Stefan K. Beck, Privatgelehrter und Projektemacher

Tagebuch

21. Magdalenatal

In der Cundinamarca

Die zweiundsiebzig Kilometer über Soacha und Sibate nach Fusagasuga erwiesen sich als genau das Richtige nach dem langen Aufenthalt in Bogotá: wellig nach oben und dann, am Ende gut bergab, die andere Straßenführung über Silvia wäre länger gewesen und der Aufstieg nach Fusagasuga wäre durch seine Fortgesetztheit wohl doch anstrengender gewesen. So fuhr ich am Südufer der Laguna de Muña eine wenig befahrene, landschaftlich reizvolle Nebenstrecke, die mich über Ubate – es ging teilweise noch mal gut bergauf –, nach San Miguel de Alto führte. Kurz dahinter auf der Passhöhe war alles in Nebel gehüllt und geschifft hat’s auch noch. Aber endlich bergab.

Dadurch entging mir der von Humboldt so gelobte Salto de Tequedama, der sich an der Alternativstrecke nur wenige Kilometer nach der Kreuzung befindet. Diesem Wasserfall bescheinigte er eine gewaltige Gischtwolke und eine allgegenwärtige Nässe. „Der Anblick des Salto ist unendlich schön.“, schrieb er in sein Tagbuch. Er vermerkte auch, daß der Anblick „ mehr schön, als schrecklich“ sei. Heute würde er es sicher andersherum sagen: der Fluß, der den Wasserfall speist, war zur Kloake von Bogotá verkommen. Dieses stinkende Rinnsal würde er kaum noch gezeichnet haben. Der Stich, der aus dieser Zeichnung von 26. August 1801 entzstand, ist heute ziemlich bekannt und ersetzt den Besuch allemal.

Einige Male ging’s zwar trotzdem noch mal kurz hoch, aber im wesentlichen doch tiefer. Als ob es an einem der Aufstieg nicht schon hart genug gewesen wäre, mußte ich mich mit drei Hunden auseinandersetzen. Ein etwa boxergroßer Mischling lag an der Straße und wurde durch mein Den-Berg-Hochhecheln aufgeschreckt. Obwohl ich den Eindruck hatte, daß er angreifen wollte, bellte er nur. Bald darauf sah ich den Grund: zwei noch größere Hunde kamen ihm zu Hilfe. Zu dritt wagten sie den Angriff. Das war der Moment, die Machete zum Einsatz zu bringen. Obwohl sie schnell genug ausgewichen sind, bin ich sie damit losgeworden. Sie haben meinen Willen, sie ernsthaft zu treffen, gespürt. Dabei hatte ich meinen Schwung verloren und mußte, um die Machete wieder in die Scheide am Seesack auf den Gepäckträger zu stecken, sogar anhalten.

Fusagasuga

Am späten Nachmittag fuhr ich endlich in dem siebzigtausend Einwohner zählenden Ort Fusagasuga ein. Tausend Meter tiefer als Bogotá. Da ich keine Adresse für ein Hotel hatte, bin ich die Durchgangstraße über das Zentrum hinaus durchgefahren. Kurz vor dem Ortsende sah ich ein handgemaltes Schild, auf dem Übernachtungen angeboten wurden. Ich mußte eine Weile warten, nachdem ich die Klingel neben dem gußeisernen Tor betätigt hatte, bis von dem fast hundert Meter entfernten Landhaus jemand kam, um mir zu öffnen.

Man brachte mich im Gartenhaus mit „Küche“ und Bad unter. Es war – außer mit dem Grad der Sauberkeit – mit meiner Gartenlaube durchaus nicht unzufrieden. Nachdem ich geduscht hatte, der Mangel an Warmwasser ist auf dieser Höhenlage leicht zu verschmerzen, wurde ich auf die Frage hin, wo ich essen könne, im Haus mit der Familie versorgt. Manuel der Besitzer, ist sogar Bier holen gegangen.

Abends habe ich mit ihm, der sich als Journalist zu erkennen gab, wobei ich mir aber nichts weiter gedacht habe, im Garten gesessen und mich gut mit ihm unterhalten. Wie ich es gewohnt war, wollte auch er über den Verlauf meiner bisherigen Reise einiges wissen. Dafür hat er mir nette Einblicke in das politische und kulturelle Leben in Kolumbien und Fusagasuga gewährt. Manuel hat auch Humboldt erwähnt, der in der Nähe von Fusa, wie die Einheimischen verkürzt sagen, in Pandi, über eine Woche rumgemessen haben soll, um dann zu behaupten, es herrsche das beste Klima da! Ich muß zugegeben, daß ich das Klima als äußerst angenehm empfand. Nicht zu warm und nicht zu feucht.

