Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

23. Santiago de Cali

Das Caucatal

Über eine wellige Straße mit einigen Anstiegen durch größtenteils kultivierte Landschaft erreichte der Bus das Tal des Río Cauca. Hier lag ein Bauernhof neben dem anderen und einige kleinere Ortschaften dazwischen. Die Klimaanlage des Busses hielt die Hitze draußen und so konnte ich die schöne Landschaft des Caucatals genießen. Am Ende der zweihundert Kilometer langen Strecke fuhr der Bus in der Millionenstadt Cali mit dem ehemals zweifelhaften Ruf ein. Zu Zeiten Humboldts, der sich wenig zu seinem Aufenthalt ausläßt, wohnten vier- bis fünftausend Menschen hier, die sich hauptsachlich mit der Landwirtschaft beschäftigten.

Ankunft in Cali

Die Wegsuche vom Busbahnhof zur Innenstadt war wegen der vielen Einbahnstraßen und des starken Verkehrs eher ein Geduldsspiel. Das relativ kleine historische Zentrum, das von Hochhäusern umgeben ist, war von Menschen überfüllt. Dazu der Verkehr auf den Straßen und der Lärm den hier alles verursachte, führten, in Verbindung mit zwei Fehlversuchen bei Hotels und einem Polizisten, der mich darauf aufmerksam machte, daß ich eine Einbahnstraße gegensinnig nutzte, dazu, daß ich die Innenstadt verließ und in den erheblich ruhigeren und gediegeneren Norden der Stadt flüchtete.

Die Unterkunft entsprach, des Gemeinschaftsbads wegen, weniger meinem Standard, aber dafür hat der Rest recht gut gepaßt, auch wenn das Zimmer ziemlich klein war. Die Alternative hätte aus Gemeinschaftszimmern bestanden und das hätte ich auf keinen Fall mitgemacht. Der Brite, der mich begrüßte, machte einen guten Eindruck. Das Haus gehörte offensichtlich seiner Frau, einer Kolumbianerin, und war eigentlich nicht besonders für die Unterbringung von Gästen ausgelegt. Aber das wurde durch das junge, internationale Publikum ausgeglichen. Ich war auch ganz froh, daß ich nach langer Zeit mal wieder was anderes sprechen konnte, als spanisch. Und Englisch wäre auf der Straße ein Unding gewesen, weil man mich deswegen sofort für einen US-Bürger gehalten hatte. Abgesehen, davon, daß mir das in vielerlei Hinsicht unrecht gewesen wäre, hier war es auch noch gefährlich, weil sich die Amis hier selbst unbeliebt gemacht haben.

Das gute Gespräch mit Davie, dem Gastgeber, nutzend, erfragte ich ein gutes Steakhaus. Ich ging also, nachdem ich mich in Form gebracht hatte zu Fuß einige Kilometer durch den Norden der Stadt und kam schließlich zu dem von Davie avisierten Grillrestaurant auf der Avenida 6N, bei dem Einkaufszentrum. Die Preise in der Karte schienen mir reichlich europäisch, aber ich hoffte auf die Qualität. Außerdem war die Übernachtung recht billig, so daß ich mir den Luxus gönnen zu können glaubte. Das Ambiente des Lokals entsprach zwar durchaus dem Preis, aber die Qualität des Fleischs ließ sehr zu wünschen übrig. Einigermaßen verärgert bin ich wieder zurückgelaufen, zumal mich auch hier der Kellner auf die Fernsehnachrichten ansprach. Mit Bier aus dem öffentlichen Kühlschrank der Pension, das man abzeichnen und später zahlen mußte, habe ich den Abend über den üblichen Vorbereitungen verbacht.

Kulturprogramm

Den Vormittag verbrachte ich mit Museumsbesuchen im Zentrum. Das Calima-Gold-Museum gehörte der Staatsbank und zeigte mit recht brauchbaren Erklärungen versehene Exponate der von den Spaniern ausgerotteten Calima-Kultur, die zwischen 100 und 1000 bestand. Blattgold kannten sie genauso, wie Filigranarbeiten und Gußtechniken; was wohl daran lag, daß sie vorher schon einige hundert Jahre von ihren Nachbarn lernen konnten. Außerdem waren sie durch ihre Lage als Händler bevorzugt. Keine andere Kultur hatte mehr Techniken zur Goldbearbeitung. Der Name der Stadt geht auf diese Indianer zurück.

