Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

25. Pasto

Durch das Tal des Río Patio

Erst sah es so aus, als ob ich morgens um sieben am Busbahnhof gar keine Fahrt mehr kriegen würde; des Fahrrads und des Gepäcks wegen, aber um kurz nach halb acht saß ich schließlich im Bus nach Pasto. Auch dafür machte ich Ressentiments gegen Ausländer verantwortlich. Der Bus hatte allerdings kein Klo und war auch sonst nicht für Expressfahrten ausgelegt. In den Anfangsetappen, bei denen es eigentlich bergab hätte gehen sollen, war, im Gegensatz zur Karteninformation, noch mal gut Bewegung. Der Empfehlung des Reiseführers folgend, saß ich rechts und habe einige überwältigende Andenpanoramen genießen können. Vom Monserrate über Bogotá war's längst nicht so beeindruckend. Auf dem Fahrrad wären die Ausblicke viel besser gewesen, weil man mehr Zeit zum Aufstieg gebraucht – und mehr Zeit zum Betrachten gehabt hätte. Es handelte sich bei den Bergen um die Vulkane Cutanga, Petacas, Las Animas und Doña Juana.

Unten im heißen Tal gab’s Geleitschutz für den Bus: Ein halber Zug Infanterie des Batallóns Boyaca mit Maschinenpistolen war zeitweise im Bus. Ein Zeichen für mich, daß nicht alles Propaganda war, was es in den Nachrichten des Fernsehens zu sehen gab. Auch vorher schon, bei einem Erdrutsch, der den Verkehr an dieser Stelle wegen der Bauarbeiten gut eine halbe Stunde aufhielt, war ein halber Zug schwere Infanterie mit Granatwerfern bei den wartenden Autos und LKWs zum Schutz. In dieser Gegend habe ich zwar doch eine Unterkunft gesehen, aber aufgrund der Lage war ich doch froh, mit dem Bus nur durchgefahren zu sein. Dann ging’s heftig einige Berge entlang aufwärts und da war weit und breit nichts.

Ein weiterer Anstieg, auf dem es über viele Kilometer hinweg nur steil bergauf ging, führte über einige Brücken zu zwei kleinen Tunneln bei El Tablon. Die Straße erstreckte sich dabei über drei Berge hinweg. Und da war nichts sonst! Erst wieder kurz vor dem Flugplatz Caño vor Chachagui gab’s wieder Zivilisation, gut fünfunddreißig Kilometer vor Pasto. Gut sieben Stunden hat die Fahrt mit Pausen und Unterbrechungen gedauert, eine Woche mit dem Fahrrad hätte ich sicher gebraucht.

Alexander von Humboldt verfluchte den Weg, der sich von der heutigen Straßenführung unterschiedet, als einen der schlechtesten der ganzen Reise, weil er steil und schlammig-rutschig war. Hinzu kamen angeschwollene Flüsse und Bäche, die kaum zu überwinden waren. Er brauchte über drei Wochen. Er blieb nur kurz in dem Tal, das in seinen Augen ziemlich europäisch aussah, scheiterte aber am Wetter mit seinem Versuch, den Galeras-Vulkan zu besteigen und ging sofort nach Ecuador weiter.

Pasto

Die Hotelsuche in Pasto verlief ausnahmsweise mal problemlos: das Hotel war zwar mit zweiundzwanzig Mark nicht der billigsten eines, aber dafür ist es aber auch ziemlich gut. Heißwasser aus dem neuen Gasboiler, große, saubere Zimmer und halbwegs ruhig, vor allem in den oberen Stockwerken. Später hatte ich noch Gelegenheit den guten Service kennenzulernen.

Ich war wieder, wie in Bogotá, auf gut zweieinhalbtausend Metern. Aber nach Ecuador müssen gut dreitausend Meter überschritten werden. Merklich wurden die Klimazonen, die Humboldt festlegte, durchfahren: die tierra caliente, das heiße Land, unter 1000m, die tierra templada, das gemäßigte Land von 800 bis 2000m und die tierra fria, das kalte Land, zwischen 2000 und 3500m. Hier in Pasto fand ich es nicht so kühl, wie in Bogotá, obwohl es eigentlich keinen Unterschied hätte geben dürfen.

Nachmittags habe ich mich mit der 1537 von Sebastián de Benalcazár und 1539 erneut durch seinen Stellvertreter Lorenzo de Aldana gegründeten Stadt vertraut gemacht. Die Leute hier waren wieder fast wieder so, wie ich sie die ganze Zeit kennengelernt hatte, typisch kolumbianisch. Einen US-feindlichen Spruch an einer Hauswand habe ich aber doch gelesen. Das schien mir zu beweisen, daß die Hauptschuld für das Verhalten der (Po)payános bei den Übergriffen der Guerilla und Paramilitares lag. Aber die Übergriffe der Guerilla waren eine Folge der US-Intervention.