Alexander von Humboldt hatte am 8. September 1801 Bogotá verlassen und den Umweg über Fusagasuga, wo er, wegen des schlechten Weges am 9. nachts eintraf, und Pandi gewählt, weil er die, ebenfalls in einem bekannten Stich verewigte natürliche Steinbrücke von Icononzo unbedingt sehen wollte. In seinem Tagebuch vermerkt er die Ankunft am 12. September, die Abreise am 15. Zum Klima vermerkte er: "Außer Quito [hier ist die Provinz gemeint] und Peru ist gewiß dem Königreich Neu-Granada nichts ähnlich, wo man, das Thermometer in der Hand, ohne zehn Meilen weit zu reisen, sich jedes vorgesetzte Klima wählen kann (man steigt auf einer Terrasse herab), wo die Gewächse der heißen Erdstriche dicht an die der kalten Zone grenzen..." Aber die Konstanz, die Manuel mit dem besten Klima wohl gemeint hatte, ist durchaus gegeben.

Nachdem Frühstück ist Manuel mit mir im Bus in den Ort gefahren, um dafür zu sorgen, daß ich eine gute ruana erhielt. In dem ecuadorianischen Geschäft blieb er ein harter Verhandlungspartner, bis er den maschinengewebten Poncho aus Kunstfasern um etwa ein Drittel auf umgerechnet dreißig Mark gedrückt hatte. Er hatte mir vorher gesagt, daß ecuadorianische Textilien den kolumbianischen überlegen seien, daher waren wir nicht zu einem einheimischen Händler gegangen. Anschließend begleitete er mich zur Post, damit ich meinem Vater telefonisch zum Geburtstag gratulieren konnte.

Da ich die Kolumbianer im allgemeinen sehr hilfsbereit getroffen hatte, dachte ich mir nichts weiter dabei. Später jedoch, als mir klar wurde, was er getan hatte, interpretierte ich sein Verhalten so, daß er mit der Nachricht, die er über mich und meine Fahrt im Fernsehen verbreitet hat, in erster Linie Geld verdienen wollte. Nicht auszuschließen, obwohl ich der Möglichkeit eine geringe Wahrscheinlichkeit einräume, daß die Nachricht meiner Sicherheit gegenüber der Guerilla, durch deren Gebiet mich mein Weg zwangsläufig führen mußte, dienen sollte.

Das Magdalenatal

Über die wellige Straße mit einigen kräftezehrenden Anstiegen fuhr ich über tausend Meter tiefer ins Tal des Magdalena. Man verliert hier mit der Höhe pro tausend Meter vier bis fünf Grad; unten an der Küste können problemlos fünfunddreißig Grad im Schatten herrschen, während gleichzeitig in Bogotá auf gut zweieinhalbtausend Metern vierzehn oder fünfzehn Grad gemessen werden. In den Tälern zwischen den drei Andenketten herrschen moderat warme Temperaturen, meist unter dreißig Grad. Man hat hier wegen der Äquatornähe und den Anden alle vier Jahreszeiten gleichzeitig; was ein Land!!! Da es den Bogotanos öfter mal in der Höhe der Berge zu kalt ist, fahren sie, wenn sie sich’s leisten können, am Wochenende ins heiße Tal des Magdalena, das voll von entsprechenden Ferieneinrichtungen ist, um sich aufzuwärmen.

Zum Mittagessen, im nur noch gut dreihundert Meter hohen Melgar, fand ich ein geräumiges Grillrestaurant, dessen Schiebewände offen waren. Hier konnte ich sehen, wie das Fleisch über einem großen Grill zubereitet wurde. Es war auch entsprechend gut. Nach dem Essen setzte ich ein Mann Mitte dreißig zu mir an den Tisch, um sich mit mir zu unterhalten. Der Textilvertreter bedauerte, daß ich nicht dem Magdalena bis Neiva folgen würde, weil er mich gern zu sich eingeladen hätte.

An der Kreuzung vor der knapp zweihundertfünfzig Meter hoch gelegenen Magdalenabrücke, wo sich die Straße nach Giradot und Espinal gabelt, hatte ich für den Tag genug. Als ich ein Schild für eines der hier üblichen Ferienressorts sah, habe ich nicht mehr lange überlegt und bin hineingefahren. Auf dem recht kleinen Areal standen um das Restaurant ein halbes Dutzend Ferienhäuser. Das Zimmermädchen, das auch gleichzeitig Rezeptionistin war, wollte zuerst den lächerlichen Preis von fünfzig Mark. Nach einigem harten Herumstreiten bekam ich eins der neuen, gut ausgestatteten Einraum-Häuser mit großzügigem Bad und Klimaanlage für dreißig Mark. Allerdings ließ bei der obligaten Besichtigung die Sauberkeit zu wünschen übrig. Also knüpfte ich an mein Bleiben die Bedingung, daß vorher richtig saubergemacht würde. Nach der zweiten Aufforderung ging das Mädchen, um sauber zu machen, nachdem ich mich im Restaurant niedergelassen hatte, um meinen Durst zu löschen.