La Merced, eine Kirche aus der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts, ist selbst bereits einen Blick Wert. In den zugehörigen Nebengebäuden befand sich das Archäologische Museum. Hier gab’s mehr Keramik und dazu Mumien und Knochen, weniger Gold. Hier wurde der streng differenzierte Sozialaufbau der Calima-Gesellschaft deutlich. Außerdem gewährten die Exponate Einblicke in die hochentwickelte Textilherstellung und den bewässerten Terrassenfeldbau. Daß das Haus – ein Kolonialgebäude ersten Ranges – nach Weihrauch roch, war den Vorbesitzern und Erbauern zu verdanken: es war der Sitz des Erzbischofs.

Zum Mittagessen bin ich in die Nähe der Pension zurückgekehrt. Im Caballo Loco habe ich in teurem Ambiente eine, zugegebenermaßen kleine, aber feine Lende gegessen. Außerdem war der Service überzeugend.

Nach der Siesta bin ich in die Altstadt jenseits des Río Cali, der in den Río Cauca fließt, zurückgekehrt. Hier habe ich die 1939 erbaute, neogotische La Ermita-Kirche gesehen. Von außen, im Vorbeilaufen, hat mir völlig ausgereicht. Schon zu Zeiten der Erbauung unmodern, war die fliederfarbene Kirche zu jung, um irgendwie attraktiv zu sein. Die San Francisco-Kirche, ein paar Blocks weiter, sagte mir mehr zu, auch wenn der Glockenturm im Mudejar-Stil ebenfalls ein späteres Anhängsel der Kirche aus dem achtzehnten Jahrhundert ist.

Zum Abendessen bin ich wieder zurück in Pensionsnähe. Beim Franzosen an der Ecke aß ich ein Riesensteak – mittelprächtig. Nach dem Essen kam der Besitzer und setzte sich zu mir an den Tisch. Wir unterhielten uns in einem seltsamen Französisch-Spanisch, in dem ich mich irgendwann sogar wohlfühlte! Nach dem einleitenden Gespräch über die Südamerikaner und ihre Eigenheiten, kamen wir auf die deutsch-französische Geschichte bis zum zweiten Weltkrieg zu sprechen. Er war durchaus bereit zuzugeben, daß der Versailler Vertrag eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Nationalsozialismus gespielt hatte, erklärte aber sein Zustandekommen, respektive die übertriebene Härte der Franzosen damals, mit der Kaiserkrönung Wilhelms I. in Versailles. Ich war zwar ebenfalls der Ansicht, daß es in Deutschland genauso würdige Plätze dafür gegeben hätte, aber hier ging’s natürlich schon um die Demonstration, daß Napoleon, abgesehen davon, daß er mit seiner Selbstkrönung die Revolution, die er nach Europa getragen hatte, verraten hatte, den Habsburgern die Krone geraubt und das Heilig Römische Reich Deutscher Nation zerschlagen hatte.

Ein weiterer interessanter Gesprächspunkt war, daß er in der Fremdenlegion, noch dazu in Dien Bien Phu, in Indochina, war. In der Bergfestung im Norden Vietnams erlitten die Franzosen im Mai 1954 eine schwere Niederlage gegen die Vietminh, die sie zur Aufgabe ihrer Kolonien in Südostasien zwang. Die Schlacht war auch deswegen bedeutsam, weil hier in der Fremdenlegion viele Deutsche mitkämpften, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Legion geflohen waren. Beim Fall der Festung gingen die Reste der SS unter. Der Augenzeugenbericht war sicher ein Highlight der Reise, auch wenn er sich nicht zu den deutschen Kameraden äußern wollte.

Nach dem Frühstück am Kiosk um die Ecke der Pension bin ich zum Schecktausch auf die Bank. Nachdem ich das Geld im Zimmer verwahrt hatte, nahm ich mir ein Taxi zum Naturkundemuseum. Der Taxifahrer kannte weder das Museum noch die angegebene Adresse. Gemeinsam schafften wir es schließlich vor dem Museo de Historia Natural im baumreichen Nordwesten der Stadt anzukommen. Ein von weitem sichtbares Schild gab es an der Kolonialvilla mit großem Garten auch nicht, so daß ich etwas unsicher das Gelände betrat. Erst neben dem Hauseingang, bei den Wächtern sah ich, daß ich mich doch da befand, wo ich hingewollt hatte.