Nach dem Frühstück bin ich zur Touristeninformation, um mir einen Überblick über die Sehenswürdigkeiten und einen Stadtplan zu beschaffen. Danach hatte ich noch Zeit für ein Handwerksmuseum in einem uralten Kolonialhaus, die Casa Taminango: Handwerkstechniken und Beispiele dafür in den Bereichen Textilien, "Strohhüte", Eisenteile und eine Getreidemühle waren ausgestellt. Dazu eine Druckerpresse, die mit griechischen Lettern bestückt war; sie diente noch im 20. Jahrhundert zur Übersetzung klassischer griechischer Literatur. Das Haus aus dem Jahr 1623 ist, wenn nicht so groß wie andere Kolonialbauten, die ich gesehen habe, deswegen interessant, weil zum Bau Lehmziegel und Holz, aber keine Nägel verwandt wurden. Allerdings mußte ich auf die Öffnung warten, weil ich einerseits etwas zu früh, der Wärter allerdings viel zu spät war. Außer mir befand sich nur ein junges, schwedisches Paar im Museum, was mir eine angenehme Ruhe zur Betrachtung der Exponate bescherte.

Vor dem Mittagessen habe ich noch von außen die Kirche San Felipe begutachtet, die gerade um die Ecke war. Neogotisch mit grün patiniertem Kupferdach. Ich fand sie zu neu, um interessant zu sein.

Nach der Siesta fand ich die Casa de Barniz, dem Firnishaus geschlossen. Hier hätte ich was über den barniz de Pasto lernen sollen: ein spezielles Harz aus Urwaldbäumen, das folienartig und gefärbt, verzierend über Holzschnitzarbeiten gezogen wird.

Da ich auf meinen Erkundungsgängen einen Internetladen gefunden hatte, nutzte ich den Nachmittag, um meine Mail-Gemeinde vom letzten Stand der Dinge zu unterrichten.

Bei einer Pause mußte ich mich einer überfreundlichen Bedienung erwehren, die wohl die Tochter des Hauses war. Weil nichts los war in der Kneipe, hatte sie Gelegenheit, mich zu stören. Es ist überall die gleiche Geschichte: unzufrieden mit den herrschenden Verhältnissen, bietet ein Ausländer den Mädchen die Möglichkeit zur Flucht in eine scheinbar bessere Welt. Da ich aber nicht in Ansatz so enthusiastisch bei der Konversation war, wie sie, überließ sie mich irgendwann beleidigt, aber in Ruhe, meinem Bier. Nach dem Abendessen, nutzte ich den Fernseher im Hotelzimmer.

Im strömenden Regen verließ ich das Hotel gegen halb neun, um zu frühstücken. Kurz vor neun wartete ich vor der Nationalbank auf die Öffnung des örtlichen Gold-Museums, neben einigen Polizisten, die hier Wache standen. Auch ein Rundgang kurz nach neun um das moderne Bankgebäude brachte nicht den gewünschten Erfolg. Die Bullen erzählten mir, daß das Museum derzeit nicht zugänglich sei. Die Casa de Barniz hatte auch zu, so bin ich noch eine Weile durch den verregneten Ort gelaufen, bis ich beschloß, daß es keinen Sinn hatte, völlig zu durchnässen. Zumal ich eher per Zufall auf die Vulkanbeobachtungsstelle gestoßen bin, bei der man mich aber aus Personalmangel auf den folgenden Montag verwies. Ich sah daher auch keinen Grund, mich als Geologen zu erkennen zu geben, da offensichtlich sowieso das Fachpersonal nicht da war. Da ich vorher eine echte Kneipe gefunden hatte, bin ich mich stärken gegangen.

Der Tag war deswegen seltsam, weil es eigentlich ein Feiertag war, der Tag der Unbefleckten Empfängnis, aber offensichtlich war die Regelung mit der Verlegung auf den Montag uneinheitlich. Einige Einrichtungen waren geschlossen, trotzdem war die Mehrzahl der Leute nicht beim sonst erfahrenen Feiertagstrinken in den Restaurants.

Nach Mittagessen und Siesta bin ich ins Naturkunde-Museum gegangen, das unverständlicherweise in keinem Reiseführer steht. Ich fand es über die fotokopierte Karte des Fremdenverkehrsamts. Neben wenigen Mineralien waren ausgestopfte Tiere und präparierte Pflanzen ausgestellt. Das Museum gehört sicher nicht zu den schlechtesten dieser Art, die auf der Reise gesehen habe.

Der nächste Tag war vertan, weil mir das Wetter zum Aufstieg auf den Vulkan Galeras zu schlecht war und ich wohl die Erlaubnis der Vulkanologen gebraucht hätte. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß die Museen immer noch geschlossen waren, bin ich durch die Marktstände auf der Hauptstraße geschlendert. Zwischen den unzähligen Warenangeboten und der Masse der Leute hatte ich aber bald genug und bin wieder in den Internetladen.

Der ausgedehnte Spaziergang nach der Siesta führte auch nicht zu neuen Erkenntnissen.

Nach dem Abendessen beschäftigte ich mich also mit der Fahrtroute anhand der Karten und den Reiseführern.



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