Während ich auf die Reinigung des Zimmers wartete, fuhr ein schwarzer BMW vor, aus dem eine junge Frau ausstieg, die offensichtlich ebenfalls hier wohnte. Sie sah immer wieder zu mir her und ließ sich ebenfalls im Restaurant nieder. Bis sie bemerkte, daß ich sie ignorierte. Als ich endlich meine Ruhe zu haben glaubte, kam das freche Zimmermädchen, um mir die Schlüssel des nachgereinigten Bungalows zu übergeben.

Als ich nach Dusche und Siesta im Restaurant nach etwas zu essen fragte, wurde ich enttäuscht. Wahrscheinlich aufgrund des Mangels an Gästen, blieb das Restaurant geschlossen. Ein Grund dafür mögen die vielen Imbissbuden oben auf der Straße gewesen sein. Mir jedenfalls boten sie eine akzeptable Alternative, da der Ort zu weit war, um noch hinzulaufen.

Um der Hitze im Magdalenatal zu entgehen, bin ich früh losgefahren; Dem teilweise heftigen Gegenwind konnte ich jedoch nicht entgehen. Erschwerend kam hinzu, daß vor sieben noch kein Frühstück aufzutreiben war. Nach gut einer Stunde ebener Fahrt, sah ich kurz vor Espinal einige Imbißstände an der Straße. Hier trugen die Betreiber gerade die Lokalspezialität lechona, gefülltes Spanferkel, an ihre Buden. Wenn ich nicht noch eine Stunde hätte warten wollen, wäre das genau das richtige Frühstück vor dem beginnenden Anstieg auf die Zentralkordillere gewesen. Wenn ich es nicht schon vorher bedauert hatte, kein Spanferkel gegessen zu haben, an der Raststätte, an der ich mich gegen neun niederließ, bedauerte ich es. Nicht daß das Steak schlecht gewesen wäre, das ich mir als Alternative bestellt hatte, aber der Preis war viel zu hoch.

Humboldt schwamm südlich der heutigen Brücke durch den Río Magdalena und machte sich wegen der "Crokodile" Gedanken, die an den Reitern mehr interessiert waren, als an den Maultieren, auf der seine Expedition ihre Ausrüstung transportierte. Kurz dahinter blieb er einige Tage auf einer Zuckerrohrfarm, bevor er seinen Weg in Richtung Ibagué fortsetzte. Allerdings auf einer gegenüber der heutigen Straße leicht veränderten Route.

Über die wellige Straße fuhr ich weiter im Gegenwind durch meist bewaldete Flächen, im Gegensatz zu der Kulturlandschaft um den Río Magdalena herum. Immer wieder gab’s an der Strecke freundliche Menschen, die mich anfeuerten. Trotzdem verließ mich in Guandalay, auf rund fünfhundert Metern Höhe, die Lust, mich weiter zu quälen. Also habe ich mir hier eine Übernachtung gesucht.

Wieder ein Ferienzentrum, aber diesmal aus der unteren Kategorie. Das merkte ich sofort an den Ameisen. Da halfen auch die handschriftlichen Zettel nichts, die zum Verzicht auf Nahrungseinnahme im sehr einfachen Zimmer aufforderten. Und wieder mußte ich den Preis um ein Drittel drücken. Aber im Gegensatz zum Vortag blieb man freundlich und zuvorkommend – eben so, wie ich es von Kolumbianern gewohnt war.

Zum Mittagessen lud mich die Betreiberfamilie ein, um eine weitere Lokalspezialität kennenzulernen: tamales. Hierbei handelt es sich um einen im Ofen gebackenen, mit Fleisch und Gemüse angereicherten Maisteig, der in den Blättern von Kochbananen serviert wird. Mir schienen sie jedoch eher ein Snack zu sein, eine kräftige Suppe müßte dazu, um daraus eine vollwertige Mahlzeit zu machen.

Wegen des kleinen Schwimmbeckens im Garten, respektive der darin tobenden Kinder, verlief meine Siesta nicht so ruhig, wie ich mir das vorgestellt hatte. Später bin ich selbst in den Pool, um etwas zu schwimmen. Eigentlich hätte der Ort zu einer kleinen Pause eingeladen, die ich auch nötig hatte, aber wenn es Freitags schon so unruhig war, konnte ich mir lebhaft vorstellen, wie das Wochenende verlaufen würde.

Nachdem ich eine Weile in Garten gesessen hatte, auch um meine Tagebucheintragungen zu vervollständigen, bin ich mit Einbruch der Nacht in den Ort hinein gelaufen, um mir ein Abendessen zu verschaffen. Das erwies sich aber als gar nicht so einfach, da sich die Restaurants am anderen Ende des Orts befanden und man mich erst im dritten Versuch bedienen wollte. Hier habe ich jedoch eine der besten comidas corrientes gegessen – für zwei Mark fünfzig!



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