Die recht umfängliche Sammlung zeigte einen repräsentativen Querschnitt über die einheimischen Tier- und Pflanzenarten. Trotz einiger kleiner Mängel fand ich die wohlgeordneten und taxonomisch klassifizierten Exponate, die in Vitrinen und Schaukästen angeordnet waren, recht lehrreich. Zugegebenermaßen war die regionale Zuordnung zwar nicht immer gegeben und einiges existierte nur als Foto oder gar Gemälde, aber die Vielfalt der Arten, besonders bei den Insekten, entschädigte den Betrachter. Ärgerlicherweise war ich von zwei Schulklassen eingeklemmt, die mir mit ihrem Lärm zeitweise die notwendige Konzentration raubten. Im großen und ganzen hat sich der Ausflug aber gelohnt.

Der Rückweg – zu Fuß – am Rio Cali entlang war zumindest streckenweise empfehlenswert. Unter großen Bäumen, die Schatten spendeten und die Luft mild hielten, wuchsen Blumenbeete und Blütensträucher. Hier herrschte auch wenig Verkehr, so daß der Spaziergang äußerst wohltuend war. Hinzu kommt, daß ich in Cali kaum Baustellenaktivität vorgefunden habe. Cali ist eine durchaus sehenswerte Stadt und dadurch, daß im Zentrum überall Polizei und Militär aufgestellt war, war es auch ziemlich sicher. Die Temperatur hier ist deswegen halbwegs erträglich, weil jeden Nachmittag um vier ein kühler Wind von der Westkordillere herunterweht, so daß die Abende und Nächte recht angenehm sind.

Auf dem Weg ins Hotel konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, noch mal im Caballo Loco zu essen. Es hat sich, genau wie beim ersten Mal gelohnt.

Nach dem Mittagsschlaf bin ich durch den Norden Calis gelaufen. In einem neuen, modern eingerichteten Radladen hat mir, nachdem’s mit dem Ständer nix war, noch ein paar Fotoalben gezeigt, mit Radlern im Gelände. Selbst wenn man mir nichts verkaufen konnte, bin ich eine ganze Weile im Geschäft geblieben, um mich mit den Betreibern zu unterhalten, die mich sogar zu einer großen Radrundfahrt einladen wollten, aber zum Zeitpunkt der Fahrt gedachte ich schon tief in Ecuador zu sein.

Als es nach dem Spaziergang durch die neue, wohlhabende, aber nicht unbedingt schön anzusehende Nordstadt und den Berichten im Internet Zeit wurde, sich um das Abendessen zu kümmern, mußte ich feststellen, daß hier eine bandeja paisa offensichtlich Mangelware ist. Als ich endlich fündig wurde, hätte ich nicht sagen können, daß ich so recht zufrieden war. Einerseits des Geschmacks, andererseits der Nahrhaftigkeit wegen. Bevor ich eine neue Etappe begann, wollte ich, da ich die Verhältnisse, die vor mir lagen nie richtig kannte, immer eine stärkende Mahlzeit einnehmen. Das schien mir der einzige Schwachpunkt zu sein, daß das Fleisch im Valle de Cauca, dessen Hauptstadt Cali ist, im Vergleich zu anderen Teilen Kolumbiens nicht ganz so schmackhaft ist.

Zurück in der Pension habe ich, nach einem kurzen Gespräch am Tisch mit anderen Hotelgästen, die weitere Vorgehensweise im Zimmer geplant.

Nicht gerade ultrafrüh losgekommen, es war halb acht, dafür aber schlecht geschlafen. Vor der Abreise, morgens, im Hinterhof der Pension, den kleinen Hausameisen zugesehen, wie sie eine Wespenkönigin, die Wand, die zugegebenermaßen mit Rauputz versehen war, aber doch hochzogen.

In Cali ging’s erst mal buckelig zu, aber dann, draußen, nach vierzehn Kilometern, war’s ziemlich eben; Nur der Wind störte streckenweise. Die Flußtallandschaft hat mich an den Rheingraben erinnert, nur daß hier umliegenden Berge höher und die Pflanzen exotischer waren. Der größte Teil des Landes war, wie ich es vorher, weiter nördlich gesehen hatte, ackerbaulich genutzt.



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