorie zu beweisen. Dazu war er zu weich. Da es nach einigen Bieren und fruchtloser Diskussion auf Mittag zuging, fragte ich ihn, wo man in Cayambe gut essen könne. Bei ihm, lautete die für mich etwas überraschende Antwort, weil ich sein Personal hauptsächlich mit Kuchen beschäftigt gesehen hatte. Glaubhaft wurde allerdings seine Aussage durch den Auftritt eines Polizisten, der bei ihm ein Weihnachtsessen für die Wache bestellte. Egal nun, ob hier Erpressung oder Korruption mitspielten, die Bullen würden kaum zu einem Wirt gehen, dessen Essen ihnen nicht schmeckte. Ich war auch in der Tat von der Kochkunst seiner Angestellten, die er wohl angelernt hatte, überzeugt.

Zur Siesta bin ich zum Hotel zurückgelaufen. Hier wartete eine unangenehme Überraschung auf mich. Trotz des hohen Preises war weder mein Zimmer gemacht, noch die Wäsche abgeholt worden. Reichlich verärgert stapfte ich zur Rezeption, um meinem Unmut Luft zu machen. Hier entschuldigte man sich wenigstens mit den Vorbereitungen einer wichtigen Feier, die ich am Abend auch sah. Der zu mir geschickte Mann, der die Wäsche holte, machte mir allerdings noch Vorwürfe und war recht frech. Ich brachte ihn wutentbrannt zu Räson. Den recht lauten Streit vor der Hütte bekam offensichtlich einer der Manager mit, aber er griff nicht ein.

Am Nachmittag bin ich zurück in den Ort gelaufen, um diesmal im Internetladen meine Mails zu schreiben. Immerhin funktionierte das Telefon wieder und so meldete ich mich über Weihnachten ab. Die Märsche entlang der nicht sehr verkehrsreichen Panamerikana zeichneten sich durch den hervorragenden Blick auf den schneebedeckten Gipfel des Vulkans Cayambe aus; Er ist immerhin mit 5790 Metern über dem Meer der dritthöchste Gipfel des Landes. Schnee braucht hier am Äquator mindestens viertausendfünfhundert Meter.

Zurück im Hotel bin ich Essen gegangen, wobei mir die Festgesellschaft durch ihren Lärm unangenehm auffiel. Auf dem Rückweg zu meiner Hütte traf ich den Hallenwart, den ich verpflichtete, für den nächsten Tag das Dampfbad früh genug anzuheizen. Die Nacht war klar und kalt, weshalb ich mir Sternenhimmel angesehen habe. Etwas durchgefroren, nahm ich den Kamin in der Hütte in Betrieb, da ich noch die Fahrtroute planen mußte und meine Einträge im Tagebuch vervollständigen wollte. Danach ließ ich den Tag vor dem Fernseher ausklingen.

Morgens war das Dampfbad wie versprochen heiß, zum Abschied erhielt der Hallenwart einen Dollar Trinkgeld, genau wie der Zimmerkellner, der die Hausbar überprüfte, weil er einiges übersah. Nach dem reichhaltigen Frühstück und der Begleichung der Hotelrechnung verließ ich das Hotel – mit meiner nicht ganz trockenen Wäsche.